Der Pfad

Nach seinem eindringlichen Coming-of-Age-Film „Amelie rennt“ widmet Regisseur Tobias Wiemann erneut den Kindern die volle Aufmerksamkeit. Sein Drama DER PFAD ist trotz Kriegshintergrund daher vor allem ein Abenteuer- und Jugendfilm, ohne die grausame Wahrheit auszusparen. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Der Pfad (DE/ESP 2022)

Der Plot

Im Jahr 1940 sieht der kritische Journalist Ludwig Kirsch (Volker Bruch) nur einen Ausweg, um mit seinem zwölfjährigen Sohn Rolf (Julius Weckauf) aus dem von den Nazis kontrollierten Europa zu fliehen: Ein Pfad von Südfrankreich nach Spanien über die Pyrenäen kann die beiden in die Freiheit führen – und schließlich nach New York, wo bereits Rolfs Mutter sehnsüchtig darauf wartet, sie wieder in ihre Arme schließen zu können. Das elternlose zwölfjährige Mädchen Núria (Nonna Cardona) soll Rolf und Ludwig über die gefährliche Trasse führen. Als Rolf bei einem Zwischenfall von seinem Vater getrennt wird, sind die beiden Kinder völlig auf sich allein gestellt und lernen schnell, dass man in dieser Situation nur dann überlebt, wenn man zusammenhält und sich aufeinander verlassen kann.

 Kritik

Auch wenn von dem letzten Film des „Großstadtklein“-Regisseurs Tobias Wiemann kaum einer Notiz genommen hat (es reichte hierzulande noch nicht einmal für 100.000 verkaufte Tickets – und das bei einem Familienfilm!), so blieb sein Coming-of-Age-Abenteuer „Amelie rennt“ doch bei all jenen im Gedächtnis, die die Geschichte über ein junges, lungenkrankes Mädchen, das sich von der Welt um sich herum freischwimmt, sehr wohl gesehen haben. Und zwar sehr positiv. Die Besprechungen zum Film fielen zwischen gut und überragend aus. Auch wir waren von Wiemanns Fingerspitzengefühl für die Belange eines pubertierenden Kindes beeindruckt. Die Erwartungen an seinen neuen Film „Der Pfad“ waren entsprechend hoch. Vor allem, weil Wiemann seiner gewählten Erzählperspektive treu bleibt und erneut zwei Heranwachsende in den Fokus seiner Erzählung rückt. Und wieder sind die Umstände ihres erlebten Abenteuers von eher tragischer Natur, denn diesmal hängt keine potenziell tödliche Krankheit wie ein Damoklesschwert über den Hauptfiguren, sondern der Zweite Weltkrieg. Die Gräueltaten der Nazis nicht auszusparen und gleichermaßen kind- und familiengerecht aufzubereiten, ist jedoch gar nicht mal die größte Stärke von „Der Pfad“. Sondern vielmehr das Herausstellen dessen, was junge Menschen in der Lage sind, mit Willenskraft und Durchhaltevermögen zu schaffen.

Einer der letzten harmonischen Momente zwischen Vater (Volker Bruch) und Sohn (Julius Weckauf).

Auf dem Plakat von „Der Pfad“ werden neben Volker Bruch („Fack ju Göhte 2“) lediglich die beiden Nachwuchsdarsteller:innen Julius Weckauf und die hierzulande bislang völlig unbekannte Seriendarstellerin Nonna Cardona namentlich genannt. Dabei wäre genauso gut noch für eine Jytte-Merle Böhrnsen („Einmal bitte alles“) Platz gewesen. Oder auch für einen David Bredin („A Cure for Wellness“), einen J. David Hinze („Head Full of Honey“) oder eine Bruna Cusí („Der Zuhause gehört mir“). Nun kann man einerseits argumentieren, dass insbesondere die letztgenannten genauso unbekannt sind wie etwa Nonna Cardona und obendrein auch gar nicht genügend Screentime haben, die eine Namensnennung auf dem Poster rechtfertigen würden. Doch beides lässt sich durch die gängigen Marketingmechanismen entkräften: Wenn ein großer Name in einem Film vorkommt, dann wird er in der Regel zu Werbezwecken genannt – die weniger bekannten werden dagegen zumeist übergangen. Dass das „Der Pfad“-Plakat eine Nonna Cardona erwähnt (mit Julius Weckauf lässt sich seit seinen Engagements in Filmen wie „Der Junge muss an die frische Luft“ oder „Enkel für Anfänger“ längst Kasse machen), wirkt da wie das erste große Statement der Macherinnen und Macher: Regisseur Tobias Wiemann und das Autor:innenteam aus Jytte-Merle Böhrnsen und Rüdiger Bertram („Pommes essen“) wollen ausschließlich von Kindern erzählen, sie und ihre Ängste ernst nehmen, sie aber gleichermaßen auch als die einzig wahren Held:innen dieser Odyssee abbilden. Und so gibt es in „Der Pfad“ keine Konzentrationslager zu sehen. Es kommt nur sehr vereinzelt zu Szenen, in der die Bedrohung aus dem Mensch heraus resultiert. Stattdessen stehen neben dem „Wie erleben Kinder so eine Fluchtsituation?“-Gedanken vor allem die Belange der Flüchtenden im Zentrum, sodass eine Texttafel von „Der Pfad“ am Ende nicht etwa darüber aufklärt, wie viele Menschen während des Zweiten Weltkrieges ihr Leben lassen, sondern wie viele Menschen aus ihrer Heimat flüchten mussten – und wie viele davon Kinder waren.

„Regisseur Tobias Wiemann und das Autor:innenteam aus Jytte-Merle Böhrnsen und Rüdiger Bertram wollen ausschließlich von Kindern erzählen, sie und ihre Ängste ernst nehmen, sie aber gleichermaßen auch als die einzig wahren Held:innen dieser Odyssee abbilden.“

Dass in der Anfangsphase der von Volker Bruch mit angenehmer Zurückhaltung und gleichermaßen ansteckendem Optimismus verkörperte Vater Ludwig die Rolle des „anstoßenden Steines“ übernimmt, ist trotzdem absolut plausibel. Generell überzeugt das Skript mit größtmöglicher Wahrung lebensechter Situationen, sodass sich die emotionale Nähe zu den Figuren intensiv entfalten kann. Obwohl es nicht lange dauert, bis Bruchs Figur aus der Geschichte verschwindet, gestaltet sich der Moment der Trennung eindringlich – auch weil die Chemie zwischen ihm und seinem Filmsohn Rolf vorab so hervorragend war. Genauso verhält es sich mit den direkten Bedrohungsszenerien durch Widersacher oder sich unverhofft vor den jungen Protagonist:innen auftürmenden Problemsituationen, die immer gerade genau so schwierig zu bewältigen sind, dass Kinder ohne erwachsene Anleitung zwar in körperlicher und gedanklicher Leistung gefordert werden, diese Hürden aber auch glaubhaft bewältigen können. Lediglich zwei, drei Momenten lässt sich eine zu sehr ins Filmische gedachte Ausrichtung vorwerfen: Etwa, wenn Rolf und Núria ein Pferd finden und in klassischer Abenteuerfilmmanier durch die bildschön eingefangene Landschaft der Pyrenäen (Kamera: Martin Schlecht, „Traumfabrik“) ihrem Happy End buchstäblich entgegenreiten. Und auch die Begleitung durch Hund Adi (ja, dies ist eine Anspielung auf Adolf Hitler!), der fast schon in Running-Gag-Manier für allerhand Chaos sorgt und die Flucht als unberechenbarer Faktor obendrein immer wieder gefährdet, ist ein sichtbares Zugeständnis daran, dass es insbesondere einem jungen Publikum leichter fallen dürfte, nicht nur mit zwei Kindern, sondern auch mit einem niedlichen Vierbeiner mitzufiebern.

Hund Adi muss unbedingt mit auf die Reise – das hat Rolf seiner Mutter versprochen…

Gleichwohl basiert „Der Pfad“ auf dem gleichnamigen Roman von Rüdiger Bertram und dieser wiederum auf einer wahren Geschichte. So etwas hebelt zwar nicht automatisch jedwede Kritik an etwaigen Szenenkonstruktionen aus, sorgt in diesem Falle aber tatsächlich dafür, dass man die (zwangsläufig auch dramaturgischen) Gedanken hinter manch einer Szene zufriedener hinnehmen kann als bei rein fiktionalen Werken. Denn am Ende dominiert „Der Pfad“ – wie schon Wiemanns Vorgänger „Amelie rennt“ – ein durchgehendes Besinnen auf die Gegebenheiten der Realität. Dazu trägt auch die Besetzung diverser Haupt- und Nebenfiguren bei. Insbesondere die fast nur Spanisch/Katalanisch sprechende Nonna Cardona verleiht der Geschichte allein schon dadurch etwas Wahrhaftiges, weil sich ihre Kommunikationsschwierigkeiten mit dem deutschen Rolf zu jedem Zeitpunkt echt anfühlen. Wie oft schon kam es vor, dass in deutschen Produktionen selbst ausländische Rollen von Deutschen verkörpert werden, die in der Regel auch schon durch viele andere Schauspielengagements bekannt sind? Die Kreativen hinter „Der Pfad“ haben dagegen das einzig Richtige getan und auf entsprechende Landsleute zurückgegriffen. Das bekommen selbst die Schöpfer:innen internationaler Produktionen nicht immer hin. Dadurch fällt es nicht schwer, sich von den Geschehnissen im Film mitreißen zu lassen – immer auf dem schmalen Grad zwischen Anspannung ob der Prämisse und hoffnungsvoller Zuversicht, weil man sich in den Händen der beiden Hauptfiguren irgendwie sicher fühlt.

„Am Ende dominiert ‚Der Pfad‘ – wie schon Wiemanns Vorgänger ‚Amelie rennt‘ – ein durchgehendes Besinnen auf die Gegebenheiten der Realität. Dazu trägt auch die Besetzung diverser Haupt- und Nebenfiguren bei.“

Obwohl international als deutsch-spanische Koproduktion entstanden, konnte das Team hinter „Der Pfad“ längst nicht auf ein so hohes Budget zurückgreifen, wie es manch anderen europäischen Produktionen – geschweige denn jenen aus den USA – vergönnt ist. Trotzdem besitzt das Endprodukt Leinwandausmaße, die nicht selten aus den opulenten Landschaftspanoramen resultieren. Wenngleich hin und wieder ein wenig überbelichtet (und mit dem ein oder anderen groben Anschlussfehler versehen – aber die zerstören selten ein gesamtes Seherlebnis, so auch hier nicht) und visuell an Til Schweigers „Honig im Kopf“ erinnernd, punktet die Filmästhetik schon allein damit, dass der leider immer noch „typisch deutsche“ Studiolook hier nicht existiert. Das verhilft „Der Pfad“ auch auf inszenatorischer Ebene zu ebenjenem Abenteuerfilmcharme, den das Skript vorgibt – und der die Geschichte zu einem, insbesondere für ein junges Publikum äußerst mitreißend macht.

Fazit: Das vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges angesiedelte Fluchtdrama „Der Pfad“ ist eine ansehnlich inszenierte und einfühlsam erzählte Abenteuergeschichte aus der Perspektive zweier Kinder geworden, für die Regisseur Tobias Wiemann erneut sein Können als Erzähler von Jugendgeschichten unter Beweis stellt, ohne dabei die Gräuel der Umstände in Gänze auszublenden.

„Der Pfad“ ist ab dem 17. Februar 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

2 Kommentare

  • Hallo,

    was ist eigentlich aus deinen Wochenübersichten der Kinostarts geworden? Die fand ich immer sehr praktisch.

    • Ich schreibe mittlerweile leider nur noch unregelmäßig für diese Seite, daher würde sich das nicht lohnen. Zumal ich derzeit auch nur einen Bruchteil der startenden Filme sehen kann.

Und was sagst Du dazu?