Bliss

Was würde geschehen, wenn wir herausfänden, dass unser Leben eine Computersimulation ist? Dieser Frage sind bereits die Wachowski-Geschwister in ihrem zeitlosen Sci-Fi-Meisterwerk „Matrix“ nachgegangen. Über 20 Jahre später schlägt Mike Cahill mit seinem Genreexperiment BLISS in dieselbe Kerbe. Das Ergebnis fällt gemischt aus. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Bliss (USA 2021)

Der Plot

Greg (Owen Wilson) ist mittleren Alters, frisch geschieden und hat zu allem Überfluss gerade seinen Job verloren – allerdings nicht ohne dass sein (Ex-)Boss dabei das Zeitliche gesegnet hat. Ob Unfall oder nicht: Greg hat mächtig Probleme – bis er kurz darauf in einer Bar die geheimnisvolle Isabel (Salma Hayek) kennenlernt. Isabel lebt auf der Straße, scheint mit ihrer Situation allerdings im Reinen zu sein. Sie versucht sogar, Greg dazu zu überreden, das Leben mit ihr gemeinsam zu verbringen. Sofern man es denn so nennen kann: „Leben“ – denn Isabel ist fest davon überzeugt, dass alles um sie herum eine Computersimulation ist. Obwohl er zunächst skeptisch ist, entdeckt Greg nach und nach, dass an Isabels Theorie etwas dran sein könnte und lernt, die Realität hinter der Realität kennen. Mit fatalen Folgen…

Kritik

Regisseur und Drehbuchautor Mike Cahill hat in rund zehn Jahren zwar gerade erst drei Langspielfilme inszeniert, von denen die ersten beiden auch noch nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit liefen; Trotzdem hat sich der auch an Serien wie „The Magicians“ und „The Path“ beteiligte Filmemacher bereits einen gewissen Ruf aufgebaut, den sein neuestes Werk „Bliss“ konsequent unterstreicht. Seine allesamt grob zum Science-Fiction-Genre gehörigen Filme – von „Another Earth“ über „I, Origins – Im Auge des Ursprungs“ bis hin zu nun eben „Bliss“ – haben eine ihnen innewohnende, futuristische Weltenbildung gemein, in denen Technologie und ihre schier grenzenlosen Möglichkeiten eine tragende Rolle spielen. Gleichsam setzen sich seine Zukunftsvisionen immer auch mit zutiefst menschlichen Emotionen auseinander und verhandeln Themen wie Trauerbewältigung, Religion und Wissenschaft sowie existenzielle Grundfragen: Wer bin ich? Was bin ich? Und warum? Man könnte Cahill dahingehend einen Mangel an Kreativität vorwerfen, als dass er seinem Stil in „Bliss“ einmal mehr treu bleibt. Und tatsächlich hat er seinem bisherigen Leitmotiv diesmal auch kaum Neues hinzuzufügen. Dafür ist sein „Bliss“ längst nicht so sperrig wie seine vorherigen Filme, was ihn jedoch nicht zwingend zu einfacher Kost macht.

Greg (Owen Wilson) und Isabel (Salma Hayek): ein ungleiches Paar

Innerhalb von gerade einmal zwei Jahren ist Mike Cahills zwischen Sci-Fi-Dystopie, kohlrabenschwarzer Komödie und Drogendrama changierender Genremix bereits der zweite Film, der auf den Titel „Bliss“ hört – und der zudem das zentrale Thema Drogenmissbrauch hat. Joe Begos‘ gleichnamiges Fantasy-Filmfest-Highlight rückte eine freischaffende Malerin und partyvernarrte Rockerbraut in den Fokus, die sich den Glücksrausch (englisch: „Bliss“) ihres starken Kokainkonsums zunutze macht, um währenddessen bildgewaltige Meisterwerke zu Leinwand zu bringen – mit ungemütlichem Ausgang, versteht sich. Auch Cahills „Bliss“ trägt seinen Titel aufgrund des mit einem Drogenrausch einhergehenden Glücksgefühls, wenngleich das „Glück“ in „Glücksgefühl“ hier erst deutlich später zum Tragen kommt als im 2019er-„Bliss“, der von einem manisch-depressiven Gefühlsauf und -Ab geprägt war. Mike Cahill dagegen schickt seinen Protagonisten Greg erst einmal durch die Hölle, bestehend aus Scheidung, Jobverlust und Vertuschung eines Todesfalls, eh er die mysteriöse Isabel als vermeintlichen Heilsbringer auf dem filmischen Parkett platziert – oder besser: ihre kleinen, orangefarbenen Freunde, die sie kontinuierlich und betont harmlos als Kristalle bezeichnet, die aufgrund ihrer offensichtlich bewusstseinserweiternden Wirkung (Greg und Isabel haben nach der Einnahme der kleinen Steinchen plötzlich so etwas wie Superkräfte) aber klar ebenjene Wirkung haben, die sonst nur Drogen erzielen können.

„Mike Cahill schickt seinen Protagonisten Greg erst einmal durch die Hölle, bestehend aus Scheidung, Jobverlust und Vertuschung eines Todesfalls, eh er die mysteriöse Isabel als vermeintlichen Heilsbringer auf dem filmischen Parkett platziert – oder besser: ihre kleinen, orangefarbenen Freunde, die sie kontinuierlich und betont harmlos als Kristalle bezeichnet.“

Etwa die Hälfte der Laufzeit lässt Mike Cahill seine Zuschauer:innen im Unklaren darüber, was es mit Isabel, ihren Kristallen sowie ihrer Behauptung, alles um sie herum sei bloß eine Computersimulation, auf sich hat. Wenngleich der Auteur bereits in den ersten zehn Minuten des Films eine Kamerafahrt anordnet, die mit ihrem langen Fokus auf ein ganz bestimmtes Gebäude ein Foreshadowing der eher plumpen Sorte bildet. Wer hier genau hinschaut, für den fungiert diese Einstellung wie eine Art Wegweiser, der einen durch das inszenatorische Gestrüpp der kommenden eineinhalb Stunden führen kann – und mit dem die (Genre-)Auslegung von „Bliss“ auch wesentlich leichter fallen dürfte, sofern sie durch Mike Cahills Inszenierung nicht ohnehin offensichtlich genug ist. Dieser stellt mit seiner audiovisuellen Aufmachung die tonalen Weichen, indem er alles andere als subtil vorgeht. Durch das verwaschene, grobkörnige Grau-in-Grau, in das er seinen Film in der ersten Dreiviertelstunde kleidet, dominiert eine Tristesse den Film, aus dem man auch als Zuschauer:in alsbald ausbrechen möchte – und somit rasch damit sympathisiert, wenn sich abzeichnet, dass es genau dafür eine Möglichkeit gibt. Trotzdem bleibt ein fader Beigeschmack, nicht zuletzt aufgrund der Figur der Isabel. Salma Hayek („Killer’s Bodyguard“) darf hier mitunter freidrehen und dabei mehr als einmal an der Karikatur einer Süchtigen kratzen. Das strengt an und macht „Bliss“ bisweilen zu einem unbequemen Film. Gleichsam gelingt es Hayek immer wieder, den tragischen Kern ihrer Figur offenzulegen, der von der Abhängigkeit stärker gezeichnet ist, als sie es zugeben möchte.

Was ist echt, was ist Simulation?

Der inszenatorische Bruch nach etwa der Hälfte der Laufzeit ordnet die von Mike Cahill erdachte Welt schließlich endgültig ein, gibt aber auch genügend Raum für Subtextspekulationen. Denn „Bliss“ ist immer dann am stärksten, wenn die Figuren ihrem Publikum den Erkenntnisgewinn ob der gezeigten Szenerien nicht direkt vorkauen, sondern ihm freie Hand dabei lassen, sie selbst abzuwägen. Allen voran das Zusammenspiel zwischen Owen Wilson („Wunder“) und Salma Hayek ist von einem Wechsel aus Anspannung und Zuneigung geprägt, der den moralischen Kompass der Zuschauer:innen immer wieder zum Rotieren bringt. Weder in der Prämisse noch in der Figurencharakterisierung finden sich simple Antworten. Der Vergleich zwischen „Bliss“ und einer Folge der gefeierten Netflix-Serie „Black Mirror“ liegt daher lediglich auf formaler Ebene nahe. Doch während die Macher:innen von „Black Mirror“ ihr aufklärerisches Anliegen in der Regel offenkundig vor sich hertragen, ist Mike Cahill – der bisweilen plumpen Inszenierung zum Trotz – längst nicht so offensiv kritisch und moralinsauer wie man auf den ersten Blick vielleicht denken möchte. Stattdessen ist sein Film – wie schon „Another Earth“ und „I, Origins“ – im Kern vor allem eine sehr tragische Geschichte über eine ungewöhnliche Liebschaft, die diese unter dem Deckmantel eines dystopischen Sci-Fi-Settings mit einem niederschmetternden Drogendrama kombiniert. Das funktioniert nicht immer – bisweilen wird Cahill seiner vielen Einflüsse selbst nicht ganz Herr. Aber es ist definitiv ambitioniert.

„Während die Macher:innen von „Black Mirror“ ihr aufklärerisches Anliegen in der Regel offenkundig vor sich hertragen, ist Mike Cahill – der bisweilen plumpen Inszenierung zum Trotz – längst nicht so offensiv kritisch und moralinsauer wie man auf den ersten Blick vielleicht denken möchte.“

Und es funktioniert auf der emotionalen Ebene, weil Owen Wilson und Salma Hayek ihre starken Schwankungen unterworfene Beziehung zueinander glaubhaft verkörpern. Für ein klassisches Film-Liebespaar mag es ihnen an Chemie fehlen, doch in „Bliss“ geht es nicht darum, mit den beiden als Pärchen mitzufiebern. Stattdessen baut sich auch zwischen den beiden eine Art Abhängigkeitsverhältnis auf, wenn Isabel schon früh ihre vermeintlichen Wissensvorsprünge gegen Greg anwendet, um ihren Willen durchzusetzen. Doch es ist reizvoll, zu sehen, wie unterschiedlich die Charaktere mit dieser Ausnahmesituation umgehen. Und so geht es in „Bliss“ letztlich vor allem um das permanenten Ausreizen der eigenen Komfortzone. Und das trifft nicht bloß auf Greg und Isabel zu, sondern auch auf den Film selbst.

Fazit: Mike Cahill war schon mal besser drauf, doch sein neuester Film „Bliss“ ist nicht völlig reizlos. Wie der Filmemacher hier versucht, einen Genremix aus Sci-Fi-Dystopie, Drogendrama und Liebesgeschichte zu stemmen, ist ambitioniert und funktioniert immer dann am besten, wenn dem Publikum genügend Mitdenk-Anstöße offengelassen werden. Wann immer „Bliss“ dagegen sein Anliegen vorkaut, läuft er Gefahr, das Interesse seiner Zuschauer:innen zu verlieren.

„Bliss“ ist ab sofort bei Amazon Prime abrufbar.

Und was sagst Du dazu?