J.G.A: Jasmin. Gina. Anna.

Ein Junggesellinnenabschied entgleist – und das ohne Braut in spe! Drei Freundinnen zwingen sich in J.G.A: JASMIN. GINA. ANNA. zu einem großen Partywochenende, um jeglichen Lebensfrust zu vergessen. Wie stark das ist, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Die Dauersingles Jasmin (Luise Heyer), Gina (Taneshia Abt) und Anna (Teres Rizos) planen für ihre Freundin Helena (Julia Hartmann) einen fetten, wilden Junggesellinnenabschied. Doch die „Bride to be“ macht denkbar kurz nach Partybeginn schlapp. In einem unberechenbaren Anflug von Partylaune, Selbstsucht und fehlgeleiteter Wut über all ihre sesshaft und ruhig gewordenen Freundinnen von früher, schmieden die Drei einen ungewöhnlichen Plan: Sie ziehen den bis nach Ibiza führenden JGA-Partytrip kurzerhand ohne Braut durch. Was eine einmalige Sause werden soll, wird für das Trio allerdings zum tragikomischen Ergebnis krampfhafter Verdrängung: Mit Alkohol und gewollt guter Laune soll er hinfort gejagt werden, der Ärger darüber, sich im sozialen Vergleich mit Gleichaltrigen im Hintertreffen zu sehen. Aber wer hat schon Zeit für tiefgreifende Erkenntnisse, wenn einem doch Tim (Dimitrij Schaad), Django (Arnel Taci), Simon (Trystan Pütter) und Stefan (Axel Stein) über den Weg laufen – ein Junggesellenabschiedsquartett mit Bindungen zu Jasmin, Gina und Anna…
Kritik
Vor der Party ist in „JGA: Jasmin. Gina. Anna.“ nicht das aufgelöste Vorglühen. Es ist nicht einmal das aufgekratzte Einsammeln der dysfunktionalen Feierwütigen, wie es in „Hangover“ zu sehen ist. „Die Goldfische“-Macher Alireza Golafshan eröffnet seinen zweiten Langfilm mit einer peinlich berührt ins Leere starrenden Luise Heyer („Der Junge muss an die frische Luft“) an einer Bushaltestelle. Pinke Perücke mit riesiger Pünktchenschleife im Fake-Haar. Quietschig-lilafarbene Glitzerjacke. Rosa Tütü. Ein gigantischer Aufblaspenis neben ihr. Die Scham, allein in voller, schriller Partymontur herumzusitzen steht ihr ins Gesicht geschrieben – und das noch bevor sich ein fremder Typ dazugesellt. Heyer krächzt unangenehm-unsicher als Jasmin eine Frage in Richtung des jungen Manns, der sich bislang eindeutig nur um seinen eigenen Kram gekümmert hat, statt die schräge Montur seiner Haltestelle-Sitznachbarin mit Blicken, geschweige denn mit Worten zu kommentieren. Sie sagt es nicht verbal, doch Jasmins brüchige Stimme verrät es: Sie hat das Gefühl, sie müsste rechtfertigen, dass sie allein auf weiter Flur einen Jungesellinnenabschiedslook zur Schau stellt. Und ihre kummervollen Augen legen nahe, dass Jasmin womöglich denkt, sie müsste ihre an frische Volljährigkeit anmutende, der Party entgegengeifernde Aufmachung mit Mitte 30 vor allem sich selbst gegenüber rechtfertigen.

Gina (Taneshia Abt), Anna (Teresa Rizos) und Jasmin (Louise Heyer) planen den Urlaub ihres Lebens… oder so ähnlich.
Aber so ein tiefschürfendes Gespräch zwängt man doch nicht am noch jungen Abend einem fremden Kerl auf. Stattdessen durchbricht Jasmin das harmlose, von ihr aber schneidend aufgefasste Schweigen mit umso peinlicherem Smalltalk. Alsbald gräbt sie sich eine tiefe Grube der ungelenken Gesprächsführung, indem sie immer dann den niedergelegten Gesprächsfaden erneut aufgreift, wenn ihr Gegenüber sich entspannt dem Podcast auf seinem Handy widmen will. Und schon wird aus dem beidseitig halbherzig geführten Füllgespräch eine fatal-verletzende Kette aus Genuschel und Verhören. Hätte Jasmin doch einfach ihre Klappe gehalten und schweigend gewartet, bis die bestellte, verspätete Partylimousine eintrifft – niemand hätte ihr daraus einen Strick gedreht. Nicht einmal sie selbst, hätte sie sich doch nur durch den ersten Impuls der Scham gebissen… Der Auftakt von „JGA: Jasmin. Gina. Anna.“ mag zunächst den banalen Anschein der Ruhe vor dem Sturm erwecken. Dabei bahnt uns Autor und Regisseur Alireza Golafshan mit ihr den Weg, um an vorderster Front einen Zusammenstoß aus Gute-Laune-Komödie, messerscharf beobachtetem (Teil-)Generationenporträt und pointiert erzähltem Ego-Drama begaffen zu dürfen. Was so aufgezählt sicher ähnlich grell-deplatziert klingt wie eine müde, beschämte Luise Heyer in Quietschoutfit allein an einer Bushaltestelle, ist stattdessen hervorragendes Kinovergnügen, das (im besten Sinne!) viel, viel länger nachhallt als es der grausigste Morgenkater könnte.
„Autor und Regisseur Alireza Golafshan bahnt uns […] den Weg, um an vorderster Front einen Zusammenstoß aus Gute-Laune-Komödie, messerscharf beobachtetem (Teil-)Generationenporträt und pointiert erzähltem Ego-Drama begaffen zu dürfen.“
Schon die Dialoge sind wie aus dem Leben gegriffen – wenigstens jeweils für sich betrachtet. Gemäß der Genregesetze ist die Schlagzahl an Schlagfertigkeiten, Bonmots und amüsanten Verbalentlarvungen selbstredend „larger than life“. Aber es ist allein die Quantität, mit der Golafshan gewitzt überzeichnet. Das ändert also nichts daran, dass die Chaos-Freundinnen und all jene, denen sie begegnen, auf höchst unterhaltsame Weise so reden, wie die Menschenschläge, die sie repräsentieren, auch im wahren Leben labern. Vom ungelenken Smalltalk-Versuch an der Bushaltestelle über zu langsam von den Lippen gehenden Glückwünschen bis hin zum Ralph-Lauren-Poloshirt-Träger, dem ständig Knauserfloskeln aus dem Mund rutschen, während er Bekannten gegenübersteht, die gerade völlig blank sind: „Das ist lustig, weil es wahr ist“, lautet die dominante Devise von „JGA: Jasmin. Gina. Anna.“. Und weil Golafshan sowie sein Cast spürbar innige Liebe für diese makelbehaftete Figurentruppe mitbringen, wechseln sich dabei munteres Mitlachen und im mitfühlenden (oder auch mal sich selbst ertappt fühlenden) Schmerz geborenes Auflachen ab.

Die bunt zusammengewürfelte Männerrunde (Trystan Pütter, Axel Stein, Dimitrij Schaad) ist bereit für die berüchtigte Kalypso-Party.
Taneshia Abt („Nightlife“) etwa gibt Großmaul Gina mit einer wuchtigen, ungefilterten Energie – und macht sie so zu einer glaubwürdigen Wortführerin, die ihren Freundinnen mit großer Passion den Rücken stärkt oder ihnen unter die Arme greift. Selbst dann, wenn sie es nicht wollen. Denn Ginas Kameradschaftsdrang nährt sich teilweise aus einem übergroßen Stolz auf ihr Selbstbild als „Die Eine, die für euch da ist“. Da werden Widerreden nicht gern gesehen. Abt versieht diese peppige, knallige Figur mit Schnellfeuer-Wortwitz, beneidenswertem Rückgrat und einer Grundattitüde, die in sieben von zehn Fällen mitreißt und in den übrigen drei Fällen einen aus dem Leben gerissenen „Ich hab dich lieb, aber jetzt sei mal still!“-Frust nährt, der in Jasmins und manchmal auch in Annas Augen aufblitzt. Teres Rizos‘ („Im Labyrinth des Schweigens“) Anna ist dagegen das stille, goldige Mäuschen der Gruppe: Sie folgt Jasmin und Gina freudig überall hin, ihre Ausstrahlung allein vermag es wiederholt, Harmonie herzustellen… Und sie hat den Kopf völlig in den Wolken. Golafshans Skript und Rizos‘ Schauspiel vermeiden es allerdings gekonnt, Anna einfach als „Die Dumme“ dastehen zu lassen. Ja, sie ist begriffsstutzig, manövriert sich selig lächelnd in Fettnäpfchen und sagt öfters genau das, was sie nicht sagen sollte – aber es schwebt ein Hauch von „Ich habe kurz nicht zugehört und habe daher nicht mitbekommen, dass wir nun in Sprachbildern sprechen“ mit, der Anna echt, statt als Abziehfigur wirken lässt.
„‚Das ist lustig, weil es wahr ist‘, lautet die dominante Devise von ‚JGA: Jasmin. Gina. Anna.'“
Dass Dimitrij Schaads („Asphaltgorillas“) netter, Verantwortung vermeidender, duckmäuserisch-freundlicher Tim andauernd ihren Namen vergisst, sagt dennoch genauso viel über ihn aus wie über Anna, die eigentlich viel zu schrill ist für ein Mauerblümchen, und sich trotzdem von ihren beiden Freundinnen an den Rand drängen lässt. Denn dann ist da ja noch Jasmin, die glatt so wirkt, als wäre dies nicht Golafshans, sondern Helena Hufnagels zweiter Kinospielfilm… Als ginge es hier um Luise Heyers „Einmal bitte alles“-Rolle, die nach einigen guten, ihr Leben ordnenden Jahren Mitte 30 einen katastrophalen Rücksturz erlebt. Sich stets selbst bemitleidend, auf fast schon aggressive Weise konfliktscheu (so sehr, dass sie sich nicht einmal traut, dem schlechtesten Stripper Ibizas vor denkbar unpassender Erotiktanz-Kulisse abzusagen), niedergeschlagen und verbissen feiernd. Aber gerade so menschlich funktional genug, um nicht als Wrack zu gelten. Jasmin ist zu nuanciert gespielt, um als Karikatur kinderloser Single-Millennials durchzugehen – sie ist dagegen ihre facettenreiche, ermüdete, die Schnauze voll habende „Lass mich doch“-Verkörperung. Denn neben den Selbstvorwürfen und der ichbezogenen Unzufriedenheit steht Jasmin ins Gesicht geschrieben, dass der größte Ballast für sie das ist, was ihr (teils nur vermeintlich) erfolgreicheres Umfeld, geschweige denn die Gesellschaft als solche von ihr erwartet.
Golafshan und Heyer machen diese „So, Schnauze, jetzt wird gefeiert, egal, wie wenig mir danach zumute ist und wie viel schief läuft!“-Mittdreißigerin zu einer launigen Identifikationsfigur mit tiefschürfenden Makeln. Zu einer tragikomischen Mitleidsträgerin. Und zu einer sich verschwitzt, verkatert und genervt freikämpfenden Komödienheldin. Bei all diesen Stärken ist es schnell verschmerzt, dass das in „JGA: Jasmin. Gina. Anna.“ gezeigte Ibiza zur Hochsaison in vielen Filmsequenzen verwunderlich leergefegt aussieht. Denn der sicherlich der Pandemie geschuldete Mangel an Statist:innen unterstreicht glatt die Gefühlswelt des Protagonistinnen-Trios: Abgeschottet im Rummel. Bereit, wenn es sonst niemand ist. Angekommen, wenn viele schon weg sind. Eben dieser Gefühlskomplex kann zwischenzeitlich niederschmetternd sowie isolierend sein. Aber er kann genauso befreiend daherkommen, weil die Titelheldinnen den Raum zur Verfügung haben, um sich als die Hauptfiguren zu feiern, die sie fürchten, in ihrem Alltag nicht sein zu dürfen. Nicht nur für eine Partykomödie ist es eine starke Leistung, solch ein Gefühlschaos höchst zufriedenstellend aufzuwirbeln.
„Golafshan und Heyer machen diese ‚So, Schnauze, jetzt wird gefeiert, egal, wie wenig mir danach zumute ist und wie viel schief läuft!‘-Mittdreißigerin zu einer launigen Identifikationsfigur mit tiefschürfenden Makeln.“
Fazit: Ein spitze aufgelegter Cast, urkomische Figuren mit Tiefe, und wie aus dem Leben gegriffene, gewitzte Dialoge in berauschender Schlagzahl – „JGA: Jasmin. Gina. Anna.“ ist der bislang beste (Anti-)Partyfilm des Jahrzehnts.
„J.G.A: Jasmin. Gina. Anna“ ist ab dem 24. März 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.