Blue Bayou

Im fast schon poetisch erzählten, dennoch niederschmetternd wahrhaftigen Abschiebe-Drama BLUE BAYOU erzählt Justin Chon davon, wie die USA mit Migrantinnen und Migranten umgeht. Wie sehr dieser Film berührt, verraten wir in unserer Kritik.

OT: Blue Bayou (USA/CAN 2021)

Der Plot

Im Alter von zwei Jahren kam Antonio LeBlanc (Justin Chon) von Südkorea in die USA, wo er in einer kleinen Stadt an den Gewässern Louisianas von einem weißen Pärchen adoptiert wurde.  SyVor einigen Jahren hatte der aus einfachen Verhältnissen stammende, wortkarge Mann Probleme mit dem Gesetz, da er sich mit dem Diebstahl und Weiterverkauf von Motorrädern sein Geld verdiente. Jetzt führt er ein gesetzestreues, unauffälliges Leben als Tätowierer, der die Tochter seiner Ehefrau Kathy (Alicia Vikander) genauso sehr liebt als wäre sie sein eigenes Kind – selbst wenn die Kleine Jessie (Sydney Kowalske) beim Gedanken, dass Antonio und Kathy ein gemeinsames Kind erwarten, gelegentlich Eifersuchtsanfälle kommen. Doch das ist ein Luxusproblem im Vergleich dazu, was ihm Kathys Ex, der Polizist Ace (Mark O’Brien), und sein rassistischer Kollege Denny (Emory Cohen) einbrocken…

Kritik

Die konkrete Geschichte von „Blue Bayou“ ist eine Erfindung von Regisseur, Hauptdarsteller und Drehbuchautor Justin Chon, doch ähnliche Schicksale passieren unentwegt in den USA. Und sobald man sich von der für diese Handlung so relevante Gesetzeslücke, aufgrund derer adoptierten Menschen jahrzehntelang keine Staatsbürgerschaft zugesprochen bekamen, loslöst, und gedanklich andere justiziell unausgereifte Lagen einfügt, passieren solche Schicksale auch ständig in Europa. Hier in Deutschland. Menschen werden schlagartig von einem Mitglied unserer Gesellschaft zu Abschiebungsfällen, die in ein Land geschickt werden, das ihnen fremd geworden ist, ihnen nie wirklich heimisch war oder ihnen sogar feindlich gesonnen ist. Chon, unter anderem bekannt aus der „Twilight“-Reihe und seines Zeichens US-amerikanischer Spross einer Familie mit südkoreanischen Wurzeln, widmet sich diesem Stoff nicht etwa mit dem durch und durch nachvollziehbaren Zorn, der etwa die jüngeren Filme von Spike Lee erfüllt und den Rassismus anpacken, wie ihn die schwarze Bevölkerung der USA erfährt. Ebenso wenig behandelt er die Ungerechtigkeiten, klaffenden Gesetzeslücken und erschütternden Unmenschlichkeiten, die die amerikanisch-asiatische Community allgemein erfährt und mit der nicht eingebürgerte Adaptionsfälle speziell angepackt werden, in einem belehrend-mahnenden Tonfall. Obwohl beide Herangehensweisen verständlich wären.

Antonio (Justin Chon) will in jedem Fall bei seiner Familie (Alicia Vikander und Sydney Kowalske) bleiben…

Stattdessen versetzt uns Chon mitten hinein in dieses Einzelschicksal. Er erzielt eine immense Betroffenheit durch eine unmittelbare Nähe zu Antonio LeBlancs von Dilemmata durchzogenes Leben: Antonio und seine Frau, eine von Alicia Vikander lebensnah gespielte, erschöpfte, müde, liebende Mutter und Gattin, die sich selbst verwirklichen will, ihrem Partner mal zu viel verzeiht und mal zu viel anlastet, haben beschlossen, dass sie kein Ein-Einkommen-Haushalt mehr sein wollen. Um ihren Kindern mehr bieten zu können und Kathy die Gelegenheit zu geben, wieder mehr zu sein als Hausfrau und Mutter, kehrt sie zu ihrer alten Arbeitsstelle zurück. Doch kaum wird Antonio von zwei schmierigen Polizisten aufgrund persönlicher Antipathien als Unruhestifter positioniert und der Einwanderungsbehörde gemeldet, heißt es seitens eines engagierten, vom System genervten Anwalts (Vondie Curtis-Hall): US-Familienanwälte erachten männliche Alleinverdiener als wertvollere Mitglieder der Gesellschaft – wenn die Misses sich selbst ernähren kann, kann der Mann ja weg…

„Justin Chon versetzt uns in ‚Blue Bayou‘ mitten hinein in ein Einzelschicksal. Er erzielt eine immense Betroffenheit durch eine unmittelbare Nähe zu Antonio LeBlancs von Dilemmata durchzogenes Leben.“

Mit sprichwörtlich gefesselten Händen und Füßen treibt Antonio durch ein mit solchen Doppelzüngigkeiten gefülltes Brackwasser von Gesellschafts- und Rechtssystem. Chon spielt seinen Protagonisten schon von Beginn an als moralisch niedergeknüppelten Passivling, als jemand, der sein Leben lang eingebläut bekam, dass er den Rand halten und sich verstecken soll, wenn er keinen Ärger bekommen will. Sobald sich die Schlinge rassistischer Mechanismen der US-Justiz um ihn legt, ist sein Grundgesichtsausdruck sogar eine lange Miene mit Augen, die so aussehen, als würden sie sich jede Sekunde mit Tränen der Verzweiflung füllen – auch wenn Antonio sein Rückgrat durchdrückt und die vage Anmutung gibt, für sich einstehen zu wollen.

„Blue Bayou“ präsentiert uns Bilder von atemberaubender Schönheit…

Aber Chons Performance als Antonio ist keine reine Selbstmitleidsparade. Mit der minimalen Mimik eines Ryan Gosling in „Drive“ oder „The Place Beyond the Pines“, bei der die geringsten Zuckungen der Mundwinkel oder Augenfältchen Bände sprechen, spielt Chon zudem einen vorbildlich-liebenden, aber auch leichtsinnigen Stiefvater, der seine Stieftochter auch mal einen Tag lang aus der Schule nimmt, um ihr zu beweisen, dass er sie nicht vergessen wird, oder sie auch mal ärgert, einfach, um sie aus ihrer betrübten Stimmung zu kitzeln. Das unbändige Glück, das Antonio in solchen Momenten verspürt, oder wenn er von seiner Zufallsbekannten Parker (toll: Linh Dan Pham) zu einem Gartenfest der örtlichen vietnamesischen Community eingeladen wird und er sich unter Menschen mit ähnlichen Schicksalen kurz heimisch und geborgen fühlt, selbst wenn ihm ihre Gepflogenheiten und ihre Speisen fremd sind, zeigt sich dann anhand kleinster Bewegungen in Chons Gesicht. Und doch haben sie überwältigende Wirkung. Gefiltert wird Antonios wir aus dem Leben gegriffene Geschichte durch eine „bluesige“ Linse: In bester Bayou-Manier präsentiert Chon diesen Stoff nicht als rau-schroffes, dreckiges Drama. Sondern als bitter-melancholische, die kleinsten Kleinigkeiten des Glücks auskostende, die Massen der Unglückseligkeit seufzend-lyrisch anpackende Bestandsaufnahme.

„In bester Bayou-Manier präsentiert Chon diesen Stoff nicht als rau-schroffes, dreckiges Drama. Sondern als bitter-melancholische, die kleinsten Kleinigkeiten des Glücks auskostende, die Massen der Unglückseligkeit seufzend-lyrisch anpackende Bestandsaufnahme.“

Die hinter der Kamera stehenden Matthew Chuang und Ante Cheng fangen die ärmsten Winkel von New Orleans als einfache Gegend ein, die bei und nach Sonnenuntergang voller Magie steckt. Chon und sein Schnittmeister Reynolds Barney lassen wiederholt in Montagen jegliches Zeitgefühl aufweichen, so dass in Glücksmomenten die Zeit stillzustehen scheint, man sich aber auch immer wieder erschreckt dabei erwischt, festzustellen, wie viel näher Antonio plötzlich vor der drohenden Abschiebung steht. Es liegen Zauber und auch Flüche in der Luft dieses Dramas – und im Abspann denkt man sich zahlreiche aufgebrachte Flüche hinzu, die die treffen sollen, die für das in „Blue Bayou“ geschilderte System der Ungerechtigkeit verantwortlich sind.

Fazit: „Blue Bayou“ ist ein erschütterndes, bewegend-schön erzähltes Drama der Ungerechtigkeiten, traurig-hübsch inszeniert und mit kummervoller Stoik gespielt.

 „Blue Bayou“ ist ab dem 10. März 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

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