Gran Turismo

Wenn Gamer zu echten Rennfahrern werden, klingt das erst einmal wie die Idee einer typischen Game-Verfilmung. Doch Erstens ist GRAN TURISMO kein Game, sondern eine Simulation. Und Zweitens ist das, was Neill Bloomkamps jüngste Regiearbeit erzählt, keine Fiktion, sondern tatsächlich so passiert.

OT: Gran Turismo (USA/JPN 2023)

Darum geht’s

Sein Vater Steve (Djimon Hounsou) hätte sich von ihm zwar unbedingt etwas Anderes, etwas Sicheres für die Zukunft gewünscht. Doch nun sitzt der begnadete Gran Turismo-Spieler Jann (Archie Madekwe) hinter dem Lenkrad seiner Konsole und hat sich dadurch einen Platz an der Gran Turismo Academy erfahren. Das Rennfahrer-Förderprogramm will GT-Athleten zu echten Sportlern ausbilden. Und Jann sieht endlich die Chance, es seinem Umfeld zu beweisen. Doch einfach nur „gut fahren“ zu können, reicht da nicht. Gemeinsam mit seinem Trainer und Mentor Jack (David Harbour) lernt er nicht nur die Fahrzeuge in- und auswendig kennen, sondern auch, wie der Rennsport in der Realität wirklich funktioniert…

Kritik

Wenn sich der aktuelle Über-Erfolg von Greta Gerwigs „Barbie“ eine kritische Hinterfragung gefallen lassen muss, dann die, ob sich das erzählerische Element der Konsum- und Produktkritik damit vereinbaren lässt, dass der Puppenhersteller Mattel selbst zu den Hauptgeldgebern des Projekts gehört. Denn ganz egal, wie – zumindest in Ansätzen – bissig mit der Marke Barbie umgesprungen wird, am Ende geht ein nicht geringer Anteil der Einnahmen, insbesondere für Merchandise und Co., an Mattel zurück; womit „Barbie“ zwangsläufig ein Stückweit als Werbefilm betrachtet werden muss. Ein sehr ähnlicher Gedankengang gerät auch bei der Betrachtung von „Gran Turismo“ ins Rollen. Und das gleich in doppelter Hinsicht! Die wahre Geschichte einer Akademie, in der die weltbesten „Gran Turismo“-Spieler zu echten Rennfahrern ausgebildet werden und anschließend an realen Wettkämpfen teilnehmen dürfen, basiert auf der Kooperation gleich zwei großer Marken. Neben Sony PlayStation (natürlich erscheint auch der Film selbst bei Sony Pictures) ist Nissan der ebenso wichtige zweite Partner in diesem Jugendförder- und Castingprogramm. Die Folge: „Gran Turismo“ ist nicht nur eine äußerst vorteilhafte Präsentation des Games, pardon: der Simulation. Hin und wieder wähnt man sich zudem in einem nicht minder vorteilhaft inszenierten Automarken-Imagefilm; und ein MP3-Player von Sony Erickson erhält auch noch seine große Stunde. Am Ende ist es also wie bei „Barbie“: Weder dieser Film noch „Gran Turismo“ können sich von dem Beigeschmack eines überlangen Werbespots freimachen. Aber beide Filme gäbe es ohne die ihnen zugrunde liegenden Produkte auch einfach nicht…

Jack Salter (David Harbour) war einst selbst Sportler. Heute trainiert er die nächste Generation an Rennfahrerinnen und -Fahrern.

Das Potenzial hinter der von 2008 bis 2016 tatsächlich existierenden GT Academy, Helden- und Aufsteigergeschichten erzählen zu können, ist Sony nicht etwa bis in das Jahr 2023 verborgen geblieben. Bereits 2013 gab es Pläne einer Verfilmung, für die zeitweise gar Regisseur Joseph Kosinski im Gespräch war. Vier Jahre lagen zwischen den letzten Plänen mit ihm und dem Start der Dreharbeiten im Jahr 2022 – fortan mit Neill Blomkamp („District 9“) am Steuer. Von dessen Handschrift (sofern sich ihm denn nach Filmen wie „Chappie“ oder „Demonic“ überhaupt noch eine attestieren ließe) weist „Gran Turismo“, abseits einer spürbaren Haptik in den Actionszenen, allenfalls noch Spurenelemente auf. Viel eher erinnert der Film derweil ausgerechnet an jenen Welterfolg, mit dem Blomkamps Vorgänger Kosinski 2022 Rekorde aufstellte: „Top Gun: Maverick“. Beide greifen auf nahezu identische Erzähl- und Inszenierungsmechanismen zurück. Präsentieren eine Aufsteiger- und Gewinnerstory, versehen mit einer gehörigen Portion Pathos. Die Storybeats mit ihren Ups und Downs folgen bekannten Pfaden. Und in Sekunden des Zweifels genügen die richtigen Worte der richtigen Person, um in den entscheidenden Momenten noch einmal alles zu geben. Und zwar als Team. Nicht als Solo-Künstler. Der einzige, gewaltige Unterschied: Schaute „Top Gun: Maverick“ während seiner zwei Stunden permanent in den nostalgischen Rückspiegel, blickt „Gran Turismo“ stur geradeaus – und begegnet dabei einem Publikum im Alter der Hauptfigur auf Augenhöhe, während sich Tom Cruise und Co. vorwiegend bei der „Generation ‘Top Gun‘“ einschmeichelten.

„Schaute ‚Top Gun: Maverick‘ während seiner zwei Stunden permanent in den nostalgischen Rückspiegel, blickt ‚Gran Turismo‘ stur geradeaus – und begegnet dabei einem Publikum im Alter der Hauptfigur auf Augenhöhe.“

„Gran Turismo“ ist nicht bloß eine klassische Heldengeschichte, sondern genau genommen auch ein Sportler-Biopic. Man muss also nicht einmal Filme vom Schlag eines „Top Gun“ gesehen haben, um sich den Verlauf des 125 Minuten langen Rennfahrer-Epos in groben Zügen ausmalen zu können. Es genügt, auch nur irgendein Sportdrama der letzten 20 Jahre gesehen zu haben. Auf Inhaltsebene bedienen Jason Hall („American Sniper“), Zach Baylin („Creed III: Rocky’s Legacy“) und Alex Tse („Watchman: Die Wächter“) mit ihrem Drehbuch zu „Gran Turismo“ eine altbewährte Struktur: Aufstieg – Fall – Wiederaufstieg. Doch das Leben des hier porträtierten Rennfahrers Jann Mardenborough gibt den Rhythmus vor. Und so mögen Plotstationen wie ein dramaturgisch äußerst zweckdienlicher Unfall auf den ersten Blick der Erzählformel geschuldet sein. Gegeben hat es sie zumeist tatsächlich. Vielmehr als über den Inhalt funktioniert „Gran Turismo“ aber ohnehin über die Form. Denn so abgegriffen die hier gedrückten Knöpfe auch sein mögen, am Ende hat das Gezeigte den notwendigen emotionalen Input, um seinem Publikum einen zweistündigen Rennfahrer-Rausch zu bescheren. Beginnend bei der Wahl des Protagonisten. Archie Madekwe („Midsommar“) verkörpert den leidenschaftlichen GT-Gamer Jann Mardenborough als angemessen zurückgenommenen Nerd, dessen unbeholfene Schüchternheit, gepaart mit einer gehörigen Portion Ehrgeiz, glaubhaft und dabei nie spleenig ist. Seine Figur ist weit weg von einer Karikatur, grundsympathisch und erweist sich dadurch von Beginn an als ideale Identifikationsfigur. Sein Können an der Konsole wird allenfalls von seinem Vater kritisch beäugt; und auch dieser folgt lediglich der verständlichen Motivation, sich für seinen Nachwuchs einen richtigen (ergo: sicheren) Beruf zu wünschen. Der Vater-Sohn-Konflikt rund um Janns Zukunftsgestaltung kommt nicht ohne Plattitüden aus. Gleichwohl erleben wir Janns Heldenreise in „Gran Turismo“ aus seiner Perspektive – und aus der eines 20-Jährigen stecken hinter den bekannten „Denk an deine Zukunft!“-Ansagen der Eltern häufig kaum mehr als das: Plattitüden.

Danny Moore (Orlando Bloom) muss die Wünsche von Nissan repräsentieren. Da geraten die Belange der Fahrer schon mal in den Hintergrund…

Allzu lang hält sich „Gran Turismo“ mit dem Vater-Sohn-Konflikt ohnehin nicht auf. In der ersten halben Stunde rauscht der Film vom Elternhaus der Mardenboroughs über die virtuelle Rennstrecke der GT-Qualifikation mitten hinein in die Ausbildung an der Academy; Konkurrenzreibereien, Leistungsappelle der skeptischen Betreuer und viele, viele Trainingsmontagen inklusive. Dabei im Zentrum: „Violent Night“-Weihnachtsmann David Harbour, der der Idee eines „Gamer werden Rennfahrer“-Programms als ehemaliger Sportler und jetzt Trainer äußerst skeptisch gegenübersteht. Gleichwohl erkennt er schnell Janns Potenzial und baut sukzessive eine Bindung zu ihm auf. Ein leidenschaftlich dargebotenes Mentor-Schüler-Verhältnis entsteht, durch das „Gran Turismo“ einen Großteil seiner Emotionen – und auch ein wenig (Selbst-)Ironie – generiert. Lediglich die späteren Momente zwischen Jann und seinem (natürlich irgendwann doch noch von ihm überzeugten) Vater können da emotional mithalten. Mit großen Gesten, punktgenau platzierten Liebesbekundungen, energischen „Glaubt an euch!“-Reden und nicht zuletzt den kalkuliert eingesetzten Klängen von Lorne Balfe („Mission: Impossible – Fallout“) und Andrew Kawczynski („Dune“) entwickelt sich „Gran Turismo“ zu einem perfekt durchchoreographierten Emotionsrausch, dem sich spielend leicht in die Karten schauen lässt…

„‚Gran Turismo‘ besitzt zwar die typische ‚Hurra, wir zeigen es allen!‘-Mentalität einer Aufsteiger-/Sport-/Heldengeschichte, doch gerade die Reibereien zwischen dieser und der Realität sorgen am Ende für die aufregendsten Momente im Film.“

… und der trotzdem (oder, seien wir ehrlich: gerade deswegen!) so hervorragend funktioniert. Gleichwohl beinhaltet aber sogar ein „Gran Turismo“ Momente, die der Erwartungshaltung des Publikums, zumindest kurzzeitig, zuwiderlaufen. Da kommt die vermutete „Jetzt findet er zu alter Stärke zurück!“-Szene eben nicht dann, wenn man sie erwartet, sondern wird stattdessen von den Klängen einer melancholischen Indie-Ballade ausgebremst. Die aufkeimende Beziehung zwischen Jann und seinem großen Schwarm gerät nie ins Visier der Konflikte und gen Ende erweist sich die GT Academy vor allem als Teamprojekt geglückt. Von den anderen Teilnehmer:innen und späteren Teammitglieder:innen hätte „Gran Turismo“ ruhig mehr zeigen dürfen… So konzentriert sich der Film primär auf Jann Mardenboroughs Werdegang und Reifeprozess – nicht nur als Fahrer, sondern auch im Hinblick auf Medienpräsenz und Selbstbewusstsein. Ein beschwingt aufgelegter Orlando Bloom („Fluch der Karibik“) repräsentiert letzteren Aspekt als Nissan-Marketing-Manager Danny Moore. Seine Perspektive auf das Geschehen ergänzt die Filmereignisse um eine überraschend rationale Ebene. Schließlich soll die GT Academy in erster Linie eine Werbeveranstaltung für den Autokonzern sein, der nicht nur anständig vertreten werden, sondern auch frei von Skandalen bleiben will. „Gran Turismo“ besitzt zwar die typische „Hurra, wir zeigen es allen!“-Mentalität einer Aufsteiger-/Sport-/Heldengeschichte, doch gerade die Reibereien zwischen dieser und der Realität sorgen am Ende für die aufregendsten Momente im Film.

Am Ende entscheiden die Rennfahrerskills über Sieg und Niederlage.

Und dann wäre da ja auch noch die Action. Wer die Vorzüge der um Realismus und Detailgetreue bedachten „Gran Turismo“-Reihe kennt, dürfte diesen Anspruch auch und erst recht an den Film hegen. Um diesem gerecht zu werden, verzichten Neill Blomkamp und sein Kameramann Jacques Jouffret („Boston“) auf allzu überbordende Manöver. Bei vielen Szenen könnte es sich auch um eins zu eins aus echten Rennen abgefilmte Duelle handeln. Auf Sperenzchen wie die direkte Gegenüberstellung zwischen echtem und Konsolenrennsport verzichten die Macher ebenfalls. Lediglich hin und wieder wird zu Übersichtszwecken der Rang der jeweiligen Teilnehmer auf der Strecke eingeblendet; ganz so, wie man es eben auch aus der Simulation kennt. Nur einer Handvoll unerwarteter Ereignisse spendierte das Team eine aufwändigere Inszenierung. Dadurch erschüttern einen die in Flammen aufgehenden oder sich überschlagenden Wagen aber auch bis ins Mark. Wo Horrorfilm hin und wieder auf Gewaltspitzen setzen, setzt „Gran Turismo“ auf Unfallspitzen. Nicht, um sich an dem Unfall selbst zu laben, sondern um anhand dieser den Druck und die seelische Last auf die Protagonisten zu erhöhen. Am Ende freut man sich eben weder für Nissan noch für das Game, sondern in erster Linie für Jann Mardenborough.

Fazit: Bekannte Muster in modernem Gewand: „Gran Turismo“ setzt auf Hollywood-Heldentum, vorgetragen nach altbewährten Biopic-Schemata, dafür ohne anstrengenden Nostalgiefaktor. Dabei drückt Regisseur Neill Blomkamp die Knöpfe zum Erfolg derart gekonnt, dass der Rausch der Rennbahn seinen vollen Reiz entfaltet. Ein grundsympathisches Mentor-Schüler-Duo, elegante Actionchoreographien und kleine Stellschrauben, die Bloomkamp mal schneller, mal langsamer dreht als erwartet, machen das Endergebnis nicht minder unterhaltsam, als es im vergangenen Jahr ein Film wie „Top Gun: Maverick“ oder davor schon zahlreiche andere Heldenstories waren.

„Gran Turismo“ ist ab dem 10. August 2023 in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Ich war skeptisch aber das klingt sehr sehr vielversprechend. Die Kritik hat mir übrigens sehr gut gefallen. Ich kann mir jetzt gut etwas drunter vorstellen, ohne zu viel zu wissen, um den Spaß am Film zu verlieren.

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