In the Heights

Mit seinem am Broadway aufgeführten Stück IN THE HEIGHTS manifestierte sich der Status von Lin-Manuel Miranda als absolutes Musicalgenie, das später auch mit „Hamilton“ für Verzückung sorgte. Die Spielfilmvariante seines Werks stamm nun von Jon M. Chu. Doch die Mühe, zwischen all den spektakulären Tanzeinlagen auch noch eine ganze Reihe von Schicksalsgeschichten zu erzählen, entpuppt sich als Bremsklotz eines per se hochdynamischen Films. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: In the Heights (USA 2021)

Der Plot

Die Lichter gehen an in Washington Heights… Gleich außerhalb der U-Bahn-Station 181st Street liegt der Duft eines Cafecito Caliente in der Luft, dort, wo ein Kaleidoskop von Träumen diese lebendige und eng verbundene Gemeinschaft versammelt. Der Mittelpunkt des Ganzen ist der sympathische, charismatische Bodega-Besitzer Usnavi (Anthony Ramos), der jeden Cent aus dem Alltragstrott spart, während er hofft, träumt und von einem besseren Leben singt. Er kennt jeden Bewohner seines Viertels und erlebt sämtliche Dramen, Romanzen und Abenteuer seiner Freundinnen und Freunde am eigenen Leib. Etwa jenes von Nina (Leslie Grace), die überraschend früh vom College zurück in ihre Heimat kehrt. Oder Vanessa (Melissa Barrera), die exzentrische Betreiberin eines Friseursalons. Die alternde Abuela Claudia (Olga Merediz) hält all das zusammen und verfolgt, genauso wie Usnavi, tagtäglich das bunte Treiben in Washington Heights, bis es zu einem gigantischen Stromausfall kommt…

Kritik

Wer nicht mit Leib und Seele in der filmzentrischen Social-Media-Bubble zuhause ist, News und Informationen zu Filmproduktionen, Schauspielerinnen und Schauspielern sowie Filmemacherinnen und Filmemachern aufsaugt, dem könnte der Name Lin-Manuel Miranda bislang noch nicht allzu oft über den Weg gelaufen sein. In den USA (und eben unter all den Leuten, die sehr wohl im cineastischen Bereich unterwegs sind), ist der gebürtige New Yorker längst ein Megastar. Nicht unbedingt durch das, was er seit 1996 vor der Kamera macht – hier war er vor allem in einzelnen Serienepisoden und weniger beachteten Spielfilmen in kleinen Nebenrollen zu sehen. Nein, sein Popularitätsschub begann in dem Moment, als er die Soundtracks und musikalische Untermalung einiger Disneyfilme (unter anderem „Vaiana“) übernahm und sich dann bevorzugt dem Broadway widmete. Sein Musical „Hamilton“ über den US-amerikanischen Gründervater Alexander Hamilton, an dem Miranda von 2007 bis 2015 werkelte und dessen Disney+-Ausstrahlung Anfang des Jahres einen Golden Globe gewann, wurde nicht nur mit Preisen überhäuft, sondern ist auch seit 2016 das umsatzstärkste Musical der Welt. Einige Jahre früher probierte sich Miranda indes mit „In the Heights“ aus. Einer Ode an das New Yorker Stadtviertel Washington Heights, das in erster Linie von verschiedenen Latino-Communities bewohnt wird. Miranda kennt dieses Viertel selbst nur zu gut und schafft es – sowohl im Musical als auch im Film – den von ihm ausgehenden Charme und die Lebensfreude auf sein Publikum zu übertragen. Dass all das auf der großen Leinwand trotzdem nie richtig ansteckt, ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass nicht alles, was auf der Bühne stattfindet, auch im Kino funktioniert.

Bei Osnavi (Anthony Ramos) laufen sämtliche Fäden des Viertels zusammen.

Es dauert nur wenige Minuten und Jon M. Chu („Crazy Rich“) spielt einmal das vollständige Blatt seiner zielgenau auf diesen Stoff zugeschnittenen Regieskills aus. Der bereits im Trailer zu hörende Song „In the Heights“, aus dem im weiteren Verlauf immer wieder einzelnen Motive variiert werden und im Hintergrund zu hören sind, gibt – im wahrsten Sinne des Wortes – den Rhythmus vor. Kamerafrau Alice Brooks („Emma.“) wirbelt mit einer beeindruckenden Mischung aus Dynamik und Präzision durch die Straßen von Washington Heights (gedreht wurde übrigens nur wenige Meter entfernt von Stephen Spielbergs Set für „West Side Story“), die die Quirligkeit des Viertels einfängt, ohne dabei an Überblick einzubüßen. Denn eines der Herzstücke des Films sind die oft mit riesigen Menschenmassen choreographierten Gesangs- und Tanzeinlagen. Eine solche schält sich auch aus der Eröffnung heraus. Doch erst einmal lernen wir nach und nach sämtliche wichtigen Figuren aus „In the Heights“ kennen, die beim Protagonisten Usnavi, dem Betreiber des Gemischtwarenladens Cafecito Caliente, ein- und ausgehen. Jede und jeder von ihnen singt ein paar Zeilen und stellt sich und seine Träume in diesen vor. So weiß das Publikum bereits sehr früh im Film, dass „In the Heights“ vor allem eines ist: viel. Beziehungsweise, dass sämtliche Bausteine, aus denen die knapp zweieinhalbstündige Produktion besteht, in Hülle und Fülle vorhanden sind. Es gibt viele Charaktere, es gibt viel Tanz sowie Gesang und trotz des überschaubaren Settings des Washington-Heights-Stadtviertels gibt es unzählige einzelne Setpieces. Ja, man kann sagen: In diesen 143 Minuten passiert auf der Leinwand immer irgendwo etwas Aufsehenerregendes.

„Es gibt viele Charaktere, es gibt viel Tanz sowie Gesang und trotz des überschaubaren Settings des Washington-Heights-Stadtviertels gibt es unzählige einzelne Setpieces. Ja, man kann sagen: In diesen 143 Minuten passiert auf der Leinwand immer irgendwo etwas Aufsehenerregendes.“

Durch die zahlreichen, oftmals knallbunten Eindrücke, mit denen „In the Heights“ auf sein Publikum niederprasselt, ist es schier unmöglich, sich dem Charme der Produktion in Gänze zu entziehen. Irgendwann in diesen zweieinhalb Stunden wird es für jeden Zuschauer und jede Zuschauerin da draußen mindestens einen Moment geben, in dem es auch sie oder ihn nicht mehr auf den Sitzen hält. Die auf spektakuläre Weise ein Freibad als Setpiece miteinbeziehende Darbietung des Songs „96.000“ etwa – dem Gedankenspiel sämtlicher Washington-Heights-Bewohner:innen, was sie mit einem Lotteriegewinn in Höhe von 96.000 US-Dollar anstellen würden – gehört zweifelsohne zu den beeindruckendsten Szenen des Films. Hier stimmt neben der perfekten Inszenierung in Kombination mit den mitreißenden Pop- und RnB-Rhythmen so ziemlich alles. Doch damit sticht die Szene überraschenderweise aus dem Rest heraus. Nicht etwa, weil die übrigen Musicalnummern weniger akribisch geplant wären; im Gegenteil. „In the Heights“ setzt selbst für Musical- und Tanzfilmverhältnisse neue Maßstäbe in Sachen Perfektion. Stattdessen sind es neben den nur bedingt eingängigen Songs vor allem sämtliche erzählerischen Parts – und somit alles, was sich zwischen den Musiknummern abspielt, die hier nicht mitreißen können. Dass es ein sich primär auf Hip-Hop- und RnB-Sounds verlassener Soundtrack ein Stückweit schwerer hat, sich auf Anhieb ähnlich energisch in die Gehörgänge zu katapultieren wie ein gefälliger Mix aus Popsongs, steht auf dem einen Blatt. Auf dem anderen steht indes, dass es „In the Heights“ mit Ausnahme des Titelsongs und ebenjenem „96.000“ einfach an eingängigen Melodien mangelt – aus diesem Grunde dürfte der Film allerdings gute Chancen haben, bei mehrmaligem Schauen besser zu gefallen.

In einer einzelnen Musicalnummer sind mitunter mehrere Hundert Tänzerrinnen und Tänzer zu sehen.

Auf der Musicalbühne mag die rasche Aneinanderreihung verschiedener Figurenschicksale noch funktionieren; Fungieren die einzelnen Charaktere doch ohnehin vorwiegend als Stichwortgeber:innen, um die nächste Musicaleinlage einzuleiten. Die Filmversion von „In the Heights“ denkt indes größer und versucht, jeder einzelnen Haupt- und Nebenfigur (und von denen gibt es eben sehr, sehr viele!) ihren eigenen Handlungsstrang zu spendieren. Da kann die Laufzeit noch so üppig sein: Für mehr als oberflächliche Abhandlungen altbekannter, teilweise arg klischeehaft gezeichneter Konflikte reicht es nicht. Und so kommt es, dass die Figuren aus „In the Heights“ nicht mehr sind als Teile eines großen Show-Ensembles, von denen einige nun mal mehr Text haben als andere. Vielleicht hätte der Film ohne eine chronologisch erzählte Handlung sogar besser funktioniert; Etwa indem die Männer und Frauen von Washington Heights bei Usnavi ein- und ausgehen und ihm sketchartig ihre Lebensgeschichte erzählten. Das von Quiara Alegría Hudes auf Basis von Lin-Manuel Mirandas Musical verfasste Skript dagegen bemüht sich bis zuletzt darum, die zahlreichen roten Fäden ihrer Geschichte zusammenzuhalten, damit der Eindruck einer runden Story entsteht. Doch so ganz ohne eine persönliche Bindung zu den Figuren wirken die Erzählparts letztlich wie ein Bremsklotz für die musiklastigen Filmpassagen. Und so wird selbst eine leidenschaftliche Paartanzszene vor der Kulisse eines umgekippten Wohnkomplexes (!) irgendwie leer – selbst wenn sich das verliebte Pärchen noch so anschmachtend anschaut.

„Die Filmversion von ‚In the Heights‘ denkt indes größer und versucht, jeder einzelnen Haupt- und Nebenfigur (und von denen gibt es eben sehr, sehr viele!) ihren eigenen Handlungsstrang zu spendieren. Da kann die Laufzeit noch so üppig sein: Für mehr als oberflächliche Abhandlungen altbekannter, teilweise arg klischeehaft gezeichneter Konflikte reicht es nicht.“

Trotzdem kann „In the Heights“ an vielen Stellen ein Sommer- und Urlaubsgefühl heraufbeschwören, das unsereins im Zuge dessen, was die Corona-Pandemie in uns allen hinterlassen hat, gut gebrauchen kann. Insbesondere die Spielfreude des Casts ist ansteckend – und Anthony Ramos, der auch eine wichtige Rolle in „Hamilton“ innehat, ist einfach ein charmanter Geschichtenerzähler, in dessen Hände man sich gern begibt. Als junge Frau auf der Suche nach ihrem eigenen Lebensweg fällt die per se überzeugende Newcomerin Leslie Grace leider der oberflächlichen Abhandlung ihres Plots zum Opfer. Was für ein Glück, dass alle, die dieses Problem betrifft, in der nächsten Szene schon wieder lauthals singen und leidenschaftlich tanzen dürfen, sodass die inhaltlichen Schwachstellen für ein paar Minuten vergessen sind.

Fazit: Es ist schwer beeindruckend, wie es Regisseur Jon M. Chu gelungen ist, das ursprünglich für die Bühne konzipierte Musical und Kaleidoskop eines New Yorker Stadtviertels auf die Leinwand zu bringen. Der Aufwand ist riesig, die Präzision der Gesangs- und Tanzchoreographien spektakulär. Doch ausgerechnet der Soundtrack geht kaum ins Ohr, der Inhalt zerfasert und entfernt das Publikum von den Figuren, sodass hinter dem schönen Schein letztlich wenig Sein steckt. Was für eine Enttäuschung!

„In the Heights“ ist ab dem 22. Juli 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

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