The Suicide Squad

Ein anarchisches, ganz und gar nicht jugendfreies Splatter- und Gewaltfest, das zwei Stunden lang auf die Konventionen des Mainstream-Blockbusterkinos – mit Verlaub – scheißt: Bislang schien dies unter Major-Studio-Beteiligung unmöglich. Doch James Gunn könnte mit seiner Interpretation von THE SUICIDE SQUAD eine Trendwende einläuten. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Willkommen in der Hölle – auch bekannt als Belle Reve, das Gefängnis mit der höchsten Sterblichkeitsrate in den USA. Hier sitzen die schlimmsten Superschurken ein und würden alles tun, um wieder rauszukommen – selbst der streng geheimen, zwielichtigen Spezialeinheit Task Force X beitreten. Schon bald begibt sich ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Verbrechern auf tödliche Mission, darunter Bloodsport (Idris Elba), Peacemaker (John Cena), Captain Boomerang (Jai Courtney), Ratcatcher II (Daniela Melchior), Savant (Michael Rooker), King Shark (Sylvester Stallone), der Polka-Dot Man (David Dastmalchian) – und natürlich jedermanns Lieblingspsychopathin Harley Quinn (Margot Robbie). Bis an die Zähne bewaffnet fällt (buchstäblich) die Bande auf der abgelegenen, von Feinden nur so wimmelnden Insel Corto Maltese ein. Auf ihrem Weg durch den von militanten Widersachern und Guerillas bevölkerten Dschungel lassen sie kaum einen Stein auf dem anderen. Einzig Colonel Rick Flag (Joel Kinnaman) ist als Stimme der Vernunft mit von der Partie … und Amanda Wallers (Viola Davis) Regierungsspitzel verfolgen jeden Schritt, den das Selbstmordkommando tut. Wie immer gilt: Eine falsche Bewegung bedeutet den sicheren Tod (ganz gleich ob durch einen Gegner, einen Teamkollegen oder Waller selbst). Wer clever ist, würde kein Geld auf dieses Team setzen – nicht auf ein einziges Mitglied.
Kritik
Kaum eine große Filmproduktion kommt heutzutage noch ohne irgendwelche Produktionsprobleme aus. Und das ist ja auch kein Wunder. Filmstudios buttern immer mehr Geld in ihre Projekte, sodass der Druck, ebenjenes wiedereinzuspielen, immer größer wird. Filmemacher:innen mit eigener Handschrift, die ebendiese zu Mainstreamzwecken wieder ablegen oder so weit herunterfahren müssen wie es nur geht, können ein Lied davon singen. Und so passiert es eben schon mal, dass ein Regisseur wie etwa Edgar von „Ant-Man“ abgezogen wird. Die berühmt-berüchtigten „kreativen Differenzen“ seien schuld daran gewesen. Im Falle von „The Suicide Squad“ von Regisseur James Gunn, bis kurz vor dem Projekt noch Teil der Marvel-Family (er inszenierte „Guardians of the Galaxy 1 und 2“), ist die Folge seines filmischen Rückrufs besonders bitter; Stolperte der Disney-Konzern doch über einige jahrealte Tweets besonders bösen Humors, die Gunn zu Zeiten, als er noch primär für seine extrem zynisch-brutalen Stoffe bekannt war, wie etwa für Werke der Produktionsfirma Troma („Tromeo & Julia“) oder für die tabulose Superheldenabrechnung „Super – Shut up, Crime!“). Die Folge: Gunn fiel – zumindest für eine kurze Zeit – in Ungnade der Öffentlichkeit, wurde von der Inszenierung von „Guardians of the Galaxy 3“ abgezogen und kurzerhand von Warner Bros. angeworben. Um nichts Geringeres als eine, nämlich seine Variante von „Suicide Squad“ zu inszenieren. Hiermit konnte sich Gunn nicht nur ohne jedwede Studioauflagen selbst verwirklichen, sondern eigenen Angaben zufolge auch seinen Kummer über die Marvel-Kündigung verarbeiten. Das Ergebnis dieser beiden emotionalen sowie kreativen Ausnahmezustände ist dem Endergebnis mehr als anzumerken.
Streaminggiganten wie etwa Netflix werden zwar häufig damit in Verbindung gebracht, die Faszination für das Medium Kino nach und nach zu schmälern – immerhin kann man durch das Abo-Modell so viele Filme wie nur möglich zu einem bestimmten Monatspreis anschauen, während ein Kinoticket für einen einzigen Besuch häufig dreimal so viel kostet. Doch immerhin lassen die Konzerne den Regisseur:innen ihrer prestigeträchtigen Eigenproduktionen auch weitestgehend freie Hand. So können etwa Filme wie Martin Scorseses „The Irischman“, aber auch Michael Bays „6 Underground“ überhaupt erst zustande kommen. Wüsste man es nicht besser, so käme man nicht umhin, auch James Gunns „The Suicide Squad“ für eine solche Freifahrtsschein-Netflixproduktion zu halten. Denn allein das, was der gebürtig aus Missouri stammende Filmer in der ersten halben Stunde abfeuert, geht derart weit am Blockbuster-Mainstream vorbei, wie man es sich im Jahr 2021 nur vorstellen kann. Damit ist nicht einmal ausschließlich die Gewalt gemeint (allein die Tatsache, dass ein DC-Film in den USA ein R-Rating erhielt, sollte einen aufhorchen lassen; Immerhin bleibt so eine wichtige Superheldenfilmkundschaft automatisch außen vor), auf die wir später noch ausführlich eingehen werden. Nein, das Stichwort lautet: Konsequenz. James Gunn traut sich in den ersten Minuten seines Filmes etwas, was sich viele Filmstudios allein schon deshalb nicht trauen, weil sie ihren potenziell fortsetzungswürdigen Werken die Möglichkeit eines Sequels nicht nehmen wollen. Nun möchten wir zwar die Prognose anstellen, dass auch „The Suicide Squad“ im Falle eines Erfolges fortgeführt wird – und das geben die Figurenkonstellation sowie der Stoff auch her. Und dennoch: Mit den ersten Momenten seines Films gibt Gunn vor, dass in den kommenden zwei Stunden alles mit jeder Figur passieren kann. Und ohne entscheidende Ereignisse des Films vorwegzunehmen: Dieses Versprechen wird er noch häufig einlösen.
„Wüsste man es nicht besser, würde man James Gunns ‚The Suicide Squad‘ locker für eine Freifahrtsschein-Netflixproduktion halten. Denn allein das, was der Filmer in der ersten halben Stunde abfeuert, geht so weit am Blockbuster-Mainstream vorbei, wie man es sich nur vorstellen kann.“
Allein der Blick auf die Charakterzusammensetzung sowie ihrer individuellen (Superhelden-/-Schurken)Fähigkeiten verortet „The Suicide Squad“ von Anfang an in „What the Fuck?“-Sphären. Klar ist man durch Marvel bereits sprechende Bäume und waffenschwingende Waschbären gewohnt, doch ein auf zwei Beinen gehender Hai mit dem stetigen Drang, die Menschen um sich herum aufzufressen, ein mit Mutterkomplex ausgestatteter Irrer, der des Nachts neonfarbene Punkte auskotzen muss, wenn er diese nicht am Tag zuvor genutzt hat, um anderen Menschen damit den Garaus zu machen, oder auch „The Weasel“, eine Art Mischung aus heruntergekommenem Straßenköter, Werwolf für Arme und schmatzendem, nun ja, Wiesel (?), ergänzen die Zusammensetzung einiger der gefährlichsten Comicschurken aus dem DC-Universum. Darunter etwa die nie einer gekünstelten Sympathisierung zum Opfer fallenden Captain Boomerang, Colonel Rick Flag und die kontinuierliche Szenendiebin Harley Quinn, für deren wahnwitzige, dennoch charismatische Verkörperung Margot Robbie („I, Tonya“) im Vergleich zum ersten „Suicide Squad“-Film sowie ihrem Solo-Abenteuer „Birds of Prey“ noch einmal zahlreiche Schippen der Exzentrik drauflegt. Auf ihr Konto gehen auch die visuell und tonal besonders hervorstechenden Momente. Etwa eine ästhetisch berauschende Flucht aus einer Gefangenschaft, in der sie ohnehin von Anfang an sowohl körperlich als auch geistig die Oberhand hatte. Auch das Actiongewitter um sie herum, das nicht sie in den Mittelpunkt stellt, sondern stattdessen die Interaktion der kompletten Suicide Squad, überzeugen inszenatorisch. Gleichzeitig setzt James Gunn bereits in der eingangs erwähnten, ersten halben Stunde auf eine solche Menge an Gewalt und hysterischer Eskalation, dass die Tatsache, dass er auf diesem Niveau bis zum Finale weitermacht, auch kontraproduktiv ist. Kurzum: Es dauert nicht lange und es ereilt einen der ultimative visuelle Overkill, die einen das Geschehen im weiteren Verlauf bisweilen nur noch rauschhaft wahrnehmen lassen.

Vor allem die Szenen mit Harley Quinn (Margot Robbie) stechen positiv aus „The Suicide Squad“ heraus.
Um dabei nicht den Überblick über die zahlreichen audiovisuellen Spielereien zu verlieren, – die einmal mehr recht überdominante und nicht immer zum Geschehen passende Verwendung verschiedener Konservenpop- und Rocksongs einmal ausgenommen – muss man sich gerade in der zweiten Hälfte schon mal bewusst dazu zwingen. Dass man bis hierhin im besten Falle ohnehin längst akzeptiert hat, in was für einer Realität hier agiert wird (und dass man mit dem Motto „Hirn aus!“ sowieso am besten fährt!), kann einem dabei helfen. Nicht allerdings das Problem, dass James Gunn mitunter vollkommen freidreht. Denn so sehr es Spaß bereitet, einfach nur dabei zuzusehen, wie sich der Regisseur und Autor seinen ultimativen Superschurkenspaß vorstellt, so dominiert doch immer der klassische „Höher, schneller, weiter!“-Gedanke. Noch weit vor der Beendigung der 132 Filmminuten haben die Macher:innen die ganze Bandbreite an Wahn(sinns)witz abgedeckt. Ein Gefühl der Redundanz bleibt da nicht aus. Umso naheliegender ist es da, den Schlussakkord von „The Suicide Squad“ noch einmal besonders abgehoben zu inszenieren. Dass da dann plötzlich ein überdimensionaler Riesenseestern zum Widersacher der Suicide Squad wird: nur logisch! Allein die Wahl des Antagonisten ist es auch, durch die sich das Finale des Films von der oftmals recht einheitlichen Finalschlacht ähnlich gelagerter Filme abhebt. Umso besser wäre es da gewesen, hätte Kameramann Henry Baham („Guardians of the Galaxy: Vol. 2“) in den ohnehin wuseligen Actionszenen etwas mehr Übersicht walten lassen. Ein Wackel- und Schnittgewitter ist „The Suicide Squad“ zwar nicht geworden, doch aus ästhetischer Sicht bleibt für eine etwaige Fortsetzung noch viel Luft nach oben, damit man auch in den besonders hektischen Momenten besser erkennt, wer hier eigentlich gerade (und mit welchen Mitteln) gegen wen kämpft.
„Es dauert nicht lange und es ereilt einen der ultimative visuelle Overkill, die einen das Geschehen im weiteren Verlauf bisweilen nur noch rauschhaft wahrnehmen lassen.“
Dafür kostet James Gunn den Freifahrtsschein des Studios vor allem in den besonders gewalttätigen Momenten so richtig aus. Etwa wenn King Shark Menschen in der Mitte durchreißt (oder frisst) oder, ganz banal, die Widersacher endlich mal richtig bluten dürfen, wenn sie gerade von einem Kugelhagel durchlöchert werden. Gunn hat eine diebische Freude daran, in „The Suicide Squad“ das hervorzukehren, was in vielen anderen Superheldenfilmen zu Gunsten einer möglichst breitgefächerten Publikumsansprache verborgen bleibt – und sich dadurch eigentlich viel eher den Vorwurf der Gewaltverherrlichung gefallen lassen müsste als dieser Film hier. Der von seinen Charakteren an den Tag gelegte Zynismus, angeführt von Viola Davis („Fences“) als die wohl abgebrühteste Figur, die das DC-Universum je gesehen hat, unterstreicht ausgerechnet, wie absurd und gaga all das hier ist. Dafür benötigt es gar keine gezielten Meta-Kommentare gen Publikum, sondern einfach nur in regelmäßigen Abständen die Erkenntnis, wie dumm und dämlich all das ist, was in diesem Film vorkommt. Und damit weiß vor allem das Publikum, was es bekommt – in seiner krassesten, buntesten, abgehobensten und irgendwie auch besten Form.
Fazit: Zuckerschock trifft Epilepsieanfall trifft James Gunn, der die Synapsen seines Publikums schon nach einer halben Stunde zum Durchknallen bringt. „The Suicide Squad“ ist schon deshalb ein Triumph, weil es bisher schier unmöglich schien, dass ein solcher Film mithilfe eines großen Studios überhaupt entstehen kann. Auch wenn man dafür in Kauf nehmen muss, dass der Film nach der ersten Hälfte nur noch an einem vorbeirauscht, weil man diesen Wahnsinn so schnell gar nicht verarbeiten kann.
„The Suicide Squad“ ist ab dem 5. August 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.