Ambulance

Es ist vielleicht der beste Michael-Bay-Film seit Jahren und definitiv eines der Actionhighlights des Jahres! AMBULANCE, die US-Adaption eines dänischen Kammerspielts, zeigt einen Bombast-Regisseur, der (fast) alles beiseite wirft, was man ihm in den letzten Jahren (häufig zu Recht) vorgeworfen hat und zeigt: Auch aus festgefahrenen Methoden lässt es sich ausbrechen. Mehr dazu erfahrt ihr in unserer Kritik.

OT: Ambulance (USA 2022)

Der Plot

Es soll eigentlich nur ein schneller, sauberer Banküberfall werden – doch er entwickelt sich zu einer explosiven Hetzjagd durch die Straßen von L.A., die das Leben von drei Menschen für immer verändern wird. Um die Behandlung seiner schwer erkrankten Frau zahlen zu können, wendet sich Will Sharp (Yahya Abdul-Mateen II) an die eine Person, die er normalerweise niemals um Hilfe bitten würde, seinen Adoptivbruder Danny (Jake Gyllenhaal). Aber statt ihm auszuhelfen, lockt ihn der charismatische Profidieb mit  der Chance seines Lebens: ein Bankraub mit einer 32-Millionen-Dollar-Beute. Ein hoher Einsatz und ein noch höheres Risiko, doch um seine Frau zu retten, lässt sich Will auf den riskanten Überfall ein.  Bis zum letzten Moment scheint tatsächlich alles zu gelingen, doch kurz bevor sie unbehelligt verschwinden können, läuft der perfekte Plan spektakulär aus dem Ruder. Um doch noch entkommen zu können, kapern die beiden Brüder einen Krankenwagen mit einem angeschossenen Cop und der routinierten Rettungssanitäterin Cam Thompson (Eiza González) an Bord. Gejagt von allen Einsatzkommandos, Hubschraubern und jedem Polizisten der Stadt beginnt eine halsbrecherische Vollgas-Flucht durch die Straßen von Los Angeles.

Kritik

Kaum eine filmschaffende Person erlebt die Schere zwischen Publikums- und Pressewahrnehmung so intensiv am eigenen Leib wie Regisseur Michael Bay. Ein Gros seiner Produktionen sind seit den Neunzigern immens erfolgreich. Ein ebenso großes Gros an Kritiker:innen straft ihn dennoch für all das ab, was er sich in den letzten Jahren als Handschrift erarbeitet hat. Zugegebenermaßen ist diese Skepsis nicht vollends aus der Luft gegriffen. Zu seinen erfolgreichsten Arbeiten gehört immerhin das „Transformers“-Franchise. Und dessen erste drei Teile sind handwerklich die mit Abstand schwächsten Beiträge in Bays Schaffen; Womit wir wieder bei der Schere zwischen Qualität und (Publikums-)Quantität wären. Von „Transformers“ abgesehen, gibt es diverse Motive, die Bay immer wieder auffährt und für die er sich schon oft negative Reaktionen einholen musste. Sein übertrieben zur Schau gestellter USA-Patriotismus etwa (gleichwohl fördern zahlreiche journalistische Berichte über den Filmemacher zutage, dass er wesentlich liberaler ist, als es seine Filme oft vermuten lassen). Oder auch die Bildsprache: Durchzogen von hektischen Schnitten, viel zu nah am Geschehen befindlichen, hektischen und verwackelten Kamerafahrten, die überhaupt keinen Überblick über das Spektakel ermöglichen. Und nicht zuletzt seine Objektifizierung von Frauenfiguren.

Die beiden Adoptivbrüder Danny (Jake Gyllenhaal) und Will Sharp (Yahya Abdul-Mateen II) kapern einen Krankenwagen.

Ja, all das hat Michael Bay getan, dafür Rüffel eingesteckt – und sich seines Standings nach 2011 (da erschien „Transformers 3“) bewusst gemacht sowie sich passioniert jener Kritikpunkte angenommen (etwa die geiernde Visualisierung seiner weiblichen Charaktere), die nicht bloß eine Frage des (guten) Geschmacks darstellten, sondern tatsächlich fragwürdig waren. Zunächst erfolgte mit „Pain & Gain“ eine satirische Abrechnung mit dem amerikanischen Traum. Dann mit „Transformers 4“ und „Transformers 5“ eine augenzwinkernde Überhöhung seines zur Schau gestellten Bombasts sowie seiner bisweilen hanebüchenen Plots – mit „6 Underground“ als ultimative, nach Musicalgrundsätzen inszenierte Spitze seiner „Ich weiß, wer und was ich bin – und nun bekommt ihr all das hoch 1000 in die Fresse!“-Attitüde. „Ambulance“, sein Remake des dänischen 2005er Originals „Ambulancen“, kombiniert nun all das, was Bay in den vergangenen Jahren noch einmal über sich und seine Skills gelernt zu haben scheint. Der USA-Patriotismus schrumpft nicht bloß auf ein Minimum; Hier wird er konsequent unterwandert (mit einer tragisch auf Halbmast geflaggten US-Fahne – natürlich im Sonnenuntergang, wir sind ja immer noch in einem Bay-Film! – als plakatives Sinnbild dafür. Es geht eben auch ganz ohne Satire! Darüber hinaus gibt es in „Ambulance“ einen handlungstechnisch nicht relevanten Schwulenkuss zu sehen, die wahre Heldin des Films ist eine toughe, zwar attraktive aber ohne jedwede Sexyness inszenierte Frau und es ist schon der Natur der Sache geschuldet, dass unter Zuhilfenahme von massig Drohnenshots wesentlich ruhigere und übersichtlichere Bilder zustande kommen als zu seinen schwächsten Zeiten.

Alles über Michael Bay, seinen Werdegang, seine Hochs und Tiefs sowie seine Wahrnehmung in der Presse bekommt ihr in dieser Ausgabe des FILMGEDACHT-Podcasts auf die Ohren: MICHAEL! BAY!! AWESOME!!!“

Trotzdem ist „Ambulance“ durch und durch ein Michael-Bay-Film. Und vielleicht sogar sein bester seit vielen Jahren, denn als hochklassig inszeniertes Actionbrett liefert der Master of Desaster auf einem Niveau ab, bei dem man sich fragt, weshalb der gebürtige Kalifornier derartiges Können nicht schon längst früher ausgepackt hat. Respektive es einfach über Bord warf, als er nach „Bad Boys II“ plötzlich damit anfing, schnelllebigen, hässlichen CGI-Krawall zu inszenieren. Zum einen sind die ausgedehnten, durch die Straßen von Los Angeles wirbelnden (und trotzdem zu jedem Zeitpunkt ruhig stehenden) Drohnenkameraflüge das große Highlight des Films. Vermutlich wäre „Ambulance“ sogar eine ganze Ecke kürzer, würden sich Bay und sein Kameramann Roberto De Angelis (arbeitete schon an Edgar Wrights rauschhaftem „Baby Driver“ mit) nicht derart mit Wonne an ihrem neuen Spielzeug erfreuen, sodass manch eine Kamerafahrt einfach nur dem Zweck zu dienen scheint, genau dies zu demonstrieren. Umso mehr wundert der ein oder andere harte Szenenübergang, für den der gleitende Drohnenflug abrupt abbricht. Im Inneren des titelgebenden Krankenwagens geht es dafür betont intim zur Sache, wenngleich die Kreativen den beschränkten Raum vollends ausnutzen. Dies ist auch eine Hommage an das Kammerspiel-Original, das ausschließlich innerhalb der Ambulanz spielte und keinerlei Actiongewitter bot; Da hat jemand die kreative Freiheit einer Neuauflage perfekt ausgenutzt! So ganz ohne wackelige Handkameraaufnahmen kommt „Ambulance“ dann aber doch nicht aus. Doch bekanntermaßen macht die Dosis das Gift. Hier steht eine Vergiftung kaum zu befürchten…

Der wohl noch am ehesten einer Heldenfigur entsprechende Charakter in „Ambulance“: Sanitäterin Cam Thompson (Eiza González).

Doch es ist nicht nur die erneut auf Hochglanz getrimmte Werbefilm-Musikvideo-Ästhetik, die „Ambulance“ insbesondere für Fans des Genres zu einem absoluten Highlight machen dürfte. Michael Bay kommt hier fast vollständig ohne sein altbewährtes Effektgewitter aus. Lediglich in einer einzigen Szene, die aber auch kaum mit gängigen Handwerksmitteln zu inszenieren gewesen wäre, spürt man die rendernden Computer im Hintergrund. Und ansonsten? Da sprengt Bay mit Wonne echte Autos in die Luft! Und diese Rückbesinnung auf das alte Actionhandwerk hat zur Folge, dass die Bilder in „Ambulance“ zwar – vor allem aufgrund der Kameraführung – spektakulär anzusehen sind, aber die schiere Masse an Spektakel gar nicht so gewichtig ausfällt. Es ist einfach verdammt angenehm, dass hier kein pompöser Weltuntergang bevorsteht, sondern es letztlich „nur“ eine ausufernde Verfolgungsjagd ist, der wir in zügig voranschreitenden, da keinerlei Atempause zulassenden 136 Minuten beiwohnen. Außerdem wäre der sich seiner selbst bewusste Bay nicht der seiner selbst bewusste Bay, würde er nicht das ein oder andere Actionfilmklischee konsequent unterwandern oder auf die Spitze treiben. So fahren seine Figuren nicht nur einmal durch den obligatorischen Obststand am Wegesrand, sondern zweimal – und durch im Weg liegende Kleiderberge, Blumentransporteure und was sich sonst noch so alles für visuelle Sperenzchen anbietet. Untermalt von einem konsequent dröhnenden Score (Lorne Balfe), dessen Austauschbarkeit wohl den größten Makel an „Ambulance“ darstellt. Ganz im Gegensatz zu der beachtlich brachial dargebotenen Gewalt, für die der Film hierzulande gar eine FSK-Freigabe ab 16 erhielt.

„Es ist einfach verdammt angenehm, dass hier kein pompöser Weltuntergang bevorsteht, sondern es letztlich ’nur‘ eine ausufernde Verfolgungsjagd ist, der wir in zügig voranschreitenden, da keinerlei Atempause zulassenden 136 Minuten beiwohnen.“

Inmitten des Actionkrawalls steht derweil eine zwar dem Genre zweckdienlich übersichtlich erdachte Story. Doch wenn diese im letzten Drittel plötzlich in emotional-düstere Gefilde abgleitet, nimmt „Ambulance“ eine überraschende Intensität ein. Drehbuchautor Chris Fedek („Chuck“) erlaubt sich bei der Charakterisierung seiner Figuren viele Grautöne. Mehr noch: Seine Geschichte kommt in Gänze ohne eine klassische Heldenfigur aus. Selbst die ohne ihr Willen ins Geschehen involvierte Geisel Cam Thompson hat weder die bemitleidenswerte Opferrolle inne (dafür legt Schauspielerin Eíza Gonzalez sie zu edgy und abgebrüht an) noch kann sie sich mit der Zeit zur Heroin emporheben. Die beiden eigentlichen Hauptcharaktere – einfach weil der erzählerische Fokus auf ihnen liegt – sind die zwei von Jake Gyllenhaal („The Guilty“) und S Yahya Abdul-Mateen II („Candyman“) stark und ambivalent verkörperten Schurken Danny und Will, die aus unterschiedlichen Beweggründen Böses tun und trotzdem keine ausschließlichen Antagonistenfiguren darstellen. Ein moralisches Dilemma, das sich aufgrund seiner klaren Erzähllinie allerdings nicht negativ auf das Kinoerlebnis auswirkt. Der Film gibt seinem Publikum genügen Charaktermerkmale an die Hand, um sich selbst ein Bild darüber zu machen, wer oder was hier gut und was böse ist, ohne dabei falsche Sympathien oder Antipathien zu schüren. Ein fast schon gewagtes Unterfangen für eine Big-Budget-Produktion dieser Größe. Einzig das im Schlussakt ausführlich zelebrierte Herausarbeiten der Tatsache, das Krankentransporteur:innen und Ärzt:innen zu den Alltagsheld:innen unserer Gesellschaft gehören, ist nichts, was Bay der Interpretation überlässt – und das ist ja ohnehin ein Fakt.

Fazit: „Ambulance“ ist so geradlinig erzählt und so wuchtig und berauschend inszeniert, wie gutes Actionkino nur sein kann. Die konsequente Reduktion berühmt-berüchtigter Fehlerquellen, wie man sie aus Michael Bays schwächsten Zeiten gewohnt war, sowie eine für derartige Produktionen erstaunlich explizite Gewalt und ambivalente Figurenzeichnung versprechen ein atemlos-mitreißendes Kinoerlebnis.

„Ambulance“ ist ab dem 24. März 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

3 Kommentare

  • Michael+Füting

    SO müssen Filmkritiken sein: FORM & INHALT brillant beschrieben!

  • Versprechen diese Elemente nur „ein atemlos-mitreißendes Kinoerlebnis“ oder bieten sie es auch? Das Fazit des Textes läßt mich buchstäblich ratlos oder eher unberaten zurück.

  • Christoph Wolf

    Ambulancen war kein Kammerspiel und hatte durchaus Handlungsszenen außerhalb des Fahrzeugs (in der Hütte im Wald zum Beispiel).

Und was sagst Du dazu?