Dunkirk

Mit DUNKIRK dringt Regielegende Christopher Nolan ins Genre des Kriegsfilms vor, doch das aus drei verschiedenen Positionen heraus erzählte Effektegewitter hat außer einem bombastischen Sound und paralysierenden Bildern erstaunlich wenig vorzuweisen. Mehr dazu in meiner Kritik.
Der Plot
An der Küste der französischen Hafenstadt Dünkirchen sind Hunderttausende britischer und alliierter Truppen vom Feind eingeschlossen. Am Strand haben sie sich bis ans Meer zurückgezogen – und befinden sich in einer ausweglosen Situation. Zu Land, auf dem Wasser und in der Luft spielen sich ergreifende Schicksale ab: Spitfires der Royal Air Force attackieren den Feind im Himmel über dem Ärmelkanal, um die wehrlosen Männer am Strand zu schützen. Gleichzeitig starten Hunderte von Soldaten und Zivilisten mit kleinen Booten eine verzweifelte Rettungsaktion und riskieren bei diesem Wettlauf gegen die Zeit ihr Leben, um zumindest einen Teil der britischen Armee zu retten.
Kritik
Christopher Nolan („Interstellar“) ist ein Regisseur, der die Zuschauer spaltet, obwohl er keinen seiner Filme bislang so richtig in den Sand gesetzt hat. Das ist schon verrückt, denn so könnte man sich ja eigentlich darüber einig werden, dass der 46-jährige Brite zu den besten (oder zumindest zu den visionärsten) Regisseuren unserer Zeit gehört. Doch ausgerechnet im Falle von Nolan ist die kleine Gruppe an Skeptikern besonders laut. Das wiederum ist dann allerdings kein Wunder – wer abnorme Bildgewalten auffährt, könnte damit ja durchaus etwas kaschieren wollen. Wenn ein Regisseur daher den Vorwurf des „Blenders“ über sich ergehen lassen muss, dann ist es Christopher Nolan. So gehört die leidenschaftliche Auseinandersetzung mit der Psyche seiner Figuren nicht unbedingt zu seinen Lieblingsaufgaben; stattdessen lässt er lieber Twists und andere erzählerische Kabinettstückchen (und natürlich eine jedes Mal aufs Neue spektakuläre Optik) für sich sprechen, um auszugleichen, wo es ihm an anderer Stelle an Vermögen mangelt. Insofern ist sein neuestes Werk „Dunkirk“ in seinem Dasein als bewegtes Leinwandgemälde nur konsequent; hier braucht er nichts kaschieren, denn da ist nichts, was man kaschieren könnte. Hier lässt Nolan nämlich einfach direkt alles weg – Dramaturgie, Geschichte und die Charakterisierung der Figuren. Im Kontrast zu den visuellen Bildgewalten ist dieser inszenatorische Minimalismus sowohl widersprüchlich, als auch einmalig. Doch dass einen „Dunkirk“ im Gesamten dann schon ganz schön kalt lässt, ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen.
Mit einer Sache setzt Christopher Nolan jedoch auch in „Dunkirk“ ein fettes Ausrufezeichen hinter seine fachmännisch durchdachte, präzise und leidenschaftliche Arbeit: Selbst im Genre des Kriegsfilmes hat man eine solch intensive Tonspur bislang nicht erleben dürfen. Wenn sich die wummernden Bässe und der dröhnende Sound einschlagender Granaten, Gewehrpatronen oder Bomben ihren Weg in Richtung Trommelfell bahnen, werden die Strapazen, denen die Soldaten ausgesetzt sind, selbst für den Zuschauer vor der Leinwand direkt spürbar. Zeitweise übernimmt der punktuell eingesetzte Score von Nolans Stammkomponist Hans Zimmer („The Dark Knight Rises“) sogar den Platz des eigenen Herzschlages, den der Zuschauer für den Moment nicht mehr als solchen wahrnehmen kann; Kinoerlebnis und Publikum werden eins und um den Begriff „viszeral“ zu erklären, zeigt man seinem Gegenüber ab sofort einfach die intensivsten Szenen aus „Dunkirk“ um zu beweisen, dass ein Film buchstäblich in Mark und Bein übergehen kann. Eine Sache hat Christopher Nolan damit definitiv erreicht: In seinen stärksten Film-Momenten erhält man das Gefühl, direkt an den Geschehnissen an der Front teilhaben zu dürfen. Wir sind nicht länger bloßer Betrachter, sondern mittendrin im wüsten Krieg, in dessen unübersichtlichem Getümmel irgendwann sogar die Einordnung in Feind und Freund schwerfällt. Ab etwa der Hälfte der ohnehin überraschend übersichtlichen Laufzeit von gerade einmal 107 Minuten geht es nämlich kaum mehr darum, erkennbar zu machen, welche Seite in diesem Krieg gerade die Oberhand besitzt. Sondern einfach nur darum, möglichst intensiv miterleben zu können, durch welche (äußerst unblutig eingefangene) Hölle die Soldaten hier gehen müssen.
Auch optisch kann Christopher Nolan respektive sein Kameramann Hoyte Van Hoytema („Interstellar“) mit der pompösen Optik seiner bisherigen Werke mithalten. Gleichwohl bleibt „Dunkirk“ visuell extrem schlicht und holt den Bombast weniger aus spektakulären Effekten, als vielmehr über Simplizität. Der erzählerische Minimalismus spiegelt sich gleichsam in der zwar üppigen, jedoch trotzdem beschränkten Kulisse wider. Der Film selbst ist in die drei Oberthemen „Bucht“, „See“ und „Luft“ eingeteilt, was die Macher zum Anlass nehmen, sich bewusst Grenzen zu setzen. Die winzigen Rettungsboote und Fliegerkabinen betonen die (auch emotionale) Enge, unter deren Belastung die Soldaten tage- bis wochenlang agieren müssen, während die Kämpfer an der Front zwar die Weiten der See, der Bucht und des Strandes vor sich haben, ihnen hier jedoch auch die Deckung fehlt, während der Feind von überall aus angreifen kann. Das ist nicht zuletzt deshalb zusätzlich raffiniert gemacht, weil Christopher Nolan außerdem für jede Erzählperspektive andere Zeiteinheiten wählt; Die Geschehnisse in der Luft spielen sich innerhalb einer Stunde ab, während wir von den Ereignissen auf einem gezielt ins Visier genommenen Rettungsboot genau einen Tag zu Gesicht bekommen. An Land wiederum fasst Christopher Nolan, der hier auch das Drehbuch schrieb, das Erlebte einer ganzen Woche zusammen. „Dunkirk“ verdichtet Zeit-, Raum- und Figurengefühl zu einer allumspannenden Ungewissheit. Das ist nicht wirklich emotional, aber gerade diese Gefühlsleere dürfte wohl um ein Vielfaches realistischer einfangen, was die Soldaten auf dem Schlachtfeld des Krieges empfinden, als viele andere Filme des Genres. Zumal Christopher Nolan auf jedwede Art von Pathos konsequent verzichtet.
Doch es muss ja nicht gleich ein „Hacksaw Ridge“-gleicher Pathos sein, um immerhin im Ansatz so etwas wie Emotionalität aufzubauen. Denn auch, wenn es von Christopher Nolan in Teilen so gewollt sein mag (schließlich stehen hier nicht gezielt menschliche Schicksale im Mittelpunkt, sondern die Ereignisse von Dünkirchen im Gesamten), so ist es doch zweifellos schwer, abseits der technischen Brillanz etwas zu finden, wodurch das Gezeigte mehr entwickelt, als pure Faszination. Das liegt mitnichten daran, dass die vielen namhaften Darsteller, wie der hier einmal mehr eine Maske tragende Tom Hardy („Mad Max: Fury Road“), Mark Rylance („BFG – Big Friendly Giant“), Kenneth Branagh („Jack Ryan: Shadow Recruit“), James D’Arcy („Jupiter Ascending“) oder Cillian Murphy („Free Fire“) nur in wenigen Szenen als sie selbst zu erkennen sind; im Gegenteil: Passend zum Thema profiliert sich in „Dunkirk“ keine Einzelperson und mit ihr eben auch kein Schauspieler, der dem Film sonst mehr Hollywoodcharme verleihen könnte, als es ihm gut täte. Viel wichtiger als das ist indes die Tatsache, dass sämtliche Charaktere leere Hüllen bleiben. Erst recht mit dem Wissen um den Ausgang der Mission, fällt es „Dunkirk“ trotz der eindringlichen Inszenierung schwer, den Zuschauer zum Mitfiebern zu bewegen. Darüber hinaus wirkt der Film nicht nur aufgrund der betonten Blutarmut kaum brutal, er wird den Anschein des zu geleckten Blockbuster-Kinos einfach nicht los. Vielleicht wäre es besser gewesen, Christopher Nolan hätte bei der Inszenierung nicht so sehr darauf geachtet, dass man seinen Film am Ende bloß als einen solchen erkennt.
Fazit: Christopher Nolans Kriegsepos „Dunkirk“ ist ein technischer Meilenstein, das mit gewaltigen Bildern und einem nie da gewesenen Sounddesign besticht. Erzählerisch kommt der Film ohne eine richtige Handlung aus, doch gerade weil dadurch nicht zuletzt auch die schablonenhaft bleibenden Charaktere zu leiden haben, bleibt einem am Ende vor allem das Staunen ob der inszenatorischen, weniger der erzählerischen Brillanz.
„Dunkirk“ ist ab dem 27. Juli bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.