Retribution

Die Beteiligung Liam Neesons als Gütesiegel für mindestens solides Actionkino: Damit wäre einer der großen Vorzüge von RETRIBUTION schon mal passend zusammengefasst. Das US-Remake eines spanischen, bereits von mehreren Ländern (unter anderem Deutschland) adaptierte Kammerspielthrillers hat allerdings noch mehr zu bieten. Unter anderem ein amüsant zusammengewürfeltes Berlin.

OT: Retribution (FR/DE/ESP/USA 2023)

Darum geht’s

Der ehrgeizige Geschäftsmann Matt Turner (Liam Neeson) erhält auf der Autofahrt zur Schule seiner Kinder plötzlich einen Anruf. Anonym droht ihm ein Unbekannter, dass sich eine Bombe unter Turners Sitz befinden soll. Sobald sich dieser den Anweisungen des Anrufers widersetzt, wird sie detonieren. Also fährt Matt los. Mit Tochter Emily (Lilly Aspell) und Sohn Zach (Jack Champion) auf dem Rücksitz geht es einmal quer durch die deutsche Hauptstadt Berlin. Immer in der Hoffnung, irgendwann herauszufinden, was Matt Turner dem unbekannten Anrufer angetan hat, damit dieser nun zu derart rabiaten (Rache-?)Methoden greift. Als Matt schließlich ins Visier der Polizei gerät, wird aus der Rundfahrt durch die Stadt eine waschechte Hatz auf Leben und Tod – und die Bombe blinkt weiter unter seinem Fahrersitz…

Kritik

Zu Land, zu Wasser, in der Luft – sämtliche Elemente, durch die sich ein Vehikel bewegen kann, hat Liam Neeson in seiner Post-„96 Hours“-Karriere als Actionheld zwar noch nicht durch. Doch die Ankündigung eines Schiffs-Reißers mit ihm in der Hauptrolle ist sicherlich nur noch eine Frage der Zeit. Im Flugzeug dagegen musste er schon tätig werden; Sein „Non-Stop“ ist gar einer seiner besten Genrefilme. Genauso wie er es unter der Erde bereits mit einer Gruppe von U-Bahn-Insass:innen aufgenommen hat („The Commuter“). Nun bekommt er es an Land – genauer: in Berlin – mit einem SUV zu tun, unter dem sich eine Bombe befindet. Diese wird detonieren, sobald er nicht das tut, was ein anonymer Anrufer ihm am Telefon befiehlt. Die Prämisse entstammt dem spanischen Hochgeschwindigkeitsthriller „El desconocido“ (erschien in Deutschland 2016 unter dem Titel „Anrufer unbekannt“) und mag hierzulande als „Steig. Nicht. Aus!“ gar noch ein wenig bekannter sein. So hieß nämlich die zwei Jahre später veröffentlichte, deutsche Adaption von Christian Alvart. Auch in Korea hat man sich bereits an ein Remake gewagt. „Hard Hit“ lief hierzulande auf dem Fantasy Filmfest. Luis Tosar, Wotan Wilke Möhring und Joo Woo-jin erhalten mit Liam Neeson nun einen prominenten Erben ihrer mittlerweile fast schon ein wenig ikonischen Rolle. Auf dem Regiestuhl nahm derweil Nimród Antal Platz. Der Genre-Handwerker aus zweiter Reihe („Kontroll“, „Motel“, „Predators“…) hat manch eine Einstellung 1:1 aus dem Original übernommen. Bei der Wahl des Settings dagegen stand die hiesige Fassung Pate. „Retribution“ spielt wie diese in der deutschen Hauptstadt. Für Liam Neeson nach „Unknown Identity“ kein unbekanntes Pflaster mehr.

Als Matt Turner (Liam Neeson) von der Bombe unter seinem Sitz erfährt, ist auch sein strategisches Geschick gefragt.

Wenn ein und derselbe Stoff von verschiedenen Landsleuten originalgetreu verfilmt wird, unterscheiden sich die Fassungen häufig bloß in Details; wenn überhaupt. Auch im Falle von „Retribution“ lässt sich sagen: Wer bereits einen der oben aufgelisteten Vorgänger kennt, der weiß schon ziemlich genau, was ihn auch diesmal erwarten wird. Gleichwohl kann die US-Version einen Pluspunkt vorweisen, mit dem keine der anderen – nicht einmal das Original – derart punkten konnte. Luis Tosar besaß eine einnehmend stoische, fast einschüchternde Präsenz. Wotan Wilke Möhring punktete mit Berserker-Charme. Und Joo Woo-jin verhalf seiner Figur zu einer bis dato nie wirklich durchscheinenden Verletzlichkeit. Neesons Matt Turner vereint alle drei Facetten in einem. Als Knallhart-Geschäftsmann versteht er sich als cleverer Taktiker und Überredungskünstler, dessen Geschicke ihm später auch in den Verhandlungen mit dem Drohanrufer nützlich sein werden. Mit seinen rasanten Fahrkünsten und einem – für sein Alter – perfekten Trainingszustand ausgestattet, kann er es auch körperlich mit seinem Verfolger aufnehmen. Und in den entscheidenden Momenten lässt Turner genau jene emotionalen Schwächen zu, durch die uns seine Figur auch noch richtig ans Herz wächst. Zu guter Letzt ist wohl kaum ein US-amerikanischer Charakterdarsteller derart prädestiniert dafür, einen Film vorwiegend mit seiner Stimme zu tragen. Das wissen wir spätestens seit seiner Voice-Acting-Performance in „Sieben Minuten nach Mitternacht“. Nimród Antal macht sich die Prämisse des Originals vollends zueigen, um einen klassischen Liam-Neeson-Actionfilm vorzulegen. Dass er dafür die Unterstützung eines alten Neeson-Veteranen erhielt („Non-Stop“- und „Communter“-Regisseur Jaume Collet-Serra fungierte hier als Produzent) ist unübersehbar.

„Wer bereits einen der […] Vorgänger kennt, der weiß schon ziemlich genau, was ihn auch diesmal erwarten wird. Gleichwohl kann die US-Version einen Pluspunkt vorweisen, mit dem keine der anderen – nicht einmal das Original – derart punkten konnte.“

Darüber hinaus unterscheidet sich „Retribution“ immer wieder in Kleinigkeiten von den bisherigen Fassungen. Insbesondere das Ende weist einige entscheidende Änderungen auf, die das Unterfangen rückblickend gar in ein etwas anderes Licht rücken, als es die Vorgänger durch ihre Auflösung taten. Ob man das von Alberto Marini (schrieb auch das spanische Original) und Newcomer Christopher Salmanpour neu erdachte Finale besser oder schwächer findet als das bisherige dürfte eine Frage des Geschmacks sein. Die Entscheidung selbst spielt so offensichtlich der Besetzung Neesons in die Karten, dass die Ursache der Änderung hierin begründet liegen dürfte. Der Schauspieler darf in den letzten Minuten nochmal genau das tun, wofür er in seiner (Action-)Karriere so bekannt ist: seine Präsenz in der direkten Konfrontation spielen lassen – und dem Ganzen dabei eine emotionale Gravitas verleihen. Abgesehen davon schwächelt der Showdown visuell ein wenig. Hielten sich die rar gesäten CGI-Effekte bis dahin im Hintergrund der sehr solide aussehenden, handgemachten Action, sieht man dem einen Trick im Finale seine Computerherkunft deutlich an. Damit schließt sich – ein wenig ironisch – der Kreis zum Beginn des Films, der mit einer hyperstylischen Explosion beginnt, die anschließend Teil einer Nachrichtensendung ist. Wann immer „Retribution“ ein Spektakel auffährt, das von der „ein Mann, ein Telefon, ein Auto“-Prämisse wegführt, muss Antal handwerklich Abstriche machen.

Matts Fahrstil ruft schnell die Berliner Polizei auf den Plan…

Dankenswerterweise nehmen derartige Szenen innerhalb der schlanken neunzig Minuten nur wenig Raum ein. Neben Liam Neeson darf den vor allem Kameramann Flavio Martínez Labiano füllen. Dieser fotografierte bereits „Non-Stop“ und ist dank „The Shallows“ auch mit auf engem Raum spielenden Thrillern vertraut. In „Retribution“ erweist sich seine Arbeit als heimlicher Co-Star. Trotz seines Kammerspieldaseins fühlt sich im Film längst nicht alles so beengt an, wie es das Autosetting vorgibt. Zwischen dynamischen Einstellungen im Fahrzeuginneren wie etwa vielen Perspektivwechseln sowie abwechslungsreichen Close-Ups auf verschiedene Motive wie Gesichter, das Smartphone oder die Bombe, fügen sich auch jene Einstellungen perfekt in die Handlung ein, die all das darstellen, was sich außerhalb des SUVs befindet. „Retribution“ geht gar als eine Art Sightseeing-Tour durch Berlin durch, wenngleich man selbst rudimentäre Ortskenntnisse der Hauptstadt noch vor Betreten des Kinosaals über Bord werfen sollte. Matt Turners Fahrtroute ist in erster Linie eines: der Optik und ihrer Auswirkung auf Dramaturgie und Action zweckdienlich; nicht realistisch. Zweckdienlich ist auch das neben Neeson auftretende Figurenarsenal. Lilly Aspel („Wonder Woman“) und Jack Champion („Scream 6“) haben als auf der Rückbank sitzende, sich nach und nach von der Panik ihres Vaters anstecken lassende Kinder eher undankbare, da häufig zu sehr ins Hysterische kippende Rollen. Hier erweisen sich die beiden allerdings als angenehm unauffällig und geben der Handlung zusätzlichen emotionalen Input. Embeth Davidtz („Old“) als Matts Ehefrau Heather wird nur eine sehr kleine Rolle zuteil und bekommt so auch nur bedingt Gelegenheit, um sich einen bleibenden Eindruck zu erspielen. Am Ende ist „Retribution“ dann eben doch eine Liam-Neeson-One-Man-Show.

„Neben Liam Neeson darf den vor allem Kameramann Flavio Martínez Labiano füllen. Dieser fotografierte bereits ‚Non-Stop‘ und ist dank ‚The Shallows‘ auch mit auf engem Raum spielenden Thrillern vertraut. In ‚Retribution‘ erweist sich seine Arbeit als heimlicher Co-Star.“

Fazit: Im US-Remake des spanischen Thrillers „Anrufer unbekannt“ punkten vor allem Liam Neeson mit einer überraschend vielschichten Performance und die visuelle, da für ein Kammerspiel äußerst abwechslungsreichen Aufmachung. „Retribution“ sieht richtig gut aus, hat keinerlei nennenswerte Längen und überrascht Kenner:innen bisheriger Adaptionen mit einem abgewandelten Ende. Liam Neesons Business as usual hat eben eine gewisse Grundqualität.

„Retribution“ ist ab dem 14. September 2023 in den deutschen Kinos zu sehen.

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