Solange ich atme

Andy Serkis hat sich als bester Motion-Capturing-Performer der Gegenwart einen Namen gemacht und ist als Gollum oder Affe Ceasar in erster Linie vor der Kamera zu sehen. Für SOLANGE ICH ATME nahm er erstmal auf dem Regiestuhl Platz – und scheitert. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
England in den Fünfzigerjahren: Der erfolgreiche Geschäftsmann Robin Cavendish (Andrew Garfield) und die schöne und außergewöhnliche Diane Blacker (Claire Foy) verlieben sich Hals über Kopf ineinander und heiraten kurz darauf. Als das junge Paar Nachwuchs erwartet, ist das Glück der beiden Liebenden perfekt. Doch im Dezember 1958 wird das Leben der Cavendishs von einem Moment zum anderen auf den Kopf gestellt: Im Alter von nur 28 Jahren wird Robin durch eine Infektion vom Hals abwärts gelähmt. Gegen alle Widerstände steht Diane ihrem Mann zur Seite und gibt ihm durch Hingabe und ihren Mut zu unkonventionellen Entscheidungen seine Freiheit zurück. Gemeinsam stellen sie sich jeglichen Einschränkungen in den Weg, inspirieren mit Lebenslust und Humor ihr Umfeld und machen für sich und viele andere das Leben wieder lebenswert.
Kritik
„Solange ich atme“ ist ein Freundschaftsdienst. Ein Freundschaftsdienst, den Motion-Capturing-Performer Andy Serkis (Gollum in „Der Herr der Ringe“ oder Ceasar in der „Planet der Affen“-Trilogie) seinem Freund Jonathan Cavendish mit dem biographischen Drama „Solange ich atme“ erweisen wollte. Der Film erzählt nämlich die Geschichte von Cavandishs Vater Robin, der Ende der Fünfzigerjahre bei einer Reise nach Afrika an Polio erkrankte und infolge dessen Leidensweg die Erfindung des elektrischen Rollstuhls auf den Weg gebracht wurde. Jonathan Cavendisch hat den schwerwiegenden Krankheitsverlauf seines Vaters zu einem Teil selbst miterlebt – kurz nach der Diagnose wurde er geboren, als er starb, war er gerade einmal zwölf Jahre alt. Aus seinen Erzählungen formte der auf wahre Ereignisse spezialisierte Autor William Nicholson (aus seiner Feder stammen qualitativ so unterschiedliche Werke wie Angelina Jolies „Unbroken“ und das Bergsteiger-Drama „Everest“) ein Drehbuch, das Serkis wiederum nutzte, um daraus das verklärend-rührselige Porträt eines Opfers zu machen, dem das Umfeld im Zuge der Diagnose seinen eigenen Willen konsequent absprach und dessen Schicksal man – zumindest so, wie es hier präsentiert wird – clever für seine eigene Profilierung zu nutzen wusste. Ehrliches Interesse am Krankheitsschicksal Robin Cavendishs lässt sich aus „Solange ich atme“ zumindest nicht herauslesen.
Neun von 18 Fotos – das Filmplakat mit eingeschlossen -, die der Verleih Journalisten zur Berichterstattung zur Verfügung stellt, zeigen das Protagonistenpaar in intimer Zweisamkeit, sich küssend oder eng umschlungen vor romantischer Kulisse. Das ist ziemlich aussagekräftig, denn trotz der erzählerischen Ambition, hier vor allem von einem kranken Mann und einer medizinischen Revolution erzählen zu wollen, ist „Solange ich atme“ in erster Linie ein plumper Liebesfilm. Damit meinen wir nicht etwa eine in etwa mit Nicholas-Sparks-Filmen vergleichbare Oberflächlichkeit, auch wenn Andy Serkis‘ Drama nicht nur aufgrund der vielen postkartentauglichen Einstellungen an den König der Liebesromanze erinnert, sondern erst recht wegen der klischeedurchtränkten Dialoge. Das Problem: So austauschbar und kitschig Sparks‘ Arbeiten auch sein mögen, letztlich interessiert er sich trotzdem immer für seine Figuren und konzentriert sich ganz auf sie – wenngleich er dabei wenig Variation an den Tag legt und die große Geste der subtilen Gefühlsregung vorzieht. Serkis‘ hingegen möchte ja eigentlich mehr präsentieren, als nur eine Lovestory und geht bei dieser entsprechend grobmotorisch vor. Anstatt den Kuss im Sonnenuntergang als amouröses Highlight zu inszenieren, wird sich hier in der ersten halben Stunden direkt mehrmals vor romantischem Panorama liebkost, anstatt einer einzigen Liebeserklärung, säuseln sich die Hauptfiguren permanent Schwüre der Marke „Ich werde für immer bei Dir sein!“ ins Ohr und so weiter, und so fort. Wenn man von so viel Schmonzettenkitsch regelrecht erschlagen wurde, fängt der vermeintlich viel wichtigere Teil in „Solange ich atme“ jedoch erst an.
Es ist das Standardargument, mit dem sich die Ereignisse einer auf wahren Ereignissen basierenden Geschichte immer schnell rechtfertigen lassen: Es ist halt alles so passiert! Doch letztlich ist der Mangel an Wahrhaftigkeit gar nicht so sehr auf die Story selbst zurückzuführen – schließlich zeigt Andy Serkis in der ersten halben Stunde von „Solange ich atme“ ja eigentlich nur ein frisch vermähltes Flitterpärchen, meint es mit der Betonung, wie unglaublich doll die zwei ineinander verliebt sind, nur einfach viel, viel zu gut. Nein, die wirklich großen Probleme des Films finden sich in Inszenierung und Skript. Genauer: In den Widersprüchlichkeiten, mit denen sich der Film hier präsentiert. Und dafür kann man als Verantwortlicher ja letztlich sehr wohl etwas. Am eindrucksvollsten zeigt sich dieser Kritikpunkt an einer der wichtigsten Szenen des gesamten Films: der Idee für die Erfindung des mit einem mobilen Beatmungsgerät ausgestatteten Rollstuhls. Mit seiner penetrant vor sich hin dudelnden Jahrmarktmusik verlieren dieser wie diverse andere Momente ihre erschütternde Tragik und der wissenschaftliche Quantensprung wird zu einer Art „Versehen“ erklärt. Mehr als einmal geben Musik (Nitin Sawhney) und Kameraarbeit (Robert Richardson) etwas völlig Anderes vor, als das Skript; wir wollen sogar so weit gehen, dass „Solange ich atme“ direkt eine ganze Spur glaubhafter und charmanter wäre, würde man die Filmmusik einfach komplett weglassen. Nur einmal erhält man das Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung, die mit der absoluten Abhängigkeit von Beatmungsmaschinen einhergeht: Dann nämlich, als genau diese durch ein Versehen für einen kurzen Moment abgeschaltet ist.
Aber auch damit wären nicht alle Probleme aus dem Weg geräumt, denn zu guter Letzt ist da immer noch die Art und Weise, wie die Macher auf das Schicksal ihres schwer kranken Protagonisten blicken, an der auch der Verzicht von Musik, oder eine weit weniger aufdringlich Kameraarbeit etwas ändern könnten. Ist Robin Cavendish (Andrew Garfield performt so solide, wie man es ans Bett gefesselt nun einmal kann) nämlich erst einmal mit Polio infiziert, wird er nicht bloß zur absolut passiven Figur. Der Film verwehrt dem Zuschauer auch sämtlichen Zugang zu seinen tiefsitzenden Empfindsamkeiten. Wenn er mehrmals – und im Anbetracht der Umstände durchaus nachvollziehbare – Todessehnsüchte äußert, geht die von Claire Foy („Unsane – Ausgeliefert“) lange Zeit sehr eindimensional als überengagiertes Nervenbündel verkörperte Diana lapidar darüber hinweg, wirft ihm sogar Egoismus vor und bittet ihn, nicht nur an sich, sondern auch an sein Umfeld zu denken. Dass sie rund eineinhalb Filmstunden später an einen Freund Robins appelliert, dieser solle ganz für sich allein entscheiden, ob er weiterleben, oder sterben möchte („Robin lebt nicht für seine Freunde!“), wirkt in dieser Diskrepanz zutiefst geheuchelt. Natürlich steckt hinter „Solange ich atme“ immer noch eine gute Intention und gerade weil Andy Serkis den Sohn von Robin Cavendish zu seinen besten Freunden zählt (der hier auch als Produzent auftritt), ist zu vermuten, dass der Regie-Newcomer tatsächlich ein leidenschaftliches Porträt in seinem Film erkennt. Doch manchmal ist ein bisschen Distanz zur Materie gar nicht so verkehrt – wir als Zuschauer haben schließlich nicht all das Hintergrundwissen, dass Serkis und sein Team besitzen.
Fazit: In seinem erzählerisch oberflächlichen Regiedebüt „Solange ich atme“ verliert Andy Serkis den Blick fürs Wesentliche und verwechselt Emotionen mit Gefühlsduselei, während er glaubt, mit einem romantischen Filter, dick aufgetragener Musik und gezielten Dialogen jene Regungen beim Zuschauer hervorrufen zu können, die andere Filmemacher auch ohne all das erreichen.
„Solange ich atme“ ist ab dem 19. April in den deutschen Kinos zu sehen.