No Turning Back

Der noch recht neue Regisseur Steven Knight liefert mit seinem Ein-Mann-Stück NO TURNING BACK ein aus Genresicht nur schwer greifbares Stück Independentkino ab. International gefeiert ist der Streifen, der Tom Hardy knappe eineinhalb Stunden lang beim Autofahren und Telefonieren beobachtet ein sich an keinerlei Sehgewohnheiten orientierendes Meisterwerk mit inszenatorischen Schwächen, aber ebenso großen Stärken in der Grundidee. Lest die Details in meiner Kritik.

Der Plot

Ivan Locke (Tom Hardy), ein hingebungsvoller Ehemann, Vater und hart arbeitender Leiter einer Großbaustelle, steht kurz vor der größten Herausforderung seiner Karriere. Doch dann droht eine einzige, spontan getroffene Entscheidung alles zu zerstören: Ein kleiner, für den sonst pflichtbewussten Ivan völlig untypischer Fehltritt hat ungeahnte Folgen für seinen Job, seine Familie und sein gesamtes Selbstverständnis. Ivan setzt sich ins Auto, beginnt eine Wettfahrt gegen die Zeit und Tempolimits und versucht in einer Serie von Telefongesprächen, das Fundament seines Lebens vor dem Kollaps zu retten.

Kritik

„Locke“ – so lautet der Originaltitel von „No Turning Back“, der zweiten Regiearbeit des „Eastern Promises“-Autors Steven Knight. Die deutsche Unsitte, englische Filmnamen hierzulande in andere, jedoch ebenfalls englischsprachige Titel umzubenennen, ließe sich an diesem Beispiel nicht treffender als eine solche erklären. Das intensiv inszenierte Kammerspiel-Projekt mit Tom Hardy alias Ivan Locke erzählt in jeder Hinsicht von etwas Verschlossenem, einer Blockade (in Englisch. „to lock“). Das verriegelte Auto, in welchem Ivan über den Highway düst sowie die vor sich selbst und seiner Umgebung ausgesperrten Geheimnisse, die in einer einzigen Nacht nach und nach zutage gefördert werden, sind der Dreh- und Angelpunkt dieser minimalistischen Mischung aus Drama und Thriller. Der verheißungsvolle Nachname des Protagonisten ist da bloß die konsequente Zuspitzung der um ihn herum befindlichen Zustände. Zudem ist Ivan selbst, salopp formuliert, die Quelle allen Übels. Wohin ihn die Odyssee führen soll, weiß wohl nicht einmal er so ganz genau; bloß, dass es kein Zurück gibt. Vermutlich war dies auch der Anlass für die deutschen Verantwortlichen, dem Thriller-Drama den wenig verheißungsvollen Namen „No Turning Back“ zu geben. Immerhin kommt auch Tom Hardys Figur selbst nicht drum herum, diese Feststellung inmitten des Streifens einmal laut kundzutun. Einprägsam macht dies den Filmtitel aber noch lange nicht, erinnert „No Turning Back“ doch mehr an eines dieser x-beliebigen Action-B-Movies mit Jean-Claude van Damme oder Sylvester Stallone.

Tom Hardy alias Ivan Locke

Vergleiche mit derlei gelagerter Filmkost täten dem Streifen allerdings Unrecht. Nach „Redemption – Stunde der Vergeltung“ ist „No Turning Back“ der erste Versuch seitens Steven Knight, sich so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal anzueignen. Entgegen des durchschnittlich düsteren Jason-Statham-Actioners „Redemption“ lässt sich sein aktuelles Werk nur schwer einem Tonfall, geschweige denn einem Genre zuordnen. Das Ein-Mann-Stück ist trotz seiner übersichtlichen Laufzeit von nicht einmal 90 Minuten ein quälend-intensiver Road Trip, dessen Thematik packende Drama-Qualitäten besitzt, ob der durchgehend bedrohlichen Atmosphäre jedoch ohne weiteres auch einem „Drive“-ähnlichen Thriller angehören könnte. Diese stete Vermischung unterschiedlicher Genre-Attribute verdichtet sich in „No Turning Back“ zu etwas, was sich der Einfachheit halber wohl am besten als „die Dramen des Alltags“ bezeichnen ließe. Selten kam ein Film in Gänze ohne Effekthascherei aus, ohne dabei an Spannung einzubüßen. Das fasziniert ohne weiteres, spielt jedoch mit Konventionen und Sehgewohnheiten.

Ein Darsteller – eine Kulisse: „No Turning Back“ als Charakterstück zu bezeichnen, ist schon angesichts der gegebenen Umstände tautologisch. Wäre der Hauptdarsteller, von dem der Film nun mal nur einen einzigen besitzt, kein solcher Charakterkopf wie Tom Hardy („The Dark Knight Rises“) einer ist, würde der Streifen in seiner Gesamtheit nicht funktionieren. So muss „No Turning Back“ also zwangsläufig ein Charakterstück sein, um überhaupt zu existieren. Doch obwohl Hardy, der den Film zwar alleine zu tragen vermag, insgesamt aber schon bessere Leistungen ablieferte, allein im Auto sitzt und vor der Kamera als ausschließliche Person auftaucht, interagiert er. Dies geschieht sowohl über seine Telefonanlage, als auch in Form von Gesprächen mit dem vermeintlich auf dem Rücksitz befindlichen, toten Vater. Die ausgeklügelten Dialoge und spitzfindigen Wortwechsel lassen es zu, dass der Charakter eines jeden Anrufers nach und nach deutlicher zum Vorschein tritt. Was Spike Jonze in „Her“ perfektionierte, schafft auch der Drehbuchautor in „No Turning Back“ (ebenfalls Steven Knight) ganz ordentlich. Um den Hauptdarsteller Tom Hardy skizziert Knight ein Konstrukt aus Personen, die entweder gegen oder für ihn agieren. Dabei geraten einige Dialoge extrem intensiv, obwohl man stets nur die Seite Tom Hardys zu sehen bekommt. Eine solch einprägsame Szenerie zu kreieren, ist im Anbetracht der gegebenen Umstände kein leichtes Unterfangen; Steve Knight zeigt, wie es funktioniert.

Platz nehmen darf der Zuschauer direkt neben Tom Hardy auf der Beifahrerseite. Kameramann Haris Zambarloukos, der in Filmen wie „Mamma Mia“ und „Thor“ für opulente, auffällige Bilder zuständig war, holt aus der beschränkten Kulisse des rollenden BMWs viel heraus. Durch die von-Angesicht-zu-Angesicht-Perspektive wird das Publikum rasch vom Zuseher zum Mitfahrer. So werden die Aufnahmen von Hardys Gesicht immer wieder von den Weiten der nächtlichen Straße unterbrochen, die Zambarloukos aus der Ego-Perspektive einfängt. Ebenfalls beachtlich gerät die Inszenierung dessen, dass der Schauspieler das Auto selbst steuern würde. Entgegen der üblichen Art, derartige Szenen zu drehen und das Auto dafür auf einem fahrenden LKW zu deponieren, bleibt im Falle von „No Turning Back“ die Illusion des fahrenden Akteurs aufrechterhalten und die Authentizität der Prämisse gewahrt. Die spärliche Ausleuchtung, die vorzugsweise von den orangefarbenen Straßenlampen und deren Schattenwurf lebt, tut ihr Übriges.

Ivan Locke ist auf der nächtlichen Straße Richtung London unterwegs.

Technisch gesehen funktioniert „No Turning Back“ ebenso gut wie auf der Seite des Darstellers. Auch die Ausgangslage der Geschichte ist gelungen. Doch vom ganz großen Wurf ist Steven Knights zweites, großes Regie-Werk dennoch entfernt. Obgleich dem Publikum der Verbleib des Protagonisten nahe geht, holt Knight aus dem Plot alles in allem zu wenig heraus. Tom Hardy darf 85 Minuten lang Gespräche führen – und eben nicht mehr. Manch einen wird diese minimalistische Ausgangslage dadurch erst recht reizen; zumal es im heutigen Blockbuster-Zeitalter an derart reduzierten Filmproduktionen mangelt. So ist die Idee hinter dem Konzept beachtlich und mutig zugleich. Dennoch besitzt „No Turning Back“ zu wenige Reibungspunkte oder gar Ecken und Kanten, um seiner spannenden Ausgangslage gerecht zu werden. Dabei gerät der eineinhalbstündige Road Trip zwar nicht langweilig, das gewisse Etwas fehlt jedoch. Dieses gewisse Etwas, das nicht greifbar ist, vor dem sich „No Turning Back“ – eigentlich „Locke“ – dabei dennoch verschließt.

„No Turning Back“ ist ab dem 16. Juni in ausgewählten Kinos Deutschlands zu sehen.

Erschienen in der Deadline, Ausgabe 45