St. Vincent

Die mit Bill Murray in der Hauptrolle hochklassig besetzte Tragikomödie ST. VINCENT ist für zwei Golden Globes nominiert und auch, wenn sie in den Kategorien „Bester Hauptdarsteller“ sowie „Bester Film Komödie/Musical“ nur ein Außenseiterdasein fristet, so ist dieser kleine, aber sehr feine Film dennoch jeden Blick wert. Wie es Regisseur Theodore Melfi schafft, dem eigentlich so abgegriffenen Thema der generationenübergreifenden Verständigung frischen Wind einzuhauchen, das verrate ich in meiner Kritik zum Film.
Der Plot
Maggie (Melissa McCarthy), eine alleinerziehende Mutter, zieht mit ihrem Sohn Oliver (Jaeden Lieberher) in ein neues Haus nach Brooklyn. Weil sie gezwungen ist, Überstunden zu machen, muss sie Oliver in die Obhut ihres Nachbarn Vincent (Bill Murray) geben, ein griesgrämiger Rentner mit Hang zu Alkohol und Glücksspiel. Zwischen ihm und dem Jungen entwickelt sich bald eine ganz besondere Freundschaft. Die schwangere Stripperin Daka (Naomi Watts) im Schlepptau, nimmt Vincent seinen Schützling mit auf alle Stationen seiner täglichen Routine: die Rennbahn, den Stripclub und die Kneipe nebenan. Während Vincent Oliver dabei hilft, ein Mann zu werden, beginnt Oliver in Vincent etwas zu sehen, was kein anderer sehen kann: einen missverstandenen Mann mit einem großen Herzen.
Kritik
Das Filmjahr 2015 beginnt so, wie das gerade abgeschlossene aufgehört hat: mit den ewig gleichen Thematiken, die auf den großen Leinwänden der Multiplexe durchgekaut werden. Liam Neeson muss im dritten Teil der „96 Hours“-Reihe bleihaltig seine Familie beschützen, James Marsden und Michelle Monaghan dürfen sich in „The Best of Me – Mein Weg zu Dir“ in bester Nicholas-Sparks-Manier anschmachten und einmal mehr bekommen wir es in der unsäglichen Crimecomedy „Let’s Be Cops – Die Party Bullen“ mit zwei Buddys zu tun, die sich in einer US-amerikanischen Großstadt mit mafiaartigen Bandenkriegen herumschlagen müssen. Da möchte man angesichts der folgenden, von Sequels, Remakes und Franchisefortführungen geprägten zwölf Monate fast die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Doch während Konzerne wie Marvel beweisen, dass Fortsetzung nicht automatisch Qualitätsabfall respektive Einfallslosigkeit bedeuten muss und auch das Independentkino nach wie vor einzigartige Produktionen auf die Zuschauer loslässt, gelingt es Regisseuren immer mal wieder, gängige Genreschemata so zu variieren, dass trotz einer altbekannten Thematik das Gefühl aufkommt, das Leinwandgeschehen noch nie zuvor so gesehen zu haben. Langfilmdebütant Theodore Melfi, der bislang vornehmlich Short Movies realisierte, oder als Produzent selbiger fungierte, erzählt in „St. Vincent“ eine im Grunde altbekannte Geschichte über die Annäherung zweier vollkommen unterschiedlicher Menschen, beweist dabei allerdings ein solches Fingerspitzengefühl für das ausgewogene Arrangement komischer wie tragischer Szenen und hat einen regelrechten Spitzencast vor der Kamera versammelt, dass sein Streifen zu einem beeindruckenden Filmerlebnis wird. Ganz so, als hätte Melfi hier das Rad neu erfunden, obwohl davon bei genauerem Hinsehen weiß Gott keine Rede sein kann.
Im Mittelpunkt von „St. Vincent“ steht allen voran Bill Murray in der Rolle des ebenso abgebrannten wie stets übellaunigen Einzelgängers Vincent, bei dem jedwedes Indiz auf eine etwaige Heiligsprechung, wie es der Filmtitel ankündigt, einzig wie die ironisch-zynische Zuspitzung seiner selbst wirkt, die von einer Heiligkeit weiter entfernt kaum sein könnte. Doch als neben ihm die alleinerziehende Mutter Maggie (endlich wurde Melissa McCarthy einmal gegen ihr Comedy-Wuchtbrummen-Image besetzt und darf beweisen, wie stark sie als Charakterdarstellerin ist!) einzieht, entdeckt Vincent – des Geldes wegen, aber immerhin – seine menschliche Seite. Ab sofort will er täglich auf Maggies 12-jährigen Sohn Oliver aufpassen. Natürlich nicht, ohne dafür bezahlt zu werden. Dass sich das ungleiche Gespann alsbald nach dem Prinzip annähert, dass jeder etwas von dem anderen lernen kann und somit beide voneinander profitieren, mutet an dieser Stelle wenig überraschend an. Doch entscheidend ist im Falle von Theodore Melfis Regiearbeit nicht das „was“, sondern das „wie“. Getreu dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ kreiert der Filmemacher ebenjenes altbekannte Szenario, um die komischen Elemente seiner Figuren, allen voran den einmal mehr als Muffel vom Dienst auftretenden Bill Murray, mit den durchaus tragischen, wenn auch sehr bodenständigen Verhältnissen der Prämisse zu verbinden. Murray hat sichtlich Spaß an seinem Job und erinnert in seiner anfangs so sturen, fast unbelehrbaren Art an seine Figur Phil aus dem Zeitschleifenklassiker „…Und täglich grüßt das Murmeltier“. Umso größer ist die Fallhöhe. Jungakteur und Entdeckung Jaeden Lieberher („Playing it Cool“) mimt zwar den Außenseiter, ist in seiner Darstellungsweise aber so subtil und nicht auf Teufel komm raus zurückhaltend, dass er nicht vollends als Gegenpol zu Vincent funktioniert. So löst sich das Skript von „St. Vincent“ schnell aus der Schwarz/Weiß-Zeichnung seiner Figuren und sorgt für die erste Überraschung: So vorhersagbar, wie es der Streifen eingangs ankündigt, ist er gar nicht.
Vorzugsweise baut „St. Vincent“ auf die hinreißende Chemie seiner beiden Hauptakteure. Murray und Lieberher bestreiten den Großteil der angenehm dynamisch erzählten eindreiviertel Stunden zum Großteil allein und kehren dies so deutlich hervor, dass die ursprünglich ebenfalls als kleine Hauptrollen angelegten Figuren von Melissa McCarthy („Tammy“) und Naomi Watts („Ring“) daneben fast verblassen. Im Falle der sonst auf eher oberflächliche Rollen reduzierten McCarthy fällt dieser Umstand nicht weiter ins Gewicht, da ihre Figur der gestressten Mutter ohnehin durch ihre viel zu seltene Präsenz zum Nachdenken anregen soll. Watts hat es hingegen mit einer recht undankbaren Rolle zu tun. Als osteuropäische, schwangere Stripperin Daka ist ihr Charakter ganz klar auf den Humorfaktor beschränkt. Ob dies so gewollt ist, lässt sich anhand der durchaus tragischen Einführungsphase Dakas jedoch nicht zwingend ablesen; Immerhin hält sich das Skript relativ lange daran auf, die widrigen Lebensumstände der Frau zu erklären. Doch schlussendlich bleibt all das auf der Strecke – ein kleiner, wenn auch klarer Minuspunkt für das ansonsten so ausgewogene Drehbuch. Wessen Lacher hingegen funktionieren, sind die von „The IT Crowd“-Serienstar Chris O’Dowd, der als gläubiger Klassenlehrer versucht, seinen Schülern, zu denen auch Oliver gehört, „so etwas wie Glauben“ näherzubringen. Trotz oder gerade wegen seiner geringen Screentime sitzt jeder noch so trockene Gag, den der Ire mit enormer Freude vorträgt, ohne dabei in albernen Klamauk abzurutschen. Auch hier begeistert das Zusammenspiel mit Oliver, der sämtliche seiner Kollegen (und schlussendlich auch das Publikum) gekonnt um den Finger wickelt. Es wäre doch gelacht, wenn wir Jaeden Lieberher nicht demnächst in irgendeinem Teenie-Franchise wiedersehen…
Trotz kleiner Abstriche bei der Figurenzeichnung von Naomi Watts ist das Skript von „St. Vincent“, für das ebenfalls der Regisseur Theodore Melfi verantwortlich zeichnete, eine durch und durch runde Sache. Die gekonnte Symbiose der beiden tragenden Faktoren Komik und Tragik, einhergehend mit der Tatsache, dass der Filmemacher die wahren Emotionen zwischen und nicht in die Zeilen packt, erinnert an den Geniestreich „Ganz weit hinten“ von Nat Faxon und Jim Rash, der 2013 in die deutschen Kinos kam. „St. Vincent“ erzählt eine realitätsnahe Lebensgeschichte und verzichtet dabei, mit Aunahme der leicht karikierten Charakterzeichnung Bill Murrays, auf jedwede Art der Überhöhung. Melfi liefert auf jeden Höhenflug den dazugehörigen Dämpfer und sorgt für die Erleichterung, wenn sich das Schicksal gegen einen wendet. Das mag an manch einer Stelle berechenbar sein, doch der Autor setzt derlei Wendungen so punktuell, dass das Publikum zu jeder Zeit das Gefühl bekommt, der Film nehme einfach nur den richtigen Weg; der Liebe zur den Figuren wegen und nicht der Einfachheit halber. So kombiniert Melfi das typische Wohlfühlkino mit der beinharten Realität und lässt für jeden von uns die Identifikation mit den Leinwandereignissen zu.

Maggie (Melissa McCarthy) und ihr Sohn Oliver (Jaeden Lieberher) lernen die Stripperin Daka (Naomi Watts) kennen.
Fazit: „St. Vincent“ ist das erste große Highlight des Kinojahres 2015. Die für zwei Golden Globes nominierte Tragikomödie hat hervorragende Darsteller, ein beeindruckendes Skript und eine ebenso zum Lachen wie Weinen einladende Geschichte. Selbst das anderswo als „kitschig“ abgestempelte Finale behält die Bodenständigkeit des gesamten Filmes bei und ist entsprechend nicht rührselig, sondern ehrlich berührend und beweist einmal mehr, dass Bill Murray einer der wichtigsten Darsteller unserer Zeit ist.
„St. Vincent“ ist ab dem 8. Januar in den deutschen Kinos zu sehen!
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