Der Vogel

Melissa McCarthy und Chris O’Dowd geben im dieser Tage auf Netflix erschienenen Drama DER VOGEL ein nach dem Tod der eigenen Tochter in Trauer versunkenen Ehepaares. Das funktioniert insgesamt gut, auch wenn aus gerechnet das titelgebende Federvieh diesen Eindruck massiv trübt. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: The Starling (USA 2021)

Der Plot

Nachdem Lilly (Melissa McCarthy) und ihr Ehemann Jack (Chris O’Dowd) ihre Tochter mit nur einem Jahr an den plötzlichen Kindstod verlieren, steht die Gemeinschaft der beiden Liebenden auf dem Spiel. Beide trauern derart unterschiedlich, dass sie den Blick füreinander verloren haben. Sie leben getrennt. Da erweist sich ein erbitterter Kampf mit einem territorialen Vogel um die Vorherrschaft in ihrem Garten für Lilly als ein ungewöhnliches Ventil für ihre Trauer, das ihr, mit der Unterstützung des Tierarztes Dr. Larry Fine (Kevin Kline) letztendlich den Mut gibt, ihre Beziehungen zu kitten und ihre Fähigkeit zur Liebe wiederzuentdecken…

Kritik

Ursprünglich sollte Theodore Melfis „Der Vogel“ international in die Kinos kommen. Auf dem Toronto International Film Festival feierte er Anfang September auch seine Weltpremiere. Doch das Schicksal (respektive Netflix) meinte es anders mit dem Trauerarbeitsdrama des „St. Vincent“-Regisseurs; Der Streamingdienst kaufte den Film für sich und veröffentlichte ihn nun zeitnah zur Uraufführung. Dieser Schritt lässt sich sicherlich auch damit erklären, dass die zweifach Oscar-nominierte Melissa McCarthy („Can You Ever Forgive Me?“) für Netflix kein unbeschriebenes Blatt ist. Erst vor wenigen Monaten brachte man die hundsmiserable Superhelden-Farce „Thunder Force“ an die Öffentlichkeit, die bei der Kritik radikal durchfiel, aber damit Schlagzeilen machte, dass die Abonnentinnen und Abonnenten eben nicht mit Verachtung straften, sondern stattdessen mit Klicks bedachten. Zumindest in den Staaten (hierzulande hielt man sich mit Zahlen bedeckt, was bei dem Dienst, der nicht mit Erfolgsmeldungen geizt, nichts Gutes bedeuten kann), denn dort ist McCarthy, ihrer letzten Fehlgriffe zum Trotz, immer noch ein Publikumsliebling; Ein wenig wie der mittlerweile exklusiv für Netflix produzierende Adam Sandler. Eine weitere Vermutung den „Der Vogel“-Kauf betreffend ist die, dass allein das Thema filmpreisverlockend klingt: Ein Ehepaar, das um seine verstorbene Tochter trauert und mittendrin eine Handvoll namhafter Darstellerinnen und Darsteller – das schreit auf den ersten Blick nach „Die Filmpreisjurys dieser Welt dürften zumindest hellhörig werden“. Doch wie schon im Falle von John Crowleys Romanadaption „Der Distelfink“ folgte nach erstem Frohlocken die große Ernüchterung – Vögel scheinen Filmemacher:innen einfach kein Glück zu bringen.

Lilly (Melissa McCarthy) nimmt einen verletzten Star bei sich auf.

Dabei lässt „Der Vogel“ längst nicht so viel Potenzial liegen, wie noch „Der Distelfink“, weil er einfach auch nicht derart ambitioniert gedacht ist. Theodore Melfi denkt viel kleiner und intimer, wenngleich sein Komponist Benjamin Wallfisch („Mortal Kombat“) den Film auf akustischer Ebene zu einer plumpen Kitschparade aufbläst, die ihm – zu weiten Teilen zumindest – unter Wert verkauft. Dasselbe gilt für die Optik. Lawrence Sher (sammelte bereits „Vogelerfahrung“ bei der gefälligen Komödie „Ein Jahr vogelfrei“, fotografierte aber etwa auch „Joker“) taucht so ziemlich jede Szene in helle, sonnendurchflutete Sommerfarben, die selbst einen Weichzeichner unnötig machen. Das hebt zwar die Paradiesbedeutung des Gartens für Lilly hervor, suggeriert allerdings einen Wohlfühlfilm, der „Der Vogel“ eigentlich gar nicht ist. Und dann ist da ja noch das titelgebende Flugtier, dessen – es lässt sich leider nicht anders sagen – grottige CGI-Animation das Publikum bereits in den ersten Filmminuten Böses erahnen lassen. Und leider wird sich das auch in den kommenden eindreiviertel Stunden nicht ändern. Man muss fast schon von Glück sprechen, dass die trauerallegorische Vogelsymbolik irgendwann ohnehin in den Hintergrund rückt. So bleiben wenigstens nur die an die weltbekannte Federszene in „Forrest Gump“ erinnernde Eröffnungssequenz sowie ein Moment, in dem Melissa McCarthy den animierten Vogel wenig glaubhaft versorgt und hochhebt (man merkt einfach, dass sie nichts in der Hand hält) in Erinnerung, sodass sich die erzählerischen Stärken in den Vordergrund rücken können. „Der Vogel“ ist das genaue Gegenteil von „Style over Substance“.

„Theodore Melfi denkt klein und intim, wenngleich sein Komponist Benjamin Wallfisch den Film auf akustischer Ebene zu einer plumpen Kitschparade aufbläst, die ihm – zu weiten Teilen zumindest – unter Wert verkauft.“

Vor allem Melissa McCarthy und ihr Schauspielkollege Chris O’Dowd, der wie sie in „Brautalarm“ zu sehen war, mit ihr darin aber keine gemeinsame Szene hatte, gelingt es, die inszenatorischen Schwächen zu weiten Teilen vergessend zu machen; Auch wenn es schade ist, dass sie insgesamt nur wenige Momente überhaupt gemeinsam vor der Kamera stehen dürfen. Das von Matt Harris verfasste Skript erzählt die Schicksale der beiden Trauernden vorwiegend getrennt voneinander. Das hebt vor allem die unterschiedlichen Arten des Verarbeitens hervor. Während Lilly sich in ihren besseren Phasen mit Tatendrang abzulenken versucht (und McCarthy hier endlich mal wieder richtig zum Spielen kommt!), kommt Jack über die Depressionsphase nicht hinaus, die ihn schließlich sogar bis in eine psychiatrische Klinik führt. Harris‘ formuliert diese grundlegend verschiedenen Prozesse gut sowie realitätsnah. Und Melfi veranschaulicht das sich sukzessive wieder Annähern der beiden sich einst Liebenden auf inszenatorischer Ebene, indem sich die beiden mit dem Voranschreiten des Trauerprozesses (natürlich spielen hier die fünf Phasen Leugnen, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz eine große Rolle) immer häufiger gemeinsame Szenen haben, bis sie beschließen, ihren Weg wieder Seite an Seite zu gehen. Das lässt selbst bei solch einer niederschmetternden Thematik ein vorsichtiges Happy End zu, ohne allzu verklärend zu wirken.

In ihrem Garten ist Lilly nicht mehr sicher…

Anstatt Lilly und Jack stehen im Mittelteil von „Der Vogel“ vor allem Lilly und der ehemalige Psychologe und heutige Tierarzt Dr. Larry Fine im Zentrum des Geschehens, die sich einige gleichermaßen tiefsinnige, zu Lillys emotionaler Verfassung passend aber auch nicht allzu theoretische Gespräche darüber liefern, wie man als Eltern einen solch schweren Schicksalsschlag überhaupt verarbeiten kann. Zeitweise kommt hier schließlich auch die Symbolik des Vogels wieder zum Tragen, zieht sich aber längst nicht derart konsequent durch die gesamte Geschichte, wie es der Titel suggeriert. Dafür überzeugt Kevin Kline („Die Schöne und das Biest“) als Zuhörer und eine Art Mentor für Lilly; Da kommt man um den Vergleich zu „St. Vincent“ nicht umher, in dem anstatt Kline Bill Murray die Rolle des lebensweisen, alten Mannes übernahm. Mit dem Unterschied, dass es in „Der Vogel“ nie darum geht, irgendeinen weichen Kern unter einer harten Schale freizukratzen. Zwar zeigt Dr. Fine zunächst ein gewisses Desinteresse daran, seine Psychologiekenntnisse wieder hervorzukramen, um einer ihm fremden Frau zu helfen. Doch schnell nähern sich die beiden an. In „St. Vincent“ bestand der Reiz eher darin, die Unterschiede zwischen den beiden Hauptfiguren auszuloten. Ein erzählerischer Kniff, der aber auch gar nicht zu „Der Vogel“ gepasst hätte. Dafür ist der Film einfach wesentlich mehr Drama als Komödie.

„Melfi veranschaulicht das sich sukzessive wieder Annähern der beiden sich einst Liebenden auf inszenatorischer Ebene, indem sich die beiden mit dem sukzessiven Voranschreiten des Trauerprozesses immer häufiger gemeinsame Szenen haben, bis sie beschließen, ihren Weg wieder Seite an Seite zu gehen.“

Trotzdem hat der Film seine komischen Momente, die in ihrem melancholischen Umfeld hie und da fehlplatziert wirken können. Erst recht, da Melfi mit den Pointen nicht zimperlich ist (doch keine Sorge: Banalen McCarthy-Slapstick wie in ihren letzten Filmen lassen die Kreativen hier komplett außenvor!) und so die vielzitierte „Von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt“-Bandbreite ausnutzt. Das wirkt hin und wieder ungelenk, bringt jedoch den Gemütszustand der beiden Hauptfiguren auf den Punkt, die endlich aus ihrer Trauer hinaus möchten, denen dies abseits kurzer Momente des (zumeist zufälligen) Glücks aber einfach nicht vergönnt ist.

Fazit: „Der Vogel“ ist trotz einiger dramaturgischer Holprigkeiten eine wesentlich bessere Geschichte als ein stark inszenierter Film, in dem aber insbesondere Melissa McCarthy mal wieder beweisen kann, was für eine starke Schauspielerin sie ist.

„Der Vogel“ ist ab sofort bei Netflix streambar.

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