Träume sind wie wilde Tiger

Nach seinem kongenialen Episodenfilm „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ setzt Regisseur und Autor Lars Montag für sein Kinder- und Familienabenteuer TRÄUME SIND WIE WILDE TIGER erneut auf eine verspielte Inszenierung und zieht seine Emotionen aus einer größtmöglich subjektiven Erzählweise. Das Ergebnis erinnert in den besten Momenten an die Werke eines Michel Gondry und reißt dank eines schwungvollen Musicalsoundtracks selbst Bollywood-Muffel aus den Sitzen. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Träume sind wie wilde Tiger (DE 2022)

Der Plot

Für den zwölfjährigen Ranji (Shan Robitzky) aus Mumbai ist Bollywood das Größte: Die bunten Filme der indischen Filmindustrie mit ihren ansteckenden Songs und Tanzchoreographien machen ihn glücklich – wie Millionen anderer Landsleute. Nichts wünscht er sich mehr, als einmal mit seinem erklärten Helden, dem indischen Superstar Amir Roshan (Terence Lewis), vor der Kamera zu stehen. Doch seine große Sehnsucht rückt in unerreichbare Ferne, als seine Eltern dem Jungen ihren Traum eröffnen, ins weit entfernte Deutschland auszuwandern. Nur die Hoffnung auf die Teilnahme an einem Casting für den neuen Film von Amir Roshan hält ihn aufrecht – auch wenn das in seiner alten Heimat Indien stattfindet. Für seine Träume muss man kämpfen – von allein gehen sie nicht in Erfüllung. Das weiß auch Nachbarsmädchen Toni (Annlis Krischke) , die sich für Ranji als unerwartete Verbündete erweist. Mit Mut und vereinten Kräften machen sich die beiden daran, ihre Träume wahr werden zu lassen – und finden dabei auch noch das Glück wahrer Freundschaft…

Kritik

Lange vor seinem Kinofilmdebüt „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ aus dem Jahr 2017 war Lars Montag bereits als Regisseur und Drehbuchautor für unzählige Werke tätig. Nach gefälligen TV-Komödien der Marke „Nur ein kleines bisschen schwanger“ wirkte der kühl-bissige und unvorhersehbare Episodenfilm ein bisschen wie ein Befreiungsschlag. Mitproduziert von der bildundtonfabrik, die zum damaligen Zeitpunkt unter anderem für das „Neo Magazin Royale“ verantwortlich zeichnete, wurde die in drei Teilen („Einsamkeit“, „Sex“, Mitleid“) erzählte Charakterbeschau zu einem der besten deutschen Filme jüngerer Vergangenheit. Als unverblümte Hardcore-Komödie lotete Montag Grenzen aus und entblößte nicht nur seine Hauptfiguren, sondern auch die Mechanismen des deutschen Anspruchskinos. Doch was für Filmliebhaber:innen auf dem Papier so reizvoll wirkt, ging an der Kinokasse unter. Daher kennen viele Lars Montag vor allem durch seine Mitarbeit an der Netflix-Erfolgsserie „How to sell Drugs online (fast)“, vielleicht aber auch schon bald durch sein zweites Kinoprojekt „Träume sind wie wilde Tiger“, der nicht nur aufgrund seiner Genreherkunft als Familienmusical deutlich gefälliger ist, sondern auch mit einem Soundtrack auftrumpft, der von zwei Menschen stammt, die es längst gewohnt sind, dass ihre Filmkompositionen auch von Leuten gehört werden, die die dazugehörigen Filme gar nicht kennen.

Ranji (Shan Robitzky) und Toni (Annlis Krischke) wollen herausfinden, wie Ranji doch noch zum Film kommen kann…

Die Rede ist von Peter Plate und Ulf Sommer, die durch ihre Arbeit an Detlev Bucks immens erfolgreicher „Bibi & Tina“-Reihe (vier Filme, eine Amazon-Serie und bald ein fünfter Film) viel Erfahrung darin sammeln konnten, Songtexte für die jüngere Generation zu verfassen. Songs, die die Sprache der Jugend sprechen, sich nicht anbiedern und auch noch so eingängig komponiert sind, dass sie als 100-prozentig radiotauglich durchgingen. Mittlerweile gibt es sogar ein eigenes Weihnachtsalbum der „Bibi & Tina“-Besetzung, zu dem es gar keinen Film gibt… Für „Träume sind wie wilde Tiger“ orientierte sich das Duo an den im Film vorkommenden, verschiedenen Tonalitäten. So vermischen sie die musikalischen Einflüsse der im Film zentral verhandelten Thematiken Bollywood sowie die indische Kultur und ihre markanten Rhythmen mit westlicher Popmusik – und das Ergebnis dessen ist nicht etwa ein Kompromiss aus beiden Seiten, sondern die perfekte musikalische Symbiose, um „Träume sind wie wilde Tiger“ angemessen zu begleiten (unser Favorit: „Indian Sky“). Die im Film wie Musikvideos eingestreuten Gesangs- und Tanznummern orientieren sich visuell schon deutlich mehr nur an der indischen Kultur, wenngleich aufgrund der farbenfrohen Verspieltheit sowie dem immensen Ideenreichtum im Design vor allem Vergleiche zu französischen Filmern wie Michel Gondry oder Jean-Pierre Jeunet naheliegen. Schon „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ bereitete die einzelnen Charakterstudien mit größtmöglicher visueller Vielfalt auf. In „Träume sind wie wilde Tiger“ liegt dem Ganzen nun eine größere Leichtigkeit zugrunde, die gleichermaßen zum Staunen als auch zum Mitwippen einlädt. Und vielleicht auch später zum Mitsingen, denn einmal mehr sind die Songinhalte eingängig und sprachlich auf Augenhöhe mit den Konsumentinnen und Konsumenten.

„Die im Film wie Musikvideos eingestreuten Gesangs- und Tanznummern orientieren sich visuell schon deutlich mehr nur an der indischen Kultur, wenngleich aufgrund der farbenfrohen Verspieltheit sowie dem immensen Ideenreichtum im Design vor allem Vergleiche zu französischen Filmern wie Michel Gondry oder Jean-Pierre Jeunet naheliegen.“

Apropos Augenhöhe: Auf die seines jungen Protagonisten Ranji begeben sich die Autoren Lars Montag, Murmel Clausen („Der Nanny“) und Sathyan Ramesh („Schöne Frauen“) zu jeder Sekunde, was „Träume sind wie wilde Tiger“ – wie der Name es schon vermuten lässt – eine gewisse Verträumtheit einbringt. Damit umschiffen die Macher konsequent viel an Konfliktpotenzial, was den Film weniger zu einer klassischen „Migrationsgeschichte“ macht, als vielmehr zu einer solchen, die von dem unbändigen Willen eines Jungen erzählt, auch fernab seiner ursprünglichen Heimat seine Ziele zu erreichen. Dadurch wirkt jedwedes Aufeinanderprallen zwischen den Kulturen vereinfacht. Der rassistische Vermieter (Herbert Knaup) wirkt eher wie eine Karikatur, anstatt das reale Abbild eines Fremdenfeindes abzugeben. Das genaue Gegenteil gilt für Ranjis ihn ausschließenden und beleidigenden Klassenkameraden, die sich schnell auf abwertende Spitznamen einigen können und ihren neuen Mitschüler drangsalieren. Weder die Szenen mit dem Vermieter noch jene mit den gleichaltrigen Jungen haben so etwas Bedrohliches. An Ranji prallen die Beleidigungen regelrecht ab, da er gleichermaßen selbstbewusst als auch vollkommen auf seine Träume fokussiert ist, während er die wirklich schlimmen Abwertungen durch den Vermieter dagegen nur am Rande bemerkt. Ranjis Fokus liegt einfach auf anderen Dingen. So ist „Träume sind wie wilde Tiger“ zwar ein Film, der schon junge Leute für Fremdenfeindlichkeit sensibilisieren kann, aber einfach andere erzählerische Schwerpunkte besitzt.

Auf den Spuren eines Idols…

Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, genügt schon ein Blick auf das Filmplakat: Obwohl in „Träume sind wie wilde Tiger“ deutsche Schauspielgrößen wie Simon Schwarz (die „Eberhofer“-Filme) oder eben auch Herbert Knaup („Lola rennt“) auftreten, sind lediglich die Namen der beiden Newcomer Shan Robitzky und Annlis Krischke – beide in Debütrollen – auf diesem abgebildet. Nichts und Niemand soll davon ablenken, dass dieses Abenteuer den Kindern allein gehört. Das Verhalten der Erwachsenenfiguren gibt zwar hin und wieder die Richtung der Handlung vor, doch die Reaktionen auf die äußeren Umstände, das Improvisieren bei unvorhergesehenen Problemen und ganz nebenbei auch noch alltägliche Auseinandersetzungen mit dem eigenen Erwachsenwerden stehen in „Träume sind wie wilde Tiger“ im Mittelpunkt. Manch eine amüsante Beobachtung existiert dann aber doch klar für die älteren Zuschauerinnen und Zuschauer. Und diese wirken dann sogar ein wenig fehl am Platz. Etwa der (zweifelsohne amüsante) Auftritt von Irshad Panjatan, besser bekannt als Häuptling Listiger Lurch aus Michael Bully Herbigs Erfolgsfilm „Der Schuh des Manitu“, der hier als er selbst, also als „Listiger Lurch“-Darsteller, auftritt. Die mit seiner Person einhergehenden Gags werden für ein ganz junges Publikum kaum greifbar sein. Für die Erwachsenen dagegen wohnt diesen Szenen Montags gewohnt trockener Humor inne, die diese sogar zu den Highlights des Films machen.

„Nichts und Niemand soll davon ablenken, dass dieses Abenteuer den Kindern allein gehört.“

Doch auch Panjatan gelingt es nicht, die Performances der beiden Jungdarsteller:innen in den Schatten zu stellen. Ohne jedwede Kameraerfahrung ausgestattet, spielen Robitzky und Krischke derart losgelöst und selbstbewusst auf, dass man beiden eine große Schauspielkarriere vorhersagen möchte. Selbst hin und wieder ein wenig holprig formulierte Dialoge füllen die zwei mit Leben. Einen stärkeren Erstling kann man kaum vorlegen.

Fazit: „Träume sind wie wilde Tiger“ ist ein auf Augenhöhe seiner jungen Hauptfiguren inszeniertes und erzähltes Musicalabenteuer, das trotz Migrantenthematik und Culture Clash ganz nah an den Zukunftswünschen seiner Charaktere bleibt, mit ihnen schwelgt und fantasiert. Passend dazu versprüht das musikalisch sehr eingängige Musical verspielte Michel-Gondry-Vibes. Ein Gute-Laune-Film der Extraklasse!

„Träume sind wie wilde Tiger“ ist ab dem 3. Februar 2022 in den deutschen Kinos zu sehen.

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