Die letzte Fahrt der Demeter

Im Vampirklassiker „Dracula“ ist die Geschichte der Verschiffung des gleichnamigen Vampirs von Transsilvanien nach London nur wenige Absätze lang. „Scary Stories to tell in the Dark“-Regisseur André Øvredal hat aus dieser Passage nun einen Spielfilm gemacht. In DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER bekommen wir eine völlig neue Seite des Blutsauer-Klassikers präsentiert, die vor allem sehr stylisch geworden ist.

OT: The Last Voyage of the Demeter (USA/UK/MLT/IT/DE 2023)

Darum geht’s

Ende des 19. Jahrhunderts: Für die Besatzung der Demeter steht eine ganz normale Überfahrt bevor. Zahlreiche Waren und Tiere sollen von Transsilvanien nach London verschifft werden. Mit an Bord: der resolute Kapitän Eliot (Liam Cunningham) und der selbstbewusste Arzt Clemens (Corey Hawkins). Bereits im Hafen kündigt ein Beobachter Unheil an und verlässt die Crew noch vor der Abreise. Denn etwas Böses hat sich auf der Demeter eingefunden. Als Clemens die an Bord befindlichen Tiere mit durchgebissener Kehle vorfindet und eine junge, halbtote Frau auf dem Schiff auftaucht, ahnen die Besatzungsmitglieder, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Schon bald nimmt das Unheil seinen Lauf – und ein blutrünstiges Wesen versetzt die Crew in Todesangst und Schrecken…

Kritik

Am Ende landen sie doch alle bei den großen Studios. So auch der norwegische Regisseur André Øvredal, der sich wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen von nischigen Independent-Produktionen zu größer budgetierten Projekten hochgearbeitet hat. Seiner Genrevorliebe ist er indes treu geblieben. Nach Filmen wie „Troll Hunter“ und „The Autopsy of Jane Doe“ bekam er 2019 erstmals ein zweistelliges Millionenbudget in die Hände und inszenierte mit Unterstützung von Guillermo del Toro den Grusel-Episodenfilm „Scary Stories to tell in the Dark“. Von Universal Pictures gab’s dann noch einmal knapp doppelt so viel Geld, mit dem Øvredal nun eine nur wenige Absätze lange Passage aus Bram Stokers weltberühmtem „Dracula“-Roman verfilmte. Die 45 Millionen US-Dollar dürften dabei primär in die Ausstattung geflossen sein, denn bei einem breiten Publikum lässt sich „Die letzte Fahrt der Demeter“ vermutlich ausschließlich über den Vampir selbst vermarkten. Auf namhafte Leader innerhalb des Casts verzichteten die Macherinnen und Macher dagegen. Damit lässt sich die Demeter selbst guten Gewissens als Hauptdarstellerin des Films bezeichnen, die – im besten Sinne – alle menschlichen Besatzungsmitglieder (die ohne Zweifel einen soliden Job machen) an die Wand „spielt“. Sogar Dracula, den André Øvredal ohnehin nur selten selbst in Erscheinung treten lässt. Eine gute Entscheidung! So kann sich der Wahnsinn erst über die Crew ausbreiten, eh die wenigen am Ende übrig gebliebenen Figuren in einem etwas zu reißerischen Finale schließlich gegen den Vampirfürsten höchstpersönlich antreten müssen.

Clemens (Corey Hawkins) und Anna (Aisling Franciosi) wissen bereits, dass auf der Demeter etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.

Hätte man beim Marketing für „Die letzte Fahrt der Demeter“ sogar vollends auf den Ursprung der Geschichte verzichtet – schließlich dürften längst nicht alle wissen, dass die Demeter einst der Überführung Draculas von Transsilvanien nach London diente – hätte der Film mindestens genauso gut, wenn nicht gar noch besser funktionieren können. André Øvredal lässt seinen atmosphärischen Schiffsgrusler lange Zeit wie einen typischen „Eine bunt zusammengewürfelte Menschentruppe wird verrückt und keiner weiß, warum“-Film aussehen, der nach dem Abzählreimprinzip eine Person nach der anderen durchdrehen lässt. Sogar die durchtrennten Kehlen der auf der Demeter befindlichen Tiere ließen sich auch irgendwie anders erklären, als dass sie von einem Vampir stammten. Die Geschehnisse der ersten halben Stunde könnten also allesamt auch irdischen Ursprungs sein. Trotzdem braucht „Die letzte Fahrt der Demeter“ ein bisschen, um in Fahrt zu kommen. Die Anzahl der Besatzungsmitglieder ist nicht allzu groß. Im Grunde muss man nur fünf (darunter eine junge Frau und ein kleiner Junge) von ihnen erhöhte Aufmerksamkeit schenken. Der Rest ist hauptsächlich Opfermaterial für Dracula. Mit Ausnahme des kleinen Toby (Woody Norman) sowie Schiffsarzt Clemens haben die anderen zwar klare Charakterisierungen (der besonnene Captain, der leicht aus der Fassung zu bringende Navigationsexperte Wojcheck sowie die geheimnisvolle Anna, die mehr über die Fracht weiß als alle andere). Für eine tiefer gehende Charakterstudie reicht das allerdings nicht.

„André Øvredal lässt seinen atmosphärischen Schiffsgrusler lange Zeit wie einen typischen ‚Eine bunt zusammengewürfelte Menschentruppe wird verrückt und keiner weiß, warum‘-Film aussehen, der nach dem Abzählreimprinzip eine Person nach der anderen durchdrehen lässt.“

Über die genauen Hintergründe darüber, was all diese Menschen zu dem gemacht hat, was sie sind, erfährt man wenig. Sie sind in erster Linie zweckdienlich, gleichwohl treibt die unheimlichen Vorkommnisse auf dem Schiff sie mehr und mehr zusammen. Nach der Hälfte zeichnet sich ab, dass wirklich jede:r das nächste Opfer des Vampirs werden könnte. Das erhöht die Panik innerhalb der Crew und die Spannung im Film. Genauso wie die zunächst nur vereinzelt platzierten Auftritte Draculas. Der erst einmal im Schatten bleibende, in der Dunkelheit oft nur schemenhaft erkennbare Blutsauger futtert sich vom schwächlichen Zombiewesen zum angsteinflößenden Mensch-Fledermaus-Hybriden, der sich im Hintergrund nach und nach zur immer größeren Bedrohung aufbaut. Im Vordergrund agieren derweil die selbst zum Vampir mutierten Beißopfer, die sich gegen ihre eigene Mannschaft wenden und für die Crew sukzessive die „Spielregeln“ definieren. Wer von Wasauchimmer heimgesucht wurde, gerät in einen Blutrausch. Erkennbar durch die verfärbten Pupillen. Treffen Sonnenstrahlen auf die Haut der Untoten gehen diese in Flammen auf. Und so weiter… Ebenjener Blutrausch gerät für eine Produktion dieser Größe beachtlich üppig. André Øvredal reizt das R-Rating respektive die FSK-16-Freigabe seines Films voll aus und lässt dabei nicht nur das Blut sprudeln, sondern seine Hauptfiguren auch qualvoll verbrennen.

Captain Elliot (Liam Cunningham), Abrams (Chris Walley) und Clemens untersuchen die Demeter. Was treibt an Bord sein Unwesen?

Diese Gewaltspitzen machen „Die letzte Fahrt der Demeter“ vielleicht nicht zwingend für Gorehounds interessant – dafür ist der Film dann doch mehr Gruselschocker als Schlachtplatte. Aber diese Szenen sorgen für einen hübschen Kontrast zum in den Dreißiger- und Vierzigerjahren das Genre dominierenden Hammer Horror-Feeling, das der Film unweigerlich heraufbeschwört: eine düstere Gothik-Ästhetik in Kombination mit blutigen Details. Nur dass „Die letzte Fahrt der Demeter“ nicht allzu viel Spielraum für Interpretationen lässt. Inklusive einiger TV-Serien bringt es das Produktionsstudio bis heute auf 147 verschiedene Projekte (auch in jüngerer Zeit, etwa Veronika Franz‘ und Severin Fialas grausige Patchwork-Studie „The Lodge“). Eine aktive Wiederbelebung der bekannten Gruselikonen fand mit „Dracula Untold“ und „Die Mumie“ dagegen ohne eine direkte Beteiligung der Hammer Studios statt – erfolglos. Abgesehen vom Feeling würde sich der Dracula in „Die letzte Fahrt der Demeter“ in seiner puren, alles andere als düsterromantischen Darstellung eines Vampirs ebenso kaum eignen, um die Tradition fortzusetzen. Dafür verkörpert der auf fiese Horrorgestalten spezialisierte Javier Botet (der Crooked Man aus „Conjuring 2“ oder der Landstreicher aus „Es – Kapitel 1“) diesen zu sehr als eine Art Flügeldämon; irgendwo zwischen Alien und Lord Voldemort. Sogar Øvredal selbst bezeichnete den Film im Vorfeld als „‘Alien‘ auf einem Schiff im Jahre 1897“.

Als Bedrohung funktioniert diese Dracula-Interpretation zweifelsohne trotzdem. Gleichwohl hat „Die letzte Fahrt der Demeter“ seine wahren Stärken in Setting und Ausstattung. Produktionsdesigner Edward Thomas („Escape Room 1 und 2“) setzt auf eine enge, verwinkelte und unter Deck schnell zum Übersichtsverlust führende Aufmachung. In dieser Szenerie wäre die permanente Kreation von Jumpscares ein Leichtes. Doch Øvredal verzichtet weitestgehend darauf und setzt stattdessen mehr auf die daraus entstehende, klaustrophobische Spannung. Das Kamerateam aus Roman Osin („Scary Stories to tell in the Dark“) und Tom Stern („American Sniper“) holt oben an Deck derweil das Optimum an Opulenz aus dem Schiff und seiner Umgebung heraus. Die eingestreuten Computereffekte unterstützen ein Gefühl für Haptik und Masse. Der blau-schwarze Filter und die kontrastreiche Schärfe der Bilder sorgen obendrein sogar für ein gewisses maritimes Feeling. Alles in allem also ein wirklich gelungenes Bewerbungsschreiben für André Øvredal, um sich in Zukunft an noch mehr Budget versuchen zu dürfen.

„Als Bedrohung funktioniert diese Dracula-Interpretation zweifelsohne trotzdem. Gleichwohl hat ‚Die letzte Fahrt der Demeter‘ seine wahren Stärken in Setting und Ausstattung.“

Fazit: Dracula takes London – den Macherinnen und Machern von „Die letzte Fahrt der Demeter“ gelingt ein atmosphärisch stimmiger Schiffsgrusler, der zu Beginn an Fahrt aufnehmen muss, mit fortschreitender Laufzeit dann aber nicht nur richtig schön blutig wird, sondern auch angemessen sparsam mit den Auftritten von Dracula umgeht. Dieser dürfte in seiner körperlichen Darstellung allerdings die Gemüter spalten.

„Die letzte Fahrt der Demeter“ ist ab dem 17. August 2023 in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Hatte ich so gar keine Lust drauf. Nach der Kritik scheint mir der Film doch tatsächlich einen Versuch wert. Hat mir den Mund irgendwie wässrig gemacht :-).

Und was sagst Du dazu?