Ein Junge namens Weihnacht

Weihnachten hält Einzug in die Lichtspielhäuser. Den Anfang einer ganzen Reihe festtagstauglicher Spielfilme macht die Verfilmung des Matt-Haig-Romans EIN JUNGE NAMENS WEIHNACHT und stimmt mit Abenteuerfeeling in die besinnliche Zeit des Jahres. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: A Boy Called Christmas (UK/FR 2021)

Der Plot

Kaum zu glauben, aber wahr: Der Weihnachtsmann war nicht immer ein dickbäuchiger, graubärtiger Mann! Auch er war mal ein kleiner Junge – mit großen Träumen! Der elfjährige Nikolas (Henry Lawfull) wächst in bescheidenen Verhältnissen in einer kleinen Holzhütte mitten in Finnland auf. Als sein Vater Joel (Michiel Huisman) aufbricht, um das sagenhafte Dorf „Wichtelgrund“ zu finden, übernimmt die unwirsche Tante Carlotta (Kristen Wiig) die Betreuung des Jungen. Doch die Sehnsucht nach seinem Vater ist so groß, dass sich Nikolas auf den Weg in den hohen Norden macht, um ihn zu suchen. Eine abenteuerliche Reise, umgeben von jeder Menge Schnee, beginnt: Begleitet von seinem besten Freund, der Maus Miika, trifft Nikolas nicht nur auf eine mysteriöse Elfe, einen aufgebrachten Troll und richtige Wichtel, sondern auch auf ein fliegendes Rentier! Seine fantastischen Erlebnisse lassen in ihm einen Gedanken reifen – was wäre, wenn er die Welt zu einem besseren Ort machen würde?

Kritik

Es wundert schon ein wenig, dass es bis ins Jahr 2021 gedauert hat, bis jemand auf die Idee kam, Matt Haigs Jugendbuch-Bestseller „Ein Junge namens Weihnacht“ zu verfilmen. Zugegeben: Der Roman stammt aus 2016 – zwischen Veröffentlichung der Vorlage und Leinwandadaption vergingen also lediglich sechs Jahre. Trotzdem müssten sich Filmemacher:innen eigentlich von Anfang an auf den Stoff gestürzt haben, denn wie jeder weiß haben es familientaugliche Kinofilme rund um die Feiertage besonders leicht an den Kinokassen. Zumal man bei „Ein Junge namens Weihnacht“ sicher sein kann, dass eine Mindestqualität vorhanden ist; Immerhin kam seine Geschichte derart gut an, dass er in den Jahren darauf direkt noch zwei weitere Weihnachtsabenteuer verfasste („Das Mädchen, das Weihnachten rettete“, 2016 und „Ich und der Weihnachtsmann“, 2017). Gar nicht so selbstverständlich wie die Tatsache, dass die Verfilmung von „Ein Junge namens Weihnacht“ bei der Vorlage mindestens durchschnittlich werden würde, erschien da die Verpflichtung des Regisseurs Gil Keenan. Die einzige Berührung mit kindgerechter Unterhaltung war 2006 der Animationsfilm „Monster House“, bei dem man durchaus infrage stellen kann, inwiefern das Gruselmärchen denn wirklich dafür geeignet ist, jungen Heranwachsenden einen entspannten Kinoabend zu bescheren. Anschließend folgten das Fantasy-Abenteuer „City of Ember“, das unterschätzte „Poltergeist“-Remake sowie eine Episode für die Horrorserie „Scream“. Diese Herkunft vom Genre ist auch „Ein Junge namens Weihnacht“ anzumerken. Doch Keenan nutzt sie lediglich für einige aufregende Impulse, um seinen ansonsten tatsächlich familientauglichen Film voranzutreiben und aufzupeppen.

Maus Miika (deutsche Stimme: Sascha Grammel) im Lebkuchenglück!

Der Trailer von „Ein Junge namens Weihnacht“ wirbt damit, das Weihnachtsmärchen sei „von den Machern von ‘Paddington‘“. Tatsächlich finden sich lediglich vor der Kamera einige bekannte Gesichter aus den liebevollen Bärenfilmen wieder – und das Produktionsstudio ist dasselbe. Man könnte also einmal mehr von PR-wirksamer Irreführung sprechen. Trotzdem lässt es sich dem Endergebnis nicht wirklich übelnehmen, dass hier eine solche Parallele gezogen wird. Tonalität und Inszenierung erinnern in ihrer Zielstrebigkeit auf ein allumfassendes und doch nur wenig konstruiertes Happy End tatsächlich an „Paddington“, wenngleich der Abenteuerpart in „Ein Junge namens Weihnacht“ wesentlich größer und aufregender ausfällt. Das ist allerdings auch der Story geschuldet. Spielen die „Paddington“-Filme in einem sehr kleinen, familiären Kosmos, sind schon die geographischen Dimensionen von Gil Keenans Abenteuer größer. Schließlich geht es in „Ein Junge namens Weihnacht“ um einen Jungen und seine sprechende Maus, die sich auf einen beschwerlichen Weg machen, an dessen Ende die Entdeckung des Weihnachtsfests steht. Der Weg durch die schneeverschneite Landschaft, einschließlich einiger aufregender Begegnungen, aber auch einer besonders emotionalen Station gestaltet sich fast schon wie die gestutzte Variation eines Roadmovies. Das Tempo ist hoch und auf der Leinwand passiert in nahezu jeder Szene irgendwas für die Handlung Relevantes. Da Keenan, der gemeinsam mit Ol Parker („Mamma Mia 2: Here we go again“) auch das Drehbuch selbst verfasste, zudem zwischen den Ereignissen in der Gegenwart und Schilderungen vergangener Vorkommnisse spricht, könnte es ganz jungen Zuschauer:innen ein wenig schwerfallen, der Story im Detail zu folgen.

„Da Regisseur Gil Keenan zwischen den Ereignissen in der Gegenwart und Schilderungen vergangener Vorkommnisse spricht, könnte es ganz jungen Zuschauer:innen ein wenig schwerfallen, der Story im Detail zu folgen.“

Dieser Umstand gestaltet sich allerdings nicht allzu dramatisch. „Ein Junge namens Weihnacht“ besitzt neben einer insgesamt leicht zu folgenden Motivation der Hauptfigur (ein aus ärmlichen Verhältnissen stammender Junge möchte wieder Fröhlichkeit und Warmherzigkeit in sein Dorf bringen und im besten Falle auch noch die dafür vom König winkende Belohnung einsacken) auch genügend Oberflächenreize, um für staunende Kinder- und Familienaugen zu sorgen. Die unendlichen Weiten der schneebedeckten Landschaften (Kameramann: Zac Nicholson, „David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück“) dürften vor allem erwachsene Filmgourmets verzaubern, für die Kleinen hat „Ein Junge namens Weihnacht“ diverse temporeiche Actionszenen und vierbeinige Sidekicks zu bieten. Während es den Kreativen tatsächlich gelungen ist, ein sich glaubhaft in der Realfilmszenerie bewegendes Rentier zu animieren (wir erinnern uns beispielsweise an „Ring 2“ oder „A Cure for Wellness“ die gezeigt haben: Bei hirschähnlichen Tieren scheinen CGI-Animatoren noch ordentlich Schwierigkeiten zu haben), zieht vor allem die sprechende Maus Miika sämtliche Sympathien auf ihre Seite – und sorgt dafür, dass allzu aufregende Szenen schnell wieder abkühlen; etwa durch einen kecken Spruch des niedlichen Vierbeiners, der im Original von Stephen Merchant und im Deutschen von Comedian Sascha Grammel gesprochen wird.

Nikolas (Henry Lawfull) staunt über den magischen Ort Wichtelgrund, den Väterchen Topo (Toby Jones) und Kleine Nusch (Indica Watson) ihm zeigen.

Allzu große Schwachpunkte lassen sich „Ein Junge namens Weihnacht“ nicht zusprechen. Ein wenig irritierend wirkt allerdings die Auswahl der Schwerpunkte, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Tonalität des Films haben. Während er Abenteuerpart die längste Zeit in Anspruch nimmt, stellt sich das für Weihnachtsfilme typische Gefühl der Warmherzigkeit erst mit der Ankunft in dem Dorf Wichtelgrund ein. Und selbst hier dauert es eine ganze Weile, in der Gil Keenan vom Abenteuermodus in den „Wir bekommen angesichts der Magie leuchtende Augen“-Modus schaltet. Zusätzlich ins Ruckeln kommt „Ein Junge namens Weihnacht“ aufgrund einer Bösewichtfigur, gespielt von „Paddington“- und „Shape of Water“-Gesicht Sally Hawkins, die es für die Geschichte so eigentlich gar nicht gebraucht hätte und den Film, der ansonsten eher von Übertreibung und recht comichaften Nebenfiguren lebt, in eine überraschend düstere Richtung zieht. So ganz kann Gil Keenan seine Ursprünge wohl einfach nicht ablegen. Dafür überzeugt Sally Hawkins in ihrer Rolle genauso wie alle anderen Darstellerinnen und Darsteller. Angeführt von dem selbstbewussten Newcomer Henry Lawfull („Ein Junge namens Weihnacht“ ist sein erster Kinofilm) und abgeschlossen von Kristen Wiig („Ghostbusters – Answer the Call“), die als Nikolas‘ karikatureske böse Tante richtig aufdrehen darf – und den guten Kern ihrer Figur lange, lange versteckt hält, bis sie diesen im Finale mit einer winzigen mimischen Regung doch noch offenbart.

„Während er Abenteuerpart die längste Zeit in Anspruch nimmt, stellt sich das für Weihnachtsfilme typische Gefühl der Warmherzigkeit erst mit der Ankunft in dem Dorf Wichtelgrund ein. Und selbst hier dauert es eine ganze Weile, in der Gil Keenan vom Abenteuermodus in den ‚Wir bekommen angesichts der Magie leuchtende Augen‘-Modus schaltet.“

Das genaue Budget von „Ein Junge namens Weihnacht“ ist zum jetzigen Zeitpunkt (noch) nicht bekannt. Trotzdem ist – auch aufgrund der Kooperation mit dem Streamingdienst Netflix – davon auszugehen, dass die Produktion nicht wenig Geld verschlungen haben dürfte. Vor allem das makellose Setdesign von Wichtelgrund und die zeitweise arg opulente Bildsprache offenbaren den Film als wahrlich großgedachtes Kino, mit dem selbst die bereits vielzitierten „Paddington“-Filme nicht mithalten können. Doch egal wie viele Millionen das Studio tatsächlich in die Hand genommen hat, so bleibt doch am Ende festzuhalten: Weihnachtsstimmung kann man nicht kaufen. Für die sorgt der Film letztlich ganz allein.

Fazit: „Ein Junge namens Weihnacht“ ist insgesamt mehr winterliches Abenteuer als klassischer Weihnachtsfilm, besticht neben seiner sehr hochwertigen Inszenierung und den namhaften Darsteller:innen aber vor allem damit, dass er letztlich eben doch ebenjenes wohliges Gefühl erzeugt, das man sich von einem Weihnachtsmärchen erhofft. Auch wenn Regisseur Gil Keenan seine Genrewurzeln nie ganz ablegen kann.

„Ein Junge namens Weihnacht“ ist ab dem 18. November 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

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