Gut gegen Nordwind

Im Liebesroman GUT GEGEN NORDWIND verlieben sich zwei Menschen nur durch die Kraft der via Mail ausgetauschten Worte. Nun hat Regisseurin Vanessa Jopp den Bestseller mithilfe zwei namhafter deutscher Schauspielgrößen verfilmt und die Magie der Geschichte optimal eingefangen. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Ein verdrehter Buchstabe lässt eine E-Mail von Emma Rothner (Nora Tschirner) versehentlich bei Leo Leike (Alexander Fehling) landen. Der Linguist antwortet prompt. Sie beginnen einen schnellen, lustigen und immer intimer werdenden E-Mail-Dialog, wie man ihn nur mit einem Unbekannten führen kann. Einige Wochen und viele gesendete und empfangene Nachrichten später wird daraus eine virtuelle Freundschaft. Leo und Emma beschließen zunächst, ihre Verbindung rein digital zu belassen als eine kleine Flucht vor dem Alltag – denn Leo kommt einfach nicht von seiner Ex-Freundin Marlene (Claudia Eisinger) los und Emma ist mit Bernhard (Ulrich Thomsen) verheiratet und hat zwei Stiefkinder. Dennoch: Die beiden vertrauen sich ihr Innerstes an und kommen sich auf dem schmalen Grat zwischen totaler Fremdheit und unverbindlicher Intimität immer näher. Und da stellt sich die Frage, ob sie sich nicht doch mal Angesicht zu Angesicht treffen sollten, denn die Schmetterlinge, die Leo und Emma mittlerweile jedes Mal im Bauch haben, wenn ihr E-Mail-Postfach mit einem „Pling“ eine neue Nachricht ankündigt, sind ganz und gar nicht nur digital. Aber kann man sich tatsächlich nur durch Worte richtig verlieben?

Kritik

Schaut man sich aktuell einmal an, welche Filme in Deutschland 2019 mehr als 100.000 Zuschauer für sich gewinnen könnten, fallen einem zwei Dinge sofort ins Auge. Erstens: Die Lichtspielhäuser werden auch hierzulande nach wie vor von allerlei Fortsetzungs-Gedöns dominiert und zweitens: Von aktuell 87 Filmen (Stand: September) lassen sich mit „Traumfabrik“, „Long Shot“, „Drei Schritte zu dir“ und „After Passion“ nur vier der klassischen Liebesgeschichte zu ordnen. Vier von 87 – ein ziemlich erbärmlicher Durchschnitt. Das Genre bleibt also auch ein weiteres Jahr rar gesät, denn in den letzten Kinojahrgängen sah es kaum anders aus: Da gab es zwar die von Teil zu Teil schwächer gewordene „Fifty Shades of Grey“-Reihe und mit „A Star is Born“ brachte es eine besonders tragische Romanze bis zu den heißesten Kandidaten bei der Oscar-Verleihung. Doch kaum mehr als eine Handvoll erreichen noch die breite Aufmerksamkeit. Das waren noch Zeiten, als Filme wie „Casablanca“ oder „Vom Winde verweht“ zu Kassenschlagern wurden, die ikonische Liebespaare hervorbrachten. Es ist also schon mal ziemlich fantastisch, dass es mit „Gut gegen Nordwind“ überhaupt noch ein Film auf eine breite Kinoauswertung bringt, der einfach nur davon handelt, wie sich zwei Menschen ineinander verlieben. Der dem Film zugrundeliegende Roman war hierzulande bereits ein Bestseller. Nun hat ihn Vanessa Jopp („Lügen und andere Wahrheiten“) kongenial für die Leinwand übersetzt, obwohl dieses Unterfangen schon allein durch die Romanstruktur so seine Tücken bereithält.

Leo (Alexander Fehling) erhält plötzlich E-Mails von einer fremden Frau namens Emma…

Daniel Glattauers moderne Form des Briefromans erzählt die Geschichte rund um Emma und Leo ausschließlich über abwechselnd von ihr und ihm geschriebenen E-Mails. Das im Film dargestellte Drumherum direkt aus den Leben der beiden Protagonisten wird im Buch ebenfalls von den Figuren selbst dem jeweils anderen erzählt. „Gut gegen Nordwind“ ist in Romanform von größtmöglicher Subjektivität geprägt. Auf der Leinwand dagegen erlauben sich Jobb und ihre Drehbuchautorin Jane Ainscough („Ich bin dann mal weg“) immer wieder auch Blicke von außen sowie den Einbezug einiger Nebenfiguren. Sowohl Leos Ex Marlene, seine Schwester Adrienne (Ella Rumpf) als auch Emmis Ehemann Bernhard sowie ihre Stiefkinder kommen hier als lebendige Charaktere vor, während sie im Buch lediglich durch die Beschreibung in den Mails existieren. Trotzdem bemüht sich Vanessa Jopp, ihren Film nicht vollends der Konvention hinzugeben. Nicht nur bleibt der Mailaustausch der Dreh- und Angelpunkt von „Gut gegen Nordwind“, auch die Idee, Emma erst in der zweiten Hälfte überhaupt ein Gesicht zu geben (vorher existiert sich tatsächlich nur in Schriftform beziehungsweise über ihre Stimme, die in Leos Kopf ihre eigenen Mails vorliest). Eine nette Idee, die aber allein schon aus marketingtechnischer Sicht gar nicht funktionieren kann, da Nora Tschirner („SMS für dich“) ja nicht nur im Trailer und auf dem Plakat bereits auftaucht, sondern ihr Name im Vorspann von „Gut gegen Nordwind“ eingeblendet wird. Und selbst wem es irgendwie gelingen sollte, sich bis zum Filmbeginn von der Information fernzuhalten, wer denn nun Emma verkörpert, der wird die Schauspielerin spätestens an ihrem charakteristischen Voice-Over erkennen.

Dass „Gut gegen Nordwind“ seinen ganzen Charme trotz des missglückten Überraschungsmoments auszuspielen weiß, liegt zunächst einmal an den beiden Hauptdarstellern. Die vor einigen Jahren tatsächlich miteinander liierten Alexander Fehling („Der Hauptmann“) und Nora Tschirner legen eine solch stimmige Chemie an den Tag, dass man sich nach dem Film erst einmal bewusst machen muss, dass die beiden Akteure lediglich in einer Handvoll Szenen überhaupt gemeinsam zu sehen sind. Mal stehen sie nur einen Supermarktgang voneinander entfernt, ein anderes Mal steigt er in die Straßenbahn ein, an deren Bahnsteig sie gerade in ihr Smartphone schaut. Dadurch dass beide bis zuletzt keinerlei Fotos austauschen (und nach gemeinsamer Absprache keiner das Bedürfnis hat, den jeweils anderen im Internet auszuspionieren), ergibt sich das wohlige Kribbeln in ebendiesen Szenen vor allem aus der Frage, ob Leo und Emma einander wohl erkennen würden, wenn sie das erste Mal aufeinander treffen; seinen Höhepunkt findet diese Frage in einem Café, in dem sich beide verabreden, um genau das auszutesten. Und dass sich Jemand wie Leo auf den ersten Blick in die hinreißend-natürliche Emma vergucken würde, ist mindestens genauso realistisch wie die Tatsache, dass Emma umgehend dem trockenen Humor Leos erliegen könnte, dem Emma übrigens in Nichts nachsteht. Zwischen den beiden stimmt einfach die Chemie. Und durch die sich eng am Roman orientierenden, hervorragend geschriebenen Mailtexte kommt das ganz besonders zum Vorschein.

Eigentlich wollte Emma (Nora Tschirner) nur ein Abonnement abbestellen. Nun steckt sie in einer Mail-Liaison mit Leo…

Durch die Mail-Struktur umgeht Vanessa Jopp respektive ihre Drehbuchautorin auch ein Problem, das deutschen Skripten nicht selten (mal zu Recht, mal zu Unrecht) vorgeworfen wird: Der Eindruck, dass sich so wie die Figuren auf der Leinwand sprechen, kaum einer im echten Leben unterhalten würde. Nun haben wir es mit Leo aber nicht umsonst mit einem Linguisten zu tun – und mit einem besonders schlagfertigen noch dazu, was Emma nutzt, um die verbalen Steilvorlagen bei jeder Gelegenheit in eine nicht minder selbstbewusste Antwort umzuwandeln. Das ist mal witzig („Du bist wie ein Schokokuss in der Mikrowelle!“), mal romantisch („Emmi schreiben ist Emmi küssen. Und ich schreibe gern Emmi.“), kratzt aufgrund der äußeren Umstände aber nie so sehr am Kitsch und der unfreiwilligen Komik, wie es vermutlich im gesprochenen Dialog der Fall wäre. Durch die Kommunikation über E-Mails haben schließlich beide immer wieder die Möglichkeit, ihre smart ausformulierten Worte lange genug zu überdenken, damit das Endergebnis möglichst poetisch klingt. Dazu passt es dann auch, dass die Szenen außerhalb dieses Mailverkehrs diese Poesie auf das reale Leben übertragen können; etwa wenn Leo seine Emma mit Silvesterraketen überraschen will. Das ist vielleicht sogar eine der schönsten Filmszenen des Jahres, weil Vanessa Jopp hier eine Aufrichtigkeit für die Romantik walten lässt, wie man sie im Kino nur noch selten zu sehen gibt. Es ist ein Leichtes, ihr darauf hin das etwas überkonstruierte Ende zu verzeihen, mit dem sie ihrem Pärchen auf den letzten Metern Steine in den Weg legt, von denen man ohnehin längst weiß, dass sie für Emma und Leo kein Hindernis mehr darstellen.

Fazit: Auch ohne große Konkurrenz im Genre möchten wir uns dieses Prädikat nicht nehmen lassen: „Gut gegen Nordwind“ ist eine der schönsten Liebesgeschichten des Jahres.

„Gut gegen Nordwind“ ist ab dem 12. September bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

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