Pleasure

Regisseurin Ninja Thyberg wagt sich für ihr Drama PLEASURE tief hinein ins Pornobusiness und zeigt mithilfe zahlreicher echter Pornostars, aber auch einer grandiosen Hauptdarstellerin auf, wie es hinter den Kulissen des vermeintlich so sinnlichen Geschäfts wirklich zugeht. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Pleasure (SWE/NED/DK 2021)

Der Plot

Die 19-jährige Linnéa (Sofia Kappel) verlässt ihre schwedische Kleinstadt und zieht nach Los Angeles, um als „Bella Cherry“ der nächste große Pornostar zu werden. Doch der Weg dahin ist steiniger als erwartet. Zwar erhält sie schnell erste Aufträge, aber das Business ist gnadenlos. Bella erkennt, dass sie nur eine Chance hat, wenn sie ausnahmslos alles tut, was von ihr verlangt wird – selbst wenn dies Erniedrigung und Schmerz bedeutet. Doch wie weit kann sie gehen, um ihr Ziel zu erreichen?

Kritik

Nach keinem Schlagwort wird im Internet so oft gesucht wie nach „Porno“. Den prozentual größten Anteil an Websites machen solche aus, die sich mit schneller visueller Lustbefriedigung auseinandersetzen. Rein statistisch hat also jede und jeder von uns schon einmal ein pornographisches Filmchen gesehen. Und in Zeiten, in denen sich Sex-Podcasts wachsender Beliebtheit erfreuen, die öffentliche Auseinandersetzung mit der Sexualität also zumindest in Deutschland längst enttabuisiert ist, dürfte sich auch kaum jemand noch dafür schämen, hin und wieder Pornofilme anzusehen. Einen entscheidenden Unterschied machen vor allem die verschiedenen Spielarten aus; Darüber, dass man sich gern Vergewaltigungsfantasien oder andere Hardcore-Inhalte zu Gemüte führt, spricht man dann wohl doch nur im engeren Freundeskreis – wenn überhaupt. Dazu stehen, dass man Gefallen an (vor allem extra für eine weibliche Zielgruppe) hochwertig produzierten Erotikclips hat, dürfte da schon wesentlich leichter fallen. Letzteres findet in Ninja Thybergs „Pleasure“, der Langfilmversion ihres gleichnamigen Kurzfilms, gar nicht erst statt. Selbst in einer Szene, in der ein betont warmherziger und fürsorgliche Umgang mit der Hauptdarstellerin stattfindet, kommen explizite Bondage-Praktiken zum Einsatz. Dass es sich hierbei trotz der nach dem Akt deutlich sichtbaren Abnutzungsspuren am Körper der Darstellerin immer noch um die am leichtesten erträgliche Szene handelt, spricht Bände über „Pleasure“, der als radikale Anklageschrift gegen die Pornoindustrie noch lange nachhallt.

„Pleasure“ entspricht optisch einer Hochglanz-Pornoproduktion.

Zu Beginn von „Pleasure“ gibt es gleich mehrere Momente, in denen Details in der Inszenierung und Erzählung eine deutliche Symbolsprache sprechen. So wird Protagonistin Lynnéa etwa bei der Einreise in die USA von einem Flughafenmitarbeiter gefragt, ob sie für einen Job oder zum Vergnügen da ist, was Lynnéa in einem Anflug purer Naivität, die sie im weiteren Filmverlauf jedoch schneller als erwartet ablegen wird, mit „Vergnügen“, also: „Pleasure“, beantwortet. Während ihr Auto auf dem Highway das Straßenschild mit der Aufschrift „Hollywood“ einfach links liegen lässt. Auch bekannte Wahrzeichen des Landes interessieren Lynnéa nicht. Stattdessen begibt sie sich auf touristische Pfade zu in der Branche bekannten Pornosets. Ninja Thyberg etabliert ihre Hauptfigur als, trotz all ihrer anfänglichen Blauäugigkeit, hochehrgeizige Businessfrau. Das Business selbst ist es, dass die junge Frau sukzessive desillusioniert. Schon bei Lynnéas erstem Dreh, einer nachgestellten Interview-Situation mit einem deutlich älteren Mann (Lynnea ist im Film Jahrgang 1999) kommen Freude und Leidenschaft, wie man sie aus dem Porno eigentlich kennt, nie zum Ausdruck. Lediglich ein (jetzt schon gequält wirkender), lüsterner Gesichtsausdruck deutet darauf hin, dass diese Szenerie einvernehmlich stattfindet, während der männliche Part – im wahrsten Sinne des Wortes – sein Ding durchzieht. Überhaupt ist das mit der Gleichberechtigung in der Pornoindustrie so eine Sache. Dass Frauen, schon allein aufgrund der präferierten Rollenverteilung (insbesondere in Hardcore-Filmen), nicht selten niederträchtig behandelt werden, ist ein offenes Geheimnis. In „Pleasure“ kommt ebendieses an die Oberfläche.

„Ninja Thyberg etabliert ihre Hauptfigur als, trotz all ihrer anfänglichen Blauäugigkeit, hochehrgeizige Businessfrau. Das Business selbst ist es, dass die junge Frau sukzessive desillusioniert.“

Genau dieser Umstand ist vermutlich der Hauptgrund, weshalb die Regisseurin und Autorin bereits nach der Veröffentlichung ihres Kurzfilms Morddrohungen erhielt. Auch nach der Weltpremiere auf dem Sundance-Filmfestival rissen die Kontroversen nicht ab. Dabei ist der Anteil an Empörten ob der bisweilen schmerzhaft-expliziten Szenen eher gering. Stattdessen ist es primär die Offenlegung der Tatsache, dass man als Konsument:in von Pornographie immer mit einkalkulieren muss, dass die Filme unter moralisch widrigen Umständen entstanden sind. Das titelgebende Vergnügen sucht man in „Pleasure“ vergeblich. Das wird an zwei Filmszenen besonders deutlich. Eine vorab als solche angekündigte Vergewaltigungsszene kippt nach Praktiken, die für die Protagonistin deutlich härter sind als erwartet, in einen echten, gewaltvollen Übergriff. Legitimiert durch das Einverständnis der Handelnden, das allerdings infolge einer beklemmenden Bedrohungsszenerie entsteht, ist kaum als ein solches zu werten. Stattdessen scheinen die Grenzen zwischen gestelltem und echtem Missbrauch in der hier porträtierten Pornoszene fließend. Ein darauffolgendes Gespräch zwischen Lynnéa und ihrem Agenten bestätigt diesen Eindruck. Als fast noch krasser entpuppt sich indes der Dreh einer Szene für eine Internetseite, die sich auf den Geschlechtsakt zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern spezialisiert hat – das, einem Darsteller zufolge, größte Tabu innerhalb der Pornobranche. Noch vor Vergewaltigungs- und Gang-Bang-Inhalten! Diese Szene beinhaltet neben diesem schockierenden Rassismus gleich zwei weitere entzaubernde Beobachtungen: Einer der Akteure spritzt sich Aufputschmittel in den Penis, um „länger zu können“, während Lynnéa trotz sichtbar unter Schmerzen leidendem Einsatz vorab auf eine Gage verzichtete – bloß um ihre Vita um Hardcore-Inhalte zu erweitern und somit unter die Fittiche des weltberühmten Porno-Agenten Mark Spiegler genommen zu werden.

Ashley (Dana DeArmond), Bella Cherry (Sofia Kappel), Joy (Ravika Anne Reustle) und Kimberly (Kendra Spade).

Während Hauptdarstellerin Sofia Kappel, eine echte Schauspielerin, ihre Rolle mit respekteinflößendem Einsatz verkörpert und dabei ein rigoros-ehrgeiziges Business-als auch eine äußerst zerbrechliche und unsichere Seite gleichermaßen zum Einsatz kommen, ist „Pleasure“ zudem mit zahlreichen echten Pornodarstellerinnen und -Darstellern besetzt. Sogar der Agent Mark Spiegler spielt sich selbst, was im Anbetracht der kein Blatt vor den Mund nehmenden Inszenierung arg wundert. Schließlich wird in „Pleasure“ sein komplettes Umfeld entzaubert. Umso irritierender wirkt da zunächst die knallige, plastikhafte Inszenierung, der den dokumentarisch-aufklärerischen Ansatz radikal unterläuft. Es ist diese typische Porno-Ästhetik, die „Pleasure“ sich zu eigen macht, um ebenjenen „schönen Schein“ zu wahren, dem Lynnéa sowie ihre zahlreichen Freundinnen, die ebenfalls alle Porno-Stars werden wollen, nachjagen, nur um schon am nächsten Set auf den Boden der Tatsachen zurückzufallen. Doch wo ist denn da das „echte Vergnügen“? Wo sind denn all die Pornoakteure und -Akteurinnen, die das immerwährende Missverständnis aufrechterhalten, als Sexarbeiter:in würde man ja eigentlich dafür bezahlt werden, jeden Tag Spaß zu haben? Nur dass hier eben eine Kamera mitläuft und die ganze Welt daran teilhaben kann… Diese (sicherlich auch zu einem geringen Teil existierende!) Gruppierung findet in „Pleasure“ nicht statt. Und das ist nicht nur im Anbetracht der sehr subjektiven Erzählperspektive kein Versäumnis. Der Film macht klar: Wer in diesem Business schnell aufsteigen will, der muss abliefern. Und je härter die Inhalte, desto dünner wird die Luft, bis „Pleasure“ schließlich mit einem „It’s lonely at the Top“-Motiv endet, dass den Film ein wenig plump aber doch im Sinne seiner dadurch ihre Würde behaltenden Hauptdarstellerin beendet.

„Es ist diese typische Porno-Ästhetik, die ‚Pleasure‘ sich zu eigen macht, um ebenjenen ’schönen Schein‘ zu wahren, dem Lynnéa sowie ihre zahlreichen Freundinnen, die ebenfalls alle Porno-Stars werden wollen, nachjagen, nur um schon am nächsten Set auf den Boden der Tatsachen zurückzufallen.“

Doch in „Pleasure“ geht es nicht nur darum, wie schnell die Pornoindustrie Spuren bei all jenen hinterlässt, die sie am Laufen halten. Der Film, der seine visuelle Explizität nie zu voyeuristischen, sondern stets zu entzaubernden Zwecken nutzt (das aller erste Bild des Films zeigt zwar das Geschlechtsteil der Hauptdarstellerin, allerdings lediglich im Zusammenhang mit einer Intimrasur), erzählt vor allem von Einsamkeit. Der wohl meistberührende Fimmoment in „Pleasure“ ist ein Telefonat zwischen Lynnéa und ihrer Mutter, die ihre Tochter – nichtsahnend, was diese beruflich wirklich treibt – mit Kalender-Mutmachsprüchen motiviert, ihren Traum zu leben, nicht aufzugeben und dranzubleiben, um sich ihre Vorstellung eines schönen Lebens zu erfüllen. Diese Szene ist besonders bitter, weil hier eine wichtige Weiche gestellt wird; Denn im nächsten Moment greift die gerade noch (fast?) vergewaltigte Lynnéa, die vor wenigen Minuten noch zurück nach Schweden reisen wollte, zum Telefon und bietet ihre Dienste für eine Doppel-Penetrationsszene an – ohne Gage…

Fazit: Vielleicht wirkt „Pleasure“ hie und da etwas einseitig in seiner schonungslosen Entmystifizierung des Pornogeschäfts. Doch je länger der Film geht, desto klarer wird einem, dass vermutlich kein Blick in die Welt der schnell heruntergedrehten Sexvideos je näher an der Realität dran war als dieser hier. Dafür muss man als Zuschauer:in gewappnet sein. Gleich bei mehreren Szenen muss man sich arg zusammenreißen, um nicht frühzeitig den Kinosaal zu verlassen. Doch es lohnt sich, bis zum Schluss zu bleiben, denn selten wirkte ein Filmbeitrag engagierter.

„Pleasure“ ist ab dem 13. Januar 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

Und was sagst Du dazu?