Midsommar

Nach „Hereditary“ kommt MIDSOMMAR, ein sonnendurchfluteter Albtraum, mit dem Regisseur Ari Aster seinen Status als einer der unkonventionellsten Horrorregisseure aktueller Stunde unterstreicht. Was seinen neuen Film so besonders macht, das verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Obwohl ihre Beziehung kriselt, schließt sich Dani (Florence Pugh) ihrem Freund Christian (Jack Reynor) auf einen Sommertrip in einen kleinen Ort in Schweden an. Gemeinsam mit Christians Clique sind sie zu einem einmaligen Mittsommerfestival eingeladen. Doch der anfänglich idyllische Eindruck der abgelegenen Gemeinschaft trügt, die freundlichen Dorfbewohner verhalten sich nach und nach merkwürdiger: Sie bereiten sich auf ein besonderes Mittsommer-Ritual vor, das nur alle 90 Jahre zelebriert wird. Was als puritanisches Fest der Liebe und Glückseligkeit beginnt, nimmt bald eine unheimliche Wendung, die das sonnengeflutete Paradies bis in die Eingeweide erschüttert.
Kritik
Als im vergangenen Jahr das Independent-Horrordrama „Hereditary“ die internationalen Kinos enterte, bestand bei den Kritikern Einigkeit: Dieser Film gehört zum Besten, was das Genre seit Langem gesehen hatte. Zuschauerreaktionen fielen dagegen deutlich geteilter aus, denn wer sich von Versprechungen wie „Der bestinszenierte Horrorfilm seit ‘Shining‘“ oder „Einer der besten Horrorfilme aller Zeiten“ insofern anlocken ließ, als dass er sich dadurch Jumpscares und oberflächliche Gruselszenarien im Überfluss erhoffte, der befand sich bei Ari Aster in falschen Händen. Dem heute 33-jährigen New Yorker war es nämlich gelungen, dem subtilen Psychoterror der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre wieder eine Bühne zu bieten, anstatt die Gier nach dem schnellen Schock zu befriedigen, wie ihn die Kollegen James Wan und Co. regelmäßig in den Kinos zelebrieren. Beide Horrorfilmformen haben ihre Daseinsberechtigung, doch nur einer von beiden setzt sich in der Regel auch über einen längeren Zeitraum in den Köpfen der Zuschauer fest. So wie auch im Falle von „Hereditary“, bei dem nach dem Besuch im Lichtspielhaus eben nicht darüber gelacht wurde, wie effektiv der Film einen zum Zusammenzucken gebracht hat, sondern wie es Ari Aster gelungen ist, einem die finstersten Abgründe menschlichen Leids am eigenen Leib spüren zu lassen. Nach „Hereditary“ kommt nun „Midsommar“, der Deutschland ebenfalls mit so einigen Vorschusslorbeeren erreicht. Und so viel können wir verraten: Wem schon „Hereditary“ nicht spektakulär genug war, der braucht für den Albtraum im IKEA-Look gar nicht erst ein Ticket zu lösen. Allen anderen gegenüber bestätigt Aster dagegen seinen Status als aktuell interessantester Horrorfilmer seiner Generation.
Wie schon „Hereditary“ ist auch „Midsommar“ eigentlich gar kein reiner Horrorfilm; zumindest dann nicht, wenn man davon ausgeht, worüber sich das Genre jüngst immer häufiger definierte (Jumpscares und Gewalt), eh Regisseure wie Ari Aster, Jordan Peele („Get Out“), Jennifer Kent („Der Babadook“) oder Luca Guadagnino („Suspiria“) zum Gegenangriff bliesen. Ihre Vision vom Leinwandhorror beinhaltet vor allem das Ausloten psychischer Ausnahmesituationen, in deren Verlauf sich der Grusel ganz langsam über die Emotionen seinen Weg ins Bewusstsein des Zuschauers bahnt. Im Falle von „Hereditary“ beginnt alles mit einem furchtbaren Verlust, der die im Fokus stehende Familie kontinuierlich in den Wahnsinn abgleiten lässt und ganz nebenbei die Frage aufwirft, ob psychische Probleme vererbbar sind. „Midsommar“ beginnt interessanterweise ebenfalls mit dem Tod nicht unwichtiger Personen – und das puppenhaft-symmetrische Setdesign, einhergehend mit der sehr langsamen, wie in Zeitlupe beobachtenden Kameraarbeit („Hereditary“-Kameramann Pawel Porgozelski) lassen den Prolog bereits wie eine Szene aus „Hereditary“ wirken, eh im weiteren Verlauf sonnendurchflutete, helle Bilder die Leinwand bestimmen, ohne dass die Sonne selbst jemals gezeigt werden würde. Trotzdem setzen diese düsteren Eröffnungsszenen den Grundstein für das Unbehagen in den kommenden zweieinhalb Stunden. Sie spiegeln nicht nur den Gemütszustand der depressiven Protagonistin Dani wider, während Zeichnungen und Bilder in ihrem Zimmer das drohende Unheil in Schweden bereits ankündigen. Überdies wirkt dieser Kontrast nahezu zynisch, denn die (nicht nur) im übertragenen Sinne im Dunkeln angestauten Probleme verschleppt die Clique, insbesondere das Pärchen Dani und Christian, bis in den Urlaub, wo insbesondere die junge Frau plötzlich immer klarer und deutlicher erkennt, dass in der Beziehung der beiden ganz schön viel im Argen liegt.
Wo bei „Hereditary“ all das Grauen auf das dysfunktional-abhängige Familiengefüge fußte, entwickelt sich der Terror in „Midsommar“ aus der anklingend toxischen Beziehung zwischen den beiden Partnern, aus dessen Mangel an innerer Zuneigung Aster schon von Beginn an keinerlei Hehl macht. Schon früh durchschauen wir Christian als keinerlei Interesse (mehr) an seiner Freundin zeigenden Egomanen, der gleichzeitig nicht den Schneit besitzt, sich von ihr zu trennen und schließlich nur dann deshalb bei ihr bleibt, weil der Zeitpunkt für eine Trennung gerade unbequem ist. Gleichzeitig fühlt sich Dani (zu Recht) von ihrem Partner missverstanden und hält ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Ein Teufelskreis beginnt, der im Zuge von Alltagspflichten vielleicht noch ins Hintertreffen gerät, sich aber spätestens im Rahmen des Schweden-Urlaubs immer mehr als emotional schädlich herauskristallisiert.
Auch die Beziehungen zwischen den restlichen Freunden wird im eigentlich entspannten Umfeld der Midsommar-Feierlichkeiten plötzlich auf harten Proben gestellt; etwa wenn zwei der Männer plötzlich über dasselbe Thema eine Dissertation verfassen wollen und nicht in der Lage sind, diesen Konflikt friedvoll zu lösen. Wie sich die zwischenmenschlichen Konflikte in dieser Abgeschiedenheit aufstauen und bis hin zu blanker Hysterie entwickeln, ist dabei auch nicht frei von beißendem Humor. Die Charaktere in „Midsommar“ sind der Inbegriff der ironisch über allem stehenden Hipster, die – mit Ausnahme Danis – nie echte Probleme im Leben gehabt zu haben schienen und nun erstmals damit konfrontiert werden, was passiert, wenn die Frage nach dem Urlaubsort plötzlich nicht mehr das größte Problem ist, mit dem diese sich auseinandersetzen müssen. Und da der Cast rund um Jack Reynor („Detroit“), Will Poulter („Maze Runner“) und Co. diesen Rollentypus angenehm ätzend, aber nicht aktiv verachtenswert verkörpert, schaut man den Figuren beim sukzessiven Verfallen in den Wahnsinn auch noch ziemlich gern zu – einfach weil sie es ja auch irgendwie verdient haben. Und Florence Pugh („Fighting With My Family“) ist als zunehmend verzweifelte Dani sowieso über jeden Zweifel erhaben.
Wie es sich schon ankündigt, ist also auch „Midsommar“ ein Horrorfilm der subtilen Töne, wenngleich es Ari Aster – nicht nur durch die Sitzfleisch erfordernde Laufzeit von 147 Minuten – auch diesmal wieder gelingt, die ohnehin unangenehme Atmosphäre (und damit die sich so richtig entfalten kann, zahlen sich die zweieinhalb Stunden dann eben doch wieder aus!) mit gezielten Horroreinschüben zu versehen, die den Film in letzter Konsequenz eben doch klar im Genre verorten. Manchmal lässt er dafür in Nahaufnahme Köpfe zertrümmern. Dann wiederum nehmen die vorgeblich traditionellen Riten derart wahnwitzige Züge an, dass man nicht weiß, was man nun grauenerregender finden soll: Auf was für Ideen die Anhänger des Midsommar-Kultes hier irgendwann mal gekommen sind, oder dass es (zumindest in dieser Filmwelt) noch immer Leute gibt, die bis heute an diesen äußerst fragwürdigen Gebräuchen festhalten. Insbesondere durch die nur sehr gemächlich angezogene Spannungsschraube, konfrontiert einen „Midsommar“ nämlich auch noch mit einer weiteren Thematik: Tradition, respektive das blinde Vertrauen in dieselbe. Denn wo die Midsommar-Festivitäten noch damit beginnen, dass sich einfach nur eine große Gemeinschaft für ein paar Tage in dieselbe Tracht wirft und ausgelassen zu Musik tanzt und nach ganz besonderen Essensregeln speist, lässt Aster den Tonfall anhand vereinzelter Ereignisse so subtil in den Wahnwitz kippen, dass er aus seinem Film überdies auch noch eine Geschichte über die Ausführung blinden Gehorsams macht. Und hierin liegt, genau wie im Falle toxischer Menschenbeziehungen, letztlich der echte Horror.
Bei so viel inhaltlicher Unterfütterung bleibt zwar nicht die einmal mehr beispiellose Atmosphäre des Unbehagens auf der Strecke, die Ari Aster im gleißenden Sonnenlicht genauso zu schüren weiß, wie in den Schatten der Dunkelheit. Wohl aber für manche Zuschauer vielleicht doch der punktuelle Nervenkitzel, den die Macher immer nur dann schüren, wenn er für die Geschichte selbst auch wirklich relevant ist. Klassische Jumpscares – also Momente, in denen man vor Schreck aus dem Sitz hüpft, etwa weil plötzlich etwas vor der Kameralinse auftaucht oder die Lautstärke voll aufgedreht wir – gibt es in „Midsommar“ so gut wie keine. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Film aufgrund besonders prägend inszenierter Szenen nicht doch im Gedächtnis bleiben wird. Ari Aster und sein Kameramann komponieren auch diesmal wieder faszinierende Bilder des Schreckens, von irritierend perfekt durchkomponierten Essenstafeln aus der Vogelperspektive bis hin zu zweckentfremdeten Säugetieren. Vieles davon mag Aster vielleicht ein wenig zu offensiv im Vorfeld ankündigen; etwa weil er immer mal wieder Zeichnungen oder Dinge wie bestickte Tischdecken derart prominent ins Bild rückt, dass man genau weiß, dass es sich dabei um Foreshadowing handeln muss. Letztlich ist das aber nur eine Randnotiz, denn „Midsommar“ ist derart vollgepackt mit Symbolik und Subtext, dass ein einziges Anschauen ohnehin nicht ausreicht, um all das auf einmal zu dechiffrieren.
Fazit: „Midsommar“ ist nach „Hereditary“ das zweite Horror-Meisterwerk von Regisseur Ari Aster, das seine Stärken noch mehr im erzählerischen Subtext als in den gleichwohl bemerkenswert arrangierten Schauerbildern hat. Der Regisseur ist keine Alltagsfliege – und „Midsommar“ kein Genre-Fast-Food, sondern ein Film, auf dessen einzigartige Atmosphäre man sich einlassen muss. Fans von leicht konsumierbarem Jumpscare-Horror werden hiermit allerdings nicht viel anfangen können.
„Midsommar“ ist ab dem 26. September in den deutschen Kinos zu sehen.
Der Trailer macht Geschmack auf mehr. Das werde ich mir mal vormerken.-
haste dir hoffentlich gespart 😉
Hab ich 😂
Gerechtfertigter Hype oder die größte Enttäuschung seit langem?
Eigentlich mag ich so unheimliches Sektenzeug – und nachdem Ari Aster in 2018 mit seinem Erstlingswerk „Hereditary“ einen wirklich tollen Mystery-Shocker abgeliefert hatte, war ich voller Hoffnung auf einen weiteren Knaller! 🙂
Doch leider tritt er mit Midsommer für mich in die Fußstapfen von Mr. M. Night Shyamalan (The Happening, Glass) 😡 Die Hauptdarstellerin und ihre Rolle ist noch ok und erträglich – allerdings besteht der Rest der Truppe aus komplett fehlgecasteten und unsympathischen Stereotypen, mit denen man weder mitfiebert, noch Mitleid hat und von denen die Bösewichte sofort klar zu erkennen sind. Dazu kommt, dass der komplette Film von vorne bis hinten „komplett“ vorhersehbar ist. Außer ein paar splattrigen Schockmomenten, die sich zwar auch ankündigen, aber nicht mal Not getan hätten (man wollte wohl auch die Splattergemeinde abholen), bietet der Film wirklich nur zwei Dinge – viel Weiß und Langeweile! Und vielleicht noch die Erinnerung an „The Wicker Man“. Ansonsten solide gefilmt, ein paar nette Bilder und gute MakeUp-Effekte – aber der Rest: „Setzen, Sechs!“. Und damit z.B. nicht viel besser als Eli Roth´s Machwerk „The Green Inferno“.
Auf einigen Festivals wurde eine um ca. 24 Minuten erweiterte Fassung mit mehr Splatter und einigen anderen Szenen gezeigt, aber ob das den Film rettet? Aufgrund der oben genannten Dinge denke ich eher nicht…wobei ich in der normalen Version zwei, drei „offensichtlich“ fehlende Szenen vermisst habe und man am Ende nur noch vor vollendete Tatsachen gestellt wird.
Nun ja – aber so auch mein FAZIT: 6 von 10 mit Hang zur 5,5 👎