Eingeschlossene Gesellschaft

Sieben Jahre nach „Frau Müller muss weg“ zieht es Sönke Wortmann für seine ebenfalls kammerspielartig vorgetragene EINGESCHLOSSENE GESELLSCHAFT erneut an eine Schule. Wieder bricht ein Streit aus… Wie sehr das dieses Mal gefällt, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Freitagnachmittag an einem technisch rückschrittlichen, städtischen Gymnasium: Der populäre Sportlehrer Peter Mertens (Florian David Fitz), die biestige sowie stockkonservative Heidi Lohmann (Anke Engelke), der oberlehrerhafte Klaus Engelhardt (Justus von Dohnányi), der um Diplomatie bemühte Holger Arndt (Thomas Loibl), der skurrile Chemielehrer Bernd Vogel (Torben Kessler) und die übermotivierte Referendarin Sara Schuster (Nilam Farooq) haben noch im Lehrerzimmer zu tun. Da platzt der genervte Vater Manfred Prohaska (Thorsten Merten) herein und fuchtelt mit einer Pistole herum. Sein Sohn Fabian bräuchte nur noch einen einzigen Punkt, um zum Abitur zugelassen zu werden – und dieser Punkt soll jetzt gefällig herbei diskutiert werden. Egal von wem, egal wie…
Kritik
Sönke Wortmanns Filmografie ist durchaus variantenreich. Dennoch lässt sich festhalten, dass der Regisseur 2015 an einem bestimmten Typus Film einen Narren gefressen. Die Rede ist von Streitfilmen mit Kammerspiel-Charakter. Also Filme, die sich (weitestgehend) an einem Schauplatz abspielen und in denen sich die Figuren in eifrigen Debatten verwickeln. Es begann mit der an einer Grundschule spielenden Theaterstück-Adaption „Frau Müller muss weg!, in der eine Gruppe von Eltern über eine ungeliebte Lehrerin streitet. Seither folgten „Der Vorname“ (eine weitere Adaption eines Theaterstücks), über einen Streit unter Freunden über Namensgebung, Geschichte und Sprachkultur, und theoretisch dessen Fortsetzung „Der Nachname“. Der Film ist seit längerer Zeit abgedreht, allerdings hat der Verleih Constantin Film ihn nach mehreren anvisierten, bereits verstrichenen Startterminen auf Oktober 2022 verschoben. Das gibt Wortmann die Gelegenheit, sich selbst zu überholen. Denn der Regisseur, der zudem 2019 mit „Contra“ (dem Remake eines französischen Achtungserfolges) einen Film ablieferte, der zwar kein Kammerspiel ist, aber immerhin von Diskussionskultur handelt, hat wieder ein schulisches Streit-Kammerspiel gedreht. „Eingeschlossene Gesellschaft“ basiert, im Gegensatz zu „Frau Müller muss weg“, auf einem Hörspiel, dreht sich erneut um elterliche Notensorgen, und spielt größtenteils in einem gymnasialen Lehrerzimmer.

Die beiden Lehrer Peter Mertens (Florian David Fitz) und Bernd Vogel (Torben Kessler) sind mit der Situation überfordert.
Ähnlich, wie in „Frau Müller muss weg“ die titelgebende Lehrerin nur eine Nebenrolle spielt, während die nörgelnden Eltern im Fokus stehen, ist in „Eingeschlossene Gesellschaft“ der aufgebrachte Vater in erster Linie die Plot-Antriebsfeder. Thorsten Merten ist als mit der Pistole herumwedelnder, wütender, aber auch sichtbar mit seinem Gewissen kämpfender Vater wenigstens eine gelungene Triebfeder: Merten hat sichtbare Freude, wenn er als Manfred klar macht, dass er nicht nur einen Punkt erpressen will, sondern auch den doppelzüngigen Lehrkörper des Gymnasiums zu Selbsterkenntnissen zwingen möchte. Und dennoch blickt er so überfordert und müde aus der Wäsche, dass der bewaffnete Geiselnehmer nicht einfach zum Wutbürger wird. Damit lässt Wortmann zwar etwas Konfliktpotential und die Option für satirischen Biss links liegen, da er den Aspekt verblendeter, zorniger Helikoptereltern an den Rand drängt, allerdings erdet es den Film zugleich – jedenfalls, so weit man „Vater bedroht Lehrer:innen mit Schusswaffe“ erden und glaubwürdiger gestalten kann. Der Schwerpunkt liegt hier nicht auf Makeln und Ärgernissen in der Notengebung allgemein, sondern auf dem verbesserungswürdigen Bildungssystem in Deutschland und doppelmoralischen Lehrer:innen, die als gestandene Erwachsene voller Fehler glauben, dass ihre Schützlinge gefälligst perfekt sein sollten.
„Thorsten Merten ist als mit der Pistole herumwedelnder, wütender, aber auch sichtbar mit seinem Gewissen kämpfender Vater wenigstens eine gelungene Triebfeder: Merten hat sichtbare Freude, wenn er als Manfred klar macht, dass er nicht nur einen Punkt erpressen will, sondern auch den doppelzüngigen Lehrkörper des Gymnasiums zu Selbsterkenntnissen zwingen möchte.“
Themen wie die im Schneckentempo voranschreitende Digitalisierung des Unterrichts oder eine mit dem Grund „Das war schon immer so!“ abgelehnte Verlegung des Unterrichtsbeginns auf Uhrzeiten, die aus chronobiologischer Sicht aufnahmefähigere Schulklassen versprechen, werden vornehmlich in Form von Nebenschauplätzen im Verbalkrieg der Lehrerinnen und Lehrer angegangen. Die idealistische Referendarin argumentiert mit ihrer Aussprache für eine modernisierte Schule gegen eine Wand, während sich die alten Damen und Herren im Lehrerzimmer lieber in Seitenhieben gegen inklusive Sprache üben. Oder in Lästereien über Oberklässlerinnen mit kurzen Röcken, die zulassen, dass der lustige, junge Sportlehrer und Freizeit-DJ über sie herfällt…
Wenn sich die Figuren in Rage reden, sorgt der Cast mit seinem guten Timing für Kurzweil – egal, ob sich ein unpopulärer Lehrer aus Prinzip gegen seine wahre Überzeugung stellt, nur um dem beliebteren Kollegen eines auszuwischen, die Zankenden auf das Niveau von Schulhofrüpeln herabsteigen oder Engelke, Dohnányi und Kessler mit dezentem Augenzwinkern zu Karikaturen unsterblicher Lehrer:innen-Archetypen werden. Farooq und Fitz verkörpern unterdessen die Typen, den viele Schüler:innen gern an den Lippen hängen (mal im übertragenen Sinne, mal… nicht), und geben nicht nur einen schmissigen Rapport mit- und gegeneinander ab, sondern kommen obendrein sehr gut mit der Aufgabe klar, dass ihre Rollen mehrmals von Sympathie- zu Antipathie-Trägern und zurück wechseln. So gewitzt das in den Glanzmomenten auch sein kann: Wenn nach und nach die unangenehmen Wahrheiten über die Geiseln des wütenden Vaters ans Licht kommen, hadert Wortmanns Inszenierung wiederholt damit, deren Gewicht gerecht zu werden. Folgenschwere Erkenntnisse werden in gleicher Weise inszeniert und beeinflussen den Tonfall, in dem die Figuren ihren Streit fortführen, genau so wie trivialere Enthüllungen.
„Wenn sich die Figuren in Rage reden, sorgt der Cast mit seinem guten Timing für Kurzweil – egal, ob sich ein unpopulärer Lehrer aus Prinzip gegen seine wahre Überzeugung stellt, nur um dem beliebteren Kollegen eines auszuwischen, die Zankenden auf das Niveau von Schulhofrüpeln herabsteigen oder Engelke, Dohnányi und Kessler mit dezentem Augenzwinkern zu Karikaturen unsterblicher Lehrer:innen-Archetypen werden.“
Dadurch geht nicht nur der Zunder der Vorwürfe und Geständnisse verloren – die hitzigen Debatten im Lehrerzimmer werden durch diese konstant bleibende Anspannung (oder je nach Blickwinkel: konstant bleibende, relative Entspanntheit) selbst bei einer Laufzeit von nur 101 Minuten inklusive Abspann gelegentlich monoton. Für Abwechslung sorgen unterdessen sketchhaft aufgezogene, pointierte Einblicke darin, wie eine unfähige Polizeitruppe der Geiselnahme nachgeht.
Fazit: Es mangelt zwar an Biss, dennoch sorgt ein gut eingespielter Cast in diesem Streitfilm über Schulprobleme und das große Problem Schule für viele Schmunzler, einige herzliche Lacher und eine solide Dosis „Das ist lustig, weil es ärgerlich ist“-Raunen.
„Eingeschlossene Gesellschaft“ ist ab dem 14. April 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.