Talk to Me

Massenweise Vorschusslorbeeren treiben den australischen Geheimtipp TALK TO ME nun auch noch Deutschland. Inszeniert wurde dieser von zwei YouTube-Größen, deren unkonventionelle Herangehensweise an das Genre für einen der frischsten Beiträge jüngerer Horrorfilmgeschichte sorgt.
Darum geht’s
Es ist der neue Partytrend in einer australischen Kleinstadt: Mithilfe der mysteriösen Skulptur einer eingegipsten, angeblich echten Hand versetzen sich zahlreiche junge Erwachsene nacheinander in Trance, um die Toten aus dem Jenseits heraufzubeschwören. Dabei entstandene Handyvideos von besessenen Mitschülerinnen und Mitschülern erreichen über die sozialen Netzwerke auch die beiden besten Freundinnen Mia (Sophie Wilde) und Jade (Alexandra Jensen). Sie werden neugierig – und beschließen, selbst an einer solchen Séance teilzunehmen. Doch als ausgerechnet Mias verstorbene Mutter (Alexandria Steffensen) mithilfe der Hand Kontakt zu ihr aufnimmt, werden die Regeln des Rituals nicht eingehalten und die Tür zum Totenreich lässt sich nicht mehr schließen…
Kritik
Die beiden australischen Regisseure Danny und Michael Philippou sind bereits seit vielen Jahren für ihre kreativen Filmclips auf dem YouTube-Kanal RackaRacka bekannt. Hier nennen sie sich (noch) „Wannabe Film-makers“ – was für ein sympathisches Understatement! Mit „Talk to Me“ erscheint dieser Tage nämlich ihre erste Kinoproduktion, die bereits im Oktober des vergangenen Jahres ihre Weltpremiere auf dem Adelaide Filmfestival feierte. Dass die Philippou-Brüder ihre Wurzeln ausgerechnet bei der Online-Plattform YouTube haben, ist dem fertigen Projekt zwar nicht direkt anzumerken. Doch dass die kreativen Anfänge der beiden nicht in einem klassischen Ausbildungsweg liegen, lässt sich dann schon erahnen. Trotz bekannter Horrorfilmzutaten fühlt sich „Talk to Me“ nämlich erstaunlich frisch und unverbraucht an. Ihre Story über eine Gruppe Teens und Twens, die im Rahmen eines Partyspiels die Tore ins Jenseits öffnet, weist Versatzstücke zahlreicher Horror-Subgenres auf. Vom klassischen Geistergrusel über den Besessenheits-Schocker bis hin zum die Psyche malträtierenden Beitrag des Elevated Horror erinnert viel an Dinge, die man schon kennt. Doch „Talk to Me“ geht ausgerechnet immer dann andere Wege, wenn man gerade glaubt, zu durchschauen, auf welchem man sich bis gerade eben befunden hat. Dies hat Auswirkungen auf das Tempo, den Charakter und vor allem die Berechenbarkeit des Films. Insbesondere wenn sich aufgrund eines brillant inszenierten Kreisschlusses gen Ende herausstellt, dass der Horror in „Talk to Me“ die ganze Zeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Und trotzdem funktioniert der Film bis dato auf beiden Ebenen hervorragend: als Coming-of-Age-Jugenddrama und als fieser kleiner Geisterschocker.
Danny und Michael Philippou, die gemeinsam mit ihrem Kumpel Bill Hinzman auch das Drehbuch zu „Talk to Me“ geschrieben haben, geben in der ersten halben Stunde einen ungewöhnlichen Rhythmus vor. Viele Tempi- und Tonfallwechsel verhelfen dem Storyaufbau zu einer unkonventionellen Struktur. Zunächst erhalten wir eine kurze Einführung der wichtigsten Charaktere sowie ihrem Standing zueinander. Nicht jede und jeder von ihnen trägt direkt ein solch großes Päckchen mit sich umher wie Protagonistin Mia, die erst vor wenigen Monaten ihre Mutter durch einen Autounfall verlor. Gleichwohl werden alle mehr oder weniger von den typischen Problemen und Konflikten heranwachsender Menschen geplagt. So beginnt „Talk to Me“ als melancholisch eingefärbter Coming-of-Age-Film, dessen Horrorelement alsbald auf den Fuß folgt. Wenn Mia und ihre Clique während einer Party auf die eingegipste Leichenhand treffen, arrangieren die Philippou-Brüder den ersten Abstieg in die Geisterwelt als schön schauriges Spuksetpiece, das vor allem deshalb so eine Anspannung innehat, weil man bis dato noch überhaupt nicht weiß: Wird der Film fortan zur Jumpscare-Party, oder haben sich die Kreativen hier etwa mehr überlegt? Während man noch versucht, sich in den innerfilmischen Regeln von „Talk to Me“ zurechtzufinden, stößt einen im nächsten Moment eine heitere, temporeiche Szenenmontage vor den Kopf: Jeder Partygast darf einmal „Talk to Me“ sagen, ihre Hand in die Finger der unheilvollen Extremität legen und schon ergreift im nächsten Moment ein Geisterwesen Besitz von ihm. Die Handlungen, die die übernatürlichen Wesen im Körper ihrer Medien unternehmen, sind dabei vollkommen unberechenbar. Sorgen mal für Lacher, mal für Schaudern, mal rühren sie zu Tränen. Besser ließe sich auch „Talk to Me“ in seiner Gesamtheit kaum zusammenfassen.
„Dass Danny und Michael Philippou bis zum Schluss immer auch die Möglichkeit offenlassen, die Hauptfigur würde sich aufgrund ihrer psychischen Labilität einfach nur in eine Fantasiewelt flüchten […] verhilft jedem noch so kleine Schauerszenario zu einem enormen emotionalen Input.“
Mias Figurentypus einer „traumatisierten Halbwaise“ wäre in einem Film wie „Talk to Me“ wie prädestiniert dafür, die Gefühlswelt des Publikums zu manipulieren. Wirkt es doch extra tragisch, wenn eine junge Frau von Geisterwesen heimgesucht wird, die erst vor einiger Zeit ihre Mutter verloren hat. Und der dadurch natürlich auch erst niemand ihre unheimlichen Schilderungen glaubt. Doch ähnlich des 2022 veröffentlichten Teen-Slashers „Bodies Bodies Bodies“ versteht sich auch „Talk to Me“ als ausdifferenziertes Generationenporträt. Früher hätten die Figuren eines Teenie-Horrorfilms einfach gemeinsam den Kampf gegen das Böse aufgenommen. Heute erscheint die Konfrontation mit dem Tod nur eines von vielen (unlösbaren) Problemen für Mia, ihre beste Freundin Jade und ihren jüngeren Bruder Riley. Auch sich Hilfe von außen zu holen, gestaltet sich unmöglich. Waren die Séancen mit der Gipshand noch gut genug für lustige Social-Media-Snippets, ist plötzlich niemand mehr da, als eines der Experimente schiefläuft. Derweil hat die ältere Generation, repräsentiert von Jades und Rileys Mutter Sue (Miranda Otto) sowie Mias Vater Max (Marcus Johnson), längst den Zugang zu ihren Kids verloren. Sie will beschützen, hört aber nicht aufmerksam genug hin und agiert somit allenfalls gut meinend aber nie wirklich gut. Dass jede und jeder von ihnen aus seiner Perspektive nachvollziehbar handelt, verrückt kontinuierlich die Perspektive auf die Figuren. Mia mag ein Opfer sein, verhält sich jedoch zeitweise arg ignorant ihren Freund:innen und trotzig der Situation gegenüber. Jade gibt sich als ihre beste Freundin und Zuhörerin, lässt in einigen entscheidenden Momenten allerdings die dafür notwendige Loyalität vermissen. Riley ließe sich gar eine konkrete Mitschuld an der Situation geben. Allen anderen allerdings auch. Und dann ja eigentlich auch wieder nicht – wer glaubt schon daran, dass es wirklich Geister gibt?

Die Séance wird derweil mit Kameras festgehalten und anschließend in sozialen Netzwerken hochgeladen. Ein Partyspiel…
Doch in „Talk to Me“ geht es nicht um die Schuldfrage. Jede Figur handelt nach ihrem Ermessen, was im Anbetracht der hier porträtierten Altersklasse mitnichten immer von Weisheit oder Rationalität begleitet wird. Gleichwohl sind Mia, Jade und Riley nicht dumm, gehen mitunter erstaunlich logisch an die Sache, scheitern jedoch immer wieder an ihrer eigenen Gefühls- oder eben den Regeln der Geisterwelt. Dass die Hauptdarsteller:innen des Films allesamt auch an der Story mitwirken durften, kommt ihrem durch die Bank großartigen Spiel zugute. Angeführt von Sophie Wilde verschwinden auch Alexandra Jensen („Frayed“) und Joe Bird („First Day“) vollends hinter ihren Rollen. Vor allem Letzterem wird in mehreren Szenen eine ungeheure Körperlichkeit abverlangt, die nicht darauf schließen lässt, dass „Talk to Me“ für Bird das erste große Filmarrangement nach mehreren kleinen (Serien-)Rollen ist. Auf seine Kosten gehen auch jene Szenen, die im Nachhinein als besonders heftig in Erinnerung bleiben werden. So subtil und schleichend sich der Horror in „Talk to Me“ auch über das Geschehen legt, so eskapistisch bricht er zeitweise an die Oberfläche. Und auch wenn diese Szenen oft nur wenige Sekunden dauern, spricht aus ihnen eine inszenatorische Finesse, die im modernen Horrorkino nur noch selten zu entdecken ist. Da werden etwa Erinnerungen an Darren Aronofskys „mother!“ wach – nicht der nächstliegende Vergleich zu einem „Teenie-Horror“ wie „Talk to Me“…
„In ‚Talk to Me‘ geht es nicht um die Schuldfrage. Jede Figur handelt nach ihrem Ermessen, was im Anbetracht der hier porträtierten Altersklasse mitnichten immer von Weisheit oder Rationalität begleitet wird.“
Das selbst für das Horrorgenre mickrige Budget von 4,5 Millionen US-Dollar (da stellt sogar Blumhouse-Chef Jason Blum seinen Regisseur:innen mehr Geld zur Verfügung) ist „Talk to Me“ im besten Sinne nicht anzusehen. Während es für die Regisseure auf der einen Seite von Vorteil ist, dass sich die Handlung vorzugsweise im Inneren verschiedener Gebäude abspielt, leistet Kameramann Aaron McLisky („Mr. Inbetween“) auf der anderen Seite ganze Arbeit, um genau diese Innenaufnahmen so wertig wie möglich aussehen zu lassen. Sein Spiel mit Licht und Schatten, Bewegung und Stillstand, Farben und Kontrasten lässt „Talk to Me“ großartig aussehen. Die fließenden Szenenübergänge des Editors Geoff Lamb („The Marine“) beschwören obendrein einen Flow hinauf, der die Dringlichkeit der Ereignisse unterstreicht. Hier gibt es nie die Möglichkeit eines Zurück – die einzige Möglichkeit der Flucht besteht darin, das Grauen bis zum bitteren Ende mit den Figuren zu durchleben. Letztlich mag sich der Film mit seinen hier aufgegriffenen Themen sowie den Hintergründen und Problemen seiner Charaktere augenscheinlich an ein eher junges Publikum richten. Die Inszenierung ist derweil von einer solchen Reife und Eleganz, dass es selten leichter fiel, „Talk to Me“ einfach allen ans Herz zu legen, die auch nur einen Hauch Interesse an einem Film verspüren, der sich irgendwo auf dem breiten Spektrum zwischen Coming-of-Age-Jugenddrama und Gruselhorror wiederfindet.
Fazit: „Talk to Me“ wirkt auf den ersten Blick so, als hätte man alles davon schon irgendwo mal gesehen. Doch die Regisseure Danny und Michael Philippou gehen mit ihrem Mix aus Jugend- und Horrordrama neue Wege und nehmen nie die Abzweigung, die man erwarten würde. Erzählerisch ist ihr Film unberechenbar, straight, unheimlich und traurig. Inszenatorisch ist er die perfekte Mischung aus klassisch elegant und hochmodern. „Talk to Me“ könnte tatsächlich der beste Horrorfilm des Jahres sein.
„Talk to Me“ ist ab dem 27. Juli 2023 in den deutschen Kinos zu sehen.