The Sadness

Der taiwainesische Pandemie-Schocker THE SADNESS profitierte von einer lautstarken Mundpropaganda über seinen Brutalitätsgehalt. Doch selbst wenn die Gewalt hier eine zentrale Rolle spielt, bleibt der Film vor allem wegen seiner starken Atmosphäre im Gedächtnis. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Nach einem Jahr der Pandemiebekämpfung lässt die frustrierte taiwanesische Bevölkerung die gesundheitlichen Vorsichtsmaßnahmen der Regierung zunehmend außer Acht. Der perfekte Zeitpunkt für das bislang eher ungefährliche Alvin-Virus, zu mutieren und als unaufhaltsame Seuche im ganzen Land zu wüten. Wer infiziert wird, fühlt sich dazu gezwungen, die grausamsten Dinge zu tun: Mord, Folter und Verstümmelung sind dabei erst der Anfang. Ein junges Paar wird bis an die Grenzen seiner Kräfte getrieben, als es inmitten des Chaos versucht, einander wiederzufinden. Wahnsinn und Gewalt beherrschen die Straßen – die Zeit von Zivilisation und Ordnung ist vorbei.
Kritik
Wenn im Jahr 2021 ein Film auf sich aufmerksam macht, indem erste Publikums- und Pressestimmen mit Superlativen à la „Der brutalste (Zombie-)Film aller Zeiten“ um sich werfen, dann sorgt das für Neugier und Skepsis zugleich. Für Neugier deshalb, weil genau das ja schon über viele Filme zuvor gesagt wurde. Ein Projekt, das auf all das bisher Gesehene trotzdem noch einen draufsetzt? Interessant! Für Skepsis allerdings auch, weil genau diesen Superlativen längst nicht alle Filme standhalten konnten. Und so viel vorab: Der taiwanesische Pandemieschocker „The Sadness“ – da es sich bei den blutrünstigen Mordmaschinen nicht wirklich um Untote handelt, darf über den Terminus „Zombie“ im Zusammenhang mit dem Film munter gestritten werden – ist vermutlich nicht das Brutalste, was jemals auf Film gebannt wurde. Dafür besitzt Langfilmdebütant und Schreiber Rob Jabbaz noch zu oft den Anstand, bei den wirklich heftigen Szenen abzublenden und die Gewaltspitzen der Fantasie seines Publikums zu überlassen. Doch gerade am Mainstreamhorror gemessen, hat „The Sadness“ Momente zu bieten, für die man auch als leidenschaftlicher Genrefan gewappnet sein muss. Dass das Projekt also vor allem durch seinen Gewaltgrat auf sich aufmerksam gemacht hat, ist nachvollziehbar – aber schade.
In einer globalen Pandemie einen Film herauszubringen, der ebenfalls eine Pandemie thematisiert und dabei zudem harsche Kritik am (politischen sowie gesellschaftlichen) Umgang mit der Situation übt, kann nur als Kommentar auf die aktuelle Situation verstanden werden. Im Falle von „The Sadness“ ist es indes fast schon ironisch. Denn die in Taiwan gedrehte und auch dort – zumindest in einem „alternativen Taiwan“ – spielende Geschichte nimmt sich ausgerechnet ein Land zum Angriffsziel, das für seinen sehr professionellen Umgang mit der Corona-Krise bekannt ist. „The Sadness“ ist also eher als globaler Angriff auf Sorglosigkeit in einer derartigen Ausnahmesituation zu verstehen. Und als solcher funktioniert er als eine Art blutrünstiges, vollständig unironisches Pendant zu Adam McKays Satire „Don’t Look Up“ überraschend gut. Nach all dem, was wir in den vergangenen zwei Jahren über soziale Netzwerke, aber auch im echten Leben an ignorantem Verhalten gegenüber Corona miterleben durften, treffen in „The Sadness“ vor allem jene Szenen bis ins Mark, die so auch eins zu eins in unserem Umfeld stattfinden könnten. Etwa wenn trotz aller Warnungen Schnellrestaurants bis unters Dach mit Besucherinnen und Besuchern gefüllt sind oder ein Mann im Angesicht der Katastrophe immer noch felsenfest davon überzeugt ist, dass die von der Regierung empfohlenen Maßnahmen reine Panikmache sind. Vor allem aber brennt sich die plötzlich auf sämtlichen taiwanesischen TV-Kanälen eingeblendete, knallrote Katastrophenwarnung ins Hirn, wenn einem bewusst wird, dass wir einer solchen Situation vielleicht selbst nur knapp entgangen sind.
„‚The Sadness‘ ist eher als globaler Angriff auf Sorglosigkeit in einer derartigen Ausnahmesituation zu verstehen. Und als solcher funktioniert er als eine Art blutrünstiges, vollständig unironisches Pendant zu Adam McKays Satire ‚Don’t Look Up‘ überraschend gut.“
Obwohl man von Anfang an weiß, dass „The Sadness“ ein ziemlich wilder, blutrünstiger (Zombie-)Filmritt werden dürfte, man also ab der ersten Szene nur darauf wartet, dass das Gemetzel losgeht, so gerät vor allem der das Protagonistenpärchen Jim (Berant Zhu) und Kat (Regina Lei) etablierende Filmbeginn atmosphärisch. Zwar erfährt man nur rudimentär von der Harmonie und Problemen innerhalb dieser Beziehung, doch die Sympathien haben die beiden innerhalb weniger Minuten sicher. Ihre Interaktion ist, vor allem dank des starken Spiels der beiden, liebevoll. Und spätestens, wenn sich ihre Wege trennen, hofft man, dass sie in diesem Chaos irgendwie wieder zueinander finden mögen. Und sei es nur, um eben gemeinsam dem nahenden Tod ins Auge zu blicken. Gleichsam rückt Rob Jabbaz‘ Inszenierung dieses Hoffen und Bangen um die Hauptfiguren zeitweise in den Hintergrund, wenn sich der bestialisch zur Schau gestellte Eskapismus aus Mord, Vergewaltigung und Folter Bahn bricht. Dies geschieht erstmalig in einem Imbiss. Nur wenige Sekunden dauert es von dem Eindringen eines Infizierten (im Film ist er quasi „Patient Null“) bis zum ersten Massaker, das einem sofort das Ausmaß des Virus‘, vor allem aber der Art der Gewalt vor Augen führt, die Jabbaz hier abfeuert. Unter Zuhilfenahme hervorragender Trickeffekte lässt er die zahlreichen Statistinnen und Statisten schlimmste Pein über sich ergehen. Im Anbetracht der Kreativität, die einige Infizierte hier an den Tag legen, um ihre inneren, nun plötzlich um ein Tausendfaches potenzierte Triebe auszuleben, werden Schädelspaltungen oder das Durchtrennen der Halsschlagader zu läppischen Randnotizen.

Der von den Ereignissen überrollte Jim (Berant Zhu) will nur zu seiner Freundin. Ob es ihm gelingen wird?
Nun ist es fast schon morbide, zu behaupten, „The Sadness“ würde gerade durch diese Kreativität in der Gewaltdarstellung unterhaltsam wirken. Doch ähnlich etwa der „Final Destination“-, oder – noch brutaler – der „Saw“-Reihe ist auch dieser Kandidat hier letztlich nichts Anderes als eine Aneinanderreihung skurriler Tötungsmethoden, was im Kontext des zumeist sehr hohen Tempos für eine bemerkenswerte Kurzweil sorgt. Gleichwohl unterscheiden sich Setting respektive Prämisse sowie die Art der Brutalität massiv von den obengenannten Genrebeiträgen. „The Sadness“ ist durchtränkt von einer beklemmend-dramatischen Atmosphäre. Von Dreck und Schmutz, von Ekel und Todesangst; verstärkt durch den intimen Fokus auf die beiden Hauptfiguren, durch deren Augen wir die Gewalteskalation wahrnehmen. Eine emotionale Distanzierung fällt da schwer. Ein totkranker Irrer, der (kaum aus eigener Tasche finanzierbare) Folterfallen baut, um den Lebenswillen seiner Opfer zu testen, ist mindestens genauso überhöht wie die Idee, dem Tod selbst beim Zuschlagen zuzuschauen. „The Sadness“ dagegen spinnt eine inszenatorisch sehr real dargebotene Pandemiesituation weiter und macht ganz normale Bürgerinnen und Bürger zu Terrorbestien, die aufgrund der Wirkungsweise des Virus‘ nicht einfach nur töten wollen, sondern Befriedigung bei der Gewaltausübung empfinden. Dies hat dem Film übrigens auch scharfe Kritik eingebracht. Zum Beispiel aufgrund der Frage, ob man es unbedingt zeigen muss, wie eine ohnehin bereits schwer malträtierte Frau durch ihr Auge (!) vergewaltigt werden muss.
„‚The Sadness‘ ist durchtränkt von einer beklemmend-dramatischen Atmosphäre. Von Dreck und Schmutz, von Ekel und Todesangst; verstärkt durch den intimen Fokus auf die beiden Hauptfiguren, durch deren Augen wir die Gewalteskalation wahrnehmen.
Ebendiese Szene ist jedoch auch ein gutes Beispiel dafür, dass Rob Jabbaz eben nicht alles zeigt. Stattdessen schwenkt Kameramann Jie-Li Bai nach der Andeutung dieser Gräueltat auf das Gesicht des Täters und fängt seine perverse Befriedigung ein. Übrigens etwas, was man wiederum sehr wohl kritisieren kann. Denn insbesondere Missbrauchsszenen wohnt oft der Vorwurf inne, das Ganze voyeuristisch auszuschlachten. Mit dem Fokus auf das Tätergesicht wird „The Sadness“ diesem Vorwurf allerdings nicht gerecht; Zumal die Kamera auch nie herauszoomt und das ganze Ausmaß dieses Verbrechens zeigt. Stattdessen dominiert die Abscheu vor dem Mann, dessen Darsteller Tzu-Chiang Wang seinen Job als eine Art „wiederkehrender Endgegner“ auf größtmöglich unangenehme Weise hervorragend macht. Insbesondere sein weniger gewalt- denn vielmehr lustgetriebener Antagonist ist die personifizierte Veranschaulichung der Tatsache, dass „The Sadness“ sich obendrein immer wieder abstoßende (Alltags-)Beobachtungen über Sexismus und Misogynie erlaubt. Die mögen im teilweise dann doch auch karikaturesk anmutenden (und dadurch die Ernsthaftigkeit der Gesamtinszenierung untergrabenden) Blutrausch leider hin und wieder untergehen. Im Großen und Ganzen überzeugt der Film dennoch in seinem abartig-unterhaltsamen Mix aus bissiger Gesellschaftskritik, intensivem Pandemiedrama und ultrabrutalem Splatterinferno.
Fazit: „The Sadness“ ist vielleicht nicht der brutalste Film aller Zeiten, aber Regisseur Rob Jabbaz macht bei seinem Splatterschocker auch keine Gefangenen. Das hier Gezeigte ist bisweilen nur schwer erträglich, hat aber überraschend viel Substanz als Gesellschaftskommentar auf ignorante Pandemiepolitik sowie Frauenfeindlichkeit und ist (fast) bis zum Schluss verdammt atmosphärisch. Nur die zahlreichen Erklärungen im letzten Akt hätte es nicht zwingend gebraucht.
„The Sadness“ ist ab dem 3. Februar 2022 ungeschnitten in den deutschen Kinos zu sehen.