The Northman

Nach „The Witch“ und „Der Leuchtturm“ reicht Regisseur Robert Eggers seinen bislang größten Film nach: THE NORTHMAN ist ein mit Stars gespicktes Wikingerepos. Wie viel von Eggers‘ Anfängen drin steckt, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Das Jahr 895: Wikingerkönig Aurvandil (Ethan Hawke) kehrt nach einer Reise heim zu seiner Gattin Gudrún (Nicole Kidman) und seinem jungen Sohn Amleth (Oscar Novak). Den erachtet Aurvandil als alt genug, um darin unterrichtet zu werden, wie man ein richtiger Mann und gefürchteter Anführer wird. Aber noch jemand hat ein Auge auf den Thron geworfen: Aurvandils listiger, neidischer Bruder Fjölnir (Claes Bang), der sich eines Tages durch ein kaltblütiges Attentat das Sagen über das Reich sichert. Amleth kann fliehen und wächst in weiter Ferne zu einem muskulösen Krieger (Alexander Skarsgård) heran. Der kehrt nach einer aufreibenden Erscheinung in sein Heimatreich zurück, verliebt sich in die Sklavin Olga (Anya Taylor-Joy) und plant, seinen verräterischen Onkel zu stürzen…
Kritik
Der isländische Dichter, Schriftsteller und Songtexter Sjón ist nicht der prominenteste Name, den sein Heimatland hervorgebracht hat. Doch der regelmäßige Björk-Kollaborateur hat derzeit einen Lauf, der ihm in der genreaffinen Filmfan-Community Respekt einbringen dürfte: Nur wenige Monate nach dem von ihm mitverfassten Mix aus Beziehungsdrama und Schauermär namens „Lamb“ folgt nun „The Northman“, eine verwegene, ambitionierte Mischung aus Abenteuerepos, Historiendrama und Fantasy-Arthouse-Horror, die er sich gemeinsam mit Regisseur Robert Eggers ausgedacht hat. Die beiden Filme würden ein hervorragendes Double Feature ergeben, lassen sie doch sowohl eine stilistische Gemeinsamkeit durchschimmern, die für eine erkennbare Handschrift Sjóns spricht, als dass sie völlig unterschiedliche Tonalitäten verfolgen. Und sie beide sind unmissverständlich künstlerischer Ausdruck der als Co-Autoren fungierenden Regisseure, mit denen Sjón zusammenarbeitete.
Denn „The Northman“ ist ohne jeden Zweifel das Ergebnis dessen, was passiert, wenn der Regisseur des „Religiöse Verblendung und völlige Abgeschiedenheit haben erschütternde Sequenzen“-Historien-Gruseldramas „The Witch“ erst mit „Der Leuchtturm“ seine inszenatorischen Kunstfertigkeiten verfeinert, und dann ein Budget in die Hand gedrückt bekommt, von dem sich in den 1990er-Jahren noch erfahrene Regiegrößen erschlagen fühlten. Es ist einerseits Eggers‘ womöglich zugänglichster Film, weil sich die Schauwerte von der bewussten, völligen Reduktion aus „The Witch“ und den filmnostalgischen Ästhetikspielereien aus „Der Leuchtturm“ entfernen, um sich zu einer massentauglichen Materialschlacht zu entwickeln:m Historische Schiffe auf See. Dutzende Männer in längst vergangene Jahrhunderte wieder aufleben lassender Kriegerkluft. Aus Holz, Seilen, Fell und Stroh erbaute Dörfer, die erkundet und attackiert werden. Übernatürliche, unheimliche Erscheinungen (darunter Björk ohne Augen, dafür mit kiloweise Schmuck). Schwerter, Äxte, Pfeil, Bogen und Feuer. Matsch und Verwüstung. Fans von Historien-Abenteuerepen wie „Der 13. Krieger“, Graham Bakers „Beowulf“, Antoine Fuquas „King Arthur“ oder natürlich „Die Wikinger“ und „Raubzug der Wikinger“ dürfte da der Mund wässrig werden.
„Es ist einerseits Eggers‘ womöglich zugänglichster Film, weil sich die Schauwerte von der bewussten, völligen Reduktion aus ‚The Witch‘ und den filmnostalgischen Ästhetikspielereien aus ‚Der Leuchtturm‘ entfernen, um sich zu einer massentauglichen Materialschlacht zu entwickeln:m Historische Schiffe auf See. Gleichzeitig bleibt sich der Regisseur treu.“
Gleichzeitig bleibt Robert Eggers sich selbst treu – und sorgt daher paradoxerweise durch die zwei, drei Schritte, die er hier dem breiteren Publikum entgegen kommt, dafür, dass „The Northman“ sein (auf reizvolle Weise) bislang sonderbarster Film wird. Denn trotz mancher Filmreferenzen und einiger Einsätze von knochentrocken abgeliefertem, juvenilem Humor (es sind schmatzende, stinkende Testosteronballons auf zwei Beinen, natürlich machen sie Furzwitze und ähnlichen Unfug) und einer zügig erzählten Geschichte über Vendetta: „The Northman“ ist alles andere als frei von unbequemen Ecken und Kanten. Das galt zwar auch schon für „The Witch“ und „Der Leuchtturm“, die haben jedoch ihr Publikum nie in Eskapismus-Sicherheit gewogen. „The Northman“ dagegen schaukelt wie ein Wikingerschiff auf stürmischer See zwischen matschigem, rauchvernebeltem, blutlüsternem Entertainment und derben Brüchen damit hin und her. Mit Hilfe des Archäologen Neil Price strebt „The Northman“ streckenweise eine hohe historische Genauigkeit an – aber Eggers inszeniert den Wikingerglauben aus der Sicht überzeugter Vollblut-Wikinger und nimmt ihn daher für bare Münze. Neben nächtlicher Visionen mit A24-Horrorfilm-Stimmung gibt es daher auch gelegentlichen Fantasy-Einschlag. Und diese spaßigen Auflockerungen respektive aufregenden Genre-Thrill-Brüche mit der Abenteuerepos-Aufmachung werden aufgewogen durch eine Sprache, die deutlich sperriger ist als in den vorhin genannten Materialschlachten. Und dann ist da noch die wesentlich kritischere Haltung gegenüber dem Gezeigten.
Nichts mit „Einmal zurücklehnen und eine Reise in ein anderes Setting genießen“: So, wie schon in „The Witch“ und in „Der Leuchtturm“ ist auch in „The Northman“ das Setting der wahre Oberschurke des Stoffes. Identifikationsfiguren sind rar gesät und werden konsequent gebrochen, ständig sabotieren sich Figuren mit ihren starrköpfigen Überzeugungen selber und die Gewaltspitzen sind generell irgendwo auf einer Skala von unschön bis widerlich – Eggers suhlt sich nicht in Freude am blutigen Exzess. Es ist ein stürmischer Wellengang, in den sich Eggers mit einem Dickschädel, auf den seine Figuren stolz wären, hineinmanövriert. Doch im Gegensatz zu seinen Figuren meistert Eggers das selbst gewählte Chaos behände: Durch die tonale Unberechenbarkeit intensiviert er die Anspannung, während er die einzelnen Sinnabschnitte des Films atmosphärisch dicht und inszenatorisch in sich kohärent umsetzt, so dass dieses Schiff namens „The Northman“ nicht vom Wellengang zum Kentern gebracht wird. Die Optik ist eisig, dreckig, nervenaufreibend und imposant – und der Cast wird stark eingesetzt. Insbesondere Willem Dafoe („Nightmare Alley“) als aufgekratzter Hofnarr/Schamane, Alexander Skarsgård („Godzilla vs. Kong“) als zorniger Wikingerprinz und Anya Taylor-Joy („Last Night in Soho“) als mit dickem Akzent sprechendes Sammelsurium mehrerer Genre-Archetypen:
„Identifikationsfiguren sind rar gesät und werden konsequent gebrochen, ständig sabotieren sich Figuren mit ihren starrköpfigen Überzeugungen selber und die Gewaltspitzen sind generell irgendwo auf einer Skala von unschön bis widerlich – Eggers suhlt sich nicht in Freude am blutigen Exzess.“
Zauberin, Jungfrau in Nöten, sorgsame Partnerin und feiste Kämpferin für bessere Werte. Ein Mischmasch, der so niedergeschrieben sicherlich fahrig und willkürlich erscheint – jedoch durch gutes Spiel ein stimmiges Ganzes ergibt. Taylor-Joy ist sozusagen das Sinnbild von „The Northman“ in „The Northman“.
Fazit: „The Northman“ ist ein dreckiges, eisiges Abenteuerepos, packend gekreuzt mit der markanten, unangepassten, kunstvollen Handschrift des „Der Leuchtturm“-Regisseurs Robert Eggers.
„The Northman“ ist ab dem 21. April 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.