Scream

Die legendäre Slasher-Reihe kehrt erstmals ohne den verstorbenen Wes Craven zurück – mit einem Film, der gleichermaßen eine neue Generation ins Rampenlicht holt wie er die alte Garde zelebriert. Was SCREAM damit aussagt, verraten wir in unserer Spoiler-Kritik.

OT: Scream (USA 2022)

Der Plot

Etwa zehn Jahre herrschte Ruhe in Woodsboro, doch das Grauen ist wieder da: Junge Menschen werden über ihr Horrorfilmwissen befragt und brutal attackiert. Während die Teenager Wes (Dylan Minnette), Sam (Melissa Barrera), Chad (Mason Gooding), Richie (Jack Quaid), Mindy (Jasmin Savoy Brown), Amber (Mikey Madison) und Liv (Snia Ben Ammar) nach dem Angriff auf Tara (Jenna Ortega) debattieren, wer dieses Mal der Killer mit der Ghostface-Maske ist, werden auch frühere Mordserien-Überlebende in den Fall gezerrt. Können Sheriff Judy Hicks (Marley Shelton), Dewey Riley (David Arquette), Gale Weathers (Courtney Cox) und Sidney Prescott (Neve Campbell) mit ihren Erfahrungen helfen? Oder sorgt Ghostface für einen dramatischen Abgang der Veteran:innen?

Kritik

Achtung: Der folgende Text enthält Spoiler zu „Scream“ sowie zu „Star Wars: Das Erwachen der Macht“, „Star Wars: Die letzten Jedi“ und „Once Upon a Time in Hollywood“!

1996 in Woodsboro: Jugendliche lieben Horror – sie nehmen ihn nicht wirklich ernst, vielleicht sogar viel zu wenig. Schließlich geht gerade ein Serienmörder um. Und alles, was ihnen dazu einfällt, ist munter und erfreut über Horrorfilme zu diskutieren. Aber: Sie lieben diese Filme. Obwohl die Medien debattieren, ob Filmgewalt die Jugend zu Killern erzieht, wird letztlich deutlich: Die Behauptung, dass fiktive mediale Gewalt harmlose Menschen zu Killern macht, ist hirnrissig. Der Killer ist in Wahrheit ein Killer-Doppel – und diese beiden Killer sind instabile Eifersüchtlinge mit unterdrückten emotionalen Problemen, die sich darin suhlen, kleinliche Rachemotive denkbar aufgekratzt und übertrieben auszuleben. 2022 in Woodsboro: Wieder geht ein Serienmörder um, noch immer sind Filme Bestandteil der Jugendkultur. Aber die Gespräche laufen anders ab, denn mittlerweile wird mindestens ebenso eifrig über medial geäußerte Meinungen über Filme debattiert, wie über die eigentlichen Filme. Und wenn über Filme gesprochen wird, wird oftmals ausführlich, lautstark, harsch und kleinlich über eine sehr kleine Auswahl an Filmen geschimpft, statt eine breite Auswahl an Filmen verehrt oder respektvoll geneckt. Ghostface ist wieder ein Killer-Doppel. Auch diese emotional instabilen Aggressivlinge wurden nicht durch übertriebene fiktionale Gewalt zu den blutgierigen Monstern, die sie sind. Stattdessen kanalisierten sich kindische Obsession, theatralische Selbst- und Geltungssucht sowie das mangelnde Talent, Dinge entspannt und nuanciert zu betrachten, in den Wunsch, möglichst brutal das Sagen zu übernehmen.

Wie immer beginnt alles mit einem Telefonanruf…

Nicht nur in Woodsboro gilt: Seit 1996 hat sich viel, und doch eigentlich recht wenig geändert. Modetrends kommen und gingen, Technologie schritt voran und in den Medien werden nicht-weiße, nicht-heterosexuelle Menschen etwas häufiger repräsentiert. Aber von einer medialen Revolution kann man keineswegs sprechen. Und dann sind ja auch noch viele der Filmreihen, die damals populär waren, immer noch populär. Bloß, dass manche von ihnen nicht mehr fortgesetzt oder komplett neu gestartet werden, sondern ein kurioser Mix aus „Dieselbe Story nochmal!“, „Lasst uns neue Ansätze suchen!“, „Wir führen die alte Geschichte fort“, „Wir behalten die alten Figuren bei“ und „Wir schaffen Platz für eine neue Generation“ beliebt geworden ist. Siehe etwa die „Creed“-Filme, David Gordon Greens „Halloween“-Teile, „Ghostbusters: Legacy“, J. J. Abrams‘ „Star Trek“ oder die Serie „Cobra Kai“. Filmkritiker Matt Singer taufte diese Erzählform „Legacyquel“. Und ähnlich, wie 1996 Leute ohne Filmaffinität keine Ahnung hatten, was Menschen mit Filmaffinität wirklich bewegt („Lasst uns gruseln und darüber lustig machen, wie sehr wir uns gruseln“, nicht etwa das befürchtete „Oh, das muss ich nachmachen!“), sitzen auch 2022 Menschen mit anderen Interessen ratlos daneben, wenn Filmfans über kontroverse Themen debattieren. Nur, dass die Themen gleichzeitig populärer (Filme sind leichter zugänglicher und daher noch mehr Teil der kulturellen allgemeinen Erfahrung als noch in den 1990ern) und nischiger geworden sind (es wird nicht einfach über einen allgemein bekannten Film gestritten, sondern über die Reaktion irgendwelcher YouTuber auf die Kommentare unter den den Kritiken anderer YouTuber).

Imitieren, referenzieren, parodieren. Massakrieren.

Der Original-„Scream“ von Regisseur Wes Craven und Drehbuchautor Kevin Williamson verneigt sich mit zahlreichen liebevollen Referenzen und passioniert inszenierten Imitationen vor Slahern. Gleichzeitig nimmt er Klischees sowie Horror-Rezeption gehörig auf die Schippe, indem er einzelne Elemente auf den Kopf stellt, andere subtil kritisiert und auf wieder andere mit dem Steakmesser einsticht, bis sie nicht mehr wiederzuerkennen sind. Wie könnte der nach David Gordon Greens verwirrender „Halloween“-Manier „Scream“ betitelte, neue Teil dieser Horrorkulturgut gewordenen Reihe besser auf die „Legacyquel“-Kultur eingehen, als mit dem Schutzpatron  des „Es geht vorwärts, aber irgendwie auch nicht“ – also mit „Star Wars“?! George Lucas sagte über die erzählerische Struktur seiner Filmsaga, dass sie „wie Poesie ist – sie reimt sich“. Beispiel: Der erste „Star Wars“ handelt von einem von Abenteuern träumenden Knaben auf einem Wüstenplaneten, der von einem Mann, der einer mystischen Macht nahesteht, darüber aufgeklärt wird, dass er wie für’s Abenteuer gemacht ist. Der erste Film der zweiten von Lucas verantworteten Trilogie folgt diesen elementaren Aspekten – und beide Trilogien erzählen davon ausgehend unter anderem von Mentorenverlust, Versuchung durch das Böse, dem Kampf zwischen Spiritualität und Militarismus, und von den Bemühungen der Demokratie, sich gegen faschistoide Mächte durchzusetzen.

„Der Original-‚Scream‘ verneigt sich mit zahlreichen liebevollen Referenzen und passioniert inszenierten Imitationen vor Slahern. Gleichzeitig nimmt er Klischees sowie Horror-Rezeption gehörig auf die Schippe, indem er einzelne Elemente auf den Kopf stellt, andere subtil kritisiert und auf wieder andere mit dem Steakmesser einsticht, bis sie nicht mehr wiederzuerkennen sind.“

Lucas‘ zwei Trilogien trennt, qualitative Unterschiede ausgeblendet, welche Charakterzüge die zentralen Figuren aufweisen, in welcher kulturellen Grundstimmung sie leben, und daher, wie sie sich an schicksalsträchtigen Wendepunkten entscheiden. Ihrerzeit wurde Lucas‘ zweite Trilogie von vielen älteren Fans der Vorgängerfilme brutal verrissen – wahnsinnig oft aufgrund kosmetischer Dinge. „Star Wars: Das Erwachen der Macht“, der 2015 ohne Lucas‘ Beteiligung eine dritte Trilogie in Gang setzte, dreht sich dann um noch eine junge Figur, die auf einem Wüstenplaneten aufwuchs und gesagt bekommt, sie sei für das große Abenteuer bestimmt. Erneut werden einige der Zwischenetappen aus früheren Filmen wiederholt, erneut gibt es vereinzelte, folgenschwere Unterschiede – so steht dieses Mal eine junge Frau im Mittelpunkt, die alles erdenkliche will, außer in ein Abenteuer gezogen zu werden.

Wie schon die beiden „Star Wars“-Trilogie-Eröffnungen zuvor war „Das Erwachen der Macht“ finanziell extrem erfolgreich. Wie schon Lucas‘ zweiter Trilogiestarter „Die dunkle Bedrohung“ wurde „Das Erwachen der Macht“ aller Massenpopularität zum Trotz zum Filmdiskurs-Streitobjekt. Die einen alteingesessenen Fans äußerten sich froh, weil viele ästhetische Elemente näher an „ihrer“ Trilogie dran sind. Andere waren erzürnt, weil sich zu viel wiederholt. Wieder andere störten sich an kleinsten produktionsgestalterischen Neuerungen. Oder an den prominenten Frauenrollen und dem britischen Schauspieler John Boyega, der als schwarzer Mann keinen Sturmtruppler spielen „dürfte“. Was 2015 aber niemand ahnen konnte: Egal, wie anstrengend „Star Wars“-Debatten damals waren, mit dem Start von „Episode VIII“ alias „Die letzten Jedi“ sollte alles noch viel, viel schlimmer werden…

Und wieder verschafft sich Ghostface kurz darauf Zugang zum Haus seines nächsten Opfers…

Der von Legacyquels handelnde, neue „Scream“ imitiert den mit einem Schlag zum Konsensfilm gewordenen Start der dritten „Star Wars“-Saga vielfach, so wie Wes Cravens „Scream“ zuvor viele Slasher nachahmte: Beide Filme führen eingangs Figuren ein, die mal mehr, mal weniger Vorwissen über die Geschehnisse aus den vorhergegangenen Teilen haben. Sie alle müssen auf späte Nachwirkungen der vergangenen Filme beziehungsweise Ereignisse reagieren. Ein beim Publikum beliebter Veteran der früheren Teile, der laut ursprünglichen Skriptplänen bereits in einer zurückliegenden Arbeit des Originalregisseurs hätte sterben sollen, voller Westernreferenzen skizziert wird und mit stoppelbärtig-knurriger Freundlichkeit auftritt, gesellt sich zur jungen Protagonistin dieser neuen Geschichte. Dort Harrison Ford als Han Solo, hier ein rau-charmanter David Arquette als Dewey. In beiden Filmen trauert der Veteran der vergeigten Romanze mit seiner früheren Partnerin nach (dessen Darstellerin auch im wahren Leben etwas mit ihm hatte), ist über die veränderte Stimmung in der Welt verwundert, und steht trotzdem den neuen Figuren mit Vorwissen aus den früheren, uns bekannten Geschichten zur Seite. Doch dann wird er vom schwarz gekleideten Bösewicht (der wiederum riesiger Fan des Schurken aus dem Original ist) in einem bläulich-gräulich erleuchteten Raum brutal erstochen. Zwei weitere Publikumslieblinge aus der Originaltrilogie stoßen ebenfalls zum Geschehen dazu. Und nicht nur, aber insbesondere das große Finale des Films hält sich dank zahlreicher Parallelen zum Ursprungsfilm der Filmreihe sehr an Lucas‘ „es ist wie Poesie – es reimt sich!“-Vorstellung.

„Der von Legacyquels handelnde, neue ‚Scream‘ imitiert den mit einem Schlag zum Konsensfilm gewordenen Start der dritten ‚Star Wars‘-Saga vielfach, so wie Wes Cravens ‚Scream‘ zuvor viele Slasher nachahmte.“

Aber der von James Vanderbilt („Zodiac – Die Spur des Killers“) und Guy Busick („Ready or Not“) geschriebene, neue „Scream“ bleibt jedoch auch dem Geiste des Original-„Scream“ treu, indem diverse Elemente der Vorlage verdreht werden. „Scream“ von 1996 imitiert nicht nur Slasher-Konventionen, sondern geht einigen gezielt aus dem Weg, wie etwa dem Klischee der „schützenden Jungfräulichkeit“, der intensiven Objektivierung von Frauen oder der Erwartung, dass es nur einen einzigen Killer gibt. Der neue „Scream“ verdreht ebenso einige „Das Erwachen der Macht“-Elemente. So ist die Stimmen in ihrem Kopf hörende, schwarzhaarige Figur, die gedanklich mit dem Schurken des Originalfilms spricht und ständig ob ihrer Position zwischen Gut und Böse hadert, allen Kylo-Ren-Parallelen zum Trotz keine Schurkin. Sie ist das Pendant zu Rey, unsere neue Heldin. Konsequenterweise spielt Melissa Barrera ihren Part mit einer schwer einzuordnenden, spannenden Balance aus freundlichem Tatendrang und innerlich zerrissener, knurriger Pampigkeit – das ist mehr als nur das Verschmelzen zweier „Star Wars“-Figuren, es ist auch die Möglichkeit, dieser Slasher-Reihe eine Protagonistin zu verleihen, die wie für die moderne Horrorära voller emotional unsortierter Hauptfiguren gemacht ist.

Doch vielleicht können alte Bekannte helfen…

Courtney Cox und Neve Campbell wiederum sind nicht in der Position, die Carrie Fisher als Leia und Mark Hamill als Luke Skywalker in „Das Erwachen der Macht“ einnehmen. Selbst wenn narrativ genau solch minimale Parts angedeutet werden… Mit Biss, Altersweisheit und einem sich jeweils unterschiedlich äußernden, ihre Rollen dennoch einenden „Nicht schon wieder!“-Feeling schleppen sie sich sich als Gale Weathers und Sidney Prescott in das paradoxe Ungewisse voller Déjà-vus. Außerdem zielt das „Scream“-Regie-Duo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett („Ready or Not“) deutlich weniger darauf ab, Wes Cravens „Scream“-Ästhetik zu replizieren, als J. J. Abrams in „Das Erwachen der Macht“ zum Original-„Star Wars“ schielt: Bettinelli-Olpin, Gillett und ihr Kameramann Brett Jutkiewicz lassen weitestgehend die kräftigen Farben Cravens hinter sich, um stattdessen mehrere wichtige Szenen in stahlblau-graues Licht zu tauchen. Das weckt durch dezent eingearbeitete, weitere ästhetische Feinheiten mal Erinnerungen an die deprimierte Atmosphäre im „Elevated Horror“, also den arthousetauglichen Horrorfilmen, die in der aktuellen Genreära viel Achtung erfahren und auf die dieser „Scream“-Film mehrmals anspielt. Andere Male fühlt man sich glatt in eine Teen-Dramaserie versetzt, wie sie für CW, Netflix oder Freeform entstehen könnte – womit das Regie-Duo das Publikum gekonnt an der Nase herumführt:

Schon „Scream 4“ schielte mit seinem Prolog auf Teenager-Serien des neuen Jahrtausends, und in Teil fünf wird dies doppelt unterstrichen, wenn die langjährige Sitcom-Darstellerin Jenna Ortega naiv dreinschauend durch einen Teen-Drama-Look stolpert und die von Slasher-Logik überforderte Tara spielt. Tara ist jedoch nicht das Frischfleisch-Kanonenfutter, als das sie eingangs präsentiert wird – als erstes Prolog-Opfer in einem „Scream“-Film übersteht sie die Ghostface-Attacke und verbringt den Rest des Films damit, sich aufzurappeln und allen möglichen Fallen aus dem Weg zu gehen, in die Slasher-Opfer sonst treten. Alte Hasen, unterschätzt die neuen Horrorfans nicht, sie halten mehr aus, als ihr denkt, egal, wie oft ihr raunt, dass früher ja alles besser, schockierender und brutaler war…

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Ein Kommentar

  • Die/Das wohl beste Kritik/Essay was ich zu Scream gelesen habe. Einfach großartig. Danke dafür 🙂

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