Knives Out – Mord ist Familiensache

Die mehrfach für den Golden Globe nominierte Krimikomödie KNIVES OUT – MORD IST FAMILIENSACHE versammelt ein hochkarätiges Ensemble vor der Kamera, das sich unter der Regieführung von Rian Johnson durch eine herrlich skurrile Mordermittlung manövriert. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Harlan Thrombey (Christopher Plummer) ist tot! Und nicht nur das – der renommierte Krimiautor und Familienpatriarch wurde auf der Feier zu seinem 85. Geburtstag umgebracht. Doch natürlich wollen weder die versammelte exzentrische Verwandtschaft noch das treu ergebene Hauspersonal etwas gesehen haben. Ein Fall für Benoit Blanc (Daniel Craig)! Der lässig-elegante Kommissar beginnt seine Ermittlungen und während sich sämtliche anwesenden Gäste alles andere als kooperativ zeigen, spitzt sich die Lage zu und das Misstrauen untereinander wächst. Ein komplexes Netz aus Lügen, falschen Fährten und Ablenkungsmanövern muss durchkämmt werden, um die Wahrheit hinter Thrombeys vorzeitigem Tod zu enthüllen.
Kritik
Blickte man Ende 2017 in die filmzentrischen Ecken sozialer Netzwerke, konnte schnell der Eindruck entstehen, Regisseur und Drehbuchautor Rian Johnson sei die meistgehasste Person der Welt. Der Grund: Der Filmemacher, der sich mit dem High-School-Noir „Brick“ eine erste Fanbase erarbeiten konnte, der aufgrund von „Looper“ Jahre später noch viele weitere Anhänger folgen sollten, hatte mit „The Last Jedi“ einen der umstrittensten „Star Wars“-Filme überhaupt inszeniert und damit weite Teile der Fans gegen sich aufgebracht. Johnson erhielt bisweilen sogar Morddrohungen und zog sich nach anfänglicher Diskussionsmühe zeitweise ganz aus der Social-Media-Welt zurück, was im Anbetracht jüngster Entwicklungen fast ein wenig kurios anmutet. Seit „Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers“ bekennen sich nämlich doch bemerkenswert viele Sternensaga-Liebhaber zur achten Episode. Davon einmal abgesehen hat sich Rian Johnson in den USA aber in erster Linie durch seine launige Krimi-Komödie „Knives Out – Mord ist Familiensache“ rehabilitiert. In Übersee erhielt der Film nicht bloß exzellente Kritiken sowie drei Nominierungen bei den Golden Globe Awards (darunter für die Beste Komödie), sondern avancierte auch an den Kinokassen zum Überraschungserfolg. Bei Produktionskosten von 40 Millionen US-Dollar spielte „Knives Out“ dort mittlerweile über 220 Millionen wieder ein und rangiert bei den erfolgreichsten Filmen des Jahres 2019 aktuell auf Platz 24 – unter den Nicht-Franchise-Filmen waren nur „Once Upon a Time in Hollywood“ sowie „Wir“ erfolgreicher. Ein Wunder ist das nicht!

Richard (Don Johnson), Linda (Jamie Lee Curtis) Drysdale und Marta Cabrera (Ana de Armas), die Pflegerin des Verstorbenen.
Hollywood hat schon seit einiger Zeit die klassische Kriminalverfilmung à la Agatha Christie wiederentdeckt. Nach dem großen Erfolg von Kenneth Branaghs stargespicktem „Mord im Orient Express“-Remake kündigte 20th Century Fox zügig an, dass man auch „Tod auf dem Nil“ einer Generalüberholung unterziehen wolle. Und so wie es aussieht, bekommen wir das Ergebnis davon auch bereits im Oktober dieses Jahres zu sehen. Außerdem erschien mit „Das krumme Haus“ Ende November 2018 noch eine weitere Christie-Neuverfilmung, für die Regisseur Gilles Paquet-Brenner ein ähnlich hohes Staraufgebot für sich gewinnen konnte. Nun basiert „Knives Out“ nicht auf einer der unzähligen Kriminalgeschichten Agatha Christies sondern bildet als Originalstoff im Jahr 2020 eine echte Rarität zwischen Filmreihen, Kinouniversen und jedweder Art der Adaption. Doch die irgendwo zwischen den Werken der britischen Schriftstellerin und Filmen wie „Alle Mörder sind schon da“ verortbare Produktion trägt ihre Vorbilder stolz zur Schau und besitzt dank der stilsicheren Regieführung und des smart-gewitzten Skripts (verfasst von Rian Johnson selbst) genug Individualität und Eigenständigkeit, um nicht einfach nur als bemühte Modernisierung eines längst vergessenen Genres durchzugehen. „Knives Out – Mord ist Familiensache“ ist zu 100 Prozent ein Film auf der Höhe der Zeit. Das gilt sowohl für sein Tempo, die Gagdichte, das Schauspiel und die visuelle Aufmachung als auch für den inhaltlichen Subtext, auf den wir aus Spoilergründen jedoch nicht näher eingehen wollen. Nur so viel: In „Knives Out“ werden die gesellschaftlichen Normen und Hierarchien gleich mehrmals durchgerüttelt und bisweilen gar komplett auf links gedreht.
Der Vergleich mit der auf dem Gesellschaftsspiel „Cluedo“ basierenden Krimikomödie „Alle Mörder sind schon da“ kommt nicht von ungefähr: In einem frühen Dialog in „Knives Out“ fällt gar die Aussage, der verstorbene Hausherr hätte ja regelrecht auf einem Spielbrett des Spieleklassikers gewohnt, weshalb es – neben der idealen Kulisse eines malerisch-verwinkelten Herrenhauses mit seinen unzähligen Zimmern und Erkern – umso mehr Verdächtige gibt, die im Anbetracht der bevorstehenden Testamentseröffnung genug Gründe hätten, den schwerreichen Schriftsteller von Krimiliteratur (natürlich!) zur Strecke zu bringen. Um das zu veranschaulichen, bringt Johnson die erste halbe Sunde seines Films dafür auf, die Figuren – im wahrsten Sinne des Wortes – in Stellung zu bringen und anhand seiner Verhör-Erzählstruktur, bei der jeder Verdächtige die Ereignisse das Tatabends aus seiner Sicht schildert, die Situation zu etablieren, dass keiner, aber auch wirklich keiner in diesem Szenario die Funktion eines verlässlichen Erzählers aufweist. Jede auf den Aussagen der Interviewten basierende Rückblende weicht ein klein wenig von den anderen ab. So kann man sich als Zuschauer nie sicher sein, was denn nun wirklich in der Tatnacht passiert ist – bis Johnson einen für Whodunit-Krimis wagemutigen Twist bereits in den ersten 50 Minuten abfeuert, der die Ereignisse in ein ganz neues Bild rückt. Plötzlich ist das Publikum nicht länger Verbündeter des ebenfalls im Dunkel tappenden Detectives Blanc, sondern von einer ganz anderen Person. Und damit hat „Knives Out“ erst so richtig erst angefangen, denn was Rian Johnson im weiteren Verlauf seines Films noch alles für Twists und Turn-Arounds präsentiert, untergräbt und bestätigt die Erwartungen des genreaffinen Zuschauers zu gleichen Teilen derart smart, dass es schier unmöglich ist, den Ausgang der Geschichte zu erraten.

Benoit Blanc (Daniel Craig) verfolgt mit den Kommissaren Elliott (LaKeith Stanfield) und Wagner (Noah Segan) jede Spur.
Doch „Knives Out – Mord ist Familiensache“ ist trotz seines irrwitzigen Tempos sowie der von dem exzellenten Cast heraufbeschworenen Gagdichte nicht bloß ein immens vergnügliches „Wer hat Harlan Thrombey umgebracht?“-Ratespiel, sondern sagt in seinen besten Momenten auch noch verdammt viel über den Status Quo der US-amerikanischen Gesellschaft aus. Das von Johnson hier aufgefahrene Figurenkabinett ist nicht weniger als ein Querschnitt davon; fein säuberlich getrennt in Hierarchien und Klientele. Auch am Rande eröffnet der Regisseur immer wieder vereinzelte soziokulturelle und politische Debatten. Lediglich Detective Blanc bleibt als Außenstehender von den Diskussionen verschont, kann ermitteln und ohne jedwede Ablenkung sukzessive dem Täter auf die Spur kommen. Mit Daniel Craig („James Bond 007: Spectre“), der für seine Rolle des exzentrischen Ermittlers für den Golden Globe nominiert ist, gewinnt die Figur des Detectives nicht nur an Wiedererkennungswert und viel, viel Witz. Craig gelingt es wie keinem Zweiten, die humoristischen Aspekte seiner Rolle mit einer ernstzunehmenden Fokussierung auf das Wesentliche zu kombinieren, sodass man als Zuschauer zu gleichen Anteilen Spaß hat und nie außer Frage steht, dass dieser Ermittler wirklich was auf dem Kasten hat. Diese bewusste Erdung seines Charakters wird nicht jedem Ensemblemitglied zuteil. Insbesondere Toni Collette („Hereditary“) und Michael Shannon („Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“) rücken bei der Verkörperung ihrer Figuren vorwiegend deren spleenige Attitüde in den Fokus, wodurch sie ab und an der Karikatur kratzen. Zum Gesamterscheinungsbild von „Knives Out“ – einer Art „Agatha Christie auf Speed“ – passt das wiederum ganz ausgezeichnet.
Fazit: Wie eine Agatha-Christie-Verfilmung auf Speed – „Knives Out“ ist eine phänomenal besetzte Krimifarce, die das Genre zu gleichen Teilen bedient und ad absurdum führt. Das macht Spaß, lädt zum Mitraten ein und wird von Rian Johnson obendrein in hochelegante Bilder gekleidet, in der nicht nur der fantastische Cast bestens zur Geltung kommt, sondern auch die vielen Twists und Wendungen in einem perfekten Licht erstrahlen.
„Knives Out – Mord ist Familiensache“ ist ab dem 2. Januar in den deutschen Kinos zu sehen.