Palmer

Justin Timberlake mimt einen Ex-Kriminellen, der sich mit einem kleinen Jungen anfreundet und von diesem nicht nur eine Lektion fürs Leben lernt – die Prämisse des Apple-Original-Films PALMER kommt einem bekannt vor, doch Regisseur Fisher Stevens bereitet sie angenehm auf. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Palmer (USA 2021)

Der Plot

Nach zwölf Jahren im Gefängnis will Eddie Palmer (Justin Timberlake) sein Leben wieder in den Griff bekommen. Unterschlupf gewährt ihm seine Mutter Vivian (June Squibb), die hofft, dass ihr Sohn endgültig von der schiefen Bahn weg ist. Als er schon bald darauf eine Anstellung als Hausmeister an einer Schule erhält, scheint es in Eddies Leben wieder bergauf zu gehen, doch ein Schicksalsschlag holt ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Nun steht er plötzlich ganz allein da – und mit ihm der kleine Sam (Ryder Allen), der aus schwierigen Verhältnissen stammt und in Eddie zunehmend eine Vaterfigur sieht. Zunächst ist der Ex-Kriminelle gar nicht so begeistert von seinem Schützling wider Willen. Doch nach und nach wachsen die beiden immer enger zusammen…

Kritik

Apple TV+, der VOD-Dienst des Technikriesen Apple, ist mittlerweile über ein Jahr alt. Am 1. November 2019 ging der potenzielle Netflix-Konkurrent an den Start, hat in der weiten Welt des Streamings allerdings bislang kaum merkliche Spuren hinterlassen. Das Filmgeschehen dominiert weiterhin die Konkurrenz, bestehend aus Netflix, Amazon Prime und Disney+  – und das nicht bloß, wenn man sich die Nutzerzahlen anschaut, sondern auch in Bezug auf die Wahrnehmung in der filmzentrischen Presse. Schon allein aus Ermangelung entsprechender Veröffentlichungen wird kaum über sehenswerte Apple-Originale gesprochen; Lediglich das ursprünglich fürs Kino produzierte Tom-Hanks-Vehikel „Greyhound“ sowie Sofia Coppolas „On the Rocks“ mit Bill Murray und Rashida Jones fanden ein wenig Beachtung – sicherlich auch aufgrund der hochkarätigen Besetzung. Inwiefern es dem neuesten Apple-Original „Palmer“ denn gelingen könnte, Apple TV+ als Filmproduktionsstätte hervorzuheben, mögen wir an dieser Stelle nicht beurteilen. Zumal sich ohne die entsprechende Werbung außerhalb der ohnehin sämtliche Neustarts im Auge habenden Filmbubble kaum herumgesprochen haben dürfte, dass der neue Film mit Justin Timberlake („Freunde mit gewissen Vorzügen“) ab sofort auf dem Streamingdienst verfügbar ist. Aber vielleicht höhlt ja steter Tropfen den Stein, denn auch diesmal punktet Apple TV+ mit großen Namen und hohem Production Value.

Eddie (Justin Timberlake) und Sam (Ryder Allen) nähern sich an.

Inhaltlich begibt sich die Drehbuchautorin Cheryl Guerriero („Pledge This!“) auf allzu bekanntes Terrain. So weist „Palmer“ etwa große Ähnlichkeiten zu David Gordon Greens „Joe“ aus dem Jahr 2013 auf, in dem Nicolas Cage die Rolle eines Ex-Häftlings zuteilwird, in dem der aus einem miserablen Elternhaus stammende, 15-jährige Gary einen Freund findet. Während die Ereignisse in „Joe“ alsbald eskalieren – der Film hat nicht ohne Grund eine FSK-Freigabe ab 16 erhalten – wirkt „Palmer“ dagegen wie die etwas weicher gespülte Version ebendieser Story. Doch obwohl Regisseur Fisher Stevens („Stand Up Guys“) seinen erst dritten Spielfilm in weitestgehend gefällige Bilder kleidet und erzählerisch einer recht formelhaften Dramastruktur folgt, bezieht sich diese Gefälligkeit in erster Linie auf die Beziehung zwischen Eddie und seinem Schützling Sam. Die aufkeimende Freundschaft dieser zwei völlig unterschiedlichen Zeitgenossen hat einen gewissen Märchencharakter und wird von Justin Timberlake und Newcomer Ryder Allen auf äußerst warmherzige Weise dargeboten. Doch um die beiden herum baut Cheryl Guerriero ein Umfeld auf, das in der kürzlich bei Netflix veröffentlichten Buchverfilmung „Hillbilly-Elegie“ noch dem Genre „Armutsporno“ zum Opfer fiel, hier jedoch weder verklärend noch reißerisch dargeboten wird. Stattdessen manifestieren sich die schädlichen Einflüsse auf Sam in einem kleinen Jungen, der ein bemerkenswertes Talent zur Selbstreflexion besitzt und sich mit seiner Klug- und Wortgewandtheit aus der Opferrolle hinauszumanövrieren weiß.

„Die aufkeimende Freundschaft dieser zwei völlig unterschiedlichen Zeitgenossen hat einen gewissen Märchencharakter und wird von Justin Timberlake und Newcomer Ryder Allen auf äußerst warmherzige Weise dargeboten.“

Nun gab es in der Vergangenheit genügend Beispiele dafür, wie schnell die Figur eines betont smarten Kindes ins Unangenehm-Neunmalkluge kippen kann; Stephen Chboskys Tragikomödie „Wunder“ war so ein Fall, genauso wie die beide krachend gescheiterten Fantasyspektakel „Artemis Fowl“ sowie „Das Zeiträtsel“. Der Sam in „Palmer“ dagegen benötigt keine aufgesetzte Besserwisser-Attitüde, um den weichen Kern seines raubeinigen Aufpassers freizulegen; im Gegenteil. Sams bauernschlaue Art, mit seiner Situation eines aus schwierigem Elternhaus mit drogenkranker Mutter stammenden Kindes umzugehen, arbeitet sich nie auf überhebliche Weise an die Oberfläche, sondern in Form grenzenlos naiv vorgetragener (aber inhaltlich eben ganz und gar nicht dummer) Kommentare, in der Sams Anpassungsfähigkeit und die Verletzlichkeit einer Kinderseele in eine charakterstarke Persönlichkeit kulminieren, die dem eigentlich wesentlich älteren Eddie haushoch überlegen ist. „Palmer“ ist nämlich nicht bloß ein Film über eine ungleiche Freundschaft in einem schwierigen Milieu mit White-Trash-Anleihen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit Geschlechteridentität.

Im Spiel mit seiner besten Freundin blüht Sam richtig auf.

Zwar ist es relativ schwierig, einem Sunnyboy wie Justin Timberlake eine durch und durch unangenehme Figur abzunehmen (in diesem Punkt hätte ein anderes Casting seiner Rolle den Film ein Stückweit reizvoller machen können), doch wenn sein von allen nur Palmer genannter Eddie dem kleinen Sam eindringlich zu verstehen gibt, dass dieser als Junge nicht mit Puppen spielen dürfe, hat man immerhin für einen kurzen Moment den Eindruck, dass dieser im Kern zu Zärtlichkeiten und liebevollen Gesten fähige Mann nicht vollends dem Bild eines ecken- und kantenlosen Protagonisten entspricht. Wenngleich das Skript hier gern noch ein wenig weiter in die Tiefe hätte gehen dürfen, gefällt an „Palmer“ vor allem der Subplot rund um Sams von Genderklischees befreite Weltsicht: Ganz ohne den im Film siebenjährigen Sam unnötig zu sexualisieren, sieht sich Eddie plötzlich mit seinem rückständigen Moralkompass konfrontiert, wenn der ihm immer näher ans Herz wachsende Sam – ein Junge – im Prinzessinnenkostüm zum Halloweenfest gehen möchte oder sich am liebsten mit einem kleinen Mädchen zu Spieldates verabredet. Schade ist hier nur, dass Fisher Stevens den geistigen Wandel seiner Hauptfigur mit einigen arg klischeehaften Szenen unterstreicht – den ein oder anderen Ausraster gegenüber Sams Schulkameraden hätte sich dieser schenken können.

„‚Palmer‘ ist nämlich nicht bloß ein Film über eine ungleiche Freundschaft in einem schwierigen Milieu mit White-Trash-Anleihen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit Geschlechteridentität.“

Die zwischendrin eingeschobenen (und nicht wirklich notwendigen) Adrenalinspitzen machen „Palmer“ bisweilen reißerischer als er eigentlich ist. Das gilt auch für das arg überhastete Ende, mit dem Regisseur Fisher den behutsamen Aufbau der vorausgegangenen Eindreiviertelstunden ein wenig zunichtemacht. Insbesondere im Hinblick auf Sams abhängige Mutter Shelly (Juno Temple) mangelt es dem Skript an Fingerspitzengefühl, das aus der Figur mehr hätte herausholen können als ein Junkie-Stereotyp. So wie etwa bei der Figur von June Squibb („Table 19“), die die ambivalente moralische Ausrichtung des Films trotz ihres nur kurzen Auftritts massiv prägen kann, indem in ihrer Figur alle positiven und negativen Aspekte von „Palmer“ zusammenlaufen.

Fazit: Fisher Stevens gelingt mit seinem gleichermaßen einfühlsamen wie gefälligen Drama „Palmer“ ein kurzweiliger Film über die Freundschaft zwei ungleicher Menschen, das in den leisen Tönen deutlich besser funktioniert als in jenen Momenten, in denen es unnötigerweise laut wird. Doch schon allein für die fantastische Interaktion zwischen Justin Timberlake und Ryder Allen lohnt es sich, einen Blick zu riskieren.

„Palmer“ ist exklusiv bei Apple TV+ streambar.

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