Saving Mr. Banks

Die Entstehungsgeschichte des beliebten Familienmusicals „Mary Poppins“ steht stellvertretend für den Geschäftssinn des Unterhaltungspioniers Walt Disney. Ebenjenes Unterfangen erzählt Hollywood-Regisseur John Lee Hancock nun in seinem kitschig angehauchten SAVING MR. BANKS, das dank Tom Hanks und Emma Thompson tolles Schauspielerkino ist und erst durch kleine Schwächen so richtig liebenswert wird. Welche das sind, lest Ihr in meiner heutigen Kritik.

Der Plot

Als Walt Disney (Tom Hanks) seinen Töchtern einst verspricht, ihr Lieblingsbuch „Mary Poppins“ zu verfilmen, beginnt für den millionenschweren Medienmogul eine Odyssee. Bei seinen Bemühungen um die Filmrechte gerät er an die dickköpfige Schriftstellerin Pamela Travers (Emma Thompson), die keinesfalls vorhat, ihr magisches Kindermädchen der Hollywood-Maschinerie zu überlassen. Nach jahrelangen Verhandlungen kann Disney sie Anfang der 60er Jahre überreden, nach Los Angeles zu kommen und sich seine Ideen für eine Kino-Adaption anzuhören. In diesen zwei Wochen des Jahres 1961 setzt Walt Disney alle Hebel in Bewegung. Mit fantasievollen Storyboards und den fröhlichen Songs der talentierten Sherman Brüder (Jason Schwartzman & B.J. Novak) startet er eine umfassende Kreativ-Offensive, die bei der kratzbürstigen Travers allerdings keine Wirkung zeigt. Denn P.L. Travers verbindet mit ihrer Titelheldin eine ganz persönliche Geschichte, die bis in ihre Kindheit zurück reicht. Die starrköpfige Autorin muss sich erst den Geistern ihrer eigenen Vergangenheit stellen, bevor sie Mary Poppins ziehen lassen kann.

„Wollen Sie Ihre Geschichte nicht zuende erzählen?“

Kritik

Walt Disney – um den 1966 in Kalifornien verstorbenen Filmproduzenten, Zeichentrickpionier und eine der meistgeehrten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts ranken sich seit jeher diverse Fragen und Mythen. Kaum ein Mensch der Öffentlichkeit war so sehr auf sein Image bedacht wie der Begründer der Walt Disney Company. War sein Ruf doch maßgeblich an der Erfolgsgeschichte seines Konzerns beteiligt und wäre wohl ebenso dazu in der Lage gewesen, diese auf einen Schlag wieder zunichte zu machen. Rauchen, sich als knallharter Geschäftsmann outen – das alles passte nicht zum Bild des kinderliebenden Geschichtenerzählers und Erfinders der Mickey Mouse, der weltweit beliebtesten Cartoonfigur. Er wahrte stets das Bild des unbedarften Tüftlers, stellte seine Marketingkünste und einen beachtlichen Geschäftssinn jedoch nie unter den Scheffel. Diese Taktik macht Walt Disney bis heute zu einer der interessantesten Charaktere der Medienwelt. Höchste Zeit für eine Hollywoodproduktion, die sich der ehrenwerten Persönlichkeit annimmt, jedoch nicht urteilt, sondern stattdessen ein facettenreiches Bild von ihr zeichnet, zu dem sich anschließend jeder Zuschauer sein eigenes Bild machen kann. Verantwortlich dafür zeichnet John Lee Hancock, Regisseur des Oscar-prämierten Schmachtfetzens „Blind Side – Die große Chance“. Mit „Saving Mr. Banks“ kreiert er ein Bild Walt Disneys, das er gleichsam in die Entstehungsgeschichte eines jahrzehntealten Musicalklassikers einbezieht: die von „Mary Poppins“. Herausgekommen ist eine Mischung aus Biopic, Familiendrama und einem Einblick in die abenteuerlichen Verhandlungen zweier kreativer Größen, die ihre unterschiedlichen Ebenen gekonnt zu verknüpfen weiß und sich als hervorragender Einstieg in den Disney-Kosmos sowie spannender Blick hinter die Kulissen der Hollywood-Maschinerie entpuppt.

Wie ließe sich ein Film über Walt Disney besser beleuchten, als nach einem System, das zu Ehren der unterschiedlichen Persönlichkeiten des Mäusekonzern-Schöpfers selbst entstanden ist? Die Walt-Disney-Methode nimmt sich eines Problems stets aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet an. Der Träumer bewertet subjektiv, der Realist pragmatisch und der Kritiker wägt konstruktiv Vor- und Nachteile ab. Während sich der Filmrezensent üblicherweise einzig auf den letzten Teil beschränkt, bietet gerade „Saving Mr. Banks“ genug Stoff, um ihn einmal aus allen drei Richtungen zu betrachten. Denn auch Hancocks bildgewaltige Regiearbeit findet auf unterschiedlichen Ebenen statt – zwei um genau zu sein. Während sich der Hauptplot darauf konzentriert, die Entstehungsgeschichte von „Mary Poppins“ wiederzugeben und von den Schwierigkeiten der Interaktion zwischen Disney und der Roman-Schöpferin  Pamela Travers erzählt, geben Rückblenden auf Travers‘ Vergangenheit einen Einblick in die von Melancholie und Träumerei geprägte Kindheit der damals noch unbedarften Protagonistin. Eingefangen in lieblich-romantischen Bildern – immer eine Nuance über der Kitsch-Grenze – zeichnet  sich schnell ein Bild vom friedlichen Zusammenleben der Travers-Familie, das durch den Alkoholismus des Vaters (Colin Farrell) jäh in seiner Harmonie gestört wird.

Subjektiv betrachtet lässt sich vor allem der Begriff „Kitsch“ nur schwer der Allgemeinheit zufriedenstellend einordnen. Ähnlich des individuellen Film- oder Musikgeschmacks besitzt jeder Zuschauer seine ganz eigene Schmerzgrenze was Schmalz und Rührseligkeit anbelangt. Pragmatisch betrachtet sind die von Blockbuster-Spezialist John Schwartzman („The Amazing Spider-Man“) eingefangenen Bilder jedoch jederzeit darauf aus, die gewünschten Reaktionen auf Biegen und Brechen zu provozieren, wodurch die Charakteristik des Kitsch erfüllt scheint. Auf Tränen abzielend setzt man auf traurige Musik, Romantik generiert man mit entsprechenden Bildern von Sonnenuntergängen, Kerzenschein und ähnlich gelagertem Symbolismus. Doch wäre „Saving Mr. Banks“ ein besserer Film, wenn er die Schmalz-Schraube weniger fest anzieht? Die Antwort lautet nein. Denn der phasenweise auftauchende Kitsch verkommt nie zum Selbstzweck. Die Story dürstet nach harmoniesüchtigen Bildern, gern von einem leichten Sepia-Ton untermalt, der die Sehnsucht nach Liebe fast greifbar macht. Nur so ergibt sich schließlich die notwendige Fallhöhe, die es braucht, um Hollywoods Realismus der damaligen Zeit deutlich zu machen.

Pamela Travers und Walt Disney liefern sich einen eisernen Machtkampf

Vor der beeindruckenden Kulisse des Themenparks Disneyland in Anaheim, der mit einem enormen Aufwand optisch zurück in die Sechzigerjahre katapultiert wurde, sowie in den eher zurückhaltend gestalteten Konferenzräumen der Disney-Studios wird das Publikum Zeuge eines knallharten Machtkampfes zwischen Pamela Travers und Walt Disney. Während er mit allen Mitteln versucht, ihr die Erlaubnis einer Filmadaption abzuringen, hält sie die schützende Hand über „ihre Mary“. Die Folge sind brillant geschriebene Wortgefechte, in denen sich stille Tragik, blinde Wut, aber auch jede Menge Komik vereinen. Emma Thompson zeichnet ein Bild ihrer Pamela Travers, das sich nie für eine Ausrichtung entscheiden möchte und sich somit vermutlich am ehesten an der Authentizität befindet. So mag man Pamela weder lieben noch hassen; stattdessen leidet man mit ihr, sobald Walt Disney den Wunsch äußert, massive Änderungen an der Vorlage vorzunehmen, schüttelt angesichts ihrer vielen überzogenen Forderungen jedoch gleichzeitig den Kopf. Thompson hält mühelos die Balance zwischen den beiden Gegenpolen Sympathie sowie Antipathie und gibt ein facettenreiches Bild einer interessanten Antiheldin ab.

Ihr zur Seite steht mit Tom Hanks ein Charakterdarsteller, der in Paul Greengrass‘ Thrillerdrama „Captain Phillips“ zuletzt bewies, zu welch Oscar-würdiger Darstellerleistung er nach wie vor fähig ist. Auch wenn es in diesem Jahr nicht einmal für eine Nominierung in ebenjener Kategorie reichte, so ist Hanks auch in „Saving Mr. Banks“ einer der tragenden Erfolgspfeiler. Seine Darstellung des kreativen Medienmoguls Walt Disney ist von beeindruckender Genauigkeit, ohne sich dabei auf eine explizite Charakter-Einordnung festzulegen. Wenngleich seine Figur definitiv als eine sympathische angelegt ist, lässt Tom Hanks es sich nicht nehmen, spitzfindig kleine Gesten und Mimiken für sich sprechen zu lassen und seiner Figur somit einige Ecken und Kanten zu verleihen, sie dabei jedoch nicht zu kommentieren. Im Zusammenspiel mit Emma Thompson wirkt er immer mal wieder wie der ruhende Gegenpol – in Wirklichkeit nehmen sich beide Figuren jedoch nichts in Sachen Ambivalenz.

Während die dramatischen Familien-Rückblenden zur Travers-Familie optisch an eine Mischung aus „Unsere kleine Farm“ und „Lone Ranger“ plus Til-Schweiger-Farbfilter erinnern, präsentieren sich die Aufnahmen in der filmischen Gegenwart schnörkellos und bodenständig, jedoch nicht weniger detailreich. Wenn Pamela Travers zur Begrüßung ein mit Disney-Merchandising vollgestopftes Hotelzimmer betritt, wird die Liebe zum Disney-Konzern, der selbstredend auch hinter „Saving Mr. Banks“ steht, förmlich spürbar. Gleiches gilt für die Musik, die eine einzige Hommage an den Disney-Meisterwerke-Kanon ist. Der für seinen Score Oscar-nominierte Thomas Newman („Wall-E“) variiert munter bekannte Melodien beliebter Zeichentrickklassiker, besinnt sich allerdings vornehmlich auf „Mary Poppins“ und präsentiert uns bekannte Songs wie „Ein Löffelchen voll Zucker“, „Chim Chim Cheree“ oder den Zungenbrecher „Supercalifragilisticexpialigetisch“ in ganz neuem, verspielten Gewand.

Wie also würde wohl ein Walt Disney über „Saving Mr. Banks“ urteilen? Der Träumer in ihm wäre angesichts der liebevollen, familientauglichen und schwelgerischen Erzählung sicherlich vollkommen hingerissen. Als Realist fände er in der Umsetzung vermutlich einige Kleinigkeiten, die ihm als Perfektionist negativ ins Auge fallen könnten und der er sich als Kritiker annehmen und verbessern würde – vermutlich vor allem was die Darstellung seiner Person angeht. Doch schon damals erkannte Robert Dilts, Erfinder der Walt-Disney-Methode, dass selbige am besten mit vier Rollen funktioniert. Und als vierter im Bunde – als Beobachter – wird jeder feststellen, dass sich perfekte Inszenierung und liebenswürdige Schwächen in „Saving Mr. Banks“ gekonnt die Waage halten.

 „Saving Mr. Banks“ ist ab dem 06. März in den deutschen Kinos zu sehen.

Erschienen bei IOFP.de

Meine TV-Kritik zum Film