Contra

Mit fast einem Jahr coronabedingter Verspätung erscheint dieser Tage Sönke Wortmanns neuer Film CONTRA in den deutschen Kinos, die Adaption eines französischen Publikumshits. Wie die Übertragung auf hiesige Gefilde funktioniert, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: Contra (DE 2021)

Der Plot

Das war eine fremdenfeindliche Bemerkung zu viel: Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) droht von seiner Universität zu fliegen, nachdem er die Jura-Studentin Naima Hamid (Nilam Farooq) in einem vollbesetzten Hörsaal beleidigt hat. Als das Video viral geht, gibt Universitätspräsident Alexander Lambrecht (Ernst Stötzner) seinem alten Weggefährten eine letzte Chance: Wenn es dem rhetorisch begnadeten Professor gelingt, die Erstsemestlerin Naima für einen bundesweiten Debattier-Wettbewerb fitzumachen, wären seine Chancen vor dem Disziplinarausschuss damit wesentlich besser. Pohl und Naima sind gleichermaßen entsetzt, doch mit der Zeit sammelt die ungleiche Zweckgemeinschaft erste Erfolge – bis Naima erkennt, dass das Multi-Kulti-Märchen offenbar nur einem Zweck dient: den Ruf der Universität zu retten.

Kritik

Deutsche Adaptionen von internationalen Publikumshits gibt es immer wieder mal. Manche sind sogar richtig erfolgreich. Zum Beispiel Bora Dagtekins Version von „Das perfekte Geheimnis“, das mit Starpower und einer Hochglanzinszenierung die mangelhafte, inhaltliche Qualität auszugleichen versuchte; ohne Erfolg. Jemandem, dem das schon deutlich besser gelungen ist, ist Sönke Wortmann („Frau Müller muss weg“), dessen Ensemblecomedy „Der Vorname“ nach dem französischen Film „Le Prénom“ gleichermaßen den bitterbösen Ton des Originals traf und trotzdem Eigenständigkeit bewahrte. Mit „Contra“ bleibt sich Wortmann nun nicht nur darin treu, einmal mehr französischen Stoff für hiesige Gefilde neu aufzulegen. Er wagt sich zudem erneut an eine mit schnellen Dialogen gespickte Geschichte, die gezielt mit politischer Inkorrektheit spielt, um sie aufzubrechen und zu entlarven. Das Original aus dem Jahr 2017 hört auf den Titel „Die brillante Mademoiselle Neïla“ und war in seinem Produktionsland ein riesiger Erfolg, während es hierzulande – trotz (oder gerade wegen) der damaligen Schwämme an französischen Wohlfühlcomedys“ – nicht einmal für 100.000 verkaufte Tickets reichte. Für einen Großteil des Publikums dürfte der Stoff somit neu sein. Und so viel lässt sich schon einmal zusammenfassen: Mit „Contra“ bekommen die Zuschauerinnen und Zuschauer eine dem Original in vielen Momenten ebenbürtige Neuinterpretation präsentiert, wenngleich sich das Original hie und da bissiger anfühlt.

Studentin Naima (Nilam Farooq) und ihr verhasster Prof (Christoph Maria Herbst) müssen sich notgedrungen zusammenraufen.

Mit Ausnahme einiger Drehbuchänderungen im Schlussdrittel ist die Besetzung respektive die Auslegung der beiden Hauptrollen wohl der größte Unterschied zum Original. Nilam Farooq („Rate your Date“) legt die Rolle der Jura-Studentin Naima deutlich selbstbewusster an als Camélia Jordana ihre titelgebende Neïla. Beide Interpretationen der von ihrem Professor vor versammelter Student:innenschaft untergebutterten Jura-Anwärterinnen sind redegewandt und selbstbewusst. Naima wird dem deutschen Filmtitel „Contra“ allerdings ein wenig gerechter, denn auch ohne die rhetorischen Fähigkeiten ihres Profs, die diese sich im Detail erst im Laufe des Films aneignet, gibt diese von Anfang an ordentlich contra, was Farooq mit harter Mimik und extrovertierter Körpersprache unterstreicht. Camélia Jordanas Performance erschien in sich ein wenig sanfter, mit dem Schwerpunkt auf die Sachlichkeit ihrer Argumente und weniger auf ihr Auftreten nach außen. Ihren Gegenpart zu verkörperte in „Die brillante Mademoiselle Neïla“ die französische Schauspiellegende Daniel Auteuil, der anders als sein deutsches Pendant Christoph Maria Herbst („Highway to Hellas“) nicht sofort mit einer prägenden (und vor allem wiederkehrenden) Rolle in Verbindung gebracht wird. Herbst wurde nach seiner Paraderolle des Büro-Ekels Bernd Stromberg immer wieder für ähnlich angelegte Figuren gecastet, was sich ein Stückweit auch auf „Contra“ auswirkt. Aber auch das von Doron Wisotzky („Schlussmacher“) verfasste Skript rückt den Eindruck von Richard Pohl als hinterwäldlerisches und rassistisches Arschloch früh gerade (auch durch eine entscheidende Änderung seines privaten Hintergrunds) und macht im Detail deutlich: Eine abgrundtiefe Böswilligkeit wohnt den Aussagen des Professors nicht inne. Die jedoch sehr wohl vorhandene Unausstehlichkeit zu Beginn des Films macht ihn dennoch zu einem Charakter, mit dem man nicht zwingend Zeit verbringen will.

„Mit Ausnahme einiger Drehbuchänderungen im Schlussdrittel ist die Besetzung respektive die Auslegung der beiden Hauptrollen wohl der größte Unterschied zum Original.“

Daniel Auteuil dagegen ging die Vermutung, in ihm würde vielleicht doch noch so etwas wie ein weicher Kern stecken, wesentlich länger ab als im Falle von Herbst. Das machte die emotionale Fallhöhe in „Die brillante Mademoiselle Neïla“ größer und die Art, den Inhalt der Dialoge bisweilen noch schärfer. „Contra“ setzt darauf, zwei charakterlich deutlich mehr auf Augenhöhe befindlichen Figuren in lautstarke, offensive Duelle zu schicken – und zieht genau hieraus seinen Charme und seinen Humor. Vor allem die in Nilam Farooqs Spiel immer wieder durchblitzende Schlitzohrigkeit, ihr Gegenüber mit den eigenen Waffen zu schlagen, sorgt für einige großartige Pointen. Herbst dagegen stolpert als Professor Richard Prohl bisweilen über seine eigene Überheblichkeit, macht jedoch zu jedem Zeitpunkt auch seine Position als Intellektueller deutlich; Selbst, wenn die Umstände ebendies überhaupt nicht erfordern. All diese von den Gegensätzlichkeiten der Figuren ausgehenden Reizpunkte halten das Tempo von „Contra“ hoch. Sönke Wortmann bleibt bei seiner Inszenierung stets voll im Thema und erlaubt sich nur dann erzählerischer Schlenker, wenn es für die Charakterisierung der Figuren wichtig ist. Den Einblick, den er uns derweil in Naimas Leben in einer vornehmlich von Migrantinnen und Migranten bewohnten Hochhaussiedlung vermittelt, besitzt eine authentische Unmittelbarkeit, die nie gezielte Rollenklischees forciert, sondern vor allem abbildet, wie (und vor allem: wie schwer) es als Bewohnerin eines solchen Brennpunkts wirklich ist. Und dass die Aussicht auf ein abgeschlossenes Jurastudium hier nicht automatisch zu Ansehen und Respekt führt.

Nicht jeder gönnt Naima ihr Glück. Ihr bester Freund Mo (Hassan Akkouch) dagegen schon.

Während das Finale dem Wohlfühlgedanken des Originals folgt (und damit auch hier einen für die sonstigen Ecken und Kanten des Skripts ungewohnt bequemen Weg geht), ordnen sich einige Passagen auf dem Weg dorthin forcierter dem Bestreben unter, die durchaus vorhandene Political Incorrectness des Stoffes auszuhebeln. So ist eines der Debattierthemen im Rahmen des Wettbewerbs nicht etwa „Kleider machen Leute“ wie im Original, sondern eine Pro-Contra-Debatte über den Islam; selbstredend, dass Naima den Pro-Part einnimmt. Auf diese Weise dringen bis dato nur angerissene Rassismus-Problematiken noch einmal auf sehr offensive Weise nach außen. Das hat das Original deutlich subtiler hinbekommen. Dafür werden die einzelnen Standpunkte während der Diskussion immerhin angenehm scharfzüngig formuliert – und die Art und Weise, wie Naima versucht, ihre Professionalität zu bewahren und gleichsam mit den Provokationen ihres Gegenübers kämpft, verkörpert Nilam Farooq mit Bravour. Auch ganz ohne hierzulande eine derart präsente Diskussionskultur zu besitzen wie etwa in den USA, wo sich schon Schulkinder regelmäßig Debattierwettbewerben stellen, begreift man so rasch den Reiz, der von solchen Veranstaltungen ausgeht. Und trotzdem hat man nicht das Gefühl, mit der Darstellung hier extrem weit weg von der deutschen Realität zu sein. Der Stoff von „Die brillante Mademoiselle Neïla“ funktioniert auch auf hiesiger Ebene wirklich gut.

„Während das Finale dem Wohlfühlgedanken des Originals folgt, ordnen sich einige Passagen auf dem Weg dorthin forcierter dem Bestreben nach, die durchaus vorhandene Political Incorrectness des Stoffes auszuhebeln.“

Inszenatorisch hinterlässt Sönke Wortmann seine eigenen Spuren und orientiert sich nur marginal an der Vorlage. Gewiss lässt sich bei den Kulissen nur wenig variieren; Auch „Contra“ spielt zum Großteil in Studiensälen und Bibliotheken, während er die Szenen in Naimas Hochhaussiedlung vor Ort drehte. Dafür packt Wortmann – wie schon zuvor in „Der Vorname“ oder „Frau Müller muss weg“ – eine zeitgemäße Hochglanzinszenierung obendrauf, die „Contra“ so aussehen lässt, wie man es von deutschem Mainstream-Kino aktuell gewöhnt ist. Dies ist längst nicht automatisch als negative Kritik zu verstehen. Vielmehr gewinnt sein sich nicht primär auf visuelle Auffälligkeiten konzentrierender Schauspiel- und Dialogfilm dadurch an Leinwandausmaßen und darf daher auch gern in einem Lichtspielhaus genossen werden.

Fazit: „Contra“ ist eine sehr ordentliche, deutsche Adaption der französischen Streitkomödie „Die brillante Mademoiselle Neïla“, für die Sönke Wortmann die meisten Stärken, im Finale aber auch eine zentrale Schwäche, des Originals übernimmt. Herzstück sind auch hier die beiden Hauptdarsteller:innen. Nilam Farooq und Christoph Maria Herbst bei ihren Debatten zuzuhören, macht großen Spaß, auch wenn’s hintenraus plakativer wird, als es sein müsste.

„Contra“ ist ab dem 28. Oktober 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

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