Wunderschön

Der Diskurs rund um das Thema Schönheit hat sich in den vergangenen Jahren stark verschoben. Dazu beigetragen hat unter anderem auch die Body-Positivity-Bewegung. Karoline Herfurth geht mit ihrer episodischen Tragikomödie WUNDERSCHÖN noch einen Schritt weiter und klopft unser alle Realität auf die Wichtigkeit von Ästhetik, Selbstliebe und innere Zufriedenheit ab. Das Ergebnis schließt nahtlos an die Qualitäten ihres Erstlings „SMS für dich“ an. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Wunderschön (DE 2022)

Der Plot

Einem Idealbild nachzueifern, kennt fast jeder von uns. Mütter, Töchter, Männer, Alt und Jung stecken im permanenten Optimierungswahn. Da ist zum Beispiel Frauke (Martina Gedeck), die sich „kurz vor der 60“ nicht mehr begehrenswert findet, während ihr pensionierter Mann Wolfi (Joachim Król) ohne Arbeit nicht weiß, wohin mit sich. Ihre Tochter Julie (Emilia Schüle) will als Model endlich den Durchbruch schaffen und versucht verbissen, ihren Körper in das Schönheitsideal der Branche zu pressen. Das verfolgt wiederum Schülerin Leyla (Dilara Aylin Ziem), die überzeugt ist, mit Julies Aussehen ein besseres Leben führen zu können, und selbst keinen Bezug zu sich findet. Auch Julies Schwägerin Sonja (Karoline Herfurth) hat mit ihrem Körper zu kämpfen, der nach zwei Schwangerschaften zum Ausdruck einer Lebenskrise wird. Ihr Mann Milan (Friedrich Mücke) hat dabei nicht im Blick, welchen Druck sie sich als junge Mutter auferlegt. Das ist wiederum für Sonjas beste Freundin Vicky (Nora Tschirner) keine große Überraschung, ist sie doch überzeugt davon, dass Frauen und Männer nicht und niemals gleichberechtigt auf Augenhöhe zusammenfinden werden, zumindest nicht in der Liebe. Ihr neuer Kollege Franz (Maximilian Brückner) würde sie allerdings gern vom Gegenteil überzeugen.

Kritik

Seit einigen Jahren schon geistert der Begriff „Body Positivity“ – im Zeitalter sozialer Netzwerke in der Regel mit einem Hashtag (#BodyPositivity) versehen – durch die Medien. Der Terminus, der aus dem sogenannten Fat Acceptance Movement aus den USA entwickelte und vorwiegend bei Instagram Verwendung findet, beschreibt eine Bewegung, die sich dafür einsetzt, sich vom gesellschaftlichen Schönheitsideal loszusagen und insbesondere den weiblichen Körper so zu akzeptieren, wie er ist. Der Irrglaube, sich zwecks Selbstzufriedenheit einer Norm unterwerfen zu müssen, soll damit schon ganz bald der Vergangenheit angehören. Der kurz nach dem Aufkommen von #BodyPositivity ebenfalls im Netz aufgetauchte Begriff „Body Neutrality“ erwuchs aus der Kritik, bei #BodyPositivity würde die Ästhetik des Körpers noch immer im Fokus stehen. Stattdessen solle die äußere Wahrnehmung einfach überhaupt keine Rolle mehr spielen und oder zum Diskussionsinhalt werden; ganz egal ob durch Bodyshaming oder Komplimente. Nun mutet es fast ein wenig spät an, dass sich Karoline Herfurth nach ihrem formidablen Regiedebüt „SMS für Dich“ und dem soliden „Sweethearts“ in ihrem neuen Film „Wunderschön“ mit genau diesem Thema befasst. Die australische Dokumentation „Embrace – Du bist schön“ etwa (an der übrigens auch „Wunderschön“-Hauptdarstellerin Nora Tschirner beteiligt war) kam bereits im Mai 2017 auf den deutschen Markt. Doch erstens kommt das Quasi-Spielfilm-Pendant zur Doku ja coronabedingt mit über einem Jahr Verspätung in die Kinos und zweitens betont das Endergebnis die Zeitlosigkeit, die die Thematik auch heute noch inne hat; Denn noch immer gibt es (wenngleich mit leicht verändertem Konzept) optikfixierte TV-Shows wie „Germany’s Next Topmodel“ und aktuelle Statistiken zum Thema Essstörungen zeigen: Aus der Welt ist das emotionale Abhängig machen vom eigenen äußeren Erscheinungsbild längst nicht.

Vicky (Nora Tschirner) ist eine selbstbewusste Lehrerin – bekommt aber bei ihrem charmanten Kollegen (Maximilian Brückner) weiche Knie.

Nun haben Essstörungen nicht immer automatisch etwas mit dem Wunsch nach einem makellosen Äußeren zu tun. Aber auch in Karoline Herfurths „Wunderschön“ kommt zumindest eine von ihnen kurz vor. Genauso wie so viele andere Faktoren, die mit dem Wunsch nach Makellosigkeit einhergehen. Um das Thema möglichst breit aufzufächern, haben Herfurth und ihre Co-Autorinnen Lena Stahl („Mein Sohn“) und Monika Fäßler („Sweethearts“) eine Episodenstruktur gewählt: In jeder von ihnen steht eine Frau mit ganz individuellen Problemen im Mittelpunkt, die sich – zumindest auf den ersten Blick – ausschließlich auf ein negatives Körpergefühl beziehen. Doch der Eindruck täuscht! Während Herfurths Sonja darunter leidet, dass ihr Körper nach zwei Schwangerschaften längst nicht mehr so aussieht wie davor, spielt bei ihrer Mutter Frauke das Aussehen gar keine so große Rolle; Stattdessen ist sie kurz vorm Rentenalter mit der Gesamtsituation, insbesondere mit ihrer eingeschlafenen Ehe, unzufrieden, sodass sämtliche Konfliktsituationen in ihrer Kurzgeschichte ohne den Fingerzeig auf das Nachjagen nach vermeintlichen Schönheitsidealen auskommen. Ganz anders das Schicksal von Model Julie, die schon aus Jobgründen auf ihre Körperform achten muss und in ihrem Fall auch noch an eine sehr – nennen wir es diplomatisch „traditionelle“ – Modelagentur gerät, die selbst einer sichtbar hageren Frau zur Abnahme rät.  Für ihren mehrgewichtigen Fan Leyla hat sowas derweil überhaupt keine Priorität. Die ist nämlich mit sich selbst ziemlich im Reinen und will einfach nur als sie selbst von ihrer Mutter akzeptiert werden. Ihr (gar nicht so heißer) Brandherd ist vielmehr die erste große Liebe. Und dann wäre da noch die sich auch aus feministischer Sicht für das Thema Frausein interessierende Sonja, die sich zwar richtig gut leiden kann und trotzdem so ihre eigenen Probleme hat. Die sie vor allem immer dann mit sich selbst austrägt, wenn sie nicht gerade ihre jugendlichen Schülerinnen und Schüler an das Thema „Die Wahrnehmung des menschlichen Körpers in den Medien“ heranführt.

„In jeder Episode steht eine Frau mit ganz individuellen Problemen im Mittelpunkt, die sich – zumindest auf den ersten Blick – ausschließlich auf ein negatives Körpergefühl beziehen. Doch der Eindruck täuscht!“

Das Spektrum dessen, was in „Wunderschön“ erzählt wird, reicht also von völliger Fixierung auf das Äußere (Julie) bis hin zur Gleichgültigkeit (Vicky); Gemein haben sämtliche Figuren derweil den Wunsch nach innerer Zufriedenheit. Dieses Streben danach bereitet Karoline Herfurth mit einer Leichtigkeit auf, wie man es bereits aus ihrer herausragenden Lovestory „SMS für dich“ gewohnt ist. Insbesondere ihr liebevoller Blick auf Alltagsdetails (in einer Szene etwa macht sich die 25-jährige Julie auf ihrem Smartphone ein „Bibi Blocksberg“-Hörspiel an, ohne dass es gezielt erwähnt wird) sowie ihre Qualitäten im Entwerfen lebensechter Dialoge sorgen dafür, dass sich sämtliche Handlungsstränge in „Wunderschön“ authentisch anfühlen, selbst wenn sie hin und wieder dramaturgisch zurechtgebogen werden. Doch auch hier finden sich die Parallelen zu „SMS für dich“. Herfurth strebt nicht nur nach Authentizität, sie denkt auch zu jedem Zeitpunkt „filmisch“. Dies bedeutete bei ihrem Debüt zum Beispiel ein betont schmalziges Finale, in dem der Himmel (bzw. die Tonspur) „voller Geigen hing“; Dessen emotionale Bedeutung ein im Anschluss daran platzierter, aus dem Off vorgelesener Zeitungsartikel, wie Kitsch entsteht und situationsbedingt trotzdem hin und wieder lebensecht sein kann, eine bewusste Regieentscheidung sichtbar gemacht hat. Genauso verhält es sich bei „Wunderschön“, der auf ein allumfassendes Happy End hinstrebt, das auf den ersten Blick zu schön sein mag, um wahr zu sein. Doch bereits im Vorfeld streut Herfurth kongeniale Reibungen zwischen Realität und gezielter Überhöhung ein; Gerade bei diesem Thema wäre nichts kontraproduktiver, als völlige Realitätsnähe zu suggerieren und damit automatisch eine Allgemeingültigkeit vorzugaukeln.

Zweifachmama Sonja (Karoline Herfurth) wäre gern wieder Businessfrau…

Durch Herfurths hervorragend gewichteten Mix aus urkomischen und tieftraurigen Momenten macht sie aus dem immerhin über zwei Stunden langen „Wunderschön“ einen kurzweiligen und mitreißenden Emotionscocktail, während die facettenreich geschriebenen Figuren ihr Publikum an die Hand nehmen. Während eine Episodenfilmstruktur hin und wieder dafür genutzt wird, möglichst jede Meinung zum im Zentrum stehenden Thema gleichbedeutend abzubilden, damit sich auch wirklich jeder Zuschauer und jede Zuschauerin mindestens mit einer von ihnen identifizieren kann, lassen sich sie Geschichten von Sonja, Vicky, Leyla und Co. zwar auf einen zentralen Konflikt reduzieren, doch selbst innerhalb dessen sorgt das Skript für genügend Grautöne und geistige Reifungen in der Wahrnehmung ihrer Figuren, sodass man sich nicht bloß mit einer, sondern ein Stückweit mit jeder von ihnen identifizieren kann. Herfurths Männercharaktere spielen in „Wunderschön“ derweil eher Randfiguren. Etwas, was im Gesamtkontext des Films konsequent ist. Gleichsam ist ihr Verhalten nicht bloß Triebfeder für das Verhalten der Frauen (zumal längst nicht jede von ihnen überhaupt einen Partner hat), sondern einfach nur ein subjektiver Einfluss von vielen. Dass auch Männer bisweilen Bodyshaming und einem Zwang nach Normschönheit ausgesetzt sind, spielt hier derweil keine Rolle. Stattdessen ist „Wunderschön“ ein universell auf jedes Geschlecht anwendbarer Film – erzählt aus der Perspektive von Frauen.

„Durch Herfurths hervorragend gewichteten Mix aus urkomischen und tieftraurigen Momenten macht sie aus dem immerhin über zwei Stunden langen „Wunderschön“ einen kurzweiligen und mitreißenden Emotionscocktail, während die facettenreich geschriebenen Figuren ihr Publikum an die Hand nehmen.“

Doch „Wunderschön“ wäre nicht auch tatsächlich wunderschön, ohne das einmal mehr sehr gelungene Casting. Szenendiebin Nora Tschirner („Gut gegen Nordwind“) wickelt mit ihrem trockenen Humor alle um den Finger. Emilia Schüle („High Society“) schafft es vor allem mit ihrem gezielten Mienenspiel, ihre Julie zum Leben zu erwecken, die unter weniger fähiger Hand schnell zum Klischee hätte werden können. Wenn sie etwa von ihrer Nachbarsfreundin zum Zuckernudeln-Essen eingeladen wird, erkennt man an Julies nur oberflächlich zufriedener Reaktion früh, dass diese Szene noch über der Kloschüssel enden wird. Newcomerin Dilara Aylin Ziem und Martina Gedeck („Das Tagebuch der Anne Frank“) legen ihre Rollen zurückhaltend aber nicht schüchtern an, während Karoline Herfurth vollends in ihrer Rolle der hochgestressten und doch nach Neuem strebenden Zweifachmama aufgeht. Von ihrer Episode bleibt lediglich das Geschmäckle übrig, dass ihr Filmkörper sichtbar als nicht ihr eigener identifizierbar, sondern das Ergebnis von Fatsuits oder Effekt-Make-Up ist. Ihrer Aufopferungsbereitschaft für den Film und die Rolle zum Trotz, wäre es das i-Tüpfelchen für „Wunderschön“ gewesen, hier einen tatsächlichen After-Baby-Body zu zeigen.

Fazit: Karoline Herfurth gelingt mit „Wunderschön“ ein Kaleidoskop der inneren Zufriedenheit, die oft, aber nicht immer mit dem Äußeren zu tun hat. Damit löst sich die Regisseurin thematisch passend von der puren Fixierung auf Körperästhetik und fasst das Thema wesentlich größer auf. Hierfür kreiert sie lebensechte Charaktere und packt sie in bisweilen absichtlich filmisch überhöhte Alltagssituationen, die ebenso lustig wie traurig sein können. Das Endergebnis ist ein sich aufrichtig, authentisch und leidenschaftlich anfühlender Mix aus Komödie und Drama, der viele Menschen zum Lachen und Weinen bringen wird.

„Wunderschön“ ist ab dem 3. Februar 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

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