Thunder Force

Melissa McCarthy und Octavia Spencer demontieren als THUNDER FORCE das Superhelden-gegen-Superschurken-Genre – doch unter der Regie von Ben Falcone gerät diese reizvolle Idee zum fast ausnahmslosen Desaster. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik zum Netflix-Original.

OT: Thunder Force (USA 2021)

Der Plot

In einer Welt, in der die Sicherheit der Menschen von fiesen Superschurken namens „Miscreants“ bedroht wird, liegt es an zwei einst besten, doch mittlerweile sich entfremdeten Freundinnen aus Kindertagen, den Planeten ein Stückchen sicherer zu machen. Als sich die freigeistige Lydia (Melissa McCarthy) eines Tages zufällig im Wissenschaftshauptquartier der erfolgreichen Emily (Octavia Spencer) wiederfindet, unterzieht sie sich ohne ihr Wissen einer Gen-Behandlung, die ihr zu Superkräften verhilft. Emily und ihre kluge Tochter Tracy (Taylor Mosby) sehen daraufhin keine andere Möglichkeit, als Lydia in ihre Weltrettungspläne miteinzubeziehen. Aus den beiden komplett gegensätzlichen Frauen wird die „Thunder Force“ – ein Superheldinnenteam, das sich aufmacht, die Bevölkerung ihrer Heimatstadt vor den Miscreants „The Crab“ (Jason Bateman), Laser (Pom Klementieff) und ihrem Anführer „The King“ (Bobby Cannavale) zu beschützen…

Kritik

Für die Eheleute Ben Falcone und Melissa McCarthy ist „Thunder Force“ bereits die fünfte Zusammenarbeit im Rahmen eines Spielfilms. Seit der gebürtig aus Illinois stammende Comedian seine Gattin 2014 in der missglückten Komödie „Tammy – Voll abgefahren“ erstmals selbst inszenierte, folgten mit „The Boss“ (2016), „How to Party with Mum“ (2018) und dem angeblich noch dieses Jahr in den deutschen Kinos startenden „Superintelligence“ drei weitere Projekte ähnlichen Kalibers. Die Erfolgsformel: Melissa McCarthy mimt Figuren zwischen Tollpatsch- und (Alltags-)Heldinnendasein, die im Laufe der Geschichten mindestens einmal über sich hinauswachsen dürfen. Über die Jahre schienen sich Falcone und McCarthy dahingehend zusammengerauft (oder besser: von Falcones langsam ansteigenden Regieskills profitiert) zu haben, als dass der Slapstick-Gehalt zu sinken begann, während die herausgearbeiteten Sympathien für die Protagonistinnen mehr und mehr in den Vordergrund rücken durften. Mit der Sci-Fi-Comedy „Superintelligence“ als bisherigem Höhepunkt, für die McCarthy deutlich mehr schauspielern als sich plump zum Affen machen durfte. Doch schon damals stellten wir die Vermutung an, „Superintelligence“ profitiere vor allem von der Tatsache, dass Ben Falcone nicht das Drehbuch geschrieben hat. Und leider bestätigt sich dieser Eindruck im Anbetracht von „Thunder Force“. Der hierfür einmal mehr auch als Autor tätige Filmemacher rauscht darin an seine unangenehm-brachialen Humorursprünge zurück, die insbesondere Melissa McCarthy in einem wenig vorteilhaften Licht dastehen lassen.

Emily (Octavia Spencer), ihre Tochter Tracy (Taylor Mosby) und Lydia (Melissa McCarthy).

„Thunder Force“ beginnt mit einem Comicstrip, der den Zuschauer:innen die Welt erklärt, in die sie in den nächsten 100 Minuten abtauchen werden. Allzu komplex ist die nicht: Im März 1983 traf kosmische Strahlung auf die Erde, die bei den Menschen eine genetische Transformation und bei einigen wenigen von ihnen Superkräfte auslöste – allerdings nur bei jenen, deren Gencode die Information „Soziopath“ beinhaltete. Infolgedessen wurden aus den genmanipulierten Menschen ausnahmslos Superschurken, sogenannte Miscreants, die seither die Bevölkerung terrorisieren. Nach dieser obligatorischen Einführung in die „Thunder Force“-Realität verrät uns eine kurze Rückblende in die frühen Kindheitsjahre der späteren Filmheldinnen Lydia und Emily, wie die beiden einst unzertrennlich waren und weshalb sich ihre Wege als Teenagerinnen trotzdem trennten. Wenn „Thunder Force“ schließlich in die eigentliche Handlung einsteigt, befinden sich die einstigen BFFs an komplett unterschiedlichen Stationen ihres Lebens. Ein Faktor, aus dem Ben Falcone lange Zeit einen Humor zu ziehen versucht, der jedoch fast nie zündet. Denn mehr außer der Tatsache, dass die beiden Frauen komplett verschieden sind, fällt ihm nicht ein. Während Emily Karriere als Wissenschaftlerin gemacht hat und mit Feuereifer an Methoden forscht, um die Miscreants zu vernichten, arbeitet Lydia auf dem Bau. Erfolgreich gegen erfolglos, angesehen gegen belächelt, diszipliniert und streng gegen tollpatschig und frohgemut – wenngleich Octavia Spencer und Melissa McCarthy durchaus in die ihr zugeordneten Figuren passen (wenngleich es schon wesentlich reizvoller gewesen wäre, McCarthy mal außerhalb ihrer Komfortzone zu besetzen, einfach, indem man sie die Rolle mit Octavia Spencer tauschen lässt), verlangt das Skript ihnen kaum mehr ab, als entsprechende Stereotypen auszufüllen. Da fragt man sich schon, weshalb Ben Falcone den Aufwand betrieben hat, die Hintergrundgeschichte der beiden Frauen zu erzählen, wenn diese im weiteren Verlauf kaum mehr eine Rolle spielt.

„Mehr außer der Tatsache, dass die beiden Frauen komplett verschieden sind, fällt Ben Ben Falcone nicht ein. Während Emily Karriere als Wissenschaftlerin gemacht hat und mit Feuereifer an Methoden forscht, um die Miscreants zu vernichten, arbeitet Lydia auf dem Bau. Erfolgreich gegen erfolglos, angesehen gegen belächelt, diszipliniert und streng gegen tollpatschig und frohgemut.“

Dasselbe gilt für die stilistische Entscheidung, „Thunder Force“ mit einem Comicstrip zu eröffnen. Gewiss waren kinematographische Superhelden-gegen-Superschurkenkämpfe in den vergangenen Jahren vorwiegend von Comicherkunft. Und da es neben den unzähligen Fans von Marvel, DC und Co. mindestens genauso viele Menschen gibt, die mit verfilmten Graphic Novels kaum etwas anfangen können oder sogar richtig genervt davon sind, böte sich kaum ein Stoff besser dafür an, parodistisch aufbereitet zu werden, als das Superheldenkino. Und tatsächlich weist „Thunder Force“ gar eine ähnliche Struktur wie so ziemlich jede andere Superhelden-Origin-Story auf: Lydia kommt ähnlich unverhofft zu Superkräften wie Spider-Man oder der Hulk, die Trainingssequenzen funktionieren ähnlich wie jene aus „Ant-Man“ und die Vorbilder für die anschließende Jagd auf die Superschurken sind zahllos. Doch während bei jeder guten Nachdichtung immer auch durchscheint, woraus die parodierten Vorbilder ihre Reize ziehen, nutzt Ben Falcone die bekannten Superheldenmotive ohne jedweden Hintersinn. Seine Ideen sind plump, zielen sie doch immer bloß auf die derbste Pointe ab; Etwa, wenn sich Lydia im Superheldentraining nur deshalb so dämlich anstellt, damit Falcone sie gleich mehrfach beim formvollendeten Hinfallen auf den Allerwertesten einfangen kann. Und weshalb ins Nichts führenden Kalauern wie Lydias plötzliche Lust auf rohes Hühnchen sogar die Qualitäten eines Running Gags angedichtet wird, wissen wohl nur die Verantwortlichen selbst.

Die „Thunder Force“-Schurken The Crab (Jason Bateman), The King (Bobby Cannavale) und Laser (Pom Klementieff).

Während Melissa McCarthy in Filmen wie „Can You Ever Forgive Me?“ oder „St. Vincent“ ihr Schauspieltalent bereits zur Genüge unter Beweis stellen konnte (und sie für ihre Darbietung in Paul Feigs „Brautalarm“ einst für ihren ersten Oscar nominiert wurde), verkaufen sie und ihr Ehemann sie in „Thunder Force“ einmal mehr radikal unter Wert. Der in „Superintelligence“ und „How to Party with Mum“ durchscheinende Respekt für die Spleens der von ihr verkörperten Figuren fehlt hier völlig – und das ehemalige „Gilmore Girl“ hat plötzlich wieder kaum mehr zu tun, als das Klischee der „lustigen Dicken“ zu bedienen. Vor diesem Bild kann Ben Falcone seine Ehefrau auch dann nicht bewahren, wenn er sie in der zweiten Filmhälfte schließlich als buchstäblich Busse werfende Heldin inszeniert. Sogar ihrem finalen Rettungseinsatz wird durch einen exaltierten Kotzgag der Heldenmoment genommen. Octavia Spencer („Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen“) darf zwar schon allein aufgrund ihrer Figurentypisierung etwas mehr Würde behalten als ihre Kollegin, dafür hat sie die schwierige Aufgabe, die Leerstellen zwischen den (zumeist) missglückten, McCarthy betreffenden Slapstickeinlagen und Wortwitzen zu füllen. Ihre Emily ist für die (potenziell sehr lustige) Klischeefigur der „verrückten Wissenschaftlerin“ längst nicht kauzig genug. Und ihr Versuch, ihre professionell-kühle Fassade aufrechtzuerhalten, misslingt ohne jedwede Humor forcierende Anstrengung. Spencers Emily ist schlicht eine komplett reizlose Figur, gegen die selbst ein mit deutlich weniger Screentime ausgestatteter Nebencharakter wie Emilys smarte Tochter Tracy deutlich ausgereifter erscheint.

„Octavia Spencer darf zwar schon allein aufgrund ihrer Figurentypisierung etwas mehr Würde behalten als ihre Kollegin, dafür hat sie die schwierige Aufgabe, die Leerstellen zwischen den (zumeist) missglückten, McCarthy betreffenden Slapstickeinlagen und Wortwitzen zu füllen.“

Zu ebendiesen Nebencharakteren gehört neben Tracy zudem die Miscreants-Armada, an deren vorderster Front Bobby Cannavale („Superintelligence“) als mit genrekonformer Machtmotivation ausgestatteter Schurkenanführer „The Boss“ agiert. Den meisten Spaß macht (und hat) hierbei noch Jason Bateman („Game Night“), der mit „The Crab“ einen Hybriden aus Mensch und Krabbe verkörpert, der orangefarbene Riesenscheren anstelle von Armen besitzt. Derartige Over-the-Top-Ideen wären es wohl, die „Thunder Force“ hier und da hätten retten können. Doch leider scheinen den Macher:innen nicht bloß ihre Figuren, sondern auch die Welt, in der ebendiese agieren, weitestgehend egal gewesen zu sein. Schließlich ist „The Crab“ hier weit und breit die einzige dieses Kalibers, während der Rest – egal ob nun Haupt- und Nebencast oder Statist:innen – ein ausschließlich menschliches Erscheinungsbild besitzt. Die potenzielle Weirdness der „Thunder Force“-Realität, manifestiert in einer einzelnen Figur – 99 Prozent des Films geht derweil für die anstrengende Mischung aus Ödnis und verpatzten Hau-Drauf-Gags drauf.

Fazit: „Thunder Force“ ist ein Rücksturz auf Ben Falcones Anfänge als mit wenig Fingerspitzengefühl und Timing ausgestattetem Regisseur, der Melissa McCarthy einmal mehr auf ihre Qualitäten als Slapstick-Lieferantin reduziert und es darüber versäumt, sowohl ihrem Schauspieltalent als auch den Figuren sowie der Story um sie herum dieselbe Aufmerksamkeit zu schenken. Die Superhelden-Comedy ist daher weder lustig noch mitreißend geraten. Und die potenzielle Crazyness innerhalb der „Thunder Force“-Welt manifestiert sich in einem einzigen Charakter, der immerhin seine Szenen an sich reißen, den Film aber nicht von der Vollkatastrophe bewahren kann.

„Thunder Force“ ist ab sofort bei Netflix streambar.

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