Scream

Once Upon a Scream: Das Erwachen der Verteidigung der letzten Jedi
Eingebettet in dieses Nest aus „Imitation ist die größte Form der Schmeichelei“-Liebe für „Das Erwachen der Macht“ sowie Cravens ersten „Scream“-Film und einer Menge an filigranen Details, die den anderen „Scream“-Sequels Tribut zollen, ist dies wohl die denkbar passionierteste Verteidigungsrede, die sich „Star Wars – Die letzten Jedi“ im Horrorgenre wünschen kann. Damit geht, wenig überraschend, nahtlos eine zielsicher zugespitzte Abrechnung mit moderner Filmdiskus- und Fankultur einher…
Es beginnt bereits mit dem Prolog: Im die damalige Filmkultur kommentierenden Original-„Scream“ fragt der von Horrorfilmen besessene Killer sein Opfer Löcher über eine Vielzahl an Slashern in den Bauch. Der neue „Scream“ widmet sich konsequent dem neuen Fanklima in der Filmkultur: Obwohl es einfacher denn je geworden ist, eine ebenso breite wie tiefe Filmdiät zu führen, kennt der neue Ghostface nur eine einzige Obsession: „Stab“, die Slasherreihe im „Scream“-Universum, die in ihren ersten Teilen die Story der frühen „Scream“-Filme erzählt. Das ist gleichermaßen Kommentar auf das moderne „Star Wars“ wie auf Teile der Filmfan-Subkultur: Aus einer Filmsaga, die sich aus zahlreichen, eklektischen Inspirationen nährte, wurde eine Filmreihe, die oft auf sich selbst zurückblickt – und das in den Augen einer penetranten Fan-Gruppe noch häufiger tun sollte. In der Welt der Filmbesprechung derweil hat sich die Anzahl der stark spezifizierten Portale, Magazine und Kanäle vermehrt, obwohl theoretisch ein Wandel zu immer mehr breit gefächerten Filmberichten genauso denkbar war. Schon vor der Titeleinblendung macht „Scream“ klar: Spezialisierung ist per se kein Problem (Sympathieträgerin Tara hat sich auf Filme wie „It Follows“ und „Der Babadook“ eingeschossen), zeigt aber leider sehr häufig ihr hässliches Gesicht (wie uns Videoreaktionen auf „Stab 8“ und die Taten Ghostfaces vorführen).
„Aus einer Filmsaga, die sich aus zahlreichen, eklektischen Inspirationen nährte, wurde eine Filmreihe, die oft auf sich selbst zurückblickt – und das in den Augen einer penetranten Fan-Gruppe noch häufiger tun sollte.“
Von diesem Intro ausgehend wird der fünfte „Scream“-Teil auf narrativer Ebene zu einer Geschichte, in der sich sowohl eine neue Generation als auch die Veteranen der vorherigen Filmen mit den Auswirkungen des Vergangenen befassen müssen. Gleichzeitig wird auf thematischer Ebene der Umgang mit Obsession behandelt, ebenso geht es um die (Un-)Fähigkeit, dazuzulernen – genauso wie in „Die letzten Jedi“ von „Knives Out“-Regisseur Rian Johnson. Doch der neue „Scream“ wiederholt nicht einfach die Lektionen des achten Teils der zentralen „Star Wars“-Saga. Er zieht ein entnervtes, leidenschaftliches, ergänzendes Fazit nach Jahren des toxischen Filmdiskurses, der rund um Johnsons Weltallepos entbrannt ist und sich selbst fernab der Lucasfilm-Produktion bemerkbar macht.
Die Welt dieses „Scream“-Films ist bevölkert mit Archetypen, die auch den wahren Filmdiskurs zu einem nervlichen Drahtseilakt formen: Detailversessene Fans, die die wahre Essenz geliebter Filmreihen nicht mehr erfassen, weil sie sich an kosmetischen Details aufhängen. Leute, die überzeugt sind, dass nur die Generation, mit der sie aufgewachsen sind, es richtig macht. Die psychotischen, blutlüsternen „Stab“-Fans im fünften „Scream“ beklagen ein „woke“ gewordenes Hollywood, das Frauen mehr Raum einräumt – obwohl „Stab“ eine nuancierte, durchsetzungsfähige Frau im Mittelpunkt aufweist, also zur Intoleranz dieser Fans eine doppelzüngige Begriffsstutzigkeit hinzukommt. Das erinnert an gewisse „Star Wars“-Fans, die über kompetente Frauen jammern, obwohl einer der herausragenden Aspekte des Originals die für ihr Genre bemerkenswert stark skizzierte Leia Organa ist (gespielt von der im realen leben überaus starken Carrie Fisher). Oder an eine eine lärmende Minderheit an „Ghostbusters“-Fans, die sich über die Außenseiterinnen in Paul Feigs „Ghostbusters – Answer the Call“ lustig machen – was die Halt und Anerkennung suchenden Protagonisten aus dem Originalfilm gewiss beschämen würde. Oder, oder, oder…
Die Krönung sind aber nicht die von Jasmin Savoy Brown pointiert abgelieferten, ironischen Monologe über Filmkultur. Es sind auch nicht die Anspielungen darauf, dass dem Filmdiskurs von manchen Fans mehr Bedeutung zugeschrieben wird als den Filmen selbst. Oder die kurzen Einblicke in die (keine Zuspitzung mehr benötigende) Subkultur von „Fans“, die sich im Netz selbstständig gemacht haben und Geld mit Wut, Zorn, Hass, Polemik und Fehlinformation verdienen, sowie mit dauernden Behauptungen, sie selbst könnten es besser. Die Krönung ist die Enthüllung der wahren Identitäten des neuen Ghostface, die ein hoch sarkastisches, aber auch verstörendes Zerrbild der Enthüllung aus dem „Scream“-Original darstellt.
„Die Krönung ist die Enthüllung der wahren Identitäten des neuen Ghostface, die ein hoch sarkastisches, aber auch verstörendes Zerrbild der Enthüllung aus dem ‚Scream‘-Original darstellt.“
In „Das Erwachen der Macht“ und „Die letzten Jedi“ sind die Schurken sozusagen „Neonazis im Weltall“, eine sich nach dem Faschismus sehnende, neue Generation an Zornigen, die den an Nazis angelehnten Fieslingen der Original-Trilogie nacheifern. Im neuen „Scream“ sind die Killer, wie könnte es anders sein, zornige junge Menschen ohne jegliche Empathie, die den Tätern aus dem Erstling nacheifern. Ihre Ideologie ist ähnlich hirnrissig wie das Motiv von Billy und Stu: Sie wollen das, was sie lieben (die „Stab“-Filme) beschützen, indem sie die Überlebenden der darin geschilderten Woodsboro-Attentate töten, obwohl sie beteuern, sie zu verehren. All das, weil sie Hollywood eine Botschaft übermitteln möchten: „Wir geben Hollywood frische Ideen: Zurück zu den Wurzeln!“ – ein Originalzitat.
Es ist eine Kakophonie der Widersprüche, eine im Stechschritt marschierende Parade der Unsinnigkeit, die die Grimassen schneidenden Richie (Jack Quaid) und Amber (Mikey Madison) verursachen – und es könnte mit etwas Distanz zum Gezeigten nicht köstlich-irrsinniger sein. Aber gleichzeitig ist es aufwühlender als das, was zum Abschluss des ersten „Scream“-Films passiert, denn die Distanz zwischen „Scream“-Zerrspiegel und „Scream“-Zielscheibe schmilzt dahin: Craven und Williamson präsentieren die demaskierten Billy und Stu als schrille Witzfiguren, als wandelnde Antwort auf Moralhüter, die das Horrorkino hinterfragen. „Denkt ihr wirklich, das passiert, wenn Jugendliche diese Filme gucken?!“, schreit die Auflösung des Krimi-Elements im ersten „Scream“. Im neuen „Scream“ dagegen macht sich im Finale weiterhin diese stahlblau-graue, ernste Wolke bemerkbar, die zuvor schon einige der einschneidend inszenierten Ermordungen und den trockenen Rapport zwischen den Figuren beeinflusste. Ja, diese Auflösung ist noch immer karikiert, und die Verachtung, die das Regie-Duo sowie das Skript-Team für diese Figuren übrig haben, ist überwältigend. Trotzdem schlägt dieses Ende anders ein: harscher! Der Filmdiskurs, auf den dieser „Scream“ blickt, ist bornierter, zutiefst beleidigter als der aus den vorhergegangenen Teilen, und die aufgekratzte Art des Killer-Doppels kann darüber nicht hinwegtrösten. Im Gegenteil. Es ist fast so, als wollten Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett, James Vanderbilt und Guy Busick sagen: „Unsere Ghostfaces sind nahezu echt, oder?“
Gemordet haben die Ambers und Richies unserer Realität noch nicht, doch sie haben bereits Newcomer wie Daisy Ridley und Loan Tran in Windeseile verhärmt und aus den sozialen Netzwerken gemobbt. Sie beschimpfen Leute wie John Boyega und Ruby Rose Tag für Tag auf’s Härteste. Sie führen erfolgreiche YouTube-Kanäle, die nahezu ausschließlich aus Hetze gegen Kathleen Kennedy und Brie Larson bestehen. Und sie keifen Leute wie „The Witcher“-Macherin Lauren S. Hissrich an, es seien einzig die Fans, die ihre Werke richtig verstehen. Daher wohl auch die so drastisch inszenierte Szene im neuen „Scream“, in der Ghostface die nach Wes Craven benannte Figur tötet, indem er ihm ein Messer durch die Kehle (und somit die Stimmbänder) jagt.
„Gemordet haben die Ambers und Richies unserer Realität noch nicht, doch sie haben bereits Newcomer wie Daisy Ridley und Loan Tran in Windeseile verhärmt und aus den sozialen Netzwerken gemobbt.“
Beängstigend ist die Frage, wohin die Reise in unserer Realität noch hingehen wird. Schon 2018 bewies eine Studie, dass unter anderem rechtsextreme Gruppierungen kontroverse Filmdebatten wie die über „Die letzten Jedi“ nutzen, um Leute zu rekrutieren – und was hat sich seither getan? Genau, solche ins Extreme verzerrte Filmstreits werden von Filmportalen, YouTube-Channels und Co. verstärkt kultiviert, denn die grellste, meistbeleidigte Meinung ist es, die Reichweite generiert. Nicht die ruhig abwägende. Ein beunruhigendes Filmdiskurssittengemälde, das dadurch intensiviert wird, dass Mikey Madison schon einmal eine durchgeknallte Gewalttäterin spielte – nämlich ein real existierendes, mordlüsternes Manson-Fangirl in Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“, zu dem in diesem „Scream“ sogar mehrmals visuelle Parallelen gezogen wird. Manson-Meta-Schreck lass nach.
Was das Ganze in einem „Scream“-Film zu suchen hat? Ganz einfach: Ähnlich wie schon die ständigen Kommentare auf Sequels, Trilogie-Abschlüsse und angeblich die Originale auslöschende Remakes in „Scream 2“ bis „Scream 4“, treffen auch hier die Seitenhiebe auf das Filmgeschäft und die Filmfankultur auf’s Horrorgenre zu. Zwar schwappte keine Horror-Fankontroverse derart in den Mainstream über wie der Hass auf „Star Wars – Die letzten Jedi“ oder „Ghostbusters – Answer the Call“. Dennoch muss man nicht lange suchen, um in Social Media, auf Filmportalen und auf YouTube Gezeter über progressive Werte, kleinliches Gemotze über das Verletzen der (angeblichen) „wahren Identität“ einer Filmreihe und ungefilterten, übergriffigen Zorn zu finden. Vom Gatekeeping, wer Horror machen, in Horror abgebildet und Horror konsumieren darf, ganz zu schweigen. Der queere „Freaky“-Regisseur/Autor Christopher Landon etwa ging öffentlich bereits mehrmals darauf ein, wie ratlos ihn unflätige Reaktionen auf seinen Film zurücklassen. Etwa Zorn darüber, dass es eine hilfreiche, schwule Nebenfigur gibt, der kein Leid angetan wird. Oder solche, laut denen Hauptdarstellerin Kathryn Newton „zu hübsch“ sei, um eine schüchterne Schülerin zu spielen – als hätten von Heteromännern festgelegte Schönheitsstandards und das Selbstwertgefühl eine per Naturgesetz definierte, unverrückbare Beziehung zueinander. Der andere „Freaky“-Autor, Michael Kennedy, teilte wiederum bereits wüste Beschimpfungen, die ihn ereilen, weil er „zu schwul“ für das Horrorkino sei, und es doch endlich wieder Horrorfilme für Heteros bräuchte.
Doch letztlich müssten die im fünften „Scream“ attackierten Probleme in der Filmkultur gar nicht erst Fuß im Horrorgenre fassen: Cravens und Williamsons „Scream“ kreiert spannend-vergnüglichen Filmhorror aus dem eingebildeten Grauen der auf das Publikum abfärbenden, fiktiven Filmgewalt. Der neue „Scream“ kreiert einen satirisch-beißenden, dramatischen Filmhorror aus dem realen Grauen der vom Publikum vollführten Verbalgewalt über so manch‘ fiktive Gestalt. Es ist, mit Betonung auf Poe, wie Poesie. Es reimt sich.
„Scream“ ist aktuell in vielen deutschen Kinos zu sehen.
Die/Das wohl beste Kritik/Essay was ich zu Scream gelesen habe. Einfach großartig. Danke dafür 🙂