The French Dispatch

Wes Anderson hat wieder zugeschlagen. Nach seinem letzten Ausflug ins Animationsfilmkino kehrt er mit THE FRENCH DISPATCH nicht bloß zu seinen Wurzeln zurück. Er gräbt sie aus und stellt sie zur Schau, sodass die auf vier Geschichten der US-amerikanischen Intellektuellenzeitung The New Yorker basierende Tragikomödie zu reinem Wes-Anderson-Destillat wird. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Anlässlich des Todes ihres vielgeliebten, ursprünglich aus Kansas stammenden Verlegers Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) versammeln sich die Mitarbeiter von „The French Dispatch“, eines bekannten Magazins mit Sitz in der französischen Stadt Ennui-sur-Blasé, um seinen Nachruf zu verfassen. So entstehen vier, von den Erinnerungen an Howitzer geprägte Geschichten: eine Art Reiseführer über die schäbigsten Ecken der Stadt von dem „radelnden Reporter“ (Owen Wilson); „Das Beton-Meisterwerk“ über einen geistesgestörten, kriminellen Maler (Benicio Del Toro), seine Gefängniswärterin und Muse (Léa Seydoux) sowie seinen raffgierigen Kunsthändler (Adrien Brody); „Korrekturen eines Manifests“, eine Chronik von Liebe und Tod auf den Barrikaden, auf dem Höhepunkt (!) einer Studentenrevolte; sowie „Das private Speisezimmer des Polizeichefs“, eine fesselnde Geschichte über Drogen, Kidnapping und die gehobene Küche.
Kritik
Auf das Wesentliche heruntergebrochen erkennt man jeden Wes-Anderson-Film an drei Grundzutaten: Erstens: seinem Stil. Der Spezialist für melancholische Komödien ordnet seine Geschichten grundsätzlich der Ausstaffierung und dem Design, einer Anordnung verschiedener Setelemente und der darin wandelnden Figuren unter. In seinen Produktionen hat alles seinen genauen Platz und Bewegungsradius. Nichts wirkt dem Zufall überlassen, sodass bis zum Schluss jedweder Symmetrie-Gedanke gewahrt wird. Zweitens: die Charaktere, denen stets eine liebenswerte Schrulligkeit innewohnt – die wiederum einen deutlich größeren Stellenwert einnimmt als eine tiefgehende Weiterentwicklung. Und drittens: der Starcast. In „The French Dispatch“ etwa finden sich von bekannten Anderson-Gesichtern wie Bill Murray („St. Vincent“) und Tilda Swinton („Dating Queen“) bis hin zu Neulingen wie Timothée Chalamet („Call Me By Your Name“) sage und schreibe 18 (!) verschiedene Schauspielerinnen und Schauspieler, deren Name auch weniger filmaffinen Kinogänger:innen ein Begriff sein dürfte. Das ist selbst für Wes Anderson ein Rekord. Dass er bei der Besetzung vor allem auf liebgewonnene Freund:innen und Kolleg:innen zurückgreift, spricht ihn ein wenig vom Vorwurf des Namedroppings los. Gleichwohl sind hier einige bekannte Gesichter in derart winzigen Rollen zu sehen, dass auch ein Statist oder eine Statistin sie hätte ausfüllen können. Und das läutet gleichermaßen die Probleme des Films, aber auch die Erklärung für die mit Wes-Anderson-Werken seit jeher einhergehende Faszination für sie ein.
Was „6 Underground“ für Michael Bay und „The Irishman“ für Martin Scorsese war, ist „The French Dispatch“ nun für Wes Anderson: pures Destillat eines durchdringenden Regiestils, den keiner so perfektioniert hat wie ihre Kreateure selbst. Da ist es dann auch völlig legitim und verständlich, dass hier – mehr denn je – das konventionelle Erzählen in den Hintergrund rückt, Figurenentwicklung nur noch eine unter-untergeordnete Rolle spielt und sich alles den eingangs erwähnten Skills unterordnet, für die Anderson bekannt geworden ist. Das beginnt schon bei seinem ausgewählten Thema. Das US-amerikanische Magazin The New Yorker, in dem seit 1925 Kurzgeschichten, Kritiken, Essays, Lyrik und Cartoons, vor allem aber immens umfangreiche Reportagen erscheinen (John Herseys „Hiroshima“ aus dem Jahr 1946 über den Atomabwurf auf die gleichnamige japanische Hafenstadt wurde gar eine ganze Ausgabe gewidmet, die sich in Buchform später millionenfach verkaufte). Eine deutsche Ausgabe des Magazins gibt es bis heute nicht. Ein Abonnement der Originalfassung ist derweil auch hierzulande über das Internet zu beziehen. Insbesondere im schnelllebigen, onlinedominierten Journalismus stellt The New Yorker eine äußerst langlebige Randerscheinung da. Diese Langlebigkeit überrascht vor allem deshalb, weil es den Macherinnen und Machern eben nicht darum geht, eine möglichst breite Leser:innenschaft abzuholen – und trotzdem hält sich die Marke bereits so viele Jahrzehnte. Das Image des New Yorker passt perfekt zur Ausrichtung von „The French Dispatch“. Denn auch Wes Anderson interessiert es hier nicht, ob möglicherweise irgendjemand da draußen den Kosmos seiner vier Geschichten nicht greifen kann. Aber vermutlich verirrt sich von diesen Leuten ohnehin keiner in eine „The French Dispatch“-Vorstellung…
„Das Image des New Yorker passt perfekt zur Ausrichtung von ‚The French Dispatch‘. Denn auch Wes Anderson interessiert es hier nicht, ob möglicherweise irgendjemand da draußen den Kosmos seiner vier Geschichten nicht greifen kann.“
Wer dies hingegen tut, der wird mit einer Art Best Of von all dem belohnt, womit Wes Anderson in den vergangenen Jahren sein Publikum begeistert hat. Um ebendas möglichst vielfältig zu gestalten, greift er erzählerisch – auch das Skript stammt von ihm – eine Kurzfilmstruktur auf, die es ihm ermöglicht, möglichst viel und noch dazu variantenreichen Stoff in „The French Dispatch“ unterzubringen. Nachdem Owen Wilson („Bliss“) als der radelnde Straßenreporter Herbsaint Sazerac einen gewitzten (und auch geographischen) Einblick in die Welt gegeben hat, aus der Wes Anderson in den kommenden eindreiviertel Stunden erzählt, folgen drei Kurzgeschichten, basierend auf bekannten Geschichten des New Yorker (beziehungsweise hier eben des French Dispatch). In „The Concrete Masterpiece“ geht es um einen verurteilten Mörder, der hinter Gittern eine Gefängniswärterin zu seiner Muse erklärt, während sich unterdessen ein raffgieriger Kunstliebhaber darauf vorbereitet, die Kunst des Killers sein Eigen zu nennen. Umrahmt wird diese Story von den Erzählungen der Kunstkritikerin JKL Berensen (Tilda Swinton), die die Geschichte während eines Bühnenvortrags ihrem Publikum näherbringt. Inhaltlich bräuchte es diesen Subplot nicht, aber er bietet Anderson natürlich die Möglichkeit, einmal mehr „seine“ Tilda Swinton zu besetzen (auch wenn diese selbst bei ihm schon in deutlich exzentrischeren Rollen zu sehen war). Zudem hebt es die zunehmend verschachtelte Erzähl- und Inszenierungsstruktur von „The French Dispatch“ früh hervor. Schließlich sollen so viele kreative Einfälle wie möglich im Film untergebracht werden.
„The Concrete Masterpiece“ beginnt mit einer auf den Punkt platzierten Pointe, wenn Wes Anderson früh mit den vermeintlich vorgegebenen Rollen in einem Gefängnis spielt, eh er aufzeigt, dass es hier – wie im gesamten Werk – weitaus weniger um die Figuren und den Aspekt der Geschichte geht. Stattdessen stehen Kunst (hier die Malerei) und Kultur im Fokus. In der zweiten Episode „Revisions to a Manifesto“ sieht es genauso aus. Da ist es nicht die Malerei, sondern der Journalismus als solches, der in bester Anderson-Manier auf sein Dasein abgeklopft wird; Geht es hier doch um die Integrität der Reporterin Lucinda Krementz (Frances McDormand), die infolge einer Liaison mit dem wesentlich jüngeren Studentengruppierungsanführer Zeffirelli (Timothée Chalament), der eine Studentenrevolte anzettelt, über die Krementz eigentlich mit emotionalem Abstand nüchtern schreiben soll. „The French Dispatch“ ist kein Film mit allzu erzählerischer Tiefe. Gleichwohl kristallisieren sich aus allen drei Episoden das wiederkehrende Element der moralischen Grenzgänge heraus, die Anderson stets mit einem (mal größeren, mal kleineren) Knall auflöst. So auch aus der finalen Geschichte „The Private Dining Room of the Police Commissioner“ über den weltberühmten Koch Nescafier (Steve Park), der von einem schier unglaublichen (und unglaublich aus dem Ruder laufenden) Entführungsfall aus seiner Vergangenheit berichtet. Schon allein an den exaltierten Performances sämtlicher Schauspielerinnen und Schauspieler – Wes Anderson war noch nie einer, der seinem Cast allzu subtile Darstellungen abverlangt hat – kann man sich in „The French Dispatch“ nicht sattsehen. Sie helfen an vielen Stellen über die inhaltliche Leere abseits einige verdammt gut platzierter Gags, insbesondere visueller Natur, hinweg. Anderson zelebriert Verspieltheit und Kurzweil, wofür er das Erzählte grundsätzlich hintenanstellt. Betrachtet man den Film indes nicht als klassischen Erzählfilm, sondern als Flickenteppich des Kreativen, funktioniert er richtig gut.
„An den exaltierten Performances sämtlicher Schauspielerinnen und Schauspieler kann man sich in ‚The French Dispatch‘ nicht sattsehen. Sie helfen an vielen Stellen über die inhaltliche Leere abseits einige verdammt gut platzierter Gags, insbesondere visueller Natur, hinweg.“
Dazu, möglichst viele Ideen in einem einzelnen Film unterzubringen, passt auch, dass Anderson mit seinen Geschichten munter durch verschiedene Dekaden springt, auf die er seinen ganz eigenen visuellen Stil anwenden kann. Dass ein Großteil des Films allerdings in Schwarz-Weiß gedreht wurde, raubt „The French Dispatch“ derweil Potenzial. Hat man so doch das Gefühl, vieles von Andersons Schwelgereien in Farben und Formen sowie der Abstimmung des einen auf das andere bleiben einem als Teil des Publikums ein Stückweit verborgen. Doch am Ende gelingt Anderson mit seinem jüngsten Werk wohl genau das, was in den vergangenen Jahren Michael Bay mit „6 Underground“ oder Martin Scorsese mit „The Irishman“ gelangen: Sie bieten ihren Fans die Möglichkeit, sich einmal quer durch die Kunstfertigkeiten ihres Schaffens zu arbeiten. Und entweder, man geht darin auf, oder man tut dies nicht. Ein fairer Deal ist es indes allemal.
Fazit: „The French Dispatch“ schaut man nicht aufgrund seiner inhaltlichen Qualitäten sondern wegen eines Wes-Anderson-Allstar-Casts, der gewohnt kreativen Inszenierung und einer merklichen Liebe für die Materie. Auch wenn der Regisseur und Autor sicherlich nicht jeden dafür begeistern können wird. Also im Grunde alles wie immer im Hause Anderson.
„The French Dispatch“ ist ab dem 21. Oktober 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.