Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem

Ausgerechnet Seth Rogen hat sich federführend der Aufgabe angenommen, die beliebten Schildkröten-Mutanten erneut auf die Leiwand zu bringen. Der leidenschaftliche Comicfan bewegt sich für TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES: MUTANT MAYHEM zurück zu den Ursprüngen der Popkulturikonen und legt, gemeinsam mit zwei Animationsfilmexperten, einen Film vor, der sich nicht nur an die actionliebenden Hardcore-Fans richtet, sondern auch auf liebevolle Coming-of-Age-Einflüsse setzt.

OT: Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem (USA 2023)

Darum geht’s

Eines Tages entdeckt die mutierte Ratte Splinter (im Original: Jackie Chan) vier Schildkrötenkinder, die aufgrund einer geheimnisvollen Substanz mutiert sind. Er nimmt Leonardo (Nicolas Cantu), Donatello (Micah Abbey), Michelangelo (Shamon Brown Jr.) und Raphael (Brady Noon) bei sich auf und bildet sie, abgeschirmt von der menschlichen Welt, zu heldenhaften Ninjas aus. Doch die vier dringen an die Oberfläche von New York und treffen auf einem ihrer heimlichen Streifzüge auf die Nachwuchsreporterin April O’Neil (Ayo Edibiri), die einer geheimnisvollen Verschwörung auf der Spur ist. Eine spannende Story witternd, begibt sie sich gemeinsam mit den Turtles auf die Suche nach einer Gruppe von mutierten Tierwesen, die große Schurkenpläne für die Welt haben…

Kritik

Im Jahr 1937 begann mit Walt Disney Pictures‘ erstem abendfüllenden Zeichentrickfilm „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ eine neue Ära des Unterhaltungskinos. Ein vollständig von Hand gezeichnetes Abenteuer, basierend auf dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm – das war der breiten Masse (fast) völlig neu. Animationsfilmen wohnte bis zum damaligen Zeitpunkt eher etwas Experimentelles inne, war eine Ausnahmeerscheinung, weshalb „Schneewittchen“ als Startschuss des Zeichentrickfilms im Mainstream angesehen werden kann. 1996 war es dann das damals noch nicht zum Mäusekonzern gehörende Animationsstudio Pixar, das die nächste technische Evolution auf den Weg brachte: „Toy Story“, ein komplett am Computer entstandener Animationsfilm, für den Kurzfilme wie „Die kleine Lampe“, „Tin Toy“ und „Knickknack“ Spalier standen. Weitere Trickstile wie die Stop-Motion-Technologie, die eher im Amateurbereich angesiedelten Brick-Filme oder solche, die mithilfe des sogenannten Rotoskopie-Verfahrens entstehen (hierfür werden Realfilmszenen anschließend von einer animierten, zuvor abgepausten „Schicht“ überlagert) spielen bis heute eine eher untergeordnete Rolle im Popcornkino. Nun möchte man meinen, die tricktechnischen Möglichkeiten seien – zumindest vorerst – ausgeschöpft. Und tatsächlich dominieren ja aktuell die 3D-Animationsfilme das Segment des Trickkinos. Gleichwohl lässt sich in den letzten Jahren ein Trend erkennen, der ebendiesem Segment zu neuen Dimensionen verhilft. Einfach weil fortan nicht mehr klar in Zeichentrickfilm und Animationsfilm unterschieden wird.

Nachwuchsreporterin April O’Neill (im Original: Ayo Edibiri) trifft zufällig auf die Teenage Mutant Ninja Turtles.

2018 etablierten die Regisseure Bob Persichetti, Peter Ramsey und Rodney Rothman sowie ihre Animatoren einen völlig neuen, visuellen Stil, der sich eigentlich „nur“ aus bekannten Versatzstücken zusammensetzte. Ihr „Spider-Man: A New Universe“ unterliegt einer – im besten Sinne – Mischmasch-Stilistik, für die sich zweidimensionale Zeichentrick- und dreidimensionale Animation sowie fotorealistische Hintergründe die Hand reichen. Coronabedingt erst drei Jahre später erschien Phil Lords und Christopher Millers „Die Mitchells gegen die Maschinen“ bei Netflix. Die beiden zeichneten zuvor nicht nur für das „A New Universe“-Skript verantwortlich, sondern legten mit „The LEGO Movie“ auch einen vollständig am Computer entstandenen Animationsfilm im Brick-Stil vor. Für die Mitchells setzten sie auf cartooniges Chaos, allerdings ohne die für den Stil üblichen Minimalismus. Es folgten weitere Stilexperimente: Wasserfarboptik trifft auf CGI-Animation in „Der gestiefelte Kater – Der letzte Wunsch“, „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ reizt das Konzept seines Vorgängers noch weiter und abwechslungsreicher aus. Und nun steigt nach Sony und Universal auch Paramount Pictures in die „Wir legen uns nicht auf einen Animationsstil fest, sondern mixen einfach wild zusammen, worauf wir Bock haben!“-Denkweise ein. Ihr „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“, der nunmehr neunte Film rund um die vier Kult-Echsen (ein Spin-Off mit „Batman“ aus dem Jahr 2019 inklusive), erinnert am ehesten noch an die „Spider-Man“-Visualität. Auf die die Filmemacher Jeff Rowe und Kyler Spears noch einen draufzusetzen scheinen. Kein Wunder: Fungierten die beiden doch schon als Co-Regisseure des „Mitchells“-Films.

„‚Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem‘, der nunmehr neunte Film rund um die vier Kult-Echsen, erinnert am ehesten noch an die ‚Spider-Man‘-Visualität. Auf die die Filmemacher Jeff Rowe und Kyler Spears noch einen draufzusetzen scheinen.“

„Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ kommt einer optischen Fusion all dessen gleich, was in der Geschichte des Animationskinos irgendwann einmal en vogue war. Das Charakterdesign wirkt zu gleichen Teilen dreidimensional und handgezeichnet, den New-York-Panoramen wohnt, vor allem bei Nacht, etwas Fotorealistisches inne. Und darüber hinaus erkennt man in jeder Szene die Comic-Ursprünge von Leonardo, Donatello, Michelangelo und Raphael. Und zwar auch die wirklichen Ursprünge. Zeichnete sich der aller erste „Turtles“-Comic doch noch über seinen düsteren Look, schräge Charaktere und eine gewisse Anarchie aus; ursprünglich mal kreiert als Parodie auf die dato so populären „Daredevil“-, „X-Men“- und „Ronin“-Comics. Seither mussten die Turtles einmal die vollständige popkulturelle Ausschlachtung über sich ergehen lassen; bis hin zu einer auf zwei Filme aufgeteilten Michael-Bayisierung 2014 und 2016. Die Drehbuchautoren Seth Rogen und Evan Goldberg („Bad Neighbors 1 und 2“) sowie Jeff Fowler bewegen sich nun weg von der (vermeintlichen) Blockbuster-Zugänglichkeit des Stoffes und werfen die vier Ninja-Schildkröten in ein dreckig-wüstes New York, dessen Kanalisations-„Charme“ sich über den gesamten Big Apple zu erstrecken scheint. „Mutant Mayhem“ – „Mutiertes Chaos“. Der Titel ist Programm.

Mutanten sind Freunde, keine Feinde.

Das gilt nicht nur für den leider etwas zu lang und überfrachtet geratenen Schlussakt, bei dem Erinnerungen an das Finale aus „The Suicide Squad“ wach werden. Aus dem überdimensionalen Seestern-Kaiju wird hier ein nicht minder riesiger Super-Mutant, der aus allen Tieren besteht, die zum Zeitpunkt seiner Mutation eben gerade anwesend waren. Diese überbordende Kreativität ist regelrecht absurd. Schließlich bewegt sich das Wesen ja auch noch durch eine vollends lebendige Metropole, in der jeder Winkel, jede Hochhausfassade, jede Gasse mit Details vollgestopft sind. „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ ist in erster Linie eines: Viel! Und reicht in seinen wildesten Momenten an die Reizüberflutung des „A New Universe“-Finals heran. Das Tempo ist enorm, die Auswahl der Motive nicht immer auf Übersicht bedacht. Insbesondere die häufig zum Einsatz kommenden Close Ups machen es mitunter schwer, dem Geschehen zu folgen. Gleichwohl fühlt sich das Turtles-Abenteuer optisch ausbalancierter an als die Spidey-Eskapaden. Etwa durch ein einheitlicheres Farbspektrum, in dem die dunkelgrünen Reptilien zeitweise regelrecht mit ihrer Umgebung zu verschmelzen, gar in ihr verschwinden scheinen. Besser ließe sich ihr Dasein als Ninjas kaum darstellen.

„‚Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem‘ ist in erster Linie eines: Viel! Und reicht in seinen wildesten Momenten an die Reizüberflutung des ‚A New Universe‘-Finals heran.“

Unter der Drehbuch-Aufsicht des Duos Rogen-Goldberg dürfte man im Vorfeld kaum erwartet haben, dass in „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ nicht ein gewichtiger Teil der Tonalität auf den Humor entfällt. Und tatsächlich schält sich aus den unterschiedlichen Charakteren der Turtle-Geschwister ein Humor heraus, der sich – mehr noch als die Action – als Herzstück des Films erweist. Ihr permanenter, innerer Kampf zwischen Abenteuerlust, pubertärer Rebellion und der unbedingte Willen, ihren Ziehvaters Splinter nicht zu enttäuschen, machen die vier Protagonisten zu abwechslungsreichen Charakteren, die nicht einfach nur New York und die Welt zu retten versuchen. Das Bemühen, ihre unterschiedlichen Bedürfnisse in Einklang zu bringen, ist mindestens genauso aufregend und hat einen aufrichtigen Coming of Age-Charme. Hierzu passt dann auch automatisch der Meta- und Popkulturhumor, der sich im Umfeld von „Mutant Mayhem“ nicht unangenehm aufgesetzt anfühlt, sondern sich, aus den Charakterzeichnungen der Figuren heraus ergebend, organisch in die Handlung einfügt. Die Situationskomik sowie die Interaktion der Turtles mit sich und ihrer Umwelt sind herrlich schräg und liebevoll anarchisch. Man kann gar nicht anders, als sie liebzuhaben – was für ein Kontrast zu ihren bemüht coolen Pendants der Michael-Bay-Blockbuster. In „Mutant Mayhem“ müssen die vier nicht rappen, um cool zu sein.

Die Teenage Mutant Ninja Turtles sind einfach cool – auch ohne in einem Aufzug rappen zu müssen (Remember Michael Bay).

Apropos Coolness: Die den Turtles an die Seite gestellte Figur der Nachwuchs-Reporterin April O’Neill bildet als Außenseiterin (und Mobbingopfer) an ihrer Schule ein erfrischendes Gegengewicht zu den Turtles in die Story. In ihrer ungläubigen Betrachterposition erdet sie das Geschehen und gibt so auch jenen Teilen des Publikums eine Möglichkeit der Identifikation, für die nicht automatisch die Turtles die nacheiferungswürdigen Helden sind. Entsprechend ist „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ längst nicht nur ein Film für eingefleischte „Turtles“-Fans. Als dritter besonders wichtiger Charakter erweist sich im Laufe der neunzig Minuten der zunächst nur als Randfigur wahrgenommene Turtles-Ziehvater Master Splinter. Ausgerechnet die Entwicklung der mutierten Ratte arbeitet auf einen besonders rührenden Finalmoment hin, der mithilfe einer simplen Geste mehr zum Thema Verständigung, Zusammenhalt und das Ablegen von Vorurteilen zu sagen hat, als so viele Problemdramen mit genau diesem Anliegen im Zentrum. Da wird ein buchstäbliches Handreichen zu einer der ergreifendsten Szenen des Kinosommers und bringt für einen kurzen Moment Stillstand in ein Finale, das bis dato schon so ziemlich jede Gehirnsynapse zum Durchknallen gebracht hat. Es zeigt: Das Wesentliche in „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ ist letztlich nicht das Betonen des Ninja-Daseins der Hauptfiguren. Stattdessen erweist sich das Mutant im Titel als Synonym für das Anderssein und der Film als optimal in der aktuellen Zeit platziert.

Fazit: „Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ ist ein irrer, bisweilen ein wenig überfrachteter Animationsfilmrausch von brillanter Optik, der genauso viel Spaß macht wie er zu Herzen geht.

„Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem“ ist ab dem 3. August 2023 in den deutschen Kinos zu sehen.

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