X

Mit massig Vorschusslorbeeren im Gepäck kommt Ti Wests Seventies-Slasher-Hommage X frisch geprüft mit einer FSK 16 um die Ecke. Doch beißt sich das nicht mit den Ursprüngen? Nun denn, mit Gewalt geizt das Teeniemassaker an einem Pornoset nicht. Mit neuen Impulsen dafür umso mehr. Was sich gleichermaßen positiv wie negativ auslegen lässt. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: X (USA/CAN 2022)

Der Plot

Texas im Jahre 1979; Eine Gruppe junger Filmemacher macht sich auf den Weg zu einer abgeschiedenen Farm mitten im Nirgendwo, um dort endlich den Film zu drehen, der ihnen zum Durchbruch verhelfen soll – ein Porno. Doch als die zurückgezogen lebenden Farmbesitzer dem Treiben ihrer Gäste auf die Spur kommen, gerät der kreative Trip zum Kampf auf Leben und Tod…

Kritik

In Horrorfankreisen ist Ti West schon lange kein Unbekannter mehr. Der ganz große Durchbruch blieb dem gebürtig aus Delaware stammenden Regisseur allerdings trotzdem bis heute verwehrt. Nun hat es der Filmemacher aber auch nie zwingend auf den Mainstreamerfolg angelegt. Im Falle von „The Inkeepers“, „The House of the Devil“ oder auch „The Sacrament“ blieb hierzulande gar eine reguläre Kinoauswertung aus. Vielleicht rückt West mit seiner Siebzigerjahre-Terrorfilmhommage „X“ ja nun endlich ein wenig stärker in die Wahrnehmung der breiten Masse. Wenngleich sein neuestes Werk einmal mehr weniger die Vorlieben jener anspricht, die Filmen wie „Conjuring“, „Insidious“ oder dem „Es“-Remake zu großem Erfolg verhalfen. „X“ ist kein Big-Budget-Hochglanz, sondern ein kleines dreckiges Genreprojekt, das sich auf zahlreichen Festivals Lorbeeren erarbeitete und nun seinen Siegeszug in Deutschland anzutreten versucht. Seinem vorab aufgebauten Hype kann „X“ dabei leider nicht ganz gerecht werden. Dafür verläuft der Film dann doch zu sehr in schematischen und daher allzu bekannten Teenieslasher-Bahnen. Als stets den Ton und die Form treffende Hommage an die Vorbilder der entsprechenden Horrordekade funktioniert „X“ dann allerdings doch ganz ausgezeichnet.

Der Sheriff entdeckt auf der abgelegenen Farm ein Blutbad.

Es ist fast schon ein wenig ironisch, dass „X“ seinen Titel nach dem in den USA berühmt berüchtigten X-Rating trägt, das dort heutzutage vornehmlich an pornographische Inhalte vergeben wird. Gleichwohl ist der Film hierzulande nach einer Neuprüfung ab 16 Jahren freigegeben. Damit erreicht der Titel gewiss eine breitere Masse, doch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft dürfte am Tage seiner Zweitbewertung einen beachtlich guten Tag gehabt haben. „X“ ist zwar kein psychisch das Publikum drangsalierender Gewaltporno, sondern trägt stets einen locker-süffisanten „Wir wollen euch schocken aber eigentlich auch Spaß haben“- Tonfall vor sich her. Saftig wird’s trotzdem, wenn Köpfe zermalmt und blutrünstig Kehlen durchgeschnitten werden. Auf visueller Ebene sollte man also schon abgehärtet sein. Fast widersprüchlich mutet dagegen an, dass sich „X“ in gewisser Weise als Horroreinsteigerfilm eignet. Nicht nur weil er ein perfektes Abbild einer Horrordekade darstellt, die das Genre Ende der Siebzigerjahre massiv geprägt hat (eine Vernschaulichung filmischer Geschichte sozusagen), dabei aber mit einem sich an die heutigen Sehgewohnheiten angepassten Rhythmus und Schauspiel ausgestattet ist. Sondern auch, da die Momente der mitunter sehr, sehr starken Anspannung schnell wieder – und vornehmlich mit überhöht dargestellter Gewalt – aufgebrochen werden. So ist „X“ außerdem weit entfernt von einem Jumpscare-Fest und zieht seinen Suspense vornehmlich aus der Atmosphäre an sich.

„‚X‘ ist zwar kein psychisch das Publikum drangsalierender Gewaltporno, sondern trägt stets einen locker-süffisanten ‚Wir wollen euch schocken aber eigentlich auch Spaß haben‘-Tonfall vor sich her. Saftig wird’s trotzdem.“

Jene rekreieren Ti West mit seiner stilsicheren Ausstattung, Bildaufteilung und Ausleuchtung sowie sein Kameramann Eliot Rockett (fotografierte für West u.a. „The House of the Devil“) auf kongeniale Weise, sodass die grisselig-farbentsättigte Bildsprache noch die plumpste Methode ist, um ein nostalgisches Gefühl heraufzubeschwören. Immer wieder unterläuft der auch für das Drehbuch verantwortliche West zudem die Erwartungen seines Publikums. Beginnend bei der Andeutung, sein Film wäre in 4:3-Format gedreht, hin zur Wahl seiner Antagonisten, die so ganz anders auftreten, als man es zunächst vermutet. Das von Mia Goth („A Cure for Wellness“) in kaum als sie selbst erkennbarer Maske und Stephen Ure („Der Herr der Ringe“) verkörperte Rentner-Ehepaar agiert nämlich so ganz anders als man es von Hillbilly-Killern in Teenslashern gewohnt ist; Nämlich seinem Alter entsprechend und dadurch wesentlich strukturierter, als einfach nur dem „Ich renne hinter meinen Opfern her“-Muster zu folgen. Und auch die Pornostars und -Sternchen erhalten durch ihre ausgiebige Einführung die Möglichkeit, den Zuschauer:innen ans Herz zu wachsen und dadurch mehr zu sein als Kanonenfutter, dessen Ableben man wahlweise schulterzuckend oder gar frohlockend hinnimmt.

Pornosternchen Bobby-Lynne (Brittany Snow) ahnt, dass irgendwas auf der Farm nicht mit rechten Dingen zu geht…

Nun mag man es für konsequent erachten, dass Ti West die Motive seiner Vorbilder („Texas Chainsaw Massacre“ sei an dieser Stelle stellvertretend genannt) eben nicht großartig variiert. Schließlich ist sein Film vornehmlich Hommage und weniger Neuinterpretation. Wer Letzteres sehen will, bekommt mit der jüngsten, exklusiv bei Netflix erschienen Neuauflage des Kettensägen-Massakers übrigens ein aktuelles Beispiel dafür präsentiert, wie man es nicht macht! Doch auch eine Rekreation wie „X“ lebt bisweilen von neuen Impulsen. Wer großzügig sein will, erklärt den Subtext rund um den Wert ewiger Jugend, der insbesondere in der zweiten Hälfte hervortritt, zu einem ebensolchen. Davon abgesehen folgt „X“ dem für Slasher typischen Abzählreim-Prinzip mit abwechslungsreichen Kills, Final Girl und so weiter. Das ist nicht originell, aber handwerklich stark gemacht – und sorgt damit ja doch fast schon wieder für frischen Wind im Genre, das zuletzt verstärkt immer weniger originelle Fortsetzungsfilme hervorgebracht hat und die Wurzeln seines Daseins allenfalls nachdichtend aufbrach. Und so wird es nicht wenige Leute geben, denen diese puristische Herangehensweise an eine Verbeugung vor dem Genre besonders gefallen dürfte. Zwar ohne Ironie und Augenzwinkern, doch immerhin von der ernsthaften, von den Gräueltaten des Vietnamkriegs geprägten Tonalität seiner Vorbilder befreit. Nur diese Sache mit dem Hype tut dem (Horror-)Kino einfach nicht gut. Die Gefahr, dass die Erwartungen des Publikums an genau diesem zerschellen, ist einfach zu hoch…

„Doch auch eine Rekreation wie ‚X‘ lebt bisweilen von neuen Impulsen. Wer großzügig sein will, erklärt den Subtext rund um den Wert ewiger Jugend, der insbesondere in der zweiten Hälfte hervortritt, zu einem ebensolchen.“

Fazit: Ti West gelingt mit „X“ eine atmosphärisch stilsichere Hommage an das Terrorkino der späten Siebzigerjahre, die fast vollständig ohne neue Impulse auskommt und dadurch entweder ein Stückweit enttäuscht oder gerade aufgrund ihrer fehlenden Ironie und Neuauslegung der Genreregeln so stark ist.

„X“ ist ab dem 19. Mai 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Zuletzt habe ich mit Halloween eine Bildungslücke nachgeholt und war doch erstaunt wie atmosphärisch und subtil gruselig ein Slasher sein kann. Trotzdem bin ich bei dem Genre grundsätzlich vorsichtig. Vielleicht gerade deshalb ein Blick wert um sich überraschen zu lassen. Fern des Mainstreams gefällt mir nicht selten richtig gut.

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