Das perfekte Geheimnis

Nach Jon Favreaus kreativer Bankrotterklärung „Der König der Löwen“ und Til Schweigers verzweifelter Selbstkopie „Head Full of Honey“ kommt nun Bora Dagtekins mechanisches Streitkomödien-Remake DAS PERFEKTE GEHEIMNIS. Was wir davon halten, das verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Dinnerparty unter Freunden: Das langjährige Ehepaar Rocco (Wotan Wilke Möhring) und Eva (Jessica Schwarz) begrüßt die befreundeten Pärchen Leo (Elyas M’Barek) & Carlotta (Karoline Herfurth) und Simon (Frederick Lau) & Bianca (Jella Haase) bei sich. Außerdem hoffen sie, endlich die Freundin von Pepe (Florian David Fitz) kennenzulernen. Doch Pepe kommt alleine, was zuerst für Entgeisterung unter den Freunden sorgt. Aber im Laufe des Abends kommen noch ganz andere Gefühlsschwankungen auf: Am Esstisch wird beschlossen, dass es für diesen Abend keine digitalen Geheimnisse gibt. Jede SMS, jeder Anruf, jedes empfangene Foto – alles wird mit der gesamten Gruppe geteilt. Es dauert nicht lange, und es fliegen die Fetzen. Aus Freunden werden Feinde, Beziehungen manövrieren sich ins Aus.

Kritik

Der italienische Filmemacher Paolo Genovese hat sich einen ungewöhnlichen Weltrekord gesichert: Innerhalb von nur drei Jahren hat es seine Streitkomödie „Perfetti sconosciuti“ auf 18 (teils angekündigte, teils schon vollendete) Remakes gebracht, wie Guinness World Records festhält. Mehr Neuverfilmungen eines einzelnen Films gab es noch nie. Die Grundidee des Kammerspiels ist aber auch verdammt griffig: Drei Pärchen und einer ihrer Freunde treffen sich zum Abendessen und überlegen sich spontan ein Spiel. Für den Rest des Abends werden sämtliche Anrufe, Textnachrichten und Bilder, die auf’s Handy eingehen, mit dem Rest der Gruppe geteilt. Es dauert nicht lang, bis somit Geheimnisse ans Licht kommen, die Beziehungen und Freundschaften auf die Probe stellen. Schon im Dezember 2016, wenige Monate nach Kinostart des italienischen Originals, lief in Griechenland das Remake „Teleioi Xenoi“ an, 2017 reichte unter anderem Spanien seine Version des Stoffes nach. Hierzulande hat man von all dem kaum etwas mitbekommen. Doch ein Film hat sich eben doch in die deutsche Medienwahrnehmung geschlichen: Frankreichs „Perfetti sconosciuti“-Remake „Le Jeu – Nichts zu verbergen“, das in vielen Ländern (darunter auch Deutschland) als Netflix-Exklusivtitel ausgewertet wird.

Noch sind Pepe (Florian David Fitz) und Leo (Elyas M’Barek) beste Freunde…

Jetzt bekommt Deutschland seine ganz eigene „Perfetti sconosciuti“-Fassung. Unter der Regie des „Fack Ju Göhte“-Erfolgsmachers Bora Dagtekin wurde aus den völligen Fremden „Das perfekte Geheimnis“. Und selbst wenn die PR-Maschine zum Film bevorzugt davon spricht, „Das perfekte Geheimnis“ sei bloß vom italienischen Hit inspiriert, so ist es eben doch über weite Strecken ein sehr originalgetreues Remake. Mit ein paar Stärken – und vielen Schwächen.

Die Filmvergnügen bewahrende Macht der Ahnungslosigkeit

Blendet man das italienische Original ebenso aus wie das französische Remake, mit dessen Optik „Das perfekte Geheimnis“ kurioserweise mehr gemeinsam hat als mit Paolo Genoveses Rekordbrecher, weist Dagtekins neueste Regiearbeit einige Unterhaltungspunkte auf. Die Grundidee ist halt ohne jeden Zweifel reizvoll. Es mag sowohl an der Boshaftigkeit von „Gott des Gemetzels“ mangeln sowie an der Süffisanz von „Der Vorname“, trotzdem bedeutet eine hohe Dichte an Verbalattacken und das Zusammenprallen von erwachsenen, aber noch immer ihren Platz im Leben suchenden Charakterköpfen, dass da zwangsweise einige Lacher bei raus springen müssen. Darüber hinaus wohnt der Prämisse eine gewitzte Zweischneidigkeit inne: Smartphones sind in „Perfetti sconosciuti“ und seinen Remakes gleichermaßen die Ermöglichung und der Untergang von Doppelleben. Für alle, die weder mit „Perfetti sconosciuti“ noch mit einem der internationalen Remakes in Berührung gekommen sind, bringt „Das perfekte Geheimnis“ unweigerlich einige gut sitzende Pointen mit. Da Dagtekin im Mittelpart sehr lange sehr eng am Originalskript bleibt, und dieses so manche fiese Pointe aufweist, kann diesbezüglich halt wenig schief gehen. Und da es für sein Starensemble, bestehend aus Karoline Herfurth, Elyas M’Barek, Florian David Fitz, Jella Haase, Frederick Lau, Jessica Schwarz und Wotan Wilke Möhring, eine simple Übung ist, Pointen ungezwungen, aber trotzdem auf den Punkt aus dem Ärmel zu schütteln, wird auch in der Umsetzung der Dialogwitze nicht nennenswert danebengegriffen.

Sönke Wortmann, wo sind Sie?

Dieser Abend wird ein trauriges Ende nehmen – in doppelter Hinsicht!

Kennt man aber die italienische Ursprungsfassung sowie das französische Remake, das in einem ähnlichen Hochglanz-Look gefilmt wurde wie „Das perfekte Geheimnis“ und sich obendrein in einem ähnlich ausgestatteten Großstadtloft abspielt, geraten die Vorzüge dieser Streitkomödie ins Hintertreffen. Denn der überwältigende Löwenanteil der unterhaltenden Aspekte dieses Films sind nicht Bora Dagtekins Verdienst, sondern der Verdienst der Original-Autoren Paolo Genovese, Filippo Bologna, Paolo Costella, Paola Mammini und Rolando Ravello. Egal ob es sich um einen Seitenhieb auf die Smartphonesucht unserer Gesellschaft handelt, ein verbales Kleinod oder einen albern-bissigen Monolog, der eine der Figuren enttarnt: Nahezu immer stammen Set-up und Pointe aus dem Original. Auch mehrere Kameraeinstellungen wirken wie abgekupfert – wenngleich Dagtekin auf einen anderen Schnittrhythmus setzt als das etwas gediegenere Original. Dahingehend werden Erinnerungen an die filmisch dynamischer gehaltene französische Variante wach.

Mit Blick auf „Perfetti sconosciuti“ und „Le jeu“ werden die Schwächen von „Das perfekte Geheimnis“ umso deutlicher. Genoveses diebische Freude daran, seine verlogenen Protagonisten zu enttarnen, verschwindet in der deutschen Variante. Das wäre ja vollkommen in Ordnung, würde an ihrer Stelle eine eigene Note treten. Wie im edel aussehendem, aber in einem tragikomischen Duktus gehaltenen französischen Film von Fred Cavayé. Dagtekins Variante hingegen ist trotz Glossy-Look mechanisch und unbeseelt: Die Kamera fährt ruhig um den ausstaffierten Esstisch in der Prunkwohnung, während sich die Figuren der Reihe nach in die Pfanne hauen, auf die Schippe nehmen oder verbal niedermetzeln. Brav geordnet, egal wie hitzig die Stimmung am Tisch sein mag. Das Bild und die Klangtemperatur? Gelackt, also ohne Kontur, sei sie nun dramatisch, tragikomisch oder zynisch.

Was hat hier eigentlich wer zu verbergen?

Auch darstellerisch herrscht zu viel Vorsicht und Zurückhaltung vor. Anders als etwa Sönke Wortmann, der vergangenes Jahr mit „Der Vorname“ ebenfalls ein Streitkomödien-Remake ins Kino gebracht hat, scheint Dagtekin sein Ensemble an der kurzen Leine zu halten. Wo sich in „Der Vorname“ der Cast seine Rollen zu Eigen macht, agiert das „Das perfekte Geheimnis“-Ensemble weitestgehend rein funktional. Schwarz, M’Barek, Herfurth, Lau und Möhring sagen ihre Texte professionell auf, ihren Stempel können sie dem filmischen Gezanke aber nicht aufdrücken. Auch einen der wenigen feinfühligen Momente in diesem Film, einen liebevollen Vater-Tochter-Dialog, spielt Möhring zwar mit Gefühl, und dennoch trifft er aufgrund der filmischen Umsetzung bloß pflichtgemäß die Markierungen der Vorlage. Möhrings Figur bleibt hier ein Konstrukt, sie erweckt nicht zum Leben. Nur Jella Haase gibt ihrer Rolle durchgängig eine eigene, quirlig-blubbernde Art, die nur sie ihr einverleiben könnte.  Und dann wäre da noch der „Der Vorname“-Veteran Florian David Fitz, der in den ersten beiden Akten auch eher effizient denn lebensecht rüber kommt. Doch im letzten Drittel, wenn sich das aufgewühlte Gespräch unter Vielleicht-nicht-mehr-Freunden vornehmlich um seine Rolle dreht, geht Fitz darstellerisch förmlich auf und gibt die wohl beste Darbietung seines bisherigen Schaffens. Wut, Enttäuschung, Galgenhumor sowie halbwegs verborgenes, jedoch tiefes Verletztsein vermischen sich zu einem schwer zu greifenden, hoch authentischen Emotionschaos: Fitz gibt innerhalb weniger Filmminuten dem bis dahin so mechanisch runter gedrehten und weg erzählten „Das perfekte Geheimnis“ endlich Persönlichkeit.

Schade drum, dass seiner Ausnahmeperformance mit einem läppischen Ausgang der Geschichte heftig widersprochen wird. Denn die einzigen nennenswerten Skript-Neuerungen Dagtekins sind ein dem zentralen Abendessen aufgesetzter Prolog und Epilog. Die erzählerische und tonale Hinleitung zum Original-Ende behält Dagtekin übrigens bei – so wie ein Schüler, der bei seinem Sitznachbarn die Hausaufgaben abschreibt und glaubt, er könnte die Lehrerin hinters Licht führen, wenn er sich eine völlig andere Einleitung sowie ein neues Fazit aus der Nase zieht. Dass Dagtekins zahnloser Schluss, ist man ihm wohlgesonnen, den simplen Weg des geringsten emotionalen Widerstands geht, oder aber, will man ihm Böses, ein verklemmtes, regressives, von Homophobie durchzogenes und staubiges Weltbild offenbart, verärgert da deutlich mehr als die narrativen Brüche zwischen dem raren neuen, und dem massig übernommenen Material.

Nach Zahlen gemalt, nicht neu erfunden

Sicher wird sich nun irgendwer die Haare raufen und aufschreien: „Ja, es ist halt ein Remake, na und?“ Doch diese Person übersieht den springenden Punkt dieser Kritik. Es ist völlig legitim, einen schon existierenden Stoff neu anzupacken. Und Sönke Wortmann hat mit „Der Vorname“ vergangenes Jahr bereits bewiesen, dass es „nur“ zwei Handvoll neuer Ideen, einer Prise kultureller Anpassung und eines losgelösten Ensembles bedarf, um dafür zu sorgen, dass eine Revue an witzigen Streitgesprächen beim zweiten Mal genauso viel Spaß macht wie beim ersten Mal – wenn nicht sogar noch mehr. Dagtekins „Das perfekte Geheimnis“ ist aber nicht mit Wortmanns „Der Vorname“ zu vergleichen, sondern viel mehr mit Til Schweigers unkreativer „Honig im Kopf“-Selbstkopie „Head Full of Honey“, Jon Favreaus künstlerischer Bankrotterklärung „Der König der Löwen“ oder Sven Unterwaldts „Schatz, nimm du sie!“, der Beinahe-1:1-Neuverfilmung der heiter-fiesen Scheidungskomödie „Mama gegen Papa“. Unterwaldt filmte die von einem herrlich gemeinen Geist erfüllte französische Hitkomödie roboterhaft nach und änderte nur ein paar Details – vornehmlich, um den Stoff zu entschärfen. So verhält es sich mit „Das perfekte Geheimnis“. Der Sehgenuss beruht größtenteils auf der Unkenntnis der Vorlage (oder einer ihrer anderen Adaptionen), weil es zu wenig eigene Einfälle gibt. Und die sehr rar gesäten, neuen Ideen sind ebenso forciert wie unausgegoren.

Auch zwischen Bianca (Jella Haase) und Simon (Frederick Lau) liegt Einiges im Argen…

An manchen Stellen ändert Dagtekin sogar das Set-up, behält aber die Originalpointen bei (beispielsweise wird aus einem 20-DM-Wein plötzlich ein dem Originalfilm entsprechender 25-Euro-Wein). Dadurch drängt sich dem wissenden Publikum die Frage auf, wo der Bora Dagtekin hin ist, der früher mit ausgefahrenen Ellenbogen einfach sein eigenes Ding durchgezogen hat, ganz egal, ob es den Leuten passt oder nicht. Denn dieser Bora Dagtekin hier betreibt eher halbkonzentriertes Malen-nach-Zahlen. Gäbe es nicht Florian David Fitz, der diesem Stoff sein mimisches Herzblut schenkt, „Das perfekte Geheimnis“ wäre der ärgerlichste Film des Jahres.

Fazit: Florian David Fitz gibt in „Das perfekte Geheimnis“ eine berührende Performance mit Herzblut. Es ist eine Schande, dass das Drumherum ein unbeseeltes, steifes Remake einer tollen Vorlage ist, der Regisseur und Autor Bora Dagtekin zum Schluss sämtliche Zähne zieht, so dass der Film mit einem lahmen, wenn nicht gar beleidigend-vorgestrigen Ende ausplätschert, das allem widerspricht, wofür die wenigen tollen Szenen des Films stehen.

„Das perfekte Geheimnis“ ist ab dem 31. Oktober 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

3 Kommentare

  • Oh! Also der Trailer sah jetzt garnicht so schlimm aus. Danke jedenfalls für die Warnung. Vielleicht sehe ich mir dann doch lieber das Original auf Netflix an? Wir haben in den letzte Wochen auch dank Dir Deutscstunde, Joker und Parasit gesehen. Du triffst mit Deinen Kritiken sehr gut meinen Geschmack, liebe Antje
    Liebe Grüsse

    Aria

    • Oh, sowas ist immer ein sehr liebes Kompliment. Sehr schöne Filme, die Du Dir da ausgesucht hast. Freut mich sehr! 🙂

  • Der Film ist sehr witzig und das war das Ziel, welches er erreichen sollte. Aber Kritiker mögen solche Filme nicht. Da muss doch irgendwie eine Gesellschaftskritik drin stecken oder zumindest eine Trump Verarsche möglich sein. Worüber soll ich sonst nachdenken, wenn ich aus dem Kino komme?
    Der Film soll unterhalten und das macht er ausgezeichnet. Das gelingt so gut, dass man es schade findet, wenn die Dinnerparty zu Ende geht. Auch das versöhnliche Ende passt, weil es eben zu einer Komödie passt, die nicht den Anspruch hat, ein Drama zu sein.

    Aber wer den extrem langweiligen Film „Joker“ gut findet, der mag solche einfachen Filme eben nicht.

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