Venom: Let there be Carnage

Mit einem Rekordstart in den USA im Gepäck, erscheint die Fortsetzung des Marvel-Antiheldenepos „Venom“ dieser Tage auch in den deutschen Kinos. VENOM: LET THERE BE CARNAGE weist ähnliche Stärken und Schwächen auf wie das Original, doch Andy Serkis hat verstanden, was das Publikum will. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Venom: Let there be Carnage (USA/UK/CAN 2021)

Der Plot

Mittlerweile haben sich der Journalist Eddie Brock (Tom Hardy) und sein Alien-Parasit Venom halbwegs miteinander arrangiert. Seit der Trennung von seiner Freundin Anne (Michelle Williams), die zu allem Überfluss bereits einen neuen Partner (Reid Scott) hat und sogar verlobt ist, leben die beiden in bester WG-Manier unter einem Dach und schaffen es mit Ausnahme der dauerhaften Diskussion, wer oder was nun gefressen werden darf und was nicht, zusammen auszukommen. Das müssen sie auch, denn ein neuer Schurke steht vor der Tür: Cletus Cassidy (Woody Harrelson), ein verurteilter Serienmörder, kommt Eddie bei einem Interview ein bisschen zu nah – und entfesselt den noch viel bösartigeren Carnage in sich. Nun müssten sich Venom und Eddie eigentlich gemeinsam gegen ihren Feind stellen. Doch ausgerechnet kurz vor der Katastrophe trennen sich die beiden infolge eines handfesten Streits. Ob sie sich Carnage dennoch erfolgreich entgegenstellen können?

Kritik

Dass der Veröffentlichung von „James Bond 007 – Keine Zeit zu sterben“ rund um den Erdball Post-Corona-Startrekorde folgen würden, war abzusehen. Auch die Tatsache, dass „Halloween Kills“ nach dem Riesenerfolg des Vorgängers – und passend zum Kinostart kurz vor dem Fest der Geister und Dämonen – an die Zahlen des ersten Teils anknüpfen können würde, schien kurz vor Release so gut wie sicher. Dass aber „Venom: Let there be Carnage“ mit einem Startwochenende von über 90 Millionen Dollar sämtliche anderen Veröffentlichungen in den Schatten stellen würde, damit ließ sich kaum rechnen. Das Tom-Hardy-Vehikel und Marvel-Antiheldenepos von 2018 hatte mit einem weltweiten Boxoffice von rund 850 Millionen zwar eine sehr gute Finalperformance hingelegt und insbesondere bei den Fans des Alien-Parasiten einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dass „Venom 2“ die Eröffnungszahlen des ersten Teils nun aber nahezu pulverisiert, schien kaum zu erwarten. Schließlich war „Venom“ nicht unbedingt ein Film für gute Mundpropaganda, wurde von der Kritik sogar regelrecht zerfetzt wie seine Opfer von Venom. Vielleicht liegt es daran, dass das Publikum nach so vielen Monaten ohne große Blockbusterveröffentlichungen einfach alles schluckt, was ihnen vor die Augen kommt. Oder aber es bestätigt sich, dass Venom im Fandom einer der liebsten (da am komplexesten geschriebenen) Figuren ist. Letzteres kommt im Sequel zwar noch weniger zur Geltung als im dafür zurecht gescholtenen Vorgänger. Aber auch „Venom: Let there be Carnage“ erweist sich als kurzweiliges, noch lustigeres Vergnügen mit großen Schwächen beim Schurken und im Schlussakkord. Den Gesamteindruck kann das – je nach Erwartungshaltung – allerdings nur bedingt trüben.

Eddie Brock (Tom Hardy) und sein „Untermieter“ Venom kabbeln sich regelmäßig wie ein altes Ehepaar. 

Bevor wir zu den schwer zu leugnenden Schwachstellen von „Venom: Let there be Carnage“ kommen, widmen wir uns erst einmal alldem, womit das Marvel-Sequel punkten kann. Das ist in erster Linie – und mehr noch als in „Venom“ – der Humor, ausgehend von der Interaktion zwischen Tom Hardy („Dunkirk“) und dem einmal mehr solide animierten Venom, der sich erneut permanent zu Wort meldet und dabei wahlweise als innere Stimme seines Wirts auftritt, oder aber aus Eddies Rücken herauswächst, wenn die beiden mal wieder ein besonders ernstes Wörtchen miteinander zu wechseln haben. Das Zusammenspiel zwischen dem sich hier von seiner amüsanten, schlagfertigen und gleichsam sympathisch dauergenervten Seite zeigenden Hardy und seinem verfressenen, nie um einen besserwisserischen Spruch verlegenen Untermieter gleicht den Kabbeleien eines alten Ehepaares; Nur dass die ausgetragenen Probleme hier eben anderer Natur sind. Das Schöne: Wem schon Teil eins vor allem aufgrund seines humoristischen Einschlags gefiel, dem dürfte seine Fortsetzung gar noch mehr zusagen. Über eine halbe Stunde nimmt der Erzählpart ein, der einfach nur das chaotische WG-Zusammenleben der beiden schildert, ohne dass sich bis dato überhaupt abzeichnet, dass sich da in den letzten zwei Dritteln noch ein actiongeladener Konflikt entwickeln soll. Dies hat Vor- und Nachteile. „Venom: Let there be Carnage“ ist noch wesentlich mehr Buddycomedy als „Venom“, nimmt dem titelgebenden Antihelden allerdings den letzten Rest seiner komplexen Charakterisierung. Von einem Schurken zu sprechen, kommt der Auslegung des Parasiten überhaupt nicht mehr nah. Und die absonderlichen Fressgewohnheiten des Aliens dienen hier ebenfalls bevorzugt den humoristischen Momenten als Nahrung, können seine innere Zerrissenheit zwischen Gut und Böse allerdings nicht länger untermauern. Venom ist nunmehr völliger Teil der Heldenfigur und Sidekick. Insbesondere die Fans des Ur-Venom könnte dies massiv stören.

„‚Venom: Let there be Carnage‘ ist noch wesentlich mehr Buddycomedy als sein Vorgänger, nimmt dem titelgebenden Antihelden allerdings den letzten Rest seiner komplexen Charakterisierung.“

Wem dies jedoch schmeckt, der hat zumindest am ersten Drittel von „Venom: Let there be Carnage“ den Spaß seines Lebens – bis das Skript der wiederkehrenden Autorin Kelly Marcel („Saving Mr. Banks“) den entscheidenden Fehler begeht, die Kabbeleien zwischen den beiden Hauptfiguren so weit eskalieren zu lassen, dass sich die zwei vorübergehend trennen. Und zwar in exakt dem Moment, als sich in einem Subplot der von Woody Harrelson („Zombieland: Doppelt hält besser“) angemessen an der Schwelle zum Overacting wahnsinnig verkörperte Serienkiller Cletus Cassidy zum Endgegner erhebt. Die Begründung, wie es diesem gelingt, aus dem Hochsicherheitsgefängnis auszubrechen, kann man mit viel Gutwillen noch schlucken; Viele Comicverfilmungen haben schließlich ein Abo auf konstruierte Plotentwicklungen. Der Antrieb für Cassidys erneuten Rundumschlag ist indes amouröser Natur. Und nicht nur Naomie ‘Miss Moneypenny‘ Harris‘ allzu statisches Spiel kann mit der Leidenschaft ihres engagierten Lovers nicht mithalten. Darüber hinaus ist ihre Figur der Frances Barrison alias Shriek derart flach geschrieben, dass „Venom 2“ in seiner Story wesentlich kompakter und dadurch mitreißender geworden wäre, hätte man sich allein auf Carnage als Widersacher konzentriert. So muss der Film bis zum finalen Kampf zwischen Venom und Carnage immer wieder erst über ausgefranste Storybögen zum eigentlichen Kern zurückbegeben. Selbst bei einer schlanken Laufzeit von 97 Minuten (inklusive Abspann) sorgt dies für kleine Längen.

Die düstere Seite von Venom ist gefragt… 

Immerhin kurz und knackig gerät die Finalschlacht, die allerdings unter ähnlichen Schwächen leidet wie sämtliche Actionszenen des ersten Teils. Obwohl ausgerechnet der Motion-Capturing-Experte Andy Serkis („Solange ich atme“) für die Regie von „Venom 2“ verantwortlich zeichnet, verhindert auch er nicht, dass der Schlussakt von einem CGI-Allerlei dominiert wird, bei dem jedwede ästhetische Ambition (mit Ausnahme einer wunderschön animierten Tintensequenz in der ersten Filmhälfte) hintenansteht. Zwar wissen sich Tom Hardy und Woody Harrelson weitestgehend glaubhaft zwischen den Computereffekten um sich herum zu bewegen, doch das wüste, matschige Grau-in-Grau, das die Szenerie dominiert, einhergehend mit einem hektischen Editing (Maryann Brandon und Stan Salfas, „Star Wars: Das Erwachen der Macht“/“Die Unfassbaren 2“) machen aus der Action austauschbares Gemetzel, das letzteren Terminus eigentlich gar nicht verdient. Wie schon Teil eins ist auch „Venom 2“ hierzulande mit einer FSK-Freigabe ab 12 ausgestattet. In den USA gab’s nicht mal ein R-, sondern ein PG-13-Rating. Aus einem potenziell blutrünstigen Kampf wird demnach ein weitestgehend jugendtauglicher Fight, der in den entscheidenden Momenten wegschneidet und nur wenig Blut fließen lässt. Dies passt zur gesamten Auslegung des Films und macht „Venom: Let there be Carnage“ zu einem größtmöglich massentauglichen Unterfangen, bewegt sich jedoch noch mehr von der Vorlage weg als ohnehin schon. Nach wie vor gilt: Wer die Stärken des Franchises ohnehin woanders sieht, der dürfte sich auch davon nicht abschrecken lassen. Die Fanbase dagegen kann den Film (auch) an seiner Harmlosigkeit auszählen.

„Wie schon Teil eins ist auch ‚Venom 2‘ hierzulande mit einer FSK-Freigabe ab 12 ausgestattet. In den USA gab’s nicht mal ein R-, sondern ein PG-13-Rating. Aus einem potenziell blutrünstigen Kampf wird demnach ein weitestgehend jugendtauglicher Fight, der in den entscheidenden Momenten wegschneidet und nur wenig Blut fließen lässt.“

So ist und bleibt die „Venom“-Saga vorerst vor allem ein Tom-Hardy-Vehikel. Daran, dass dieser an der Rolle des Eddie Brock einen enormen Spaß hat, lässt dieser keinen Zweifel. Und auch im Zusammenspiel mit Michelle Williams („Manchester by the Sea“) als seine Ex-Freundin kommt seine Leidenschaft für die Rolle immer wieder zur Geltung. Es ist schon spannend, dass ein eigentlich auf Fantasy-Krawall ausgelegter Film seine Vorzüge ausgerechnet im Schauspielensemble aufweist. Damit steht „Venom: Let there be Carnage“ noch am ehesten in der Tradition von „Deadpool“. Auch wenn Letzterer sich noch ein paar mehr Ecken und Kanten zugetraut hat.

Fazit: Wer die Komik an Teil eins mochte, der wird vor allem die erste halbe Stunde von „Venom: Let there be Carnage“ lieben. Doch wie schon sein Vorgänger hat auch dieser Film seine Schwächen vor allem in der Schurkenzeichnung und Optik. Bei der mangelnden Gewalt dagegen ist es Auslegungssache des Publikums, inwieweit diese bei der Auslegung der „Venom“-Geschichten hier stört, oder aber einfach zum Rest passt.

„Venom: Let there be Carnage“ ist ab dem 21. Oktober 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

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