Encanto

Das neue Disney-Animationsmeisterwerk ENCANTO sprüht vor Leben und Energie. Damit gehört das mit Songs von Lin-Manuel Miranda gespickte Musicalabenteuer zu den besten Filmen jüngerer Maushausgeschichte und besticht mit Charakteren wie du und ich. Und das, obwohl die Magie dem Film aus jeder Pore quillt. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Encanto (USA 2021)

Der Plot

Versteckt in den Bergen Kolumbiens leben die Madrigals – eine ganz und gar außergewöhnliche Familie. Hier wohnen sie in einem magischen Haus am Rande einer pulsierenden Stadt, an einem wundersamen, verzauberten Ort namens Encanto. Die Magie von Encanto hat jedes Kind der Familie mit einer einzigartigen Gabe gesegnet, die von Superkräften bis hin zur Fähigkeit zu heilen reicht – jedes Kind außer Mirabel (im Original gesprochen von Stephanie Beatriz). Doch als sie entdeckt, dass die Magie, die das Encanto umgibt, in Gefahr ist, beschließt Mirabel, dass sie, die einzige gewöhnliche Madrigal, die letzte Hoffnung ihrer außergewöhnlichen Familie sein könnte.

Kritik

Es hat Tradition, dass das Produktionshaus Disney respektive Disney Animation einmal im Jahr einen sogenannten „Weihnachtsfilm“ veröffentlicht. Damit ist nicht der Inhalt gemeint; Genau genommen gab es noch nicht einen reinen Disney-Animationsfilm mit einer Handlung rund um die Festtage. Selbst die beiden „Eiskönigin“-Filme spielen ja eigentlich im Sommer, wäre da nicht Elsa, die ebendiesen in einer unfreiwilligen Übersprungshandlung einfriert. Gemeint ist mit „Weihnachtsfilm“ vielmehr die Veröffentlichungszeit. Einmal, Ende des Jahres, treibt der Mäusekonzern die Familien – idealerweise scharenweise – in die Lichtspielhäuser und zeigt ihnen dort das neueste Ergebnis monatelanger Animationsarbeit. Im Falle seines neuesten Werks „Encanto“ – seines Zeichens der nunmehr 60. Film im Meisterwerke-Kanon – könnte der Terminus „Weihnachtsfilm“ einmal mehr nicht weiter von dem entfernt sein, was wir auf der großen Leinwand zu sehen bekommen. Dort entspinnt sich nämlich ab der Einblendung des Disney-Logos ein farbenfrohes Gewusel und Songvehikel voller Leben, Energie, guter Laune und Sonnenschein. Eigentlich der perfekte Sommerfilm, wäre dieses Prädikat nicht dieses Jahr bereits an „Luca“ gehen…

Mirabel Madrigal fragt sich, ob sie überhaupt in ihre magische Familie passt…

Kaum eine Eröffnungssequenz jüngerer Disney-Geschichte hat die Tonalität der auf sie folgenden Stunden besser eingefangen als jene von „Encanto“; So perfekt trifft das Musikgenie und „Hamilton“- sowie „In the Heights“-Schöpfer Lin-Manuel Miranda („Encanto“ ist nach „Vaiana“ bereits sein zweites Engagement für den Konzern) all jene Stärken „seines“ Films auf den Kopf, mit denen Hauptfigur Mirabel und ihre Familie aus mit magischen Kräften ausgestatteten Mitgliedern sämtlicher ihrer Generationen das Publikum verzaubern. Die eher unscheinbare, mit Brille und Wuschelkopf ausgestattete Mirabel wirbelt singend und tanzend durch das magische Anwesen der Madrigals, dessen ein Eigenleben führende Fensterläden, Holzdielen und Treppenstufen – um nur einige magische Hausbestandteile zu nennen – den Songtakt aktiv mitbestimmen. In jeder neuen Einstellung gibt es mehr Details zu entdecken, die dieses, im wahrsten Sinne des Wortes voller Leben steckende Haus so ungeheuer magisch machen. Ein weiteres Attribut, mit dem sich „Encanto“ schmücken kann: Magie. Selbst die diese direkt zum Thema machende Bruder-Odyssee „Onward“ war es nicht gelungen, den Zauber seiner Story (auch wenn es zugegebenermaßen ja vorwiegend um die Abwesenheit ebenjener ging) auf sein Publikum zu übertragen. „Encanto“ dagegen ist Animationsfilmmagie in Reinkultur. Und da haben wir mit der Story noch nicht einmal angefangen.

„In jeder neuen Einstellung gibt es mehr Details zu entdecken, die dieses, im wahrsten Sinne des Wortes voller Leben steckende Haus so ungeheuer magisch machen.“

Diese ist nämlich einmal mehr in einer gewitzt mit Fantasieelementen angereicherten Welt angesiedelt, die sich einerseits betont bodenständig zeigt (mit seinen alles umspannenden Themen Familienbande, aber auch Vergangenheitsbewältigung und Migrantenschicksal) sowie mit gezielten übernatürlichen Elementen dennoch in ein Universum entführt, in das man sich nur zu gern hineinträumt, selbst wenn es von der Realität nicht weiter entfernt sein könnte. Dies trägt ganz entscheidend zu breit gestreuten Identifikationsmöglichkeiten bei; Einmal über den Grundplot über ein junges Mädchen, das sich in ihrer eigenen Familie wie eine Außenseiterin fühlt, ihren Platz im Leben suchen und sich die Anerkennung diverser Familienmitglieder erarbeiten muss. Zum anderen erzählen die Drehbuchautoren Jared Bush („Zoomania“) und Charise Castro Smith (schrieb Episoden zu diversen TV-Serien, darunter „Spuk in Hill House“ und „The Exorcist“) von der Wichtigkeit und Wertigkeit eines Familiengefüges und wie ebendieses nicht nur Zusammenhalt verspricht, sondern auch einen immensen Druck auf ihre Angehörigen aufbauen kann. Und so hat jedes Element der personenbezogenen Magie seine Widerhaken; Und die Kunstfertigkeit, Blumen vom Himmel regnen zu lassen, ist plötzlich gar nicht mehr so bezaubernd, wie es einem die Menschen um sich herum tagtäglich suggerieren.

Home Sweet Home.

Dass ausgerechnet die nicht mit einer magischen Kraft gesegnete Mirabel in „Encanto“ jene ist, die diese am meisten versprüht, ist mit Sicherheit auch der Zugänglichkeit der Geschichte geschuldet. Die ebenso für die Regie verantwortlichen Schreiber, zusammen mit „Rapunzel“- und „Bolt“-Regisseur Byron Howard, folgen mit ihrem Film der Tradition der Disneyfilm-Historie, indem die Sinnsuche ihrer Protagonistin sowie das Entdecken der eigenen, individuellen Stärken (die man schon mal vergessen kann, wenn man ständig auf die Nase gebunden bekommt, dass man eben nicht so interessant ist wie die anderen, selbst wenn die Eltern dies einfach einen Tick zu deutlich suggerieren) ein zentraler Bestandteil der Story sind. Gleichwohl ist die Figur der Mirabel nicht nur außerordentlich klug geschrieben und erweist sich in ihrem Dasein als pubertierende Teenagerin als angenehm sprunghaft und dadurch unberechenbar. Auch die Songs sind inhaltlich derart aussagekräftig, wie man es seit dem Evergreen „Lass jetzt los“ aus „Die Eiskönigin“ nicht mehr gesehen und vor allem gehört hat. Mit ihnen gibt jede/r Interpret/in sein oder ihr tiefstes Innerstes preis und offenbart emotionale Schwächen und innere Unsicherheiten, die dafür sorgen, dass sich die individuellen Charakterzüge von jedweder Eindimensionalität freisprechen. „Encanto“ ist ein Potpourri an Figuren, die voller Ecken und Kanten stecken – und das, obwohl der Film ja eigentlich eine Ode daran ist, das Introvertierte und Gewöhnliche genauso zu feiern wie das Spektakel.

„Die Figur der Mirabel ist nicht nur außerordentlich klug geschrieben, sondern erweist sich in ihrem Dasein als pubertierende Teenagerin auch als angenehm sprunghaft und dadurch unberechenbar.“

Apropos Spektakel: Zu diesem macht „Encanto“ nicht nur die berauschende Optik, die weniger durch ihre lebensechte Animation als vielmehr durch ihre stark von der Kulisse Kolumbiens inspirierte, ungeheure Detailverliebtheit besticht, sondern vor allem der Sound. Neun Songs auf 90 Minuten – „Encanto“ ist durch und durch ein Musical, dem Lin-Manuel Miranda seinen eigenen Stempel aufgedrückt hat; Und das, ohne sich in seinem unvergleichlichen Sound zu wiederholen. Balladen und Up-Tempo-Nummern wechseln sich ab, umarmen den Film mit liebevoller Warmherzigkeit und treiben ihn in den entscheidenden Momenten voran. Und einige von ihnen avancieren ad hoc zum Ohrwurm. Und so entführt uns „Encanto“ zum Ende des Jahres in eine der wohl schönsten Filmrealitäten 2021 – nichts brauchen wir aktuell dringlicher.

Fazit: „Encanto“ ist einer der besten Disneyfilme der letzten Jahre. Er steckt voller Leben, überzeugt mit ungeheurer Detailverliebtheit und Figuren voller Ecken und Kanten. Im Kolumbien-Setting verliert man sich sofort und die Protagonistin Mirabel schließt man ab der ersten Sekunde ins Herz. Gemeinsam mit dem Regie- und Drehbuchteam hat vor allem Songschreiber Lin-Manuel Miranda hiermit etwas ganz und gar Magisches geschaffen.

„Encanto“ ist ab dem 25. November 2021 bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

Und was sagst Du dazu?