Einmal bitte alles

Die Gedanken der Millenial-Generation einzufangen, ist bislang Niemandem so wirklich gelungen. Mit ihrer Tragikomödie EINMAL BITTE ALLES zeigt Helena Hufnagel, wie es richtig geht – ganz ohne Hipster-Probleme und Hauptstadt-Abgekulte. Mehr dazu in meiner Kritik.

Der Plot

Die 27-jährige Isi (Luise Heyer) steckt in einer ordentlichen Quarter-Life-Crisis fest. Sie hegt den großen Traum, Illustratorin zu werden, doch mehr als Praktika sind für sie nicht drin. Während sie sich notgedrungen einen Plan B überlegt, muss sie mit ansehen, wie sich ihre Mitbewohnerin Lotte (Jytte-Merle Böhrnsen) das perfekte Leben zurechtlegt. Zunächst bekommt sie den Job ihrer Träume und trifft wenig später auch noch auf den Mann dazu. Da ist für Isi kein Platz mehr. Auch sonst mutiert der Rest ihres Freundeskreises gerade zu veganen Erwachsenen, alle ausgestattet mit idealen Lebensentwürfen. Doch Isi scheint damit nicht mithalten zu können, ihre Träume ein Ablaufdatum zu besitzen und ihre Zeit rückwärts zu laufen. Dabei will sie doch eigentlich nur eines: endlich ihren Platz im Leben finden.

Kritik

Bildet man einen Querschnitt jüngerer deutscher Produktionen über das Leben der sogenannten Millennial-Generation, erhält man den Eindruck, die Young Adults dieses Landes beschäftigt vor allem eine Frage: Wie schaffe ich es, möglichst ätzend zu sein? Gerade in Berlin spielende Coming-of-Age-Filme haben sich zuletzt immer häufiger in Redundanz geübt. Und so langsam haben wir schlicht und ergreifend keine Lust mehr darauf, uns saufende, pöbelnde und gegen alles und jeden aufbegehrende Teens bei einer vermeintlichen Rebellion zu beobachten. Nun wissen wir nicht, ob Helena Hufnagels Film „Einmal bitte alles“ schon allein deshalb weniger aufdringlich daherkommt, weil ihre Geschichte über die tief in der Krise steckende Isi nicht in der Hauptstadt, sondern in München spielt – rüttelt man an der Klischeekiste, dürfte hier ja ohnehin Niemand so richtig fette Probleme haben; und Geldprobleme erst recht nicht. Aber zumindest ist hier weit und breit keine Spur vom typischen Berliner-Hipster-Style zu sehen, der sich zuletzt durch Filme wie „Axolotl Overkill“, „Tiger Girl“ oder „Fucking Berlin“ gezogen hat. Die Hauptfiguren in diesem Film haben, man glaubt es kaum, tatsächliche, sich echt anfühlende und damit ihre Altersklasse glaubhaft abholende Probleme. Und wo Bora Dagtekin mit seinen beiden „Fack ju Göhte“-Filmen – Qualität hin oder her – immerhin ziemlich hervorragend den Zeitgeist der noch jüngeren Heranwachsenden getroffen hat, gelingt Helena Hufnagel dieses Kunststück mit ihrem Film genauso. „Einmal bitte alles“ ist zugleich Klagelied und Hymne auf die „Generation Praktikum“, „Generation Y“ oder wie auch immer man sie nennen möchte. Denn Hufnagel und ihr Ensemble scheinen genau zu wissen, was diese wirklich beschäftigt.

Lotte (Jytte-Merle Böhrnsen) und Isi (Luise Heyer) diskutieren auf dem Dach ihre Zukunftspläne.

Um es direkt einmal klarzustellen: Natürlich gibt es unter den jungen Erwachsenen dieses Landes gewiss auch solche, die tatsächlich jede Nacht durch zwielichtige Clubs touren, die sich lieber durch die Gegend vögeln, anstatt Zukunftspläne zu schmieden, und die sich für einen Weg entschieden haben, auf dem Gewalt wichtiger ist, als so banale Dinge wie Bildung oder eine gute Kinderstube. Doch dass in der Vergangenheit fast ausschließlich diese Minderheit mit (deutschen) Produktionen bedient wurde, ist unfair. Denn die Generation, der auch wir uns anschließen, beschäftigt nun mal in erster Linie ein von Medienberufen dominierter Arbeitsmarkt, die in Großstädten schwierige Wohnungsituation oder die Frage, ob am Ende des Monats noch genug Geld für Lebensmittel da ist. Das klingt viel zu banal, um daraus einen Film zu machen. Doch nicht zuletzt Richard Linklaters „Boyhood“ war schon in der Lage, die Faszination Alltag in sage und schreibe drei Stunden auf die große Leinwand zu bringen. Nun ist „Einmal bitte alles“ mit Sicherheit kein deutsches „Boyhood“ – dafür fehlt ihm allein schon der Aufwand der über ein Jahrzehnt andauernden Dreharbeiten. Doch Helena Hufnagel teilt mit ihrem Kollegen aus Übersee nicht bloß die unbedingte Liebe für ihre Hauptfiguren. Auch sie ist in der Lage, ihre Protagonistin gleichsam an die Hand zu nehmen und sie aus der Ferne zu beobachten; „Einmal bitte alles“ fühlt sich darüber hinaus derart echt an, dass man – um eine weitere Verbindung zu „Boyhood“ herzustellen – mitunter den Eindruck erhält, all die hier geschilderten Probleme und Geschichten seien genau so passiert. Dass alles davon jedoch auf Fiktion basiert, rückt irgendwann vollständig in den Hintergrund und Hufnagels Film erhält einen subtilen dokumentarischen Anstrich.

Bei Geschichten über eine klar definierte Gruppe – in diesem Fall besagte Generation – läuft man schnell Gefahr, in Klischees abzurutschen. Doch Helena Hufnagel, die gemeinsam mit Sina Flammang („You Are Wanted“) und Madeleine Fricke („Der Lack ist ab“) auch das Drehbuch verfasst hat, weiß zwar einerseits, was genau sie in ihrem Film unterbringen will, während es ihr auf der anderen Seite gelingt, die entsprechenden Themen so im Kontext zu verankern, dass man sich von der dahinter steckenden Aussage nie erschlagen fühlt. Hufnagel verzichtet auf penetrante Symbolbilder von Warteschlangen bei Hausbesichtigungen und macht stattdessen allein durch Isis (Wohn-)Situation deutlich, wie schwierig es ist, auf dem Wohnungsmarkt fündig zu werden. Isi muss keine 1000 Bewerbungen schreiben, um immer wieder zu betonen, dass man im Medienbereich vornehmlich durch Kontakte und Auftreten, weniger durch Können und qualitativ hochwertige Arbeit Chancen auf eine Stelle hat; stattdessen betten die Macher Isis verzwickte Arbeitslage mit Bezug auf ihr Privatleben in die Geschichte ein, sodass man zu jeder Zeit mit ihren Problemen mitfühlen kann. Und wenn Isi irgendwann einem Gespräch beiwohnen muss, bei dem sich ihre besten Freundinnen über veganen Wein unterhalten, reicht ein Stirnrunzeln, um die dieses Thema bezügliche Skepsis zum Ausdruck zu bringen, während andere daraus ein ganzes Politikum machen würden. Helena Hufnagel ist fein in ihrer Beobachtung, achtet auf Details, besitzt ein immenses Fingerspitzengefühl im Aufbereiten von Problemen und kann trotzdem immer wieder überraschen. Ihre Figuren besitzen eine glaubwürdige Unberechenbarkeit, die gleichsam das Sprunghafte der Generation widerspiegelt, die immer wieder gesagt bekommt, dass alles möglich wäre, die sich leicht davon anstecken lässt und die genau deshalb den Überblick verliert.

Isi beginnt zu merken, dass um sie herum jeder seinen Weg geht – nur sie selbst nicht.

Doch die von Luise Heyer, die sich zuletzt schon in dem wundervoll-zurückhaltenden Geheimtipp „Die Reste meines Lebens“ als absolut starke Schauspielerin bewiesen hat, verkörperte Isi lässt sich anders als so viele Figuren ähnlich gelagerter Filme nie in eine Opferrolle drängen. „Einmal bitte alles“ erzählt stattdessen aus einer Situation heraus, in der viele schwierige Faktoren zusammen kommen, die am Ende dazu führen, dass Resignation und schwarzer Humor Hand in Hand gehen. Helena Hufnagels Film ist nämlich nicht bloß herrlich melancholisch, er beweist an vielen Stellen auch eine solch treffsichere Komik, dass der lebensechte Eindruck des Leinwandgeschehens noch einmal verstärkt wird. Dabei sind es in erster Linie die skurrilen, aber immer in der Realität verwurzelten Nebenfiguren wie die vollkommen an der Generation vorbei lebende Verlagschefin Ursula Finsterwalder (Sunnyi Melles), die mehr mit ihrem Aussehen, denn mit Köpfchen punktende Nachwuchsillustratorin Linda („Fack ju Göhte“-Star Gizem Emre) und die bis über beide Ohren verliebte Lotte (fantastisch: Jytte-Merle Böhrnsen), der es hervorragend gelingt, die Euphorie über einen neuen Lebensabschnitt an das Publikum heranzutragen. Doch der eigentliche Star ist und bleibt Luise Heyer. Wenn man sie gedankenversunken über ihren Graphic Novels sitzen sieht, ein Hörbuch (mit der Stimme von Jessica Schwarz, „Auf der anderen Seite ist das Gras viel grüner“) auf den Ohren, das ihre Lebenssituation vielleicht nur einen Hauch zu deutlich formuliert und sie das Leben von sich und allen anderen an sich vorbeirauschen sieht, dann ist sie in diesem Moment jede Mitte-Zwanzigjährige dieses Landes, die versucht ihr Leben auch nur halbwegs erfolgreich auf die Reihe zu bekommen. Und das Fantastische daran ist vor allem das Wissen von Helena Hufnagel und ihrem Team, dass Erfolg niemals ohne Misserfolg vonstatten gehen kann. Am Ende ist vielleicht nicht alles gut, aber immerhin nur noch halb so schlimm.

Fazit: Helena Hufnagel gelingt mit „Einmal bitte alles“ etwas, was in den vergangenen Monaten viele versucht haben: Sie erzählt aus dem Leben einer Generation, die so viele Möglichkeiten hat, dass sie am Ende an ihren eigenen Ansprüchen zu zerbrechen droht. Aus diesem Konzept heraus ist ein Film voller Melancholie, Optimismus, Komik und Liebe entstanden, dessen Ensemble wundervoll-authentisch aufspielt und in dem vom zeitlos-modernen Soundtrack über die flirrende Kameraarbeit bis hin zu den subtil angesprochenen Themen einfach alles stimmt. Ein Meisterwerk!

„Einmal bitte alles“ ist ab dem 20. Juli in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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