One for the Road

Die Verantwortlichen hinter dem Überraschungshit „25 km/h“ legen mit ihrer Tragikomödie ONE FOR THE ROAD einen Film über Alkoholkonsum und -Missbrauch vor, der sich nicht auf ein reines Problemfilm-Dasein verlässt. Stattdessen geht es um Rausch, Selbstbetrug und um den steinigen Weg zu sich selbst.

OT: One for the Road (DE 2023)

Darum geht’s

In einer Welt, in der es eher einen Grund braucht, nicht zu trinken, ist Mark (Frederick Lau) der ungekrönte König. Scheinbar spielend leicht jongliert er sein Leben zwischen einem fordernden Job als Bauleiter einer Berliner Großbaustelle, ausgelassenen Geschäftsessen und ausufernden Streifzügen durch das Berliner Nachtleben. Als er eines Nachts im Rausch sein Auto umparken will, passiert es: Polizeikontrolle, Schein weg, MPU am Hals. Mark wettet mit seinem besten Freund Nadim (Burak Yiğit), dass er es schafft, so lange keinen Alkohol zu trinken, bis er seinen Führerschein wiederbekommt. Als Mark im MPU-Kurs Helena (Nora Tschirner) kennenlernt, findet er in ihr seine „Partnerin in crime“. Ist er sich anfangs noch bombensicher, dass das alles ein Spaziergang wird, stellt sich die Wette langsam immer mehr als ein langer, steiniger, oftmals durchaus lustiger, aber manchmal auch wirklich harter Weg heraus. Wie gibt man vertraute Gewohnheiten auf und gesteht sich ein, dass man ein echtes Problem hat? Der Weg zurück zum eigenen Selbst ist alles andere als leicht…

Kritik

In der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis in Deutschland wird von der Contra-Position häufig ein bestimmtes Argument angeführt: der Stellenwert von Alkohol, dessen legaler Vertrieb und die Gefahren, die von den Umdrehungen in Bier, Wein und noch weitaus härteren Gesöffen ausgehen können, sofern man seine eigenen Grenzen nicht kennt. Denn warum sollte das legal sein, Cannabis dagegen nicht? Tatsächlich gaben bei einer hierzulande getätigten, repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2021 14,8 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren an, so viel Alkohol zu trinken, dass es gesundheitlich riskant ist. Das sind 7,9 Millionen Menschen. Darüber hinaus ist das Trinken alkoholischer Getränke derart anerkannt, dass es eher als etwas Unnormales angesehen wird, diese auf einer Festivität abzulehnen, anstatt sich ordentlich einen hinter die Binde zu kippen. Diese Aussage tätigt auch eine der Hauptfiguren in Markus Gollers und Oliver Ziegenbalgs Tragikomödie „One for the Road“. Gemeinsam zeichneten die beiden bereits für den Überraschungserfolg „25 km/h“ verantwortlich. Nun begeben sie sich – entgegen des Titels – nicht noch einmal auf die Straße. Diese darf Protagonist Mark vorerst auch gar nicht mit seinem Auto unsicher machen. Nach einem eigentlich harmlosen Umpark-Manöver mit einigen Promille im Blut muss dieser zur MPU: zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung, kurz: zum Idiotentest. Ein perfekter Ort, um dort die Mannigfaltigkeit des Alkoholmissbrauchs aufzuzeigen, was in „One for the Road“ weitaus weniger klischeehaft gelingt als in vielen anderen Filmen zum selben Thema.

Mark (Frederick Lau) und Helena (Nora Tschirner) lernen sich im MPU-Kurs kennen.

2020 inszenierte der dänische Star-Regisseur Thomas Vinterberg seinen später oscarnominierten Spielfilm „Der Rausch“. Ursprünglich wollte er eine regelrechte Ode an den Alkohol vorlegen. Doch dann warf ihn der tragische Unfalltod seiner damals 19-jährigen Tochter aus der Bahn und wirbelte die Pläne für seinen Film einmal komplett durcheinander. So wurde aus „Der Rausch“ letztlich eben nicht das eingangs geplante Loblieb auf die Trinkerei, sondern eine bittersüße Bestandsaufnahme dessen, was Alkohol in seiner Gesamtheit anrichten kann. „One for the Road“ hat nun zwar keinen enthemmt vor sich hin tanzenden Mads Mikkelsen zu bieten; nicht minder enthemmt spielen indes die beiden Hauptdarsteller:innen Frederick Lau („Victoria“) und Nora Tschirner („Wunderschön“) auf. Und da Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg nicht von Anfang an in die „dieser Mensch hat ein Problem mit Alkohol“-Kerbe schlägt, sondern sich ganz langsam den sukzessive den Alltag einnehmenden Problemen seines Protagonisten Mark nähert, kommt er vom Sympathiewert schon sehr nah an Mads Mikkelsens Lehrer Martin heran. Beide gehören unter Alkoholeinfluss eben nicht zu den Pöblern oder anderweitig unangenehmen Zeitgenossen. Stattdessen trifft es eine Szene in der zweiten Filmhälfte ganz gut, wenn Mark eines Morgens seinem spießig einem Nine-to-Five-Job nachgehenden Nachbarn über den Weg läuft und dieser vor seinem „Ich mach einfach, worauf ich Bock habe – und wenn es bis ins Morgengrauen feiern ist“-Lebensstil den Hut zieht. Da Mark trotz seines maßlosen Trinkverhaltens immer noch als gewissenhafter Bauleiter unterwegs und immer für seine Freunde da ist, fällt es mit der Zeit umso schwerer, ihm bei seinen Abstürzen zuzusehen.

„Der Grad zwischen maßvollem, maßlosem, ungesundem und suchthaftem Trinken ist spürbar schmal. Und genau das führen Markus Goller und Oliver Ziegenbalg dem Publikum anhand ihrer Geschichte vor Augen. In ‚One for the Road‘ geht es primär um den Weg zur Erkenntnis, weniger um den Weg aus dem Problem heraus.“

Markus Goller findet für diese eindrückliche Bilder, an denen die subtil-unangenehmen Widerhaken besonders auffallen. Wenn Mark und sein Freundeskreis auf einem Geburtstag in feucht-fröhlicher Stimmung einen Alkohol-Selbsttest machen, werden einem nicht nur Marks Probleme nochmal besonders bewusst. Ebenjener Test des Gesundheitsministeriums führt einem zudem schmerzlich vor Augen, wie leichtfertig in der Gesellschaft generell mit Alkohol umgegangen wird – und das, ohne dabei den bösen Zeigefinger zu erheben. Man könnte genauso gut die Parameter hinterfragen, nach denen der Fragebogen den Alkoholkonsum bewertet. Ist mehrmals pro Woche Trinken wirklich schon ein Indiz für einen ungesunden Umgang mit Alkohol? Wären unter diesen Umständen nicht noch viel mehr Menschen betroffen, als es die eingangs zitierte Studie besagt? Der Grad zwischen maßvollem, maßlosem, ungesundem und suchthaftem Trinken ist spürbar schmal. Und genau das führen Markus Goller und Oliver Ziegenbalg dem Publikum anhand ihrer Geschichte vor Augen. In „One for the Road“ geht es primär um den Weg zur Erkenntnis, weniger um den Weg aus dem Problem heraus. Die im Eilverfahren abgehandelten Therapieansätze sowie Marks Konfrontation mit eigenen Dämonen und eben der Sucht sind der Schwachpunkt des Films. Auch wenn sich die Geschichte nicht mit einem kitschigen Happy End aus der Situation herauswindet, sondern stattdessen die unterschiedlichen Folgen einer solchen Abhängigkeit herausarbeitet. Da hätte man „One for the Road“ glatt noch mehr Laufzeit gegönnt, um die sehr starken ersten zwei Drittel gleichermaßen intensiv zu Ende zu bringen.

Anstatt gemeinsam aufzuhören, reiten sich Helena und Mark immer tiefer in die Alkoholsucht.

Ebenjene Intensität geht zum einen von Frederick Lau sowie von Nora Tschirner aus. Lau spielt so enthemmt auf wie nie und findet – anders als der von ihm verkörperte Charakter – stets die Balance zwischen dem brachialen (Verbal-)Angriff auf sich und sein Umfeld und einem zurückgenommenen Zeitgenossen, der seinen Alkoholkonsum im Alltag lange zu verstecken weiß. Zu Beginn des Films ist sein Mark einer von denen, den man selbst gern in seinem Freundeskreis hätte: loyal, aufopferungsvoll, ein guter Zuhörer. Insbesondere seine enge Freundschaft zu seinem Kumpel Nadim (Burak Yigit) ist gezeichnet von gegenseitigem Vertrauen und Humor; umso härter trifft es genau diese Bromance, wenn Nadim seinen Kumpel aus Sorge mit seiner Krankheit konfrontiert. Hat Mark immerhin ein stabiles Umfeld aus Freundinnen und Freunden, zeigt uns die von einer wie immer großartigen Nora Tschirner gespielte Helena eine ganz andere Seite des Alkohols: Isolation, Lügen, Selbsthass. Dass diese beiden Menschen gemeinsam trocken werden, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Nicht zuletzt, weil Tschirners Helena die tragischsten Seiten des Alkoholismus abbilden. „One for the Road“ ist keiner dieser „Gemeinsam überwinden wir jedes Hindernis“-Filme, sondern ein weitestgehend reales Abbild möglicher Konsequenzen maßlosen Trinkens, in denen auch immer wieder Situationen ihren Platz finden, die Spaß machen. So finden auch in „One for the Road“ Momente statt, in denen das von Alkohol hervorgerufene Glücksgefühl im Mittelpunkt steht. Ein klassischer „Problemfilm“, der dem Publikum den Alkohol madig macht, ist das hier nicht. Eher ein Film, um sich anschließend einfach mal selbst zu reflektieren.

Genauso wenig wie eine verfilmte Podiumsdiskussion über das Für und das Wider des Alkohols, was bei solchen Genrebeiträgen immer zu befürchten steht. Insbesondere die verschiedenen Mitglieder des MPU-Kurses hätten leicht dazu dienen können, einfach nur den Alkoholmissbrauch möglichst facettenreich abzubilden. Doch anstatt zu Karikaturen macht das Skript sie alle zu greifbaren Figuren mit tiefsitzenden Problemen, die vermutlich auch da wären, wenn es den Alkohol nicht in ihrem Leben gäbe. In „One for the Road“ ist das Trinken vor allem ein Verstärker der ohnehin vorhandenen Umstände und nicht einfach nur der Teufel.

„‚One for the Road‘ ist keiner dieser ‚Gemeinsam überwinden wir jedes Hindernis‘-Filme, sondern ein weitestgehend reales Abbild möglicher Konsequenzen maßlosen Trinkens, in denen auch immer wieder Situationen ihren Platz finden, die Spaß machen.“

Fazit: „One for the Road“ umschifft die Klischees typischer Alkohol-Dramen weitestgehend und liefert ein facettenreiches Bild von Rausch, Maßlosigkeit und Selbsterkenntnis ab. Lediglich der zu rasch abgehandelte Weg aus der Sucht hinaus verhindert den ganz großen Wurf.

„One for the Road“ ist ab dem 26. Oktober 2023 in den deutschen Kinos zu sehen.

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