The Fall Guy

Einst selbst als Stuntdouble tätig, erzählt „John Wick“-Regisseur David Leitch mit THE FALL GUY eine Geschichte direkt aus dem Milieu der Leute, die Leib und Leben riskieren, um Hollywoodstars in spektakulären Actionszenen gut aussehen zu lassen. Das Ergebnis ist ein leidenschaftlicher Liebesbrief an das Stunthandwerk, gepaart mit einer angenehm klassischen Liebesgeschichte.

OT: The Fall Guy (USA 2024)

Darum geht’s

Nach einem tragischen Unfall während eines Filmdrehs zieht sich Stuntman Colt Seavers (Ryan Gosling) aus der Öffentlichkeit zurück. Auch die aufkeimende Beziehung zu der charmanten Kamerafrau Jody Moreno endet dadurch abrupt, was sie ihm nie verziehen hat. Das erfährt er, als die ehrgeizige Produzentin Gail (Hannah Waddingham) ihn bekniet, für Jodys erste eigene Regiearbeit  „The Metalstorm“ wieder als Stuntman zu arbeiten. Die ist nicht nur alles andere als begeistert davon, sie ahnt auch nicht, dass Gail eigentlich einen anderen Plan für Colt verfolgt. Dieser soll nämlich den verschwundenen Hollywoodstar Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson) wiederfinden, der sich offenbar mit fiesen Ganoven eingelassen hat. Bei dem Versuch, wieder als Stuntman zu arbeiten, zeitgleich seine ehemalige Beziehung zu kitten und obendrein einige finstere Gestalten zur Strecke zu bringen, gelangt Colt Seavers weit über seine Belastungsgrenzen hinaus…

Kritik

Seit Jahren schon brennt in Hollywood eine Diskussion darüber, ob und wann bei den Academy Awards endlich eine Kategorie für die Stuntleute eingeführt wird. Befürworter argumentieren, dass die Arbeit derjenigen, die Leib und Leben riskieren, um die Hollywoodstars bei spektakulären Actionszenen gut aussehen zu lassen, damit endlich angemessen gewürdigt werden würde. Kritische Stimmen merken dagegen an, dass sich aus der Aussicht darauf, einen Oscar für die beste Stuntarbeit gewinnen zu können, eine Art Wettrüsten ergeben könnte. Noch schneller, noch höher, noch weiter – und damit noch viel risikoreicher. Ein Ende in der Debatte ist also vorerst nicht in Sicht, da beide Seiten gute Argumente für sich aufbringen können. Der Regisseur und ehemalige Stuntman David Leitch („John Wick“) hat mit seinem neuesten Film „The Fall Guy“ aber auf jeden Fall schon mal eine gigantische verfilmte Pro-Liste zur Diskussion beigesteuert. Der selbst jahrelang im Business tätige Filmemacher liefert mit der Leinwandadaption der beliebten Achtzigerjahre-Serie „Ein Colt für alle Fälle“ nicht weniger als einen glühenden Liebesbrief an das Stunt-Handwerk ab, der sein formvollendetes Ende findet, wenn im Abspann Behind-the-Scenes-Material von den Dreharbeiten gezeigt wird, aus dem hervorgeht, dass an „The Fall Guy“ tatsächlich (fast) alles echt ist.

Aus Colt (Ryan Gosling) und Jody (Emily Blunt) hätte ein großes Liebespaar werden können…

„The Fall Guy“ beginnt zwar an einem Filmset, an dem die Hauptfigur Colt Seavers gerade einen weiteren seiner zahlreichen Stunts vorbereitet. Die Aufmerksamkeit gebührt jedoch zunächst primär der Beziehung zwischen dem draufgängerischen Schauspieler-Double und der charmanten (aus der Serie bereits bekannten) Kamerafrau Jody Moreno. Die Chemie zwischen ihnen stimmt von Anfang an. Doch das Skript von Drew Pearce („Fast & Furious: Hobbs & Shaw“) unterbricht die aufkeimende Liebelei der beiden abrupt, als Colt einen schweren Unfall hat und sich daraufhin von seiner Außenwelt (einschließlich Jody) abkapselt. Kaum zurück am Set – diesmal mit Jody auf dem Regiestuhl – bricht sich die Lovestory erneut Bahn, sodass es in „The Fall Guy“ erst einmal ganz schön viel um Zwischenmenschliches geht, bevor sich David Leitch wieder verstärkt der Action widmet. Das tut dem Spaß am Geschehen aber nur bedingt Abbruch. Auch wenn sich manch witzelnd-neckender Dialog zwischen Colt und Jody ein wenig zieht und es auch bestimmt nicht jeden (zunächst vor allem scheiternden) Versuch der Klärung gebraucht hätte, liegen Emily Blunt („Oppenheimer“) und Ryan Gosling („Barbie“) ganz vortrefflich auf einer Wellenlänge. Es macht großen Spaß, den beiden bei ihrem Kriegen-sie-sich-oder-kriegen-sie-sich-nicht-Geplänkel zuzuschauen. Erst recht, weil Pearce die Karten absolut gerecht verteilt. Nie ist irgendjemand dem anderen über- oder unterlegen. Stattdessen feuern sich die beiden auf Augenhöhe Seitenhiebe und versteckte Liebesbekundungen um die Ohren, sodass jede und jeder von ihnen mal lachen und mal weinen darf.

„Auch wenn sich manch witzelnd-neckender Dialog zwischen Colt und Jody ein wenig zieht und es auch bestimmt nicht jeden (zunächst vor allem scheiternden) Versuch der Klärung gebraucht hätte, liegen Emily Blunt und Ryan Gosling ganz vortrefflich auf einer Wellenlänge.“

Wie eine Verlegenheitslösung wirkt es dagegen, wenn die Macher sich daran erinnern, dass ihr Film ja eigentlich eine Stuntarbeitshommage sein soll. Der Crime-Plot, in dem Colt für seine Produzentin jenen verschwundenen Hollywoodstar ausfindig machen soll, den er eigentlich doubled und dafür in die kriminelle Welt einiger fieser Gestalten vordringt, verläuft in absolut genrekonformen und dadurch nur wenig überraschenden Bahnen. Seine Aufgabe als Bindeglied zwischen der Stuntthematik und der Lovestory erfüllt dieser Storypart dennoch. Darüber hinaus trifft er, sicher zur Freude vieler Fans, den Kern der Vorlage: In „Ein Colt für alle Fälle“ arbeitet Colt Seavers parallel zu seiner Stuntmantätigkeit als Kopfgeldjäger und bekommt es auch hier mit jeder Menge Ganoven und Kriminellen zu tun.

Hollywoodstar Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson) soll für Judy eine Actionszene drehen – aber nur vor dem Bluescreen.

Genau wie das Vorbild nutzt auch David Leitch die Krimihandlung, um die am Filmset noch penibel genau kontrollierten Stuntabläufe alsbald in die Realität zu übertragen. Spätestens ab der zweiten Hälfte läuft „The Fall Guy“ von selbst und bläst aus allen Rohren zu größtmöglicher Vielfalt, um die vielen Facetten der Stuntarbeit abzubilden. Da wird nicht nur so ziemlich alles in die Luft gejagt, was auf Knopfdrück gewaltig explodieren kann. Auch ein brillant trainierter Filmhund kommt zum Einsatz, ein Hubschrauber darf ebenfalls nicht fehlen und dann wären da ja noch die vielen verschiedenen Möglichkeiten, mit denen die menschlichen Stuntleute Kopf und Kragen für aufsehenerregende Action riskieren können. Anzünden, von fahrenden Autos springen, an einem Helikopter hängen, im Nahkampf mit verschiedenen Waffen rumhantieren: „The Fall Guy“ ist so etwas wie ein Best-Of der Stuntarbeit, das das Making-Of dazu gleich mitliefert. Mit einer kleinen Prise Meta-Humor gewürzt, bringt Leitch seinem Publikum nicht nur den riesigen Aufwand hinter den Stuntchoreographien näher, sondern auch jenen einer Big-Budget-Filmproduktion selbst. Vor allem in den selbstreferenziellen Momenten ist „The Fall Guy“ besonders sympathisch. Lässt sich Leitch hier doch völlig uneitel in die offenen Karten blicken. Dass es sich hierbei um sein absolutes Herzensprojekt handelt, merkt man in jeder Szene.

„Mit einer kleinen Prise Meta-Humor gewürzt, bringt Leitch seinem Publikum nicht nur den riesigen Aufwand hinter den Stuntchoreographien näher, sondern auch jenen einer Big-Budget-Filmproduktion selbst.“

Dass David Leitch für die Action- und Kampfscharmützel je nach im Mittelpunkt stehenden Gimmick andere visuelle Schwerpunkte setzt, macht „The Fall Guy“ auch inszenatorisch zu einem spannenden Film. Heben sich die einzelnen Setpieces zunächst noch klar voneinander ab, läuft gen Ende alles auf ein riesiges Stunt-Wimmelbild hinaus, das man auf jeden Fall mehrmals sehen muss, um auch wirklich jedes Detail zu entdecken. Hier laufen schließlich auch sämtliche Erzählstränge zusammen, die einen mit der Liebe zwischen Colt und Jody und der Ergreifung der Fieslinge gleichermaßen mitfiebern lassen. Und dazwischen stehlen sowohl Aaron Taylor-Johnson („Bullet Train“) als auch Hannah Waddingham („Ted Lasso“) ihren Kolleginnen und Kollegen immer wieder mit ihrer ansteckend leidenschaftlichen, gleichwohl zwielichtigen Art die Show.

Fazit: „The Fall Guy“ ist vor allem eine leidenschaftliche, actionreiche Hommage an das Stunthandwerk, dem man anmerkt, dass Regisseur David Leitch genau weiß, wovon er erzählen und was er ehren will. Die Liebesgeschichte zwischen dem hemdsärmeligen Stuntman und der charismatisch-selbstbewussten Regisseurin sorgt obendrein für viel Charme und Witz. Lediglich der Crime-Plot kommt nicht über Durchschnitt hinaus.

„The Fall Guy“ ist ab dem 30. April 2024 in den deutschen Kinos zu sehen.

2 Kommentare

  • Hi Antje, ist es wirklich die Jody aus der Serie? In der Serie erinnere ich mich an Jody Banks, gespielt von Heather Thomas, seine junge Assistentin und Nachwuchs-Stuntfrau, die zusammen mit Colts Cousin Howie Munson, Seavers zur Seite steht. Weiß es auch nicht mehr genau, aber ich glaube, sie war nie Seavers Loveinterest.

    • Antje Wessels

      Hallo Ansgar! Da fiktionale Werke ja die Angewohnheit haben, Namen nicht doppelt zu besetzen (was gemessen an der Realität eigentlich ganz schön unrealistisch ist, wenn man mal darüber nachdenkt 😀 ), bin ich davon ausgegangen, dass es sich bei der Jody in „The Fall Guy“ um eine von der Serien-Jody inspirierte Figur handelt.

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