Catch the Killer

Klassische Thriller sind im Kino zur Mangelware geworden. Mit CATCH THE KILLER präsentiert der Argentinier Damián Szifron nun sogar einen Originalstoff über eine junge, ambitionierte Polizistin mit düsterer Vergangenheit, die sich auf die erbitterte Jagd nach einem Amokschützen begibt. Das ist der Stoff, aus dem skandinavische Crime-Stories gemacht sind – nur diesmal befinden wir uns eben in Baltimore.

OT: Misanthrope (USA/CAN 2023)

Darum geht’s

Während der Silvesterfeierlichkeiten in Baltimore erschießt ein Scharfschütze von einem Hochhausbalkon 29 Menschen. Als die junge Polizistin Eleanor (Shailene Woodley) an den Schauplatz dieses brutalen Verbrechens gerufen wird, erkennt FBI-Agent Lammark (Ben Mendelsohn), dass die psychisch vorbelastete Kollegin die einzige zu sein scheint, die sich in den unbekannten Killer hineinversetzen kann. Deshalb will er sie, trotz ihrer Unerfahrenheit, spontan in seiner Sondereinheit haben, die den Amokschützen schnellstmöglich fassen soll. Ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Während sich die Ermittler:innen noch mit falschen Spuren und internen Kompetenzstreitigkeiten herumschlagen, richtet der unberechenbare Täter ein weiteres Blutbad in einem Einkaufszentrum an. Der Druck auf das Fahndungsteam wächst. Wird es Eleanor gelingen, die Dämonen ihrer eigenen dunklen Vergangenheit zu überwinden und den rätselhaften Massenmörder aufzuspüren, bevor er noch weitere Menschen auf dem Gewissen hat?

Kritik

Dass sich Sehgewohnheiten über Jahre und Jahrzehnte ändern, ist keine neue Beobachtung in der Pop- und insbesondere Filmkultur. Aufmerksamkeitsspannen werden kürzer, der Wunsch nach verfilmten Vorlagen ändert sich, technische Möglichkeiten werden besser und das rotierende Karussell Filmschaffender und Schauspieler:innen beeinflusst die Vorlieben an die uns präsentierten Geschichten. In den vergangenen Monaten und Jahren hat sich nun ein Trend abgezeichnet, dessen Halbwertzeit sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ablesen lässt. „Pitch Perfect“-Star Adam Devine erklärte das „Wegschrumpfen“ der Komödie im Kino mit der Präsenz des Superheldenfilms, das eine Art cineastische Allzweckwaffe darstellt, die den Wunsch nach Action, Fantasy, Science-Fiction und eben auch Comedy gleichermaßen zu befriedigen in der Lage ist. Die Folge: Rein auf Humor abzielende Produktionen, denen ein Studio nicht nur ein Minimalbudget zugesteht, sind selten geworden; oder wurden direkt zu Streamingdiensten abgeschoben. Das Gleiche lässt sich auch beim klassischen Thriller beobachten, was sich jedoch nur bedingt auf Marvel, DC. und Co. zurückführen lässt (mit Ausnahme von „The Batman“ deckten Superheldenfilme bisher kaum bis gar keine Elemente des Thrillerkinos ab). Wohl aber auf die Überpräsenz von True Crime, also der mal fiktionalen, häufiger jedoch dokumentarischen Aufarbeitung realer Kriminalfälle. Egal ob als Podcast oder als Netflix-Serie: True Crime boomt. Wer will da schon noch ausgedachte Geschichten von Serienkillern, Psychopathen oder psychopathischen Serienkillern sehen?

FBI-Agent Lammark (Ben Mendelsohn) begutachtet die 29 Leichen des Scharfschützen.

Das, was der argentinische Regisseur und Drehbuchautor Damián Szifron („Wild Tales – Jeder dreht mal durch!“) sowie sein Co-Schreiber Jonathan Wakeham mit „Catch the Killer“ gemacht haben, birgt also ein gewisses Risiko. Obwohl der Scharfschützen-Thriller mit „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“-Star Shailene Woodley und Ben Mendelsohn („Una und Ray“) in den Hauptrollen starke Anleihen an das skandinavische Krimikino besitzt, liegt dem Film keinerlei Romanvorlage zugrunde. „Catch the Killer“ ist durch und durch ein Originalstoff in einem Genre, das derzeit so gut wie ausgestorben ist. Schade ist nur, dass der Film bei bislang zwar nicht nach außen kommunizierten, aber sicher nicht horrenden Produktionskosten gerade einmal 3,1 Millionen US-Dollar einspielen konnte. Das ist nicht unbedingt ein Zeichen an die Filmstudios, ähnlich riskanten Projekten in Zukunft leichtfertig Gelder bereitzustellen, um ihr Projekt auf die Leinwand und nicht direkt ins VoD-Segment zu bringen. Dabei gehört ein Film wie „Catch the Killer“ definitiv ins Kino. Und zwar nicht nur, weil Kameramann Javier Julia („Argentinien 1985“) die hier im Zentrum stehende Stadt Baltimore als flirrenden Ameisenstaat einfängt, in dessen Weitläufigkeit und damit verbundener Anonymität nicht nur hervorragend morden, sondern sich umso besser verstecken lässt. Generell eignet sich das Lichtspielhaus bei einem Film wie „Catch the Killer“ besser als Konsumort denn das heimische Wohnzimmer. Denn anders als viele oft zum Reißerischen neigenden Filme ähnlicher Couleur gehen die Kreativen hier lange Zeit einen eher nüchternen Weg der Fallaufklärung. Es wird vor allem viel gesprochen, Ermittlungstaktiken werden abgewogen und insbesondere die zwangsweise Kollaboration mit den berichterstattenden Medien birgt ein hohes Spannungspotenzial, wovon man sich zuhause nur allzu leicht ablenken lassen könnte.

„Anders als viele oft zum Reißerischen neigenden Filme ähnlicher Couleur gehen die Kreativen hier lange Zeit einen eher nüchternen Weg der Fallaufklärung. Es wird vor allem viel gesprochen, Ermittlungstaktiken werden abgewogen und insbesondere die zwangsweise Kollaboration mit den berichterstattenden Medien birgt ein hohes Spannungspotenzial.“

Schon der Anfang von „Catch the Killer“ überrascht in seiner Geradlinigkeit. Ohne Umschweife werden wir zum Beobachter/zur Beobachterin zweier Kopfschüsse; einer von Nahem, einer aus der Ferne. Vor allem das Attentat auf einen Schlittschuhläufer geschieht derart beiläufig, dass man fast den Eindruck bekommt, hier eher einer Traumsequenz oder Rückblende beizuwohnen; oder schlicht und ergreifend einen Teil des Films bereits verpasst zu haben. Tatsächlich aber lässt sich im weiteren Verlauf des Films erkennen, dass ein derartiges Understatement im Serienkillerfilm hier Methode hat. Aus der stets betonten Präzision, die der Scharfschütze an den Tag legt (seine ersten 29 Opfer ermordete er jeweils mit einem einzigen, zielgerichteten Schuss), ließe sich leicht eine fehlgeleitete Heroisierung ableiten. Doch „Catch the Killer“ gibt dem Publikum nur diese Sekunden des Einblicks in das makabere Können des Gejagten. Stattdessen sind es die Folgen der Taten, die Wut von Bevölkerung und Ermittler:innen und die sich mit der Zeit als immer wahnhafter herauskristallisierende Weltsicht des Täters, die die Erzählung dominieren. Dadurch gelingt Damián Szifron ein Balanceakt: Je mehr wir von seinen Beweggründen erfahren, desto mehr lassen sich seine Taten rekonstruieren, seine Gedankengänge sich in seiner wirren Logik nachvollziehen – Verständnis bringt ihm das Skript jedoch nie entgegen. „Catch the Killer“ setzt keinem Amokläufer ein fragwürdiges Denkmal, holt ihn jedoch aus dem Phantomdasein heraus und bietet der Arbeit der Cops dadurch erst recht die Bühne, indem ihr Wettlauf gegen die Zeit auf Augenhöhe mit dem Täter ausgetragen wird.

Officer McKenzie (Jovan Adepo), FBI-Agent Lammark und ihre Kollegin Eleanor (Shailene Woodley).

Passend dazu liegt der Schwerpunkt von „Catch the Killer“ auf der Betonung dessen, dass die junge Kommissarin Eleanor sowie ihre beiden Kollegen, der FBI-Agent Lammark und der Detective Jack McKenzie, hier eben nicht nach einem Monster, sondern nach einem bösen Menschen suchen. Nur wenn sich die Drei diesen Umstand immer wieder vergegenwärtigen, kann es ihnen gelingen, die Denkweise des Täters nachzuvollziehen und seine nächsten Schritte vorauszuahnen. Dass Eleanor mit ihrer labilen Verfassung vielleicht näher an der Psyche eines Serienkillers dran ist als ihre Kolleginnen und Kollegen, gerät dabei weitaus weniger plump als bei dieser Prämisse befürchtet. Stattdessen lässt „Catch the Killer“ Eleanor vor allem detailversessener erscheinen und als eine junge Frau, die Dinge wahrnimmt, die die anderen Cops in ihrem Ermittlungstrott leicht übersehen. Im Laufe der flott erzählten zwei Stunden erklärt uns das Skript immer wieder anhand einzelner Details, was es mit Eleanors Vergangenheit auf sich hat. Das Ensemble, insbesondere aber Shailene Woodley überzeugen mit mehrschichtigen Performances, die die ganz großen Gesten beiseitelassen. Je mehr man über Eleanor erfährt, desto mehr will man von ihr wissen. Da „Catch the Killer“ jedoch darauf verzichtet, jedes einzelne Puzzlestück ihres komplexen Charakters zu offenbaren, würde sich ihre Figur sehr für Fortsetzungen eignen. Vor allem die Begründung, woran es bei der Aufnahme als FBI-Ermittlerin scheiterte, entbehrt einer morbiden Komik. Generell betont „Catch the Killer“ die Menschlichkeit seiner alles andere als heldenhaften Hauptfiguren, sodass sich aus der Situation heraus mitunter Momente entspinnen, die das Publikum für einen kurzen Moment aufatmen, gar schmunzeln lassen. So ist der Film in erster Linie zwar hochspannend und tragisch, aber nie vollends zermürbend.

„Dass Eleanor mit ihrer labilen Verfassung vielleicht näher an der Psyche eines Serienkillers dran ist als ihre Kolleginnen und Kollegen, gerät dabei weitaus weniger plump als bei dieser Prämisse befürchtet.“

Gemessen an der unaufgeregten Inszenierung der ersten eineinhalb Stunden, nimmt „Catch the Killer“ in der finalen Mörderhatz und -Ergreifung indes widersprüchliche Züge an. Je mehr man nicht nur über Eleanor, sondern auch über den Killer erfährt, desto mehr verliert sich die dichte Atmosphäre in Anflüge von Hysterie und Effekthascherei. Auch die logisch nachvollziehbaren Handlungen aller Beteiligten weichen sukzessive auf. Zwar muss sich ein fiktionaler Thriller nicht zwingend an der Darstellung von größtmöglichem Realismus aufhalten. Doch im Falle von „Catch the Killer“ ist der Kontrast zwischen den ersten drei Vierteln und dem letzten Viertel so groß, dass man sich durchaus daran stören kann, wie der Fall hier aufgelöst wird. Dass Damián Szifron in den letzten Minuten dann auch noch den Härtegrad spürbar anzieht und auf ein radikales Ende fernab jedweder Polizeiromantisierung zusteuert, ist zwar lobenswert. Aber dadurch verabschiedet sich „Catch the Killer“ auch auf einer ganz anderen Ebene von seinem Publikum, als er begonnen hat. Das macht den Wunsch nach einem Wiedersehen mit Eleanor jedoch nicht weniger dringlich – eher im Gegenteil.

Fazit: „Catch the Killer“ ist ein hochspannender Serienkillerthriller mit einem hochwertigen Ensemble, der sich im Finale jedoch ein bisschen zu radikal von seinem Ursprungsansatz wegbewegt, auf geradlinige und nüchterne Weise die Ergreifung eines Amokläufers zu porträtieren.

„Catch the Killer“ ist ab dem 5. Oktober 2023 in den deutschen Kinos zu sehen.

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