Bliss

Nach seiner Präsenz auf dem Fantasy Filmfest 2019 kommt der Mitternachtsfilm BLISS auch regulär ins Kino. Und das ist so gar nicht selbstverständlich. Was wir damit meinen und was er zu bieten hat, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Dezzy (Dora Madison Burge) ist freischaffende Künstlerin und eine partyvernarrte Rockerbraut – und sie befindet sich in einer Schaffenskrise. Schon seit Monaten hat sie kein Bild mehr zu Ende gemalt, weshalb ihr ihr Manager schon im Nacken sitzt. Allein im Rausch kommt sie mit ihrer Arbeit wenigstens vorwärts – also beschließt sie, es nun allen zu zeigen und in einem Endspurt ihr neustes Werk zu vollenden. Was für ein Glück, dass ihr Dealer-Kumpel Hadrian (Graham Skipper) gerade einen neuen, extra harten Koksverschnitt namens Diabolo anbietet, der eine Mischung aus allen Effekten jeder bekannten Droge verspricht. Dezzy kennt aber keine Zurückhaltung, und so dauert es nicht lange, bis sie Hadrians gut gemeinte Ratschläge, wie Diabolo zu dosieren ist, völlig über Bord wirft. Ebenso schnell verpufft ihre Erinnerung an die letzte Nacht. Aber das ist ihr völlig egal: Das Bild kommt vorwärts, Dezzy fühlt sich wie ein anderer Mensch; irgendetwas in ihr bringt sie zu einer bislang fremden Form der Ekstase. Sie geht daraufhin immer häufiger feiern, die Trips werden immer härter, die Halluzinationen auch. Und jeden Morgen ist ihr Gemälde ein Schritt näher an der Vollendung. Doch es stellt sich die Frage: Ist sie es, die das Gemälde weiter malt, oder steckt da viel mehr dahinter?
Kritik
Drogen, Sex, grafische Gewalt, laute Metal-Musik und Malerei: „Bliss“ ist zweifelsohne ein Film, der sich nur mit einem kleinen, spezifischen Publikum gut stellen will. Doch Joe Begos‘ stolzes, selbstbewusstes Nischenprojekt ist so zielgerichtet und konsequent umgesetzt, dass man „Bliss“ glatt wünscht, irgendwie über die kommenden Jahre hinweg zum Kultliebling zu avancieren und sich eine größere Fangemeinde aufzubauen. Zu gleichen Teilen Psychothriller, dämonischer Horror und kunstvoll-besessenes Drama über die kräftezehrende Wirkung des Kreativprozesses ist „Bliss“ ein rotziger, dreckiger, rauer und dennoch auch stylisch-aufpolierter Trip, der auf mehreren Säulen ruht.
Da wäre Hauptdarstellerin Dora Madison, die schon in Terence Malicks experimentell angehauchter Musiker-Romanze „Song to Song“ mitgespielt hat. Madison spielt die Hauptfigur von „Bliss“, als sei die Andie MacDowell aus „Sex, Lügen und Video“ anschließend nicht mittels Romantik-Kino in die 1990er-Jahre eingetreten, sondern hätte sich nach ein paar Litern Wodka-Energy der Grunge-Bewegung angeschlossen: Mit großen, rätselnden Augen, rotziger 90er-Jahre-Underground-Künstlerszene-Attitüde und einer selbstbewussten-unaufdringlichen Sinnlichkeit stapft Dezzy durch Partys, lässt sich verführen (oder lässt Andere im Glauben, sie würden sie verführen, obwohl sie die Verführerin ist), macht gehörig einen drauf und kotzt dann sprichwörtlich ihre Ideen und Gefühle auf der Leinwand aus. Madisons Herangehensweise an Dezzy verleiht „Bliss“ eine unterschwellige Anspannung, da sich aus ihrem Spiel nicht klar herauslesen lässt, wie sehr Dezzy Opfer der Drogen ist, etwas Böseres von ihr Besitz ergreift oder in der Filmwelt von „Bliss“ alles in Ordnung ist und die finsteren Anblicke auf der Leinwand reine Metaphorik sind und Dezzy gar nichts widerfährt. So erzeugen Begos und Madison eine packende Rätselhaftigkeit.
Apropos Metaphorik: Die entfesselte Gewalt, mit der „Bliss“ vom künstlerischen Schaffensprozess und dem Ankämpfen gegen innere Blockaden erzählt, ist eine weitere Säule, auf dem sich diese Filmerfahrung stützt. Und die dritte Säule ist die ästhetische Umsetzung dessen: Als hätten das Nicolas-Cage-Vehikel „Mandy“ und „Die schöne Querulantin“ ein Kind, das sie mit Metal großgezogen haben, prügelt „Bliss“ sein Publikum durch gekonnt-gewaltsam aufeinanderprallende Stilistiken. So sehr Dezzy wie einem feuchten Counter-Culture-Traum der 1990er entsprungen scheint, sind die massiven, haptischen Gewaltspitzen dem Horror-B-Kino der 1980er zuzuordnen und die dunstigen Clashs weniger Neonfarben, in die viele Szenen getaucht sind, sind eine moderne, zeitgenössische Angewohnheit heutiger, junger wilder Filme. Eingefangen wird der laut dröhnend beschallte Trip in eine finstere (oder verfinsternde?) Künstlerinnenseele auf grobkörnigem, schwammigen Kontrast bietendem Super-16-Filmmaterial. Kameramann Mike Testin lässt die Kamera kreisen, als befänden wir uns im verkaterten Schädel Dezzys und Cutter Josh Ethier lässt Szenen fies-verwirrend ineinander übergehen. „Bliss“ formt sich so zu einer filmischen, extra lauten Eskalation aus nackter Haut, Blut, Halluzinationen und derber Ästhetik, bis es nur so knallt.
Fazit: Laut, siffig, dunstig, bunt, hart und böse: Joe Begos‘ Fantasy-Filmfest-Highlight und Genre-Bastard „Bliss“ ist kunstvoller Schund. Oder sündige Kunst.
„Bliss“ ist ab dem 20. Februar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.