The Guilty

Im Remake des dänischen Thrillers THE GUILTY lässt uns Antoine Fuqua ein grausames Verbrechen erleben – ausgehend von einer Polizei-Telefonzentrale. Ob das Kammerspiel mit der Vorlage mithalten kann, verraten wir in unserer Kritik.

OT: The Guilty (USA 2021)

Der Plot

Mit zerbrechlicher Stimme ruft Emily Lighton (Riley Keough) bei der Polizei von Los Angeles an. Der zum Dienst in der Notrufzentrale verdonnerte Joe Baylor (Jake Gyllenhaal) ist kurz davor, aufzulegen, weil Emily mit einem Kind zu reden und auf seine Antworten nicht einzugehen scheint. Doch dann wird ihm klar, dass Emily aus einem erschreckenden Grund so tut, als würde sie mit einem kleinen Kind reden: Emily will unauffällig um polizeiliche Hilfe bitten. Nun setzt Joe alles daran, die Lage ins Lot zu bringen …

Kritik

Man könnte denken: Je näher ein Remake an der Vorlage, desto einfacher die Kritik. Wenn’s doch zweimal fast derselbe Film ist, könnte man ja ganz bequem die Rezension der Urfassung erneut veröffentlichen – vorher bloß die Namen austauschen. Das geht bei Remakes wie Rob Zombies „Halloween“ oder Jon Favreaus „The Jungle Book“ nicht. Aber: Bei wenig einfallsreichen Remakes artet die Besprechung nahezu in eine obsessive Abwägung sämtlicher Unterschiede aus – oder verlangt zumindest vom Original und Remake kennenden Mitglied der Filmpresse, in Gedanken genau das vorzunehmen, um daraufhin ausdrücken zu können, weshalb zwei Filme mit so wenigen Unterschieden so unterschiedlich wirken können. „The Guilty“ ist ein Remake, das eine derartige Kritik abverlangt. Denn „True Detective“-Autor Nic Pizzolatto und „The Equalizer“-Regisseur Antoine Fuqua hangeln sich in „The Guilty“ eng am gleichnamigen dänischen Erfolgsthriller entlang. Selber Plot, ähnliche Charakterzeichnung, sogar viele Dialoge sind, wenn nicht 1:1 übernommen, immerhin sinngemäß deckungsgleich.

Jake Gyllenhaal spielt die Hauptrolle im US-Remake von „The Guilty“.

Für Netflix-Abonent:innen, die das dänische Original nicht gesehen haben, bedeutet das für den derzeit in den Streaming-Charts gut platzierten Film einen wahren Glücksfall. Denn das Original von Regisseur/Autor Gustav Möller und Autor Emil Nygaard Albertsen verfolgt eine packende Ausgangslage und setzt sie mit zielsicherer Hand um: Ein in den Notruf-Telefondienst strafversetzter Polizist erhält einen Fragen aufwerfenden, Sorgen bereitenden Anruf einer panischen Frau – und setzt daher alle Hebel in Bewegung, um sie zu beschützen. Dabei geht er auch weit über seine Befugnisse hinaus. Spannung entsteht zwangsweise aus den Fragen „Was ist nun das vollständige Bild dieses Notfalls?“ und „Wie geht es aus?“, zusätzliche Suspense kommt durch das Kopfkino daher, das „The Guilty“ verursacht. Schließlich bekommen wir nur das mit, was der Protagonist in der Notrufzentrale mitbekommt. Fuqua, Pizzolatto und Hauptdarsteller/Produzent Jake Gyllenhaal („Stronger“) sind Profi genug, um diese offensichtlichen Stärken des Originals nicht zu zerstören – und wer die Vorlage nicht kennt, dürfte von dem geradlinig umgesetzten, inhaltlich unvorhersehbaren Thriller gepackt werden. Stellt man allerdings „The Guilty“ aus Dänemark und „The Guilty“ aus den USA nebeneinander, werden Detailentscheidungen offensichtlich, die sich nicht totschweigen lassen. Dass Fuqua seiner Variante etwas mehr Größe mitgibt – mit den Film umklammernden Aufnahmen eines vom Qualm eines nahen Großfeuers umhüllten Los Angeles und einer bombastischeren, technisch ausgefeilteren Telefonzentrale – lässt sich beispielsweise als Mischung aus Zeitgeist (Großfeuer sind in Kalifornien mittlerweile fast Dauerthema) und Lokalkolorit (als hätte L.A. eine schäbige, kleine Telefonzentrale) abtun.

„Fuqua, Pizzolatto und Hauptdarsteller/Produzent Jake Gyllenhaal sind Profi genug, um diese offensichtlichen Stärken des Originals nicht zu zerstören – und wer die Vorlage nicht kennt, dürfte von dem geradlinig umgesetzten, inhaltlich unvorhersehbaren Thriller gepackt werden.“

Dass Fuqua und Pizzolatto die so schlanke, kleine Prämisse aufstocken, steht derweil auf einem anderen Blatt: Sie packen angebrochene Subplots und zusätzliche Themen auf das Original. Der Protagonist hadert mit einer Trennung und einer ihn ständig anrufenden, ihn durchbohrenden Journalistin. Er hat Asthma, ist aber in Anwesenheit seiner Kollegen zu stolz, seinen Inhalator zu benutzen. Wenn ihm am Telefon ein kleines Kind sagt, dass es nicht glaubt, dass die Polizei hilft, verleiht Fuqua diesem Moment inszenatorisch zusätzliches Gewicht, Cutter Jason Ballantine gibt dieser Textzeile Raum, angesichts der gesellschaftlich immer deutlicher behandelten US-Polizeibrutalität böse nachzuhallen. Böse, von „True Detective“ nicht überzeugte Zungen würden behaupten, dass „immer noch ein Subthema draufpacken“ typisch Pizzolatto ist, wohlgesonnenere Stimmen würden abwiegeln, dass es doch gut ist, wenn ein Remake eigene Wege geht. Bedauerlich ist allerdings, dass Fuquas „The Guilty“ insgesamt so nah am Original bleibt, dass sich diese eigenen Akzente nicht ausreichend entwickeln können. Höchstens die Inhalator-Nummer funktioniert als neue Facette beim Protagonisten: Gyllenhaals Joe ist ungestümer, energischer, launenhafter als der dänische Protagonist Asger – diesen Nervenfrack den Tick zu verpassen, aus irrationaler Verletzlichkeit aggressiv seinen Inhalator zu greifen und wieder wegzupacken, statt ihn zu nutzen, ist eine ihn wieder erdende Facette.

Joe Bayler wird vor die größte Herausforderung seines Polizistenlebens gestellt…

Gleichwohl überbetont sie eine im Original vorhandene, sehr subtil und nachbohrend-stechend umgesetzte thematische Facette: Das Unvermögen des Protagonisten, kurz durchzuatmen und sich auf das zu besinnen, was notwendig wäre. Denn Joes/Asgers teils sprunghafte Reaktionen bringen wiederholt alles in Gefahr. Was im Original kühle, nervenzerfetzende Slowburn-Spannung ist, wird durch Fuquas Inszenierung und Gyllenhaals Spiel (im Direktvergleich) reißerischer. Gen Schluss holen Fuqua und Pizzolatto dann die Keule heraus: Wo das Original das Publikum mit dem Erlebten alleinlässt und die schweren thematischen Elemente im Raum wie eine Gewitterwolke hängen, wird im US-„The Guilty“ alles mit Neonmarkern unterstrichen, glasklar ausformuliert und vorgekaut. Die Schocks sind drastischer, die mahnenden Elemente moralinsauer und die positiven Zwischennoten voller Pathos. Unkend könnte man sagen „Klar, Hollywood halt!“ oder auf das stets vom Second Screen abgelenkte Teilpublikum vom Streamingriesen Netflix verweisen, der frühzeitig in das Projekt eingestiegen ist. Wenn man einen Film für ein Medium macht, bei dem „Ich surfe nebenbei“ nicht gegen die Etiquette verstößt, sondern recht häufig passiert, muss man manchmal halt deutlicher werden. Das sind natürlich arge Klischees – Hollywood kann Subtilität, Netflix kann komplex und Konzentration abverlangend, das wurde oft genug bewiesen.

„Was im Original kühle, nervenzerfetzende Slowburn-Spannung ist, wird durch Fuquas Inszenierung und Gyllenhaals Spiel (im Direktvergleich) reißerischer.“

Vielleicht wollten Fuqua und Pizzolatto ja einfach ein feisteres, deutlicheres, knalligeres „The Guilty“ machen. Gerade Fuqua ist ja sonst ebenfalls nicht für seine leisen Töne bekannt. Wenn das aber Absicht war, so muss man diesem „The Guilty“ jedoch vorwerfen, nicht tolldreist genug zu sein und nicht mutig genug einen eigenen Weg zu gehen.

Fazit: Das US-Remake von „The Guilty“ fällt zwischen den Stühlen: Zu nah am Original, um mit eigenen Akzenten glänzen zu können, zu feist und dreist in seinen eigenen Entscheidungen, als dass sie mit den Stärken des insgesamt nah am Original orientierten Stoffes harmonieren würden. Wer noch gar kein „The Guilty“ gesehen hat, sollte lieber nach dem dänischen Film Ausschau halten. Fuqua- und Gyllenhaal-Fans können sich das Remake ja noch immer danach angucken.

„The Guilty“ ist ab sofort bei Netflix streambar.

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