Everything Everywhere all at Once

Ein Film, so einmalig wie schon lange keiner mehr vor ihm: Nach der Lobpreisung am Anschluss an die Weltpremiere zieht EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE seinen Siegeszug in diversen anderen Ländern fort. Ab sofort ist das Kinounikum auch in Deutschland zu sehen. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Everything Everywhere all at Once (USA 2022)

Der Plot

Waschsalonbesitzerin Evelyn Wang (Michelle Yeoh) geht im Chaos ihres Alltags unter: Der bevorstehende Besuch ihres Vaters (James Hong) überfordert sie, die Wünsche der Kunden bringen sie an ihre Grenzen und die anstehende Steuererklärung wächst ihr komplett über den Kopf. Der Gang zum Finanzamt ist unausweichlich, doch während sie mit ihrer Familie bei der Steuerprüferin (Jamie Lee Curtis) vorspricht, wird ihr Universum komplett durcheinandergewirbelt. Raum und Zeit lösen sich auf, und die Menschen um sie herum haben, ebenso wie sie selbst, plötzlich weitere Leben in Parallelwelten. Sie entdeckt, dass das Multiversum real ist und sie auf die Fähigkeiten und das Leben anderer Versionen ihrer selbst zugreifen kann. Das ist auch bitter nötig, denn sie wird mit einer großen, wenn nicht der größtmöglichen Mission betraut: Der Rettung der Welt vor dem unbekannten Bösen.

Kritik

Die von 2009 bis 2015 ausgestrahlte US-Sitcom „Communty“ gilt nicht bloß bei Hardcore-Fans wie uns als eine der kreativsten Serien aller Zeiten. In ihr durften sich bereits die für „Avengers: Infinity War“ und „Avengers: Endgame“ verantwortlichen Russo-Brothers mächtig austoben und auch heutige Superstars wie Alison Brie oder Donald Glover wurden dort einem breiten Publikum bekannt – eh die Serie nach sechs Jahren eingestellt wurde und nun auf ihren Film warten lässt. Denn wir alle wissen: Der #SixSeasonsandaMovie lebt! Weshalb wir die Kritik zum abgefahrenen „Everything Everywhere all at Once“ mit einer Lobpreisung auf „Community“ beginnen, hat derweil nicht nur etwas mit der absolut naheliegenden Produzentenbeteiligung der Russos zu tun, sondern vor allem damit, dass nichts derart gemacht wäre, eine eigens auf ihnen basierte Episode zu erhalten, wie die Filme von Dan Kwan und Daniel Schreinert aka „The Daniels“. Schon ihr „Ein toter Daniel Radcliffe wird zum pupsenden Schweizer Taschenmesser“-Film „Swiss Army Man“ war ein ähnliches Kinounikum wie nun ihr abgefahrener Multiversums- und Filmgenretrip „Everything Everywhere all at Once“. Beide Filme geben einfach unendlich viel Material her, um sich auf Regie- und Drehbuchebene so richtig auszutoben, zu verbeugen und das „Medium Film“ zu zelebrieren. Eine „Community“-Folge nach ihrer Vorlage wird es so vermutlich nie geben (auch wenn die Hoffnung natürlich zuletzt stirbt!) aber die Filme nimmt uns keiner. Und gerade „Everything Everywhere all at Once“ ist einfach prädestiniert dafür, erst auf der Leinwand und dann zigmal im Heimkino gesehen zu werden, bis man auch wirklich alle Details und Referenzen entdeckt hat. Kurzum: Abed Nadir hätte seine helle Freude an dem Film!

Mutter (Michelle Yeoh) und Tochter (Stephanie Hsu).

Eine Sache an „Everything Everywhere all at Once“ ist altbekannt: Die Idee eines Multiversums – also einer (Film-)Welt, in der mehrere Paralleluniversen existieren und in der Regel zwischen ihnen gewechselt werden kann – existiert in der breiten Publikumswahrnehmung aller spätestens seit dem Erfolg von „Spider-Man: A New Universe“. In dem oscarprämierten Trickabenteuer treten gleich mehrere Spider-Men aus verschiedenen Realitäten auf, um einander in der Bekämpfung eines Schurken zu unterstützen. Zudem wird dieses Thema immer mal wieder in artverwandten Zeitreisefilmen angerissen; Je nachdem, welche Zeitreise-Regeln in der jeweiligen Geschichte gelten. Und dann kommt ja bald auch noch das nächste Marvel-Abenteuer „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ heraus, dass die Thematik bereits im Titel trägt. Die Multiversumstheorie ist „in“ – und das ist auch kein Wunder. Wenn zu jedem Zeitpunkt in irgendeinem Universum alles, aber auch wirklich alles passieren kann, frohlocken Kreative. Ebenjenes „Frohlocken“ ist auch dem Skript sowie der Regieführung der Daniels anzumerken. Ihr „Everything Everywhere all at Once“ hebt den Terminus „Freidrehen“ auf eine ganz neue Ebene. Denn die beiden treiben die „Alles kann geschehen“-Grundlage ihrer Prämisse kongenial auf die Spitze. Viele ihrer Ideen sind so abgehoben und kurios, dass sie einen umso eindringlicher treffen dürften, sofern man im Vorfeld nicht um ihr späteres Erscheinen weiß. Gleichwohl sollen zwei wichtige Elemente an dieser Stelle erwähnt werden: Da sind zum einen die Universen selbst, deren Erscheinungsbild mitunter von banalen Entscheidungen einzelner handelnder Personen geprägt ist, die riesige Auswirkungen auf das weitere Geschehen haben. Mal versteckt sich hinter einer „A oder B“-Entscheidung ein neuer (beruflicher) Werdegang, ein anderes Mal sind gar große Evolutionsschritte betroffen, sodass eine Welt, in der Menschen Würste anstatt Finger an den Händen besitzen (dieses Kuriosum findet sich bereits auf dem Plakat wieder), dann doch fast schon realistisch erscheinen. Zumindest im Anbetracht der dahintersteckenden Erklärung…

„Die Regisseure“ treiben die ‚Alles kann geschehen‘-Grundlage ihrer Prämisse kongenial auf die Spitze. Viele ihrer Ideen sind so abgehoben und kurios, dass sie einen umso eindringlicher treffen dürften, sofern man im Vorfeld nicht um ihr späteres Erscheinen weiß.“

Der zweite wichtige (und für diverse „WTF!“-Momente im Film existenzielle) Bestandteil ist die Art und Weise, mit der die Figuren zwischen den Universen hin- und herspringen können. Und nie hat es einem Film so gutgetan, dass der Versuch einer vernünftigen, logischen Erklärung dahinter gar nicht erst unternommen wird. Wie schon im Falle von „Swiss Army Man“ geben Dan Kwan und Daniel Schreinert von Anfang an einen Ist-Zustand vor, an dem sich nicht rütteln lässt, den man aufgrund dessen aber auch nie hinterfragt. Dass die beiden die innere Filmlogik in „Everything Everywhere all at Once“ dennoch nie mit Füßen treten, gar brechen, ist dem bei aller überbordenden Anarchie zum Trotz jederzeit den Überblick über das Geschehen behaltenen Skript geschuldet. Es veranschaulicht die innere Komplexität mithilfe einprägsamer Bilder, die uns bisweilen kaum intellektuell zu greifende Geschehnisse nachfühlen lassen. Und apropos Fühlen: Dieser Teil kommt in „Everything Everywhere all at Once“ ebenfalls nie zu kurz. Der sich vornehmlich im Sci-Fi-, Action- und Fantasygenre angesiedelten Geschichte liegt ein tragikomisches Familienschicksal, irgendwo zwischen „The Farewell“, „Minari“ und Pixars „Rot“, zugrunde, das Hauptdarstellerin Michelle Yeoh („Last Christmas“) und ihre schauspielenden Kolleginnen und Kollegen jederzeit mit Liebe und Leben füllen – und das mitunter so ergreifend ist, dass neben den Bildern einer Wurstfinger tragenden Jamie Lee Curtis („Halloween Kills“) oder einer grandiosen „Ratatouille“-Referenz mit Waschbär (!!) die zwischenmenschlichen Momente fast noch stärker im Gedächtnis bleiben. So fühlt sich das zelebrierte Chaos nie selbstzweckhaft an, sondern ist für das „große Ganze“ absolut notwendig.

In einer herrlichen Nebenrolle als Steuerprüferin – und hier noch ohne Wurstfinger: Jamie Lee Curtis.

Darüber hinaus lebt „Everything Everywhere all at Once“ in seiner Gesamterscheinung nicht bloß von (mitunter stark abgewandelten und sich dadurch zu eigen gemachten) Zitaten, sondern von seinem Streifzug durch das Medium Film an sich – mit einer fantastischen Michelle Yeoh im Zentrum, die in ihrer knapp 40-jährigen Schauspielkarriere selbst schon durch all diese Genres gehüpft ist. Die Daniels überlassen der gebürtig aus Malaysia stammenden Aktrice nicht nur jedwede Zügel ihrer die Grenzen jedweder Emotion auslotenden Performance. Sie zollen ihr genau dadurch auch einen Tribut, indem „Everything Everywhere all at Once“ veranschaulicht, was diese Frau eigentlich alles kann. Sofern man das denn nicht sowieso schon vorher wusste… Ihre Badass-Nahkämpfe besitzen eine selbstbewusste Körperlichkeit, vor der sich selbst erfahrene Martial-Arts-Kollegen verneigen dürften. Nicht zuletzt, weil ihnen stets eine gewisse, zur Tonalität des Films passende Ironie innewohnt. Gleichwohl ist nichts an „Everything Everywhere all at Once“ ausschließlich nachdichtend ironisch. Die Daniels und ihr Team stehen voll und ganz hinter der hier aufgefahrenen Absurdität und vermengen ihre Hommagen an das (asiatische) Actionkino mit Ausflügen ins Horror-, Drama-, Comedy-, Horror- und Animationsfach – sowie all ihre Subgenres und Subsubgenres. Ein in sich geschlossener, runder Film bleibt „Everything Everywhere all at Once“ trotzdem stetig. Das ist eben der Vorteil an der Multiversumsthematik. Den Vorwurf, etwas passe nicht zusammen, unterwandert diese ja nahezu im Alleingang…

„‚Everything Everywhere all at Once‘ lebt in seiner Gesamterscheinung nicht bloß von (mitunter stark abgewandelten und sich dadurch zu eigen gemachten) Zitaten, sondern von seinem Streifzug durch das Medium Film an sich – mit einer fantastischen Michelle Yeoh im Zentrum.“

Bleibt zum Schluss noch der dringend notwendige Blick auf die handwerklichen Qualitäten. Während sich der Score (Son Lux) als das wohl Unauffälligste am Film entpuppt, gehört neben Kameramann Larpin Seiple (arbeitete schon für „Swiss Army Man“ mit den Daniels zusammen) das Lob vor allem Editor Paul Rogers („The Death of Dick Long“). Seine Arbeit an „Everything Everywhere all at Once“ gehört zu den besten der letzten Jahre und ist maßgeblich für die Rauschhaftigkeit des Films sowie die Übersicht über die Ereignisse verantwortlich; Was bei derart vielen Erzählsträngen einem Ding der Unmöglichkeit gleichkommt. Rogers verleiht dem Film seine unvergleichliche Rhythmik, seinen Flow, seine Sogkraft. Und auch das ist so ein Detail, das einem beim zweiten oder dritten Mal Anschauen wohl erst so richtig bewusst wird…

Fazit: Egal ob als Familiendramödie, als Science-Fiction-, Fantasy- oder Actionfilm: Das Multiversumsspektakel „Everything Everywhere all at Once“ ist in jeder seiner Darreichungsformen ein nie dagewesenes Filmereignis.

„Everything Everywhere all at Once“ ist ab dem 28. April 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

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