Der Junge muss an die frische Luft

Schon die Verfilmung von Hape Kerkelings Pilgererfahrungen „Ich bin dann mal weg“ war ein Kinoerfolg. Nun legt Caroline Link die Leinwandadaption der Autobiographie DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT vor, in der es vor allem um die Kindheitsjahre des Entertainers geht. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Ruhrpott 1972. Der pummelige neunjährige Hans-Peter (Julius Weckauf) wächst auf in der Geborgenheit seiner fröhlichen und feierwütigen Verwandtschaft. Sein großes Talent, andere zum Lachen zu bringen, trainiert er täglich im Krämerladen seiner „Omma“ Änne (Hedi Kriegeskotte). Aber leider ist nicht alles rosig. Dunkle Schatten legen sich auf den Alltag des Jungen, als seine Mutter Margret (Luise Heyer) nach einer Operation immer bedrückter wird. Für Hans-Peter ein Ansporn, seine komödiantische Begabung immer weiter zu perfektionieren. Es ist die berührende Kindheitsgeschichte eines der größten Entertainer Deutschlands, Hape Kerkeling.

Kritik

Die ganz Großen haben den Bogen raus, wann es heißt, abzutreten. Im besten Falle nicht, wenn sowieso kein Hahn mehr nach einem kräht, sondern wenn man sich gerade auf einem Höhepunkt befindet. Stefan Raab wusste schon ganz zu Beginn seiner Karriere, dass er mit fünfzig Schluss machen will – mit Ausnahme seiner in diesem Jahr dargebotenen Live-Show ist er der Kamera seit seinem selbstgewählten Ende als Showmaster im Jahr 2015 auch konsequent ferngeblieben. Ebenso Hape Kerkeling, der sich ein Jahr zuvor bereits aus der Öffentlichkeit zurückzog und es seither genauso handhabt wie sein Kollege von ProSieben: Mit Ausnahme einiger Auftritte auf Roten Teppichen, Synchronrollen in Animationsfilmen und jetzt einem kleinen Gaststelldichein in seinem eigenen Biopic „Der Junge muss an die frische Luft“ bleibt es bemerkenswert still um den 1964 in Recklinghausen geborenen Vollblutentertainer. Dass die Öffentlichkeit ihn allerdings noch lange nicht vergessen hat, beweist allein schon die Tatsache, dass sich die Verfilmung von Hape Kerkelings Pilgerbericht „Ich bin dann mal weg“ Ende 2015 zu einem knapp zwei Millionen Besucher starken Überraschungshit mauserte, obwohl Kerkeling selbst darin gar nicht vorkam, sondern von Devid Striesow verkörpert wurde. In der zweiten Leinwandadaption eines (auto-)biographischen Buches über Kerkeling wird dieser nun ebenfalls von jemand Anderem verkörpert, was allerdings unumgänglich ist: „Der Junge muss an die frische Luft“ behandelt schließlich seine Kindheitsjahre und die waren Kerkelings Frohsinn zum Trotz oft ziemlich niederschmetternd.

Schon auf Familienfeiern wusste der kleine Hans Peter (Julius Weckauf) die Leute zu unterhalten.

Warner Bros. bringt „Der Junge muss an die frische Luft“ im Rahmen einer Sonderprogrammierung nicht etwa an einem Donnerstag in die Kinos, sondern rückt die Tragikomödie mit dem 25. Dezember als Starttag noch dichter an die Weihnachtszeit heran, die mit ihren zweieinhalb Feiertagen zu den besucherstärksten überhaupt zählt. Der Eindruck, man betrachte den Film als großes Familienhappening erhärtet sich dadurch – und die Sache mit der Familie stimmt auch, während man mit dem Happening nicht weiter von dem entfernt sein könnte, was „Der Junge muss an die frische Luft“ eigentlich ist. Drehbuchautorin Ruth Toma („Mein Blind Date mit dem Leben“) hält sich mit ihrem Skript sehr genau an das, was die von Hape Kerkeling selbst verfasste Romanvorlage hergibt. Und das bedeutet eben auch, dass die dem Protagonisten und seinem Umfeld widerfahrenen Schicksalsschläge für sich genommen tieftraurig sind und nur von dem nimmermüden, schon in Kindheitstagen ein ungeheures Komik- und Unterhaltungstalent besitzenden Hans Peter davor bewahrt werden, sich wie Blei auf die Stimmung des Zuschauers niederzulegen. Denn so sehr man darin auch das „Deutschsein“ dieser Produktion wiedererkennen mag – ein Punkt, auf den wir später an anderer Stelle noch kommen – so sehr erfüllen die grelle (Über-)Beleuchtung, die starken Farbkontraste und das betonte Ausstaffieren der detailreichen Kulissen auch ihren Zweck: Aus der Sicht des neunjährigen Hans Peter birgt die Welt aller Niederschläge zum Trotz immer noch genug Raum für Schönes.

Diesem Schönen gibt Regisseurin Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“) deutlich mehr Raum als den Schicksalsschlägen. Der im Roman zentral behandelte Selbstmord der Mutter bleibt im Film deutlich vager, verfehlt seine Wirkung jedoch nicht. Vor allem der nach „Einmal bitte alles“ einmal mehr umwerfenden Luise Heyer in der Rolle der depressiven Margret ist es zu verdanken, dass die wenigen Szenen, in denen sie mit ihrem Sohn interagiert und aufgrund ihrer Krankheit trotzdem immer wieder daran scheitert, sich den positiven Gefühlen hinzugeben, ihre emotionale Wirkung voll entfalten können. Im Zusammenspiel mit Debütant Julius Weckauf ist sie eine Wucht; darüber hinaus macht sie den schleichenden Krankheitsverlauf der tückischen Depression absolut greifbar und verhindert so auf eine etwaige Schuldzuweisung. Die von ihr verkörperte Margret konnte den Ernst der Lage immer noch gerade so verbergen, während sensible Menschen um sie herum dennoch durchgehend besorgt waren. Umso schwerer wiegt da rückwirkend der beiläufige Abschied, bei dem sich erst im Nachhinein herausstellt, dass das gerade überhaupt einer gewesen ist. Im Zentrum der Erzählung steht dennoch klar der kleine Hans Peter und sein unfassbares Talent dazu, die Menschen um sich herum zum Lachen zu bringen. Damit das authentisch und nicht einfach nur behauptet und aufgesetzt wirkt, ist nicht bloß wichtig, dass der den kleinen Hape Kerkeling verkörpernde Schauspieler seine Sache richtig macht, sondern auch, dass die von ihm durchlebten Szenarien glaubhaft wirken. Und so mag sich Caroline Link ein wenig zu oft am über die grünen Wiesen galoppierenden Hans Peter ergötzen, aber in solchen Szenen macht sie klar, wo der Junge damals seinen Ausgleich und die Kraft fand, der dunklen Seite des Lebens so gelassen Kontra zu geben.

Als Mutter Margret (Luise Heyer) aus dem Krankenhaus zurückkommt, scheint die Welt wieder in Ordnung…

Doch letztlich könnte das Skript noch so gut und die Regieführung noch so spektakulär sein: Stehen und Fallen tut „Der Junge muss an die frische Luft“ mit der Performance des hier erstmalig als Filmschauspieler auftretenden Julius Weckauf, der sich den Duktus und die Manierismen des jungen Hape Kerkeling perfekt angeeignet hat. Bei seiner Performance kommt es nicht nur drauf an, möglichst authentisch den Ruhrpott-Dialekt nachzuäffen. Weckauf spielt in seiner Rolle eine Rolle – nämlich die eines Neunjährigen, der wiederum diverse Alter-Egos nachahmt, aus denen sich später unter anderem Kultfiguren wie Horst Schlämmer entwickelt haben. Das gelingt Weckauf überragend; weniger überragend ist dagegen die Art, wie sich die Figuren die Dialogbälle zuwerfen. Nur selten entfaltet sich aus den Gesprächen eine echte Dynamik. Stattdessen herrscht hier ein Problem vor, mit dem der deutsche Film generell zu kämpfen hat. Die Charaktere lassen einander sauber aussprechen und agieren oft so, als müsse ihr Wort auch noch die hintersten Ecken eines Theaters erreichen. Das mag bei einem Kammerspiel noch halbwegs plausibel sein, doch „Der Junge muss an die frische Luft“ lebt – im wahrsten Sinne des Wortes – von seiner Lebhaftigkeit. Da ist es schade, wie ausgerechnet eine solche Entdeckung wie Julius Weckauf und sein um ihn herum generell stark aufspielendes Ensemble ihn und sich selbst ausbremsen (müssen), weil es Skript und Regieführung offenbar so von ihnen verlangt haben.

Fazit: Ein starkes Skript, ein noch stärkerer Hauptdarsteller aber eine betont deutsche Inszenierung – „Der Junge muss an die frische Luft“ wirkt durch die theaterhafte Art, wie hier Dialoge vorgetragen werden, leider deutlich gediegener, als er eigentlich ist.

„Der Junge muss an die frische Luft“ ist ab dem 25. Dezember bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

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