Du hättest gehen sollen

Auch an der Low-Budget-Horrorschmiede Blumhouse geht die Corona-Krise nicht spurlos vorbei. In diesem Fall trifft es den Gruselthriller DU HÄTTEST GEHEN SOLLEN, den Universal Pictures nun direkt ins Heimkino bringt und auf die Auswertung in den Lichtspielhäusern verzichtet. Ob das verständlich oder ein großer Verlust ist, das verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Als Paar ziehen Theo (Kevin Bacon) und Susanna (Amanda Seyfried) gern die Aufmerksamkeit auf sich. Der Grund: Er ist nicht bloß eine ganze Ecke älter als seine neue Freundin, er steht außerdem im Verdacht, seine Ehefrau umgebracht zu haben. So erzählt man es sich zumindest. Die erfolgreiche Schauspielerin Susanna und ihre kleine Tochter Ella (Avery Essex) hält dies allerdings nicht davon ab, gemeinsam eine neue Familie zu gründen und – um das Glück perfekt zu machen – in ein abgeschiedenes Luxushaus zu ziehen, um hier ihr Leben zu genießen. Doch in der nahe gelegenen Stadt deuten die Bewohner immer wieder an, dass es in dem Gebäude nicht mit rechten Dingen zugeht und das Paar schnellstmöglich von dort verschwinden sollte. Theo und Susanna schenken den Gerüchten zunächst keine Aufmerksamkeit, doch dann kommt es in dem Haus zu immer seltsameren Vorkommnissen, die Theo an den Rand des Wahnsinns treiben…
Kritik
Mit „Trolls 2: Trolls World Tour“ fing alles an. Es folgten Filme wie „The Hunt“, „The King of Staten Island“ und „The High Note“; Produktionen, die aufgrund der Corona-Krise nicht die Möglichkeit erhielten, ihren Siegeszug in den Kinos anzutreten, sondern stattdessen auf den Streamingplattformen verramscht wurden. Eine bedauerliche, wenngleich den Umständen entsprechend nachvollziehbare Entwicklung, von der nun zu hoffen ist, dass sie ab der weltweiten Wiedereröffnung der Lichtspielhäuser der Vergangenheit angehört. Auch Blumhouse Productions hatte in der Zeit der Pandemie gleich zwei potenziell erfolgversprechende Pfeile im Köcher. Zum einen die bitterböse Splattersatire „The Hunt“, die in den USA immerhin noch ein paar Kinotage für sich verbuchen konnte, bevor dort die Kinoschließungen veranlasst wurden, hierzulande allerdings gänzlich auf ihren Start verzichten musste. Und den auf einer Erzählung von Daniel Kehlmann basierenden Gruselthriller „Du hättest gehen sollen“, den man ab sofort für knapp 20 Dollar auf US-amerikanischen VOD-Plattformen leihen kann. Nun stellt sich natürlich die Frage, inwiefern im Vornherein überhaupt ein Vertrauen in die Qualität bestanden haben muss, wenn man nicht wartet, bis die Kinos wieder geöffnet haben und stattdessen zum weniger aufwändigen Prozess der Heimkinoveröffentlichung greift. Im Falle von „Du hättest gehen sollen“ liegt diese Entscheidung allerdings nahe, denn die äußerst günstig produzierten Filme der Blumhouse-Schmiede kommen auch ganz ohne Corona nicht selten gar nicht erst in die Kinos und werfen aufgrund der niedrigen Produktionskosten trotzdem jede Menge Gewinn ab. Umso bedauerlicher ist es nun, dass ausgerechnet einer der besten (und bestaussehenden) Filme jüngerer Blumhouse-Geschichte nicht das Licht der Kinosäle erblicken wird.
Für Drehbuch und Regie von „Du hättest gehen sollen“ zeichnet niemand Geringeres als David Koepp verantwortlich. Weshalb das in diesem Fall eine naheliegende Wahl ist, wird deutlich, wenn man sich einmal anschaut, was Koepp – neben Filmen wie „Das geheime Fenster“, „Premium Rush“ (als Regisseur) und „Jurassic Park“ (als Autor) – sonst noch gemacht hat. Nämlich den Mysterythriller „Echoes – Stimmen aus der Zwischenwelt“, der, dem Trailer zufolge, überdeutlich Pate für seinen neuesten Film gestanden haben muss. Doch auch wenn die Grundkonstellation eines Paares, das sich in einem Haus plötzlich unheimlichen Vorkommnissen ausgesetzt sieht (also im Grunde die Prämisse jedes x-beliebigen Haunted-House-Movies), ähnlich ist, steht „Du hättest gehen sollen“ letztlich doch für sich allein. Und macht vieles besser als das vermeintliche Vorbild. Das beginnt schon bei der Zeichnung des Protagonistenpärchens. Mit Amanda Seyfried („Enzo und die wundersame Welt der Menschen“) und Kevin Bacon („Boston“) konnten die Macher nicht bloß zwei gestandene Hollywoodgrößen gewinnen; Gerade im Genrekino ist das alles andere als alltäglich. Die beiden verkörpern ein Pärchen, dessen großer Altersunterschied das Skript nicht etwa als selbstverständlich erachtet, sondern den das Drehbuch lange Zeit gezielt als erzählerisch relevanten Faktor in den Fokus rückt. Über eine halbe Stunde nimmt sich „Du hättest gehen sollen“ Zeit, um die auch deswegen kriselnde Beziehung der beiden zu skizzieren. Theo misstraut seiner jungen, schönen Freundin, da diese immer häufiger an ihrem Smartphone hängt und WhatsApp-Nachrichten mit Kollegen schreibt. Susanna wiederum misslingt es zunehmend, ihrem Freund ihre Liebe zu beweisen. Und über allem kreist die Frage, ob sich diese ungewöhnliche Patchworkfamilie zusammenraufen kann, selbst wenn sie von ihrer Umgebung permanent kritisch beäugt wird.
„Amanda Seyfried und Kevin Bacon verkörpern ein Pärchen, dessen großer Altersunterschied das Skript nicht etwa als selbstverständlich erachtet, sondern den das Drehbuch lange Zeit gezielt als erzählerisch relevanten Faktor in den Fokus rückt.“
Ebenfalls das junge Glück beeinflussend: das Gerücht, Theo hätte vor seiner Beziehung mit Susanna seine damalige Ehefrau umgebracht. Eine Vermutung, die zwar ungeheuerlich anmutet, die aber gleichzeitig so überzeugend als Lüge präsentiert wird, dass sie lange Zeit gar keine Rolle spielt. Stattdessen entspinnt sich das Grauen langsam in Form eines typischen Geisterhaushorrorpotpourris; unheimliche Schatten an den Wänden, gruselige Spiegelungen, von selbst angehende Lichter und schemenhafte Gestalten, die ebenso plötzlich auftauchen wie wieder verschwinden. Nichts Neues in der Welt des Jumpscare-Horrors; mit dem kleinen Unterschied, dass David Koepp diese bekannten Versatzstücke nur selten als wirkliche Jumpscares inszeniert. Das nimmt ihnen den reißerischen Charakter und sorgt vor allem für Unbehagen, eh „Du hättest gehen sollen“ in der zweiten Hälfte eine völlig andere Richtung einschlägt, als man es anhand der zuvor dargebotenen Tropes erwarten würde. Nun muss man zugeben, dass auch der nun folgende Themenkomplex keinen Innovationspreis gewinnt. An welche Filme genau er uns erinnert, wollen wir aus Spoilergründen natürlich nicht verraten. Doch gleichzeitig inszeniert David Koepp seinen Film derart stilsicher und sorgt mithilfe einiger smarter, alles anderer als aufwändiger Kabinettstückchen dafür, dass „Du hättest gehen sollen“ eine nostalgisch-gruselige Atmosphäre versprüht, obwohl das durchdesignte Luxusanwesen des Pärchens der Gegenentwurf zum klassisch verfallenen Gruselhaus darstellt.
Die mit einer üppigen Fensterfront, unzähligen Treppen und Türen und einem riesigen Garten ausgestattete Villa ist letztlich auch der heimliche Star des Films. Denn so überzeugend und innerlich zerrissen Seyfried und Bacon hier ein Paar am Rande des Beziehungsaus verkörpern, so leicht stiehlt ihnen das Haus in vielen Szenen die Show. Und zwar nicht, weil es auch einfach verdammt gut aussieht, sondern weil Kameramann Angus Hudson („The Accident“) so stilsicher durch die schier endlosen Gänge und unzähligen Räume des Hauses gleitet, dass man selbst trotz der zu Beginn des Films stattfindenden Führung durch die Villa schnell die Orientierung zu verlieren droht. Und das ist nicht etwa ein Versehen, sondern trägt ganz gezielt zum nachvollziehbaren Verwirrtheitszustand der männlichen Hauptfigur bei.
„Nichts Neues in der Welt des Jumpscare-Horrors; mit dem kleinen Unterschied, dass David Koepp diese bekannten Versatzstücke nur selten als wirkliche Jumpscares inszeniert. Das nimmt ihnen den reißerischen Charakter und sorgt vor allem für Unbehagen, eh „Du hättest gehen sollen“ in der zweiten Hälfte eine völlig andere Richtung einschlägt.“
„Du hättest gehen sollen“ spielt nicht nur gekonnt mit der Architektur des Hauses, wenn es zum zentralen Bestandteil von Theos sukzessive immer stärker werdenden Wahnvorstellungen wird, sondern nutzt dazu einfache Mittel für inszenatorische Feinheiten. So müssen die Macher etwa nur eine unter der Decke hängende Lampe hin- und herschwingen, damit der Schattenwurf des Treppengeländers regelrecht zu wabern scheint. Damit ist „Du hättest gehen sollen“ der beste Beweis dafür, dass sich auch mit altbekannten Zutaten etwas äußerst Schmackhaftes zubereiten lässt. In diesem Fall ein Gruselthriller, der trotz diverser Anleihen an bekannte Genrefilme frisch und ambitioniert wirkt. Also im Grunde das, was schon viele andere Filme von David Koepp ausgezeichnet hat.
Fazit: „Du hättest gehen sollen“ wirkt auf den ersten Blick wie ein x-beliebiger Haunted-House-Horrorfilm. Doch die Gewöhnung an bekannte Mechanismen unterläuft David Koepp gekonnt und inszeniert einen verdammt gut aussehenden, überraschenden und stark gespielten Gruselfilm, dessen Figuren einem schnell ans Herz wachsen.
„Du hättest gehen sollen“ ist ab dem 29. Oktober auf DVD und Blu-ray erhältlich.
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