Die brillante Mademoiselle Neïla

In der französischen Tragikomödie DIE BRILLANTE MADEMOISELLE NEïLA liefern sich zwei grundverschiedene Zeitgenossen ein schlagfertiges Verbalduell. Das ist so lange wirklich gut, bis sich der Regisseur im Finale für den völlig falschen Weg entscheidet. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Neïla Salah (Camélia Jordana) hat es geschafft. Sie wurde an der renommierten Pariser Assas Law School an-genommen und ist auf dem Weg, sich endlich ihren großen Traum zu erfüllen und Anwältin zu werden. Doch schon am ersten Tag läuft alles schief. Neïla kommt zu spät. Ausgerechnet zur Vorlesung von Professor Pierre Mazard (Daniel Auteuil), der für sein provokantes Verhalten und seine verbalen Ausfälle bekannt ist. In seiner so gar nicht politisch-korrekten Art nimmt er die junge Studentin vor versammeltem Hörsaal sofort aufs Korn. Doch diese Begegnung bleibt nicht ohne Folgen. Mazard wird von der Universitätsleitung vor die Wahl gestellt: Entwe-der er verlässt die Uni oder er glättet die Wogen, indem er Neïla hilft, einen prestigeträchtigen Rhetorikwettbe-werb zu gewinnen. Neïla ist alles andere als begeistert über das unerwartete Engagement – schließlich könnten sie und der zynische, elitäre Professor nicht unterschiedlicher sein. Und doch gelingt es den beiden mit der Zeit, hinter die spröde Fassade des anderen zu blicken und sie entdecken, dass es einiges voneinander zu lernen gibt…

Kritik

„Du bist ein lebendes Klischee!“ wirft Hauptfigur Neïla eines Abends einem ihrer besten Freunde vor, mit dem sie in einem der Banlieues, also der Vororte der französischen Hauptstadt Paris, lebt. Besagter Freund hat keinen Schulabschluss und schlägt sich vor allem mit Taxifahren durch, würde allerdings am liebsten Fußballer werden. Dass seine beste Freundin Neïla den Weg aus dem Ghetto an die Universität geschafft hat, stellt wiederum für ihn ein Klischee da – das Klischee von der, die aus ihren armen Verhältnissen ausbricht und als hervorstechendes Paradebeispiel für sich perfekt ins französische Leben integrierende Migranten dienen kann. Regisseur Yvan Attal („Do Not Disturb“) war es wichtig, mit Vorurteilen zu spielen, sie gezielt zu unterwandern, aber auch zu unterstreichen – bloß weg mit der Political Correctness war seine Devise, als er das ursprüngliche Skript der beiden Autoren Yaël Langman und Victor Sain-Macary („Ami-ami“) radikal auf links drehte. In der Ausgangsfassung hätte sich die Einwanderin aus Maghreb mit ihrem Umfeld hervorragend verstanden und sogar einen jüdischen, homosexuellen besten Freund gehabt. Zu viel für den die Kontroverse nicht scheuenden Attal, der sich für eine kratzbürstige Studentin und einen offen ausländerfeindlichen Professor als Hauptfiguren entschied. In „Die brillante Mademoiselle Neïla“ treffen diese beiden Charakterköpfe nun aufeinander, um genrekonform voneinander zu lernen und aufeinander zu zu gehen. Das ist lange Zeit authentisch und umgeht sämtliche Stolperfallen, die sich im Anbetracht der Prämisse auftun, doch auf der Zielgeraden reißt Attal seinen charmant-unkonventionellen Aufbau zu Gunsten eines allzu märchenhaften Abschlusses mit voller Wucht wieder ein.

Das erste Aufeinandertreffen zwischen Neïla (Camélia Jordana) und Professor Mazards (Daniel Auteuil) läuft aus dem Ruder.

Yvan Attal gibt selbst zu, keinen Film ohne komische Elemente inszenieren zu können, da er eigenen Angaben zufolge sonst „ersticken“ würde. In „Die brillante Mademoiselle Neïla“ wird das (noch) nicht zu einem Problem, denn vor allem in den Dialogen zwischen Neïla und ihrem Professor Pierre Mazard steckt abseits der durch und durch ernsten Grundthematik zwangsläufig jede Menge Witz. Neïla mag in den Augen ihres Profs jedes Klischee einer von ihm offenkundig verhassten Migrantin erfüllen, die seiner Erfahrung nach sowieso bald die Uni verlässt und sich vornehmlich auf ihrem Einwandererstatus ausruht. Gleichzeitig ist die junge Frau dem alten Herren in ihrer Weltsicht haushoch überlegen und kämpft aktiv dagegen an, dass die Menschen um sie herum sie nicht in eine Schublade stecken. In den hitzigen Diskussionen zwischen den zwei Zeitgenossen fliegen immer wieder heftig die Fetzen, was später auch in das rhetorische Training mit einfließt, durch das Mazard seinen Schützling auf einen großen Wettbewerb vorbereiten möchte. Fortan können sich die beiden gegenseitig im Dienste der Sprache provozieren – und genau das gibt dem Film seine besondere Note. Yvan Attal lässt die persönliche Fehde und die Funktionalität der Rhetorik miteinander verschmelzen, was nicht nur lange Zeit sehr gut funktioniert, sondern auch verstärkt Skepsis an der verhärmten Radikalität Mazards schürt. Inwiefern ist seine Provokation nur Teil seines zu unterrichtenden Fachs und wann fängt er an, sich persönlich damit zu identifizieren? Aus dieser Frage heraus entwickelt „Die brillante Mademoiselle Neïla“ eine Grundspannung und lässt den Professor zudem als weitaus komplexerer Charakter erscheinen, als noch zu Beginn des Films.

Am Anfang erfüllt Professor Mazard sämtliche Voraussetzungen eines ewig Gestrigen, der hierzulande vermutlich hinter vorgehaltener Hand die AfD wählen würde. Schon das erste Aufeinandertreffen im Hörsaal entlockt ihm Kommentare, mit denen er nicht nur die gesamte Studentenschaft gegen sich aufbringt, sondern auch ernsthaft Skepsis hervorruft, ob man mit diesem Menschen wirklich eineinhalb Stunden Laufzeit verbringen möchte. Insbesondere schürt es aber auch die Erwartungen an den Film selbst: Die Gratwanderung zwischen Verklärung eines echten Problems und aufrichtig und schlüssig geschriebener Läuterung eines fehlgeleiteten Griesgrams ist schwierig. Doch dem Regisseur und Co-Autor gelingt es, in jeder Hinsicht Interesse für seine Figuren hervorzurufen, die beileibe nicht immer so reagieren, wie es für ihren Charaktertypus bisweilen vorgesehen scheint. Immer wieder unterwandern sowohl der Professor, als auch Neïla die Erwartungen des Publikums, indem sie Klischees eben auch einfach mal bestätigen, während sie sie an anderer Stelle wiederum aushebeln. Yvan Attal erzählt in seinem Film von echten Menschen und tut das lange Zeit so geschickt, dass sich der eigentlich so vorhersehbare Plot über weite Strecken echt und wahrhaftig anfühlt, eh der Filmemacher im Finale einen großen Fehler begeht.

Neïla erhält die Chance, bei einem prestigeträchtigen Rhetorikwettbewerb mitzumachen.

Dass Attal zuvor bereits halbherzig einen Nebenhandlungsstrang eröffnet, in dem sich Neïla verliebt, verwässert das Geschehen nur, hat allerdings keine allzu großen Auswirkungen auf das Gesamterscheinungsbild des Films. Weitaus schwieriger wird es, als Attal erst sein subtiles Erzählen gegen Vorschlaghammer-Drama tauscht und anschließend seine zuvor als so klug und unabhängig etablierte Protagonistin ausschließlich im Sinne der filmischen Botschaft handeln lässt – und diese spielt letztlich auf billige Weise nur noch dem Professor in die Hände. Die vollständige Läuterung geht im Eilverfahren binnen einer einzigen Szene vonstatten und wird der zuvor so behutsam aufgebauten Annäherung der Kulturen und Generationen nicht gerecht. Auf die Leistungen der beiden Hauptdarsteller hat das nur bedingt Einfluss: Camélia Jordana („Nur wir drei gemeinsam“) vereint in ihrer Performance bis zuletzt den unbedingten Willen, ihr Ziel zu erreichen mit der Ablehnung gegenüber des Professors, von dessen Wohlwollen sie nicht abhängig sein will. Auch das französische Schauspiel-Urgestein Daniel Auteuil („Jappeloup – Eine Legende“) überzeugt als gleichermaßen unangenehmer wie rhetorisch brillanter Professor, der in seinen Ausführungen ganz nebenbei erläutert, wie Radikale die Sprache für ihre Zwecke missbrauchen. Schade nur, dass der Regisseur und Autor selbst genau das im Finale tut, um den Zuschauer endgültig auf seine Seite zu ziehen.

Fazit: Die französische Tragikomödie „Die brillante Mademoiselle Neïla“ ist lange Zeit eine charmante Geschichte über die Annäherung zweier grundverschiedener Persönlichkeiten, garniert mit jeder Menge Hintergrundwissen über die Funktionalität von Rhetorik. Im letzten Drittel nimmt der Film dann aber eine Wendung, die sehr zu Lasten von Glaubwürdigkeit und Authentizität geht.

„Die brillante Mademoiselle Neïla ist ab dem 14. Juni in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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