Spencer

Pablo Larrain hat bereits mit „Jackie“ eine berühmte Gattin porträtiert, die sich im Zuge eines bestimmten Ereignisses aus dem Schatten ihres Ehemannes schält. In SPENCER widmet er sich der unter tragischen Umständen verstorbenen Prinzessin Diana – und entwickelt einen Fakt und Fiktion miteinander verknüpfenden Albtraum. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Spencer (DE/UK 2021)

Der Plot

Charles (Jack Farthing) und Diana (Kristen Stewart) sind eigentlich schon getrennt. In der königlichen Familie jagt ein Skandal den anderen. Zu Weihnachten finden sich alle auf Einladung der Queen auf Gut Sandringham ein. Es ist das letzte Weihnachtsfest, das Charles und Diana als Paar verbringen werden. Es wird gegessen, getrunken, gespielt und gejagt. Nach elf Gängen und sieben Outfit-Wechseln trifft Diana eine Entscheidung, die alles verändern wird.

Kritik

Als Pablo Larrain 2016 in „Jackie“ die einstige Kennedy-Gattin porträtierte, wendete er dafür nicht die gängigen Muster eines Biopics auf. Anstatt einfach nur Jackie Kennedys wichtigste Lebensstationen aneinanderzureihen, wählte der geborene Chilene seinen ganz eigenen Ansatz – und begleitete Jackie Kennedy die Stunden und Tage nach der tragischen Ermordung ihres Ehegatten sowie in einer Interviewsituation mit einem Journalisten. Schon in „Jackie“ verschmolzen so wahre Ereignisse und fiktionalisierte. Mehrmals im Interview verweist Jackie Kennedy darauf, dass gewisse Dinge, die sie soeben noch gesagt und der Zuschauer verfolgt hat, natürlich nicht abgedruckt werden dürften. Tatsächlich haben diese Informationen die Welt also nie erreicht. Pablo Larrain füllte diese Leerstellen trotzdem nach eigenem Gutdünken und machte nie einen Hehl daraus, dass sein Film eben kein Biopic ist, sondern „nur“ eine lose Nacherzählung wahrer Ereignisse. Genau diesen Ansatz behält er für „Spencer“ bei. Wieder geht es um die (noch) berühmte(re) Ehefrau einer in herrschender Position befindlichen Männerfigur, wieder überstrahlte diese zu Lebzeiten ihren Gatten und wieder geht es um ein einziges Ereignis, in dem Larrain belegte Fakten und freie Weiterspinnerei – stets im Sinne seiner Hauptfigur – vermengt. Welcher dieser beiden Filme der bessere ist, lässt sich nur schwer sagen…

Kristen Stewart verkörpert Lady Diana nicht überlebensgroß, sondern spannt um sie ein intimes Korsett aus Emotionen.

Wie schon bei „Jackie“ wurde auch im Vorfeld von „Spencer“ offen kommuniziert, dass der Film über die im Jahr 1997 bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommene Prinzessin Diana nicht ausschließlich auf nachgewiesenen Ereignissen beruht. Diesmal gehen Larrain und sein Drehbuchautor Steven Knight („No Turning Back“) sogar noch ein wenig weiter und legen den Rahmen des Möglichen, in dem sich die Handlung von „Spencer“ abspielt, größer aus. Im Zentrum des Geschehens steht ein so auch in Wirklichkeit stattgefundenes Weihnachtsfest mit der gesamten englischen Königsfamilie auf Gut Sandringham. Das Letzte seiner Art. Und da die Trennung zwischen Charles und Diana zum damaligen Zeitpunkt – zumindest hinter vorgehaltener Hand – längst besiegelt war, wurde Diana am Hofe allenfalls noch geduldet. Das, was sich tatsächlich an diesen drei Tagen hinter den ehrfurchtgebietenden Mauern abgespielt hat, entspringt zu weiten Teilen Steven Knights Fantasie. Und nicht nur das: Zusätzlich reichert er diese fiktionalisierte Nacherzählung wahrer Ereignisse mit bewusst überhöhten (Horror-)Fantasien seiner Hauptfigur an. Etwa wenn diese sich während des unangenehmen Dinners vorstellt, die übergroßen Perlen ihrer Halskette zu verspeisen, oder sich eine blutige Winde zuzufügen. In solchen Momenten wird „Spencer“ zu einem Psychohorrorfilm. Doch anders als in „Jackie“ nutzt Larrain für diese Ausflüge ins Genrekino nicht (nur) das Paranoia schürende Umfeld seiner Protagonistin, sondern lotet auch ihr finsteres Innerstes selbst aus. „Spencer“ ist dadurch nicht nur inszenatorisch intimer, da er die meiste Zeit über in ein und derselben Kulisse spielt. Er ist auch ohne die zahlreichen Close-Ups auf das zerschundene Gesicht der Prinzessin, wie sie Nathalie Portman in „Jackie“ noch über sich ergehen lassen musste, nochmal näher an seiner Hauptfigur.

„Anders als in ‚Jackie‘ nutzt Larrain für diese Ausflüge ins Genrekino nicht (nur) das Paranoia schürende Umfeld seiner Protagonistin, sondern lotet auch ihr finsteres Innerstes selbst aus.“

Auf eine ähnlich überlebensgroße Darstellung der Diana durch Kristen Stewart („Personal Shopper“), wie Nathalie Portman „ihre“ Jackie Kennedy verkörperte, hat es Pablo Larrain für „Spencer“ nicht abgesehen. Es mag ein wenig plakativ erscheinen, doch die schon zu Lebzeiten als besonders nah- und greifbar für ihr Volk aufgefasste Adelige, die stets der Liebling innerhalb des Königshauses war, positioniert sich direkt innerhalb der Eröffnungsszene als absolut geerdete Persönlichkeit. Auf die einen mag es ein wenig naiv wirken, wenn die „Princess of Wales“ pikiert dreinschaut, als sie in einem Diner am Straßenrand (völlig nachvollziehbar!) von den Menschen angestarrt wird; Sie wollte doch bloß nach dem Weg fragen. Auf der anderen Seite heben Szenen wie solche Dianas Hilflosigkeit im Umgang mit der eigenen Popularität, die sie bekanntermaßen auch das Leben kostete, hervor. Immer wieder bemüht sich Diana um Normalität und tritt dafür schon mal die internen Gesetze ihrer angeheirateten Familie mit Füßen. Obwohl die Vorhänge ihrer Suite stets geschlossen sein sollen, lässt sie sie auf. Mehrmalige Aufforderungen, endlich zu Tisch zu erscheinen, überhört sie. Und vor dem Verlassen des Geländes einem Sicherheitsbeamten Bescheid zu sagen, kommt der verzweifelten Prinzessin einer Entmündigung gleich, weshalb sie auch hierauf verzichtet. Kristen Stewarts Performance verhindert es, derartige Entscheidungen ausschließlich als Trotzreaktion wahrzunehmen. Stattdessen gehen in Stewarts gleichermaßen variantenreicher als auch klar fokussierter Darstellung einer gebrochenen Frau die stille Rebellion und die Verzweiflung ob ihrer Machtlosigkeit Hand in Hand. Eine regelrecht diebische Freude, wenn sie sich dann doch mal über die Gepflogenheiten am Hofe zur Wehr setzen kann, gönnt man ihr da als Zuschauer:in sofort.

Reduziertes Setting, große Bilder: „Spencer“ ist von berauschender Schönheit.

Trotz dieser zermürbenden Ausgangssituation ist „Spencer“, wie schon „Jackie“, kein Opferfilm. Das darf er auch nicht sein, wenn Pablo Larrain beabsichtigt, einen Film über Lady Diana zu inszenieren, der ihre Person nicht in eine passive Position drängt. Diana reagiert nicht bloß, sondern treibt die Ereignisse mit eigenen Entscheidungen aktiv voran. Dass diesem Umstand hin und wieder die Sympathien der Figur zum Opfer fallen, kalkuliert Steven Knight bewusst mit ein. Seine Lady Di ist eben nicht die ausschließliche Sympathieträgerin, als die die Öffentlichkeit sie wahrgenommen hat, sondern eine ganz normale Frau, die in „Spencer“ liebevoll ihre beiden Söhne umsorgt, zurückhaltend und höflich mit Zivilisten umgeht, aber auch ganz normale menschliche Emotionen wie Wut und Trauer an den Tag legt und sich hin und wieder auch wie ein trotziges kleines Kind gebiert. Mit dieser Darstellung könnten die Verantwortlichen all jene Teile des Publikums vor den Kopf stoßen, die sich von „Spencer“ so etwas wie eine Abrechnung mit dem Königshaus, vielleicht sogar eine filmische Lobpreisung Lady Dis erhofften. Doch der hier an den Tag gelegte Umgang mit ihr, der durch die jüngsten Skandale innerhalb des englischen Königshauses (Stichwort: Harry und Meghan) zusätzlich an Brisanz gewinnt, ist vermutlich der einzig aufrichtige. „Spencer“ ist in seiner subjektiven Erzählweise zwar unübersehbar auf der Seite Dianas, doch es fehlt die klare Einteilung in gute und böse Personen. Die von ihren unliebsamen Verwandten ausgehenden Aggressionen sind immer betont persönlich eingefärbt, sodass man als Zuschauer:in selbst abwägen muss: Wie abfällig hat man sich Diana gegenüber tatsächlich benommen und wie viel hat Dianas Empfindung zu diesem Eindruck beigetragen.

„‚Spencer‘ ist in seiner subjektiven Erzählweise zwar unübersehbar auf der Seite Dianas, doch es fehlt die klare Einteilung in gute und böse Personen.“

Dass Kristen Stewart ihre Kolleginnen und Kollegen schon allein deshalb an die Wand spielt, weil sie in so gut wie jeder Szene zu sehen ist, ist die eine Sache. Gleichsam scheinen sich die mitunter sehr namhaften Co-Stars wie Sally Hawkins („Shape of Water“), Timothy Spall („Verleugnung“) und allen voran Jack Farthing („Official Secrets“) betont zurückzuhalten. Keine und keiner von ihnen stellt sich Stewarts Performance in den Weg. So ist es ganz allein ihr Film und ihr Umfeld ist es diesmal, dass reagieren anstatt aktiv agieren darf. Lediglich die Figur der amourös an Diana interessierten Dienerin Maggie darf neben Diana eigene, berührende Akzente setzen. In den Szenen zwischen den beiden Frauen, die anders als sämtliche anderen auch außerhalb des Schlosses spielen und zudem wesentlich zwangloser erscheinen, schafft „Porträt einer jungen Frau in Flammen“-Kamerafrau Claire Mathon eine Intimität, die neben den wenigen Szenen mit Dianas Kindern aus dem unterkühlten Filmkorsett ausbricht und Diana auch abseits negativer Emotionen als ganz normale Frau zeigt. „Spencer“ gibt wirklich jeder Facette seiner Hauptfigur eine Möglichkeit der Entfaltung – und das alles an nur einem einzigen Weihnachtsfest.

Fazit: „Spencer“ ist kein klassisches Biopic über Prinzessin Diana und fasziniert vor allem über seine außergewöhnliche Herangehensweise. Unter Zuhilfenahme atmosphärisch-düsterer Genremotive inszeniert „Jackie“-Regisseur Pablo Larrain das Englische Königshaus als emotional aufgeladenes Minenfeld offen ausgelebter Ablehnung, aus dem Lady Di als einzig menschliche Figur heraussticht. Dies geschieht nicht immer positiv, denn zu einem glaubhaften Porträt gehören auch die negativen Seiten einer Person. Aber es wirkt trotz seiner fiktionalisierten Herangehensweise ehrlicher als ein ganz konventionelles Filmporträt.

„Spencer“ ist ab dem 13. Januar 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

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