Doctor Strange in the Multiverse of Madness

Sam Raimi, übernehmen Sie! Nachdem der Schöpfer von „Tanz der Teufel“ und „Spider-Man“-Regisseur Horror-Experte Scott Derickson ablöste, steht die Frage im Raum, wie viel Horror tatsächlich im neuen Marvel-Film DOCTOR STRANGE IN THE MULTIVERSE OF MADNESS steckt. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Doctor Strange in the Multiverse of Madness (USA 2022)

Der Plot

Immer wieder wird Doctor Steven Strange (Benedict Cumberbatch) von finsteren Albträumen geplagt. Als er eines Tages auf die junge Universumsspringerin America Chavez (Xochitl Gomez) trifft, muss er allerdings erfahren, dass es sich bei seinen Visionen gar nicht um Träume handelt, sondern um Einblicke in andere Universen. Und in diesen wütet ein Gegner mit einem gefährlichen Plan in der Hinterhand, gegen den sich das ungleiche Paar zur Wehr setzen und dafür selbst durch das Multiversum springen muss. Um Hilfe bittet er dafür unter anderem seine Avengers-Kameradin Wanda Maximoff (Elisabeth Olsen), die jedoch ihre ganz eigene Art hat, die Dinge anzugehen…

Kritik

Es ist noch gar nicht lange her, dass wir an dieser Stelle den Begriff „Multiversum“ in den Mund respektive in die Tasten nahmen. Vor einer Woche startete in den deutschen Kinos der neue Film der „Swiss Army Man“-Macher The Daniels: „Everything Everywhere all at Once“. Und in diesem aberwitzigen Genrestreifzug hetzt eine grandiose Michelle Yeoh nicht nur einmal durch ihre gesamte Karriere, sondern auch von Universum zu Universum, um „das große Ganze“ wieder ins Lot zu bringen. Es ist ein wenig wie in Marvels „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“. Nur dass diesem für seine Entstehung natürlich weitaus mehr Budget zur Verfügung stand und er obendrein ein milliardenschweres Franchise im Rücken hat – und damit automatisch ein viel größerer Druck auf ihm lastet. Welcher Film mehr einspielt, dürfte klar sein. Welcher Film beim Publikum besser ankommt dagegen, dürfte sich erst mit der Zeit in einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Marvel-Liebhaber:innen und Fans des abseitigeren, gemeinhin als „kreativer“ bezeichneten Kinos abzeichnen. Doch so viel sei an dieser Stelle verraten: Wenngleich Regisseur Sam Raimi („Tanz der Teufel“) schon allein aufgrund der Wahrung gewisser Grundstrukturen des Marvel-Universums nicht derart freidrehen darf wie es die Daniels durften, ist „Doctor Strange 2“, ähnlich jüngster MCU-Veröffentlichungen à la „The Eternals“, eine weitere, sich extravagant aus der Masse hervortuende Comicverfilmung, die vor allem deshalb so beeindruckt, weil Doctor Strange ja bereits im MCU etabliert wurde – und sich im ersten Teil nicht zwingend durch seine kreativen Kapriolen hervorgetan hat. „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ birgt daher ein gewisses Risiko, was gleichermaßen beeindruckt als auch irritiert.

Xochitl Gomez als America Chavez, Benedict Wong als Wong und Benedict Cumberbatch als Doctor Strange.

Mehr noch als „The Eternals“ ein Chloe-Zhao-Film war, ist „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ein Sam-Raimi-Film. Das spiegelt sich vor allem auf der visuellen Ebene wider, über die sich dann auch direkt die Frage beantworten lässt, ob der Fantasy-Actioner nun eigentlich tatsächlich der vorab beschworene „erste Horrorfilm im MCU“ ist. Kurz und bündig: jein! Es kommt jedenfalls ganz darauf an, worüber man sein Schauerflair am liebsten dargeboten bekommt. Und da Sam Raimi in seinen bisherigen Genrearbeiten den Fokus nie zu sehr auf gruselige Anspannung oder Jumpscares legte, sondern diesen typischen Gruselfilmzutaten die abstrakten, surrealistischen Motive und vor allem den sichtbaren Spaß am Bodyhorror (vor allem seine Vorliebe für Augen-Spielereien à la „Drag me to Hell“ finden sich hier wieder) vorzog, ist „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ganz klar ein Horrorfilm, der die Grenzen des PG13-Ratings, respektive der FSK-12-Freigabe größtmöglich auslotet. Den unangepassten Dreck eines „Tanz der Teufel“ tauscht er dagegen franchisegetreu gegen CGI-lastige Hochglanzbilder aus, sodass sich fast schon ein abseitiger Vergleich für die Veranschaulichung dieses Stilwechsels anbietet: Der Horror in „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ verhält sich zu Ramis bisherigem Genrestil wie die Bodyhorror-Segmente eines David Cronenberg („Parasitenmörder“ oder „Die Fliege“) zu jenen seines Sohnes Brandon („Possessor“ oder „Antiviral“) – nur eben ohne die krassesten Auswüchse in den Gewaltspitzen. Und so viel ist klar: Beides hat seinen Reiz. Und die einen werden diesen, die anderen jenen bevorzugen.

„Der Horror in ‚Doctor Strange in the Multiverse of Madness‘ verhält sich zu Ramis bisherigem Genrestil wie die Bodyhorror-Segmente eines David Cronenberg zu jenen seines Sohnes Brandon.“

Wann immer Raimi seine ästhetischen Visionen voll ausspielt, ist „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ein absolut irrer Trip. Vielleicht nicht durchgehend so aberwitzig wie der in „Everything Everywhere all at Once“ (obwohl beide Filme einen völlig unterschiedlichen Stil fahren, drängt sich der Vergleich trotzdem schon thematisch auf), dafür in kleinen Dosen ähnlich konzentriert. Gerne hätte man von den vielen Möglichkeiten eines Multiversums noch mehr gesehen. So bleibt vor allem eine Sequenz im Gedächtnis, in der Doctor Strange und seine Gefährtin America Chavez im in Zeitlupe vorgetragenen Eilverfahren durch diverse abstrakte Realitäten rauschen, die mitunter Erinnerungen an Elemente aus „Alles steht Kopf“ oder „Spider-Man: A New Universe“ wecken. Dass sich ein wesentlicher Bestandteil der Handlung dann allerdings in einer jener Realitäten abspielt, die der „normalen“ gar nicht so unähnlich ist, ist da verschenktes Potenzial. Trotzdem finden sich auch in dieser futuristischen Welt diverse schöne Beobachtungen. Etwa wenn America in einem Nebensatz erwähnt, dass Nahrung in kaum einem anderen Universum Geld kostet. Details wie eine umgekehrte Ampelschaltung – bei Rot darf man gehen, bei Grün muss man stehenbleiben – wirken dagegen willkürlich und dem schnelllebigen Gag wegen ins Geschehen eingebettet. Immerhin bleibt genügend Zeit, um eine glaubhafte Chemie zwischen Steven Strange und America Chavez aufzubauen; Gerade von letzterer hoffen wir, in Zukunft noch deutlich mehr zu sehen und vor allem mehr über ihre Hintergründe zu erfahren. Nicht nur ihr Charakter, auch jener von Strange gerät in „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ins Hintertreffen. Stattdessen stehen das Abenteuer sowie die Bewältigung des Konflikts im Zentrum der Handlung.

Auch ein Wiedersehen mit Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen) gibt es in „Doctor Strange 2“ zu sehen.

Mit wem genau es die beiden als Endgegner zu tun bekommen, sei aus Spoilergründen nicht verraten. Selbst der Trailer streute diesbezüglich kaum Hinweise, sodass der Aufbau und Verlauf des Kampfes „Strange und Chavez gegen X“ manch Eine:n überraschen könnte. Gleichwohl ist jener Gegner ein solcher, dessen Beweggründe für ein mitunter sehr brutales Durchsetzen der eigenen Agenda sehr intim geraten. Erneut erweist sich ein Widersacher ohne absurde Weltzerstörungsfantasien als besonders eindringlich und zudem weitaus weniger austauschbar. Auch die intensive Darstellung des Schurken trägt ihren Teil dazu bei, dass sich in den besten Momenten von „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ eine ungeahnte, moralische Ambivalenz entspinnt, um diese vollständig zu greifen die Vorabsichtung einer Disney+-Serie (die wir für alle Neugierigen am Ende dieser Review verraten) allerdings unabdingbar ist. Es ist der wohl größte Kritikpunkt am Film, wie klar das Wissen um diese – und damit einhergehend ein Abo des Streamingdienstes – Voraussetzung sind, um „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ in all seiner Emotionalität zu begreifen. Dass der 28. Teil eines aufeinander aufbauenden Franchises die Kenntnis einiger Vorfilme erfordert, ist vertretbar – nun auch noch das Serienangebot aus dem MCU hier miteinzubeziehen, ist dagegen ein fast schon unfairer Deal mit dem Publikum; selbst wenn dieser vom Konzern vorab angekündigt wurde. Dem gegenüber steht derweil die Beobachtung, dass „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ohnehin weniger über seine gefühligen Momente denn vielmehr über den Fantasyabenteueraspekt funktioniert. Und immerhin hierfür ist die Kenntnis der Serienereignisse dann doch gar nicht mehr so wichtig.

„Dass der 26. Teil eines aufeinander aufbauenden Franchises die Kenntnis einiger Vorfilme erfordert, ist vertretbar – nun auch noch das Serienangebot aus dem MCU hier miteinzubeziehen, ist dagegen ein fast schon unfairer Deal mit dem Publikum.“

Vor allem für die Comicnerds unter den Marvel-Filmfans gibt es in „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ viel zu entdecken. Insbesondere die (Gast-)Auftritte zahlreicher, vorab unter Verschluss gehaltener Held:innenfiguren lassen das Herz der Kenner:innen höherschlagen. Selbst wenn ihr Auftreten teilweise nur sehr kurz ausfällt. Hier offenbaren sich die Möglichkeiten, die man hat, wenn man ein Multiversum ausloten darf, in dem alles und nichts passieren kann. Und der unverkennbar schon an Serien wie „Rick & Morty“ und „Community“ beteiligte Drehbuchautor Michael Waldron zieht „sein Ding“ dann auch derart konsequent durch, dass er die Erwartungen seines Publikums im nächsten Moment wieder untergräbt.

Fazit: „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ist unübersehbar ein Sam-Raimi-Film, der die FSK-12-Freigabe kongenial auslotet und das MCU um eine neue (zumindest visuelle) Facette bereichert. Trotzdem bleibt der Film optisch, vor allem aber emotional hinter seinen Möglichkeiten zurück. Und dass ein derart kurzweiliges, gut ausschauendes und mitunter immens kreatives Leinwandabenteuer die Kenntnisse rund um eine Streamingserie voraussetzt, hinterlässt einen Beigeschmack.

„Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ ist ab dem 4. Mai 2022 in den deutschen Kinos zu sehen – auch in 3D!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

*SPOILER*: Bei der Serie handelt es sich um „WandaVision“.

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